Die Überlieferung behauptet, und die Archäologie nimmt die Wahrheit der Legende an, daß es mehr als eine blühende Stadt in Indien giebt, welche auf verschiedenen anderen Städten aufgebaut ist, und so eine sechs oder sieben Stockwerke hohe unterirdische Stadt bildet. Delhi ist eine von ihnen, Allahabad eine andere; Beispiele finden sich selbst in Europa, z. B. in Florenz, welches auf verschiedenen ausgestorbenen etruskischen und anderen Städten aufgebaut ist. Warum also könnten nicht Ellora, Elephanta, Karlo und Ajunta über unterirdischen Labyrinthen und Gängen erbaut worden sein, wie behauptet wird? Natürlich spielen wir nicht auf die Höhlen an, welche einem jedem Europäer entweder vom Sehen oder vom Hörensagen bekannt sind, ungeachtet ihres außerordentlichen Alters, obwohl selbst dieses von der modernen Archäologie bestritten wird; sondern auf eine Thatsache, welche den initiierten Brâhmanen von Indien und insbesondere den Yogîs bekannt ist, nämlich, daß es keinen Höhlentempel im Lande giebt, der nicht seine unterirdischen Gänge hätte, die in jeder Richtung verlaufen, und daß diese unterirdischen Höhlen und endlosen Korridore ihrerseits ihre Höhlen und Korridore haben.

Wer kann sagen, ob die dahingegangene Atlantis - welche auch in dem Geheimen Buche erwähnt ist, aber wiederum unter einem anderen Namen, der der heiligen Sprache eigentümlich ist - in jenen Tagen nicht noch existierte?

fuhren wir fort zu fragen. Die existierte ganz sicherlich, denn sie näherte sich den größten Tagen ihrer Herrlichkeit und Civilisation, als der letzte der lemurischen Kontinente versank.

Der große dahin gegangene Kontinent mag vielleicht, südlich von Asien gelegen, sich von Indien bis Tasmanien erstreckt haben. [78] Wenn die Hypothese - die jetzt so sehr bezweifelt und von einigen gelehrten Schriftstellern, die sie für einen Scherz des Plato halten, gänzlich abgelehnt wird - jemals für richtig erkannt werden wird, dann werden vielleicht die Gelehrten daran glauben, daß die Beschreibung von dem Götterbewohnten Kontinent nicht ganz und gar Fabel war. [79] Und sie mögen dann bemerken, daß Platos vorsichtige Andeutungen und der Umstand, daß er die Erzählung dem Solon und den ägyptischen Priestern zuschrieb, nur eine kluge Art waren, die Thatsache der Welt mitzuteilen und zur selben Zeit durch geschickte Verbindung von Wahrheit und Dichtung sich selbst von einer Geschichte zu trennen, die zu veröffentlichen ihm bei der Initiiation auferlegte Verpflichtung verboten.
Um in der Überlieferung fortzufahren, so haben wir hinzuzufügen, daß die Klasse der Hierophanten in zwei getrennte Kategorien geteilt wurde; [80] in jene, welche von den „Gottessöhnen“ der Insel unterrichtet und in die göttliche Lehre der reinen Offenbarung initiiert wurden; und in die anderen, welche die vergangene Atlantis - wenn das ihr Name sein soll - bewohnten und welche von einer anderen Rasse waren (geschlechtlich, aber von göttlichen Eltern hervorgebracht) und mit einem Blicke geboren wurden, der alle verborgenen Dinge umfaßte, und von der Entfernung wie von materiellen Hindernissen unabhängig war. Kurz gesagt, sie waren die in den Popol Vuh erwähnte vierte Rasse der Menschen, deren Blick unbegrenzt war und welche alle Dinge sofort wußten.

Mit andern Worten, sie waren die Lemuro-Atlantier, die ersten, welche eine Dynastie von Geister-Königen hatten; nicht von Manen oder „Gespenstern“, wie einige glauben, [81] sondern von wirklichen lebendigen Devas, oder Halbgöttern oder Engeln, wiederum, welche Körper angenommen hatten, um über diese Rasse zu herrschen, und welche ihrerseits sie in Künsten und Wissenschaften unterrichteten. Nun waren diese Dhyânîs Rûpa oder materielle Geister, und daher nicht immer gut. Ihr König Thevetat war einer von den letzteren, und unter dem bösen Einflusse dieses königlichen Dämons wurde die Atlantisrasse zu einer Nation verruchter „Magier“.

Infolge davon wurde Krieg erklärt, dessen Geschichte zu lang sein würde; das wesentliche davon ist in den entstellten Allegorien von der Rasse des Kain, den Riesen, und in jener des Noah und seiner rechtschaffenen Familie zu finden. Der Streit wurde beendet durch den Untergang der Atlantis, welcher seine Nachbildung in den Geschichten der babylonischen und der mosaischen Flut findet. Die Riesen und Magier, „und alles Fleisch starben . . . . und jeder Mensch.“ Alle mit Ausnahme von Xisuthrus und Noah, welche wesentlich identisch sind mit dem großen Vater der Thlinkithier, [82] welche, wie sie sagen, ebenfalls in einem großen Boot entkamen, gleich den indischen Noah-Vaivasvata.
Wenn wir die Überlieferung überhaupt glauben, so müssen wir auch der weiteren Geschichte Glauben schenken, daß aus dem Durcheinanderheirathen der Nachkommenschaft der Hierophanten der Insel und der Abkömmlinge des atlantischen Noah eine Mischrasse von Rechtschaffenen und Verruchten entsprang. Auf der einen Seite hat die Welt ihre Enochs, Mosesse, verschiedenen Buddhas, ihre zahlreichen „Heilande“, und großen Hierophanten; auf der andern Seite ihre „natürlichen Magier“, welche Mangels der zügelnden Kraft der eigenen geistigen Erleuchtung . . . . ihre Gaben zu bösen Zwecken mißbrauchten.


[78] Amerika wurde zur Zeit seiner Entdeckung von einigen eingeborenen Stämmen Atlanta genannt.

[79] Seither ist Donnelys Atlantis erschienen, und bald wird ihre wirkliche Existenz eine wissenschaftliche Thatsache geworden sein.

[80] Sie wird bis zum heutigen Tage so eingeteilt, und Theosophen und Occultisten, welche etwa von der occulten, aber unleugbaren Macht der Dugpaschaft auf ihre eigenen Kosten gelernt haben, wissen dies nur zu gut.

[81] Siehe De Marville Pneumatologie: Des Esprits, III. 57 ff.

[82] Siehe Max Müller, Chips, I. 339; „Popol Vuh“. Vergleiche auch Holmberg, Ethnographische Skizzen über die Völker des russischen Amerika. Helsingfors, 1855.