Aber dann ist da auch, wie der Verfasser der Quelle der Maße schreibt:

In der Kabbalah ist es klar zu finden, daß der „Baum des Lebens“ das Henkelkreuz in seinem geschlechtlichen Aspekt ist, und daß der „Baum der Erkenntnis“ die Trennung und das Wiederzusammenkommen zur Erfüllung der verderblichen Bedingung war. Um dies in Zahlen auseinanderzusetzen, so sind die Zahlenwerte der Buchstaben, welche das Wort Otz ([korrekter Abdruck siehe Buch]) „Baum“ zusammensetzen, 7 und 9, wobei die Sieben die heilige weibliche Zahl ist, und die neun die Zahl der phallischen oder männlichen Kraft. Dieses Henkelkreuz ist das Symbol des ägyptischen Weiblich-männlichen, Isis-Osiris, des Keimprinzipes in allen Formen, das auf der ursprünglichen Offenbarung beruht, die in allen Richtungen anwendbar ist.

Dies ist die kabbalistische Anschauung der westlichen Occultisten, und sie unterscheidet sich von den philosophischeren östlichen oder ârischen Anschauungen über den Gegenstand. [65] Die Trennung der Geschlechter lag im Programme der Natur und der natürlichen Entwicklung; und die schöpferische Fähigkeit in Mann und Weib war eine Gabe der göttlichen Weisheit. An die Wahrheit solcher Überlieferungen hat das ganze Altertum, vom patrizischen Philosophen bis zum bescheidensten geistig veranlagten Plebejer, geglaubt. Und im weitern Verlaufe können wir mit Erfolg zeigen, daß die verhältnismäßige Wahrheit solcher Legenden, wenn nicht ihre unbedingte Genauigkeit - für die solche intellektuelle Riesen eintraten wie Solon, Pythagoras, Plato und andere - mehr als einen modernen Gelehrten aufzudämmern beginnt. Es ist bestürzt; er steht überrascht und verwirrt vor Beweisen, die sich täglich vor ihm anhäufen; er fühlt, daß es keinen Ausweg giebt, die vielen geschichtlichen Probleme, die ihm entgegenstarren zu lösen, wenn er nicht alte Überlieferungen anzunehmen beginnt. Wenn wir daher sagen, daß wir unbedingt an alte Zeugnisse und universale Legenden glauben, so brauchen wir uns schwerlich vor dem unparteiischen Beobachter schuldig zu bekennen, denn andere und viel gelehrtere Schriftsteller, und zwar auch unter jenen, welche der modernen wissenschaftlichen Schule angehören, glauben offenbar an vieles, an das die Occultisten glauben - an „Drachen“ z. B., und nicht bloß symbolisch, sondern auch an ihre thatsächliche einstmalige Existenz.

Es wäre in der That vor einigen dreißig Jahren für jedermann ein kühner Schritte gewesen, daran zu denken, die Öffentlichkeit mit einer Sammlung von Geschichten zu bewirten, die gewöhnlich für fabelhaft gelten, und für dieselben die Beachtung zu beanspruchen, welche echten Wirklichkeiten gebührt oder Geschichten, die als Erdichtungen altehrwürdig sind, als wirkliche Thatsachen zu verfechten; oder von Ammenmärchen zu behaupten, daß sie in vielen Fällen mehr oder weniger entstellte Legenden sind, die wirkliche Wesen oder Ereignisse beschreiben. Heutzutage ist dies ein weniger gewagtes Vorgehen. [66]

So beginnt die Einleitung zu einem neuen (1886) und höchst interessanten Werk von Herrn Charles Gould, mit Namen Mythische Ungeheuer. Er erklärt tapfer seinen Glauben an die meisten dieser Ungeheuer. Er giebt folgendes zu erwägen:

Viele von den sogenannten mythischen Ungeheuern, welche durch lange Zeitalter und bei allen Nationen die fruchtbaren Gegenstände von Dichtung und Fabel waren, kommen rechtmäßig in den Kreis der gewöhnlichen auf Thatsachen beruhenden Naturgeschichte und es kommt dahin, daß sie nicht mehr als das Ergebnis einer überschwänglichen Phantasie betrachtet werden, sondern als Geschöpfe, welche einstmals wirklich existierten, und von denen unglücklicherweise nur unvollkommene und ungenaue Beschreibungen zu uns herabgesickert sind, wahrscheinlich durch die Nebel der Zeit stark gebrochen; ... Überlieferungen von Geschöpfen, die einstmals mit den Menschen gleichzeitig waren, und von denen einige so unheimlich und schrecklich sind, daß sie auf den ersten Blick unmöglich erscheinen . . .
Für mich besteht der größte Teil dieser Geschöpfe nicht aus Chimären, sondern aus Gegenständen vernünftigen Studiums. Der Drache ist nicht ein Geschöpf, das aus der Einbildung des ârischen Menschen bei der Betrachtung von blitzen, welche durch die von ihm bewohnten Höhlen aufleuchteten, entstand, wie einige Mythologen glauben, sondern an Stelle dessen ein Tier, das einstmals lebte und seine gewichtigen Windungen dahinschleppte, und vielleicht flog . . . .
Mir erscheint die bestimmte Existenz des Einhorns nicht unglaublich, und in der That wahrscheinlicher, als jene Theorie, welche seinen Ursprung einem Mondmythos zuschreibt. [67] ...
Ich für meinen Teil bezweifle die allgemeine Herleitung der Mythen von „der Betrachtung der sichtbaren Wirkungen der äußeren Natur.“ Es erscheint mir leichter, zu vermuten, daß die abschwächende Wirkung der Zeit den Ausdruck dieser oft erzählten Geschichten verwischt, bis ihr ursprüngliches Aussehen nahezu nicht mehr erkennbar ist, als daß unkultivierte Wilde Kräfte der Einbildung und poetischen Erfindung besitzen sollten, welche jene, deren sich die unterrichtesten Nationen des heutigen Tages erfreuen, weit übertreffen; weniger schwierig zu glauben, daß diese wundervollen Geschichten von Göttern und Halbgöttern, von Riesen und Zwergen, von Drachen und Ungeheuern jeglicher Beschreibung Umwandlungen sind, als zu glauben, daß sie Erfindungen sind. [68]

Von demselben Geologen wird gezeigt, daß:

Paläontologen haben mit Erfolg das Dasein des Menschen auf Zeitperioden zurückgeführt, die verschiedentlich zwischen dreißigtausend und einer Million Jahre geschätzt wurden - auf Perioden, wo er mit Tieren gleichzeitig existierte, die unterdessen schon lange ausgestorben sind. [69]


[65] Vergleiche die Abteilung über „die Geheimnisse der Siebenheit“ in Teil II dieses Bandes.

[66] Goulds Mythical Monsters, p. 1.

[67] The Unicorn: A Mythological Investigation, Robert Brown jun., F. S. A. London, 1881.

[68] Mythical Monsters, pp. 2-4.

[69] Ebenda, p. 20.