VORLÄUFIGE BEMERKUNGEN

ÜBER DIE ARCHAISCHEN STROPHEN

UND DIE VIER VORGESCHICHTLICHEN KONTINENTE

Facies totius universi, quamvis infinitis modis variet,
manet tamen semper eadem.
(SPINOZA.)

Die Strophen dieses Buches samt den dazugehörigen Kommentaren sind denselben archaischen Aufzeichnungen entnommen, wie Strophen über Kosmogenie im Band I. So weit als möglich ist eine wörtliche Übersetzung gegeben: aber einige dieser Strophen sind zu dunkel, um ohne Erklärung verständlich zu sein, und daher werden sie, ebenso wie im ersten Bande, zuerst vollständig gegeben, so wie sie stehen, und dann, wenn sie Vers um Vers mit ihren Kommentaren vorgenommen werden, wird ein Versuch gemacht, sie klarer zu machen, durch in Fußnoten beigefügte Worte, in Vorwegnahme der vollständigeren Erklärung des Kommentars.
Was die Entwicklung der Menschheit anbelangt, so stellt die Geheimlehre drei neue Sätze auf, die in unmittelbarem Gegensatze zur modernen Wissenschaft stehen, ebenso wohl wie zu landläufigen religiösen Dogmen. Sie lehrt: a) die gleichzeitige Entwicklung von sieben menschlichen Gruppen auf sieben verschiedenen Teilen unserer Kugel; b) die Hervorbringung des astralen von dem physischen Körper, indem der erstere ein Modell für den letzteren ist; und c) daß der Mensch, in dieser Runde, allen Säugetieren - einschließlich der menschenähnlichen Affen - vorausging. [1] Die Geheimlehre ist nicht die einzige, die von den ursprünglichen Menschen spricht, die gleichzeitig auf den sieben Teilen der Kugel hervorgebracht wurden. In dem göttlichen Pymander des Hermes Trismegistus finden wir dieselben sieben ursprünglichen Menschen [2] aus der Natur und dem himmlischen Menschen, in dem kollektiven Sinne des Wortes, nämlich aus den schöpferischen Geistern hervorgehen.: und in den Bruchstücken der chaldäischen Täfelchen, die von George Smith gesammelt wurden, auf denen die babylonische Schöpfungslegende verzeichnet steht, werden in der ersten Kolumne der Cutha-Tafel sieben menschliche Wesen „mit Rabengesichtern“, das heißt von schwärzlich dunkler Gesichtsfarbe, welche von den „(sieben) großen Göttern erschaffen“ wurden, erwähnt.  Oder, wie in den Zeilen 16, 17 und 18 erklärt wird:

Inmitten der Erde wuchsen sie auf und wurden groß,
Und vermehrten sich an Zahl,
Sieben Könige, Brüder aus der selben Familie. [3]

Dies es sind die sieben Könige von Edom, auf welche die Kabbalah Bezug nimmt: die erste Rasse, welche unvollkommen war, das heißt, geboren ward bevor die „Wage“ (die Geschlechter) existierte, und welche daher zerstört wurde. [4]

Sieben Könige, Brüder, erschienen und erzeugten Kinder, 6000 an der Zahl waren ihre Völker. Der Gott Nergas (Tod) zerstörte sie. „Wie zerstörte er sie?“ Indem er ins Gleichgewicht (oder in die Wage) jene brachte, welche noch nicht existierten. [5]

Sie wurden zerstört, als eine Rasse, indem sie in ihrer eigenen Nachkommenschaft (durch Ausschwitzung) aufgingen: das heißt, die geschlechtslose Rasse reinkarnierte sich in der (potentiell) doppelgeschlechtlichen; die letzteren in den androgynen, diese wiederum in den geschlechtlichen, der späteren dritten Rasse. Wären die Tafeln weniger verstümmelt, so würde man finden, daß sie Wort für Wort denselben Bericht enthalten, wie er in den archaischen Aufzeichnungen und im Hermes enthalten sind, zum mindesten was die Grundthatsachen, wenn auch nicht, was die kleinen Einzelheiten anbelangt: denn Hermes ist durch schlechte Übersetzungen nicht weniger entstellt worden.
Es ist ganz sicher, daß die scheinbare Übernatürlichkeit dieser freilich allegorischen Lehren den buchstäblich aufgefaßten Behauptungen der Bibel [6] Ebenso diametral entgegengesetzt ist, als den jüngsten Hypothesen der Wissenschaft, so daß  sie leidenschaftlichen Widerspruch hervorrufen wird. Die Occultisten jedoch wissen, daß  sie die Überlieferungen der esoterischen Philosophie die richtigen sein müssen, einfach deshalb, weil sie die logischesten sind, und weil sie jede Schwierigkeit beheben. Außerdem haben wir die ägyptischen Bücher des Thoth und das Totenbuch, und die indischen Purânen mit ihren sieben Manus, sowie die chaldäisch-assyrischen Bücher, deren Ziegel sieben ursprüngliche Mensch oder Adame erwähnen; die wirkliche Bedeutung dieses Namen kann mit Hilfe der Kabbalah ermittelt werden. Jene, die etwas von den samothrakischen Mysterien wissen, werden sich auch daran erinnern, daß der Gattungsname der Kabiren war: die „heiligen Feuer“, welche an sieben stellen der Insel Elektria oder Samothrake hervorbrachte der „Kabir, geboren auf der heiligen Lemnos“ - der dem Vulkan geweihten Insel.


[1] Siehe Genesis II, 19. Adam wird im siebten Vers geschaffen und im neunzehnten Vers wird gesagt: “Denn als Gott der Herr gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, daß er sie nennte.“ Somit wurde der Mensch vor den Tieren erschaffen; denn die im ersten Kapitel erwähnten Tiere sind die Tierkreiszeichen, indessen der Mensch, „ein Männlein oder Fräulein“, nicht der Mensch ist, sondern die Schar der Sephiroth, Kräfte oder Engeln, „geschaffen ihm (Gott) zum Bilde, zum Bilde Gottes“. Adam, der Mensch, ist nicht nach diesem Bilde geschaffen, noch wird es in der Bibel so behauptet. Obendrein ist der zweite Adam esoterisch eine Siebenheit, welche sieben Menschen oder vielmehr Gruppen von Menschen darstellt. Denn der erste Adam, der Kadmon, ist die Zusammenfassung der zehn Sephiroth. Von diesen bleibt die obere Dreiheit in der archetypischen Welt als die zukünftige „Dreieinigkeit“, während die sieben niederen Sephiroth die geoffenbarte körperliche Welt schaffen, und diese Siebenheit ist der zweite Adam. Die Genesis und die Mysterien, auf welchen sie aufgebaut wurde, kamen aus Ägypten. Der „Gott“ des ersten Kapitels der Genesis ist der Logos, und „Gott der Herr“ des zweiten Kapitels sind die schöpferischen Elohim, die niederen Mächte.

[2] So sagt Pymander: „Dies ist das Geheimnis, das bis zum heutigen Tage verborgen war. Da die Natur mit dem himmlischen Menschen (den Elohim oder Dhyänis) sich vermischte, brachte sie ein Wunder hervor . . . sieben Menschen, alle männlich und weiblich (hermaphroditisch) . . . entsprechend der Natur der sieben Lenker“ (II, 29) , oder der sieben Scharen der Pitris oder Elohim, welche ihn aussendeten und schufen. Dies ist sehr klar, aber trotzdem - man sehe nur die Erklärungen selbst unserer modernen Theologen, von Männern, die für gescheidt und gelehrt gelten. In den Theologischen und philosophischen Werken des Hermes Trismegistus, des christlichen (?) Neuplatonikers, einem Werke, das von John David Chambers, vom Oriel College in Oxford, kompiliert ist, fragt der Übersetzer verwundert: „was die sieben Menschen bedeuten sollen?“ Er behebt die Schwierigkeit durch die Schlußfolgerung, daß, da „der ursprüngliche vorbildliche Mensch (Adam Kadmon oder Genesis I) mannweiblich war, . . . .  die sieben die darauffolgenden in der Genesis genannten Patriarchen bedeuten mögen“ (p. 9). Eine wahrhaft theologische Art, den gordischen Knoten zu zerhauen!

[3] George Smiths Chaldean Account of Genesis, p. 103.

[4] Vgl. Zohar, Siphra Dtzenioutha, Idra Suta, 2928, Franck, Die Kabbala (La Kabbale, p. 205).

[5] Siphra Dtzenioutha.

[6] Da nunmehr behauptet wird, daß die chaldäischen Täfelchen, welche die allegorische Beschreibung der Schöpfung, des Falles, der Flut, selbst bis zur Legende vom babylonischen Turme geben, geschrieben wurden „vor der zeit des Moses“ (Smith´s Chaldean Account of Genesis), wie kann da der Pentateuch eine „Offenbarung“ genannt werden? Er ist einfach eine andere Lesart derselben Geschichte.