STROPHE III.

1 . . . . DIE LETZTE SCHWINGUNG DER SIEBENTEN EWIGKEIT DURCHDRINGT DIE UNENDLICHKEIT (a). DIE MUTTER SCHWILLT UND BREITET SICH  AUS VON INNEN NACH AUSSEN. WIE DIE KNOSPE DES LOTUS (b).

(a) Der scheinbar paradoxe Gebrauch des Ausdruckes „siebente Ewigkeit“, der somit das Unteilbare teilt, ist in der esoterischen Philosophie geheiligt. Die letztere teilt die unbegrenzte Dauer in unbedingt ewige und universelle Zeit (Kâla) und in bedingte Zeit (Khandakâla). Das eine ist die Abstraktion oder das Ding an sich unendlicher Zeit, das andere ist das periodisch erscheinende Phänomen, als Wirkung von Mahat – der universellen Intelligenz, beschränkt durch manvantarische Dauer. Nach einigen Schulen ist Mahat das Erstgeborene aus Pradhâna (undifferenzierter Substanz, Oder dem periodischen Aspekt von Mûlaprakriti, der Wurzel der Natur), welches (Pradhâna) Mâyâ, Illusion, genannt wird. In dieser Hinsicht, glaube ich, weicht die esoterische Lehre voll den Vedântalehren sowohl der Advaita- als der Visishthadvaitaschule ab. Denn sie sagt, daß, während Mûlaprakriti, das Ding an sich, selbstexistierend und ohne irgendwelche Ursache, kurz gesagt elternlos, Anupâdaka, als eins mit Braham ist, ‑ Prakriti, die Erscheinung derselben, periodisch und nicht besser als ein Scheinbild der ersteren ist. Ebenso ist Mahat, das Erstgeborene von Jñâna (oder Gnôsis), kenntnis, Weisheit oder Logos, ein Scheinbild, ein Reflex des absoluten Nirguna (Parabrahman), der Einen Realität, „bar von Attributen und Qualitäten“; während für einige Vedântisten Mahat eine Offenbarung von Prakriti oder Materie ist.

(b) Somit war die „letzte Schwingung der siebenten Ewigkeit“ nicht „vorherbeschlossen" ‑ von irgend einem besonderen Gott, sondern geschah kraft des ewigen und wandellosen Gesetzes, das die großen Perioden von Thätigkeit und Ruhe veranlaßt, welche so anschaulich und zugleich so poetisch die Tage und Nächte des Brahmâ genannt werden. Die Ausbreitung „von innen nach außen“ der Mutter, mit anderem Namen der „Wasser des Raumes“, der „universellen Matrix“ u. s. w. deutet nicht eine Ausdehnung von einem kleinen Centrum oder Focus aus an, sondern bedeutet die Entwicklung voll grenzenloser Subjektivität in ebenso grenzenlose Objektivität, ohne Bezugnahme auf Größe oder Grenze oder Raum.

„Die ewig (für uns) unsichtbare und immaterielle Substanz, gegenwärtig in Erscheinen, warf ihren periodischen Schatten von ihrer eigenen Ebene in den Schoß der Mâyâ.“

Das schließt in sich, daß diese Ausbreitung keine Zunahme an Größe war, da unendliche Ausdehnung keiner Vermehrung fähig ist, sondern ein Wechsel des Zustandes. Sie breitete sich aus „wie die Knospe des Lotus“, denn die Lotuspflanze existiert nicht bloß als ein Embryo im kleinen in ihrem Samen (ein physisches Merkmal), sondern ihr Vorbild ist als ideale Form im Astrallicht vom „Dämmern“ bis zur „Nacht“ während der manvantarischen Periode gegenwärtig, wie thatsächlich alles übrige in diesem objektiven Weltall, vom Menschen bis zur Milbe, von den Riesenbäumen bis zu den zartesten Grashalmen. All dieses, so lehrt uns die verborgene Wissenschaft, ist bloß der zeitliche Reflex, der Schatten des ewigen idealen Vorbildes im göttlichen Gedanken; das Wort „Ewigkeit“, man bemerke wiederum wohl, steht dabei hier bloß in dem Sinne von „Äon“, als andauernd während des scheinbar grenzenlosen, aber doch noch begrenzten, von uns Manvantara genannten, Cyklus von Thätigkeit. Denn was ist die wirklich esoterische Bedeutung von Manvantara, oder genauer Manu‑antara? Es bedeutet wörtlich „zwischen zwei Manus“, von welchen es vierzehn an jedem Tage des Brahmâ giebt; ein solcher Tag bestellt aus 1000 Folgen von vier Zeitaltern, aus 1000 „großen Zeitaltern“ oder Mahâyuagas.. Wir wollen jetzt das Wort oder den Namen Manu analysieren. Die Orientalisten sagen uns in ihren Wörterbüchern, daß das Wort „Manu“ von der Wurzel man „denken", abzuleiten ist, daher „der denkende Mensch“ bedeutet. Aber esoterisch ist jeder Manu, als ein anthropomorphisierter Schutzherr seines speziellen Cyklus (oder Runde), bloß die personifizierte Idee des „göttlichen Gedankens" (wie der hermetische Pymander); jeden der Manus ist daher der Spezialgott, der Schöpfer und Bildner alles dessen, welches während seines ihm eigenen Seins­cyklus oder Manvantaras erscheint. Fohat führt die Aufträge der Manus (oder Dhyân Chohans) aus, und läßt die idealen Vorbilder sich von innen nach außen ausdehnen ‑ das heißt, allmählich, in herabsteigender Stufenfolge alle Ebenen durchkreuzen, von der der Dinge an sich bis zu der der niedrig­sten Erscheinungen, um schließlich auf den letzten zu voller Objektivität ‑ dem Gipfel der Illusion, oder der gröbsten Stofflichkeit zu erblühen.