STROPHE VI.

DIE ENTWICKLUNG DER „SCHWEISSGEBORENEN“.

22. Fortsetzung de Entwicklung der drei Rassen.
23. Die Zweite Rasse erschafft die dritte und vergeht.

22. DANN ENTWICKELTE DIE ZWEITE, DIE EIGEBORENE, DIE DRITTE [1] . DER SCHWEISS WUCHS, SEINE TROPFEN WUCHSEN, UND DIE TROPFEN WURDEN HART UND RUND. DIE SONNE ERWÄRMTE IHN; DER MOND KÜHLTE UND GESTALTETE IHN; DER WIND ERNÄHRTE IHN BIS ZU SEINER REIFE. DER WEISSE SCHWAN VOM STERNENGEWÖLBE [2] ÜBERSCHATTETE DEN GROSSEN TROPFEN. DAS EI DER ZUKÜNFTIGEN RASSE, DER MENSCHENSCHWAN [3] DER SPÄTEREN DRITTEN (a). ZUERST MANNWEIBLICH, DANN MANN UND WEIB (b).

(a) Der Text der Strophe schließt deutlich in sich, daß der menschliche Embryo von außen her durch kosmische Kräfte ernährt wurde, und daß das „Vater-Mutter“ offenbar den Keim lieferte, welcher reifte; aller Wahrscheinlichkeit nach ein „schweißgeborenes Ei“, welches abgetrennt von dem „doppelten“ Vorfahr auf irgend eine geheimnisvolle Weise ausgebrütet werden mußte. Es ist verhältnismäßig leicht, sich eine Eier hervorbringende Menschheit vorzustellen, da selbst jetzt noch der Mensch in einem Sinne „eigeboren“ ist. Magendie obendrein, erwähnt in seinem Precis Élémentaire de Physiologie

einen Fall, wo die Nabelschnur gerissen und vollständig vernarbt war

und doch das Kind lebend geboren wurde, und fragt sachgemäß:

Wie wurde der Kreislauf in diesem Organe durchgeführt?

Auf der nächsten Seite sagt er:

Nichts ist gegenwärtig bekannt über die Art der Verdauung des Fötus.

Und in Bezug auf seine Ernährung stellt er die folgende Frage auf:

Was können wir also von der Ernährung des Fötus sagen? Die physiologischen Werke enthalten nur unbestimmte Vermutungen über diesen Gegenstand.

„Ach was“, kann der Skeptiker sich ereifern, „Magendies Buch gehört der letztvergangenen Generation an, und die Wissenschaft hat seither solche Fortschritte gemacht, daß sein Brandmal der Unwissenheit nicht länger mehr der Zunft aufgedrückt werden kann.“ In der That; wenden wir uns also an eine sehr große Autorität in Bezug auf Physiologie, nämlich Sir Michael Foster, und wir werden ihn zum Nachteile der modernen Wissenschaft sagen finden:

In Bezug auf die Entstehung und Entwicklung der funktionellen Thätigkeiten des Embryos ist unsere Kenntnis nahezu ein leeres Blatt. Wie wissen kaum irgend etwas über die verschiedenen Stufen, auf welchen die ursprünglichen Grundeigenschaften des Protoplasmas des Eies zu den verwickelten Erscheinungen differenziert werden, welche wir in diesem Buche zu erklären versucht haben. [4]

Die Studenten vom Trinity College in Cambridge werden jetzt gütig einen Schleier vor die Statue der Hygieia hängen und die Augen der Büsten des Galen und Hippokrates verbinden, damit sie nicht vorwurfsvoll auf ihre entarteten Nachkommen blicken. Eine weitere Thatsache müssen wir bemerken. Sir Michael schweigt vorsichtig über den Fall der gerissenen Nabelschnur, den sein großer französischer Kollege angeführt hat.
(b) Dies ist eine sehr seltsame Behauptung nach der Erklärung der Kommentare. Um es klar zu machen; nachdem die erste Rasse die Zweite durch „Knospung“ erschaffen hat, wie oben erklärt, bringt die Zweite Rasse die Dritte hervor - welche selbst in drei verschiedene Abteilungen zerfällt, welche aus verschiedenartig erzeugten Menschen besteht. Die ersten zwei von diesen sind hervorgebracht auf eine ovipare Art, die vermutlich der modernen Naturwissenschaft unbekannt ist. Während die ersten Unterrassen der Dritten Menschheit ihre Art durch ein gewisses Ausschwitzen von Feuchtigkeit oder Lebensflüssigkeit fortpflanzten, deren zusammenrinnende Tropfen eine eiförmige Kugel bildeten - oder sollen wir sagen ein Ei - welche als ein äußerer Träger für die darin stattfindende Erzeugung eines Fötus oder Kindes diente, änderte sich bei den späteren Unterrassen die Fortpflanzungsweise, zum mindesten in ihren Resultaten. Die Kleinen der früheren Unterrassen waren gänzlich geschlechtslos - formlos sogar, soweit uns bekannt ist [5] - aber jene späteren Unterrassen wurden androgyn geboren. In der Dritten Rasse fand die Trennung der Geschlechter statt. Die Menschheit war zuerst ungeschlechtlich, wurde dann ausgesprochen hermaphroditisch oder doppelgeschlechtlich, und schließlich begannen die menschenenthaltenden Eier allmählich und ihrer evolutionellen Entwicklung nach nahezu unbemerkbar zuerst Wesen hervorzubringen, in denen ein Geschlecht das andere überwog, und schließlich unterschiedene Männer und Weiber. Und nun wollen wir nach einer Bestätigung dieser Behauptung in den religiösen Legenden des Ostens und Westens suchen. Nehmen wir zuerst die „Eigeborene Rasse“. Man denke an Kashyapa, den vedischen Weisen, und den fruchtbarsten der Schöpfer. Er war der Sohn des Marîchi, des aus der Seele geborenen Sohnes des Brahmâ - und man ließ ihn zum Vater der Nâgas oder Schlangen werden, neben anderen Wesen. Exoterisch sind die Nâgas halbgöttliche Wesen, welche ein menschliches Gesicht und den Schwanz einer Schlange haben. Doch gab es eine Rasse von Nâgas - es heißt, daß sie nur tausend an der Zahl waren - geboren oder vielmehr entsprungen aus Kadrû, Kashyapas Weib, zum Zwecke der Bevölkerung von Pâtâla, welches unleugbar Amerika ist, wie gezeigt werden wird; und es gab einen Nâga-Dvîpa, einen von den sieben Teilen von Bhâratavarsha oder Indien, der von einem Volke bewohnt war, welches denselben Namen trug, und von dem selbst einige Orientalisten zugeben, daß es historisch ist und mancherlei Spuren bis zum heutigen Tag hinter sich zurückgelassen hat.


[1] Rasse.

[2] Der Mond.

[3] Hamsa.

[4] Text-Book of Philosophy, dritte Ausg., 1879, p. 623.

[5] Siehe den Timäus.