Um die Weigerung und den Mißerfolg ihrer richtigen physischen Bedeutung nach aufzufassen, muß man die östliche Philosophie studieren und verstehen; man muß mit den grundlegenden mystischen Lehrsätzen der Vedântisten in Bezug auf die vollständige Unrichtigkeit eines Zuerteilens funktioneller Thätigkeit an die unendliche und unbedingte Gottheit vertraut sein. Die esoterische Philosophie behauptet, daß während der Sandhyâs die „Centralsonne“ ein schöpferisches Licht - sozusagen passiv - aussendet. Die Kausalität ist latent. Nur während der thätigen Perioden des Daseins ruft sie einen Strom unaufhörlicher Energie hervor, deren Schwingungsströme, mit jeder Sprosse der siebenfältigen Leiter des Daseins, auf der sie herabsteigen, mehr Thätigkeit und Kraft erlangen. Dadurch wird es verständlich, wieso der Vorgang des „Schaffens“ oder vielmehr Bildens des organischen Weltalls, mit allen seinen Einheiten der sieben Reiche, intelligente Wesen notwendig machte - welche kollektiv ein Wesen oder schöpferischer Gott wurden, welcher bereits differenciert ist von der einen unbedingten Einheit, da letztere nicht in Beziehung steht zu der bedingten „Schöpfung“. [32]
Nun enthält das vatikanische Kabbalah-Manuskript - dessen einziges Exemplar (in Europa) in Besitze des Grafen St. Germain gewesen sein soll - die vollständigste Darlegung der Lehre, einschließlich der sonderbaren Version, die von den Luciferianern [33] und anderen Gnostikern angenommen ist; und in jenem Pergament werden die „sieben Sonnen des Lebens“ in der Reihenfolge gegeben, in der sie in dem Saptasûrya zu finden sind. Von diesen werden jedoch nur vier in den Ausgaben der Kabbalah erwähnt, welche in öffentlichen Bibliotheken erhältlich sind, und selbst die nur in mehr oder weniger verschleierter Ausdrucksweise. Nichtsdestoweniger ist selbst diese verringerte Zahl vollständig ausreichend, einen identischen Ursprung zu zeigen, da sie sich auf die vierfältige Gruppe der Dhyân Chohans bezieht, und zeigt, daß die Spekulation ihren Ursprung in den geheimen Lehren der Ârier hatte. Wie wohl bekannt ist, entstand die Kabbalah nicht bei den Juden, denn die letzteren erhielten ihre Ideen von den Chaldäern und den Ägyptern.

So sprechen selbst die exoterischen kabbalistischen Lehren von einer „Centralsonne“ und von drei sekundären Sonnen in einem jeden Sonnensystem - einschließlich des unseren. Wie in dem trefflichen, aber allzu materialistischen Werk New Aspects of Life and Religion, welches ein Überblick der Anschauung der Kabbalisten von einem tief durchdachten und assimilierten Standpunkt aus ist, gezeigt wird:

Die Centralsonne . . . war für sie (ebenso wie für die Ârier) das Centrum des übrigen; das Centrum, auf das alle Bewegung schließlich bezogen werden mußte. Rund um diese Centralsonne . . . „bewegte sich die erste von den drei Sonnen des Systems . . . in einer polaren Ebene . . . die zweite in einer äquatorialen Ebene“ . . . und nur die dritte war unsere sichtbare Sonne. Diese vier Sonnenkörper waren „die Organe, von deren Thätigkeit das, was der Mensch die Schöpfung nennt, die Entwicklung des Lebens auf dem Erdplaneten abhängt.“ Die Kanäle, durch welche der Einfluß dieser Körper auf die Erde übertragen wurde, hielten sie (die Kabbalisten) für elektrische . . . Die strahlende Energie, die aus der Centralsonne [34] ausströmte, rief die Erde als eine wässerige Kugel ins Dasein . . . (deren Neigung) als Kern eines Planetenkörpers die war, in die (centrale) Sonne zu stürzen . . . . in die Sphäre, deren Anziehung sie geschaffen hatte . . . . Aber die strahlende Energie, welche beide auf die gleiche Weise elektrisierte, hielt die eine von der anderen entfernt und verwandelte so die Bewegung nach dem Anziehungsmittelpunkt, welchen der umlaufende Planet (die Erde) auf diese Art zu erreichen suchte, in eine solche um denselben.
In der organischen Zelle fand die sichtbare Sonne ihre eigene richtige Matrix, und brachte durch diese das tierische Reich (während sie das pflanzliche zur Reife brachte) hervor, und setzte schließlich den Menschen an die Spitze desselben, in welchem sie durch die beseelende Wirkung dieses Reiches die psychische Zelle entstehen ließ.
Aber der so an die Spitze des tierischen Reiches, an die Spitze der Schöpfung gestellte Mensch war der tierische, der seelenlose, der vergängliche Mensch . . .
Daher würde der Mensch, obzwar scheinbar die Krone der Schöpfung, durch seine Ankunft den Schluß derselben bezeichnet haben; da die Schöpfung, welche in ihm ihre Höhepunkt erreichte, bei seinem Tode in ihren Verfall eingetreten wäre. [35]


[32] „Schöpfung“ - natürlich aus einer praeexistierenden ewigen Substanz oder Materie, welche Substanz nach unseren Lehren der grenzenlose, immer dauernde Raum ist.

[33] Die Lucifianer, eine Sekte des vierten Jahrhunderts, welche angeblich gelehrt haben, daß die Seele ein fleischlicher Körper sei, der dem Kinde von seinem Vater überliefert wird, und die Lucianisten, eine andere und frühere Sekte des dritten Jahrhunderts n. Chr., welche all dies lehrten und ferner, daß die tierische Seele nicht unsterblich sei, philosophierten auf dem Boden der wirklichen kabbalistischen und occulten Lehren.

[34] Diese „Centralsonne“ der Occultisten muß sogar die Wissenschaft im astronomischen Sinne annehmen, denn sie kann die Gegenwart im Sternenraume, von einem Centralkörper in der Milchstraße, einem unsichtbaren und geheimnisvollen Punkte, dem immer verborgenen Anziehungscentrum unserer Sonne und unseres Systems, nicht leugnen. Aber diese „Sonne“ wird von den Occultisten des Ostens anders betrachtet. Während die westlichen und jüdischen Kabbalisten - und selbst einige fromme moderne Astronomen - behaupten, daß in dieser Sonne die Gottheit speziell gegenwärtig ist, und die Wissensakte Gottes darauf zurückführen, behaupten die östlichen Initiierten, daß, da die übergöttliche Wesenheit des unbekanntes Absoluten gleichermaßen in jedem Bereiche und an jeder Stelle ist, die „Centralsonne“ einfach das Centrum der universalen Lebenselectricität ist; der Behälter, in den jene göttliche Ausstrahlung, die bereits am Beginne einer jeden „Schöpfung“ differentiiert ist, als in einem Brennpunkt sich ansammelt. Obwohl noch in einem Laya- oder neutralem Zustand, ist sie doch nichtsdestoweniger das eine anziehende, sowie das immer aussendende Lebenscentrum.

[35] a. a. O., pp. 287-289.