Wiederum:

Das himmlische Rûpa (Dhyân Chohan) erschafft (den Menschen) nach seiner eigenen Form; es ist eine geistige Ideenbildung, die auf die erste Differentiation und Erwachung der universalen (geoffenbarten) Substanz folgt; jene Form ist der ideale Schatten von ihr selbst: und dies ist der Mensch der ersten Rasse.

Um es in noch klarerer Form auszudrücken, dabei die Erklärung bloß auf diese Erde beschränkend, so war es die Pflicht der ersten „differentiierten“ Egos - die Kirche nennt sie Erzengel - die ursprüngliche Materie mit dem evolutionellen Antriebe zu durchdringen und ihre Formungskräfte bei der Gestaltung ihrer Erzeugnisse zu leiten. Das ist es, woraus sich die, sowohl in der östlichen wie auch in der westlichen Überlieferung enthaltenen Sätze beziehen: „Den Engeln wurde befohlen zu schaffen.“ Nachdem die Erde von den niederen und mehr materiellen Kräften vorbereitet worden war und die drei Reiche ihren Weg, „fruchtbar zu sein und sich zu vermehren“, gut angetreten hatten, wurden die höheren Kräfte, die Erzengel oder Dhyânîs, von dem Evolutionsgesetz getrieben, auf die Erde herabzusteigen, um die Krone ihrer Entwicklung - den Menschen - zu bilden. So entsendeten die „Selbstgeschaffenen“ und die „Selbstexistierenden“ ihre blassen Schatten; aber die dritte Gruppe, die Feuerengel, lehnten sich auf und weigerten sich, sich ihren Mitdevas anzuschließen.
Die indische Exoterik stellt sie alle als Yogins dar, deren Frömmigkeit sie dazu begeisterte, sich zu weigern, zu „schaffen“, da sie ewig Kumâras bleiben wollten, „jungfräuliche Jünglinge“, um womöglich ihren Genossen im Fortschreiten nach dem Nirvâna - der schließlichen Befreiung - zuvorzukommen. Aber entsprechend der esoterischen Auslegung war es ein Selbstopfer zum Wohle der Menschheit. Die „Aufrührer“ wollten nicht willenlose unverantwortliche Menschen schaffen, wie es die „gehorsamen Engel“ thaten; noch konnten sie die menschlichen Wesen auch nur mit vergänglichen Wiederscheinen ihren eigenen Eigenschaften begaben; denn die letzteren, die einer anderen und um so höheren Ebene des Bewußtseins angehören, würden den Menschen noch immer unverantwortlich lassen, somit irgend welche Möglichkeit höheren Fortschrittes durchkreuzen. Keine geistige oder psychische Entwicklung ist auf der Erde - der niedrigsten und materiellsten Ebene - für einen solchen möglich, der zum mindesten auf dieser Erde innerlich vollkommen ist, und weder Verdienst noch Schuld anhäufen kann. Wäre der Mensch der blasse Schatten der unthätigen, unveränderlichen, und unbeweglichen Vollkommenheit geblieben, des einen negativen und passiven Attributes des wirklichen Ich bin der ich bin, so würde er dazu verurteilt gewesen sein, durch das Erdenleben wie in einem schweren traumlosen Schlafe hindurchzugehen; ein Mißerfolg also auf dieser Ebene. Die Wesen, oder das Wesen, kollektiv Elohim genannt, welche zuerst die grausamen Worte aussprachen (wenn sie in der That jemals ausgesprochen wurden): „Siehe, der Mensch ist geworden als unser einer, und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstreckte seine Hand und breche auch von dem Baume des Lebens, und esse, und lebe ewiglich . . .“ - müssen in der That der Ilda-baoth, der Demiurg der Nazarener, gewesen sein, erfüllt mit Zorn und Neid gegen sein eigenes Geschöpf. dessen Wiederschein den Ophiomorphos erzeugt hat. In diesem Falle ist es nur natürlich - selbst vom Standpunkte des toten Buchstabens aus - den Satan, die Schlange der Genesis, als den wirklichen Schöpfer und Wohlthäter, den Vater der geistigen Menschheit zu betrachten. Denn er war der „Bote des Lichtes“, der helle strahlende Lucifer, welcher die Augen des angeblich von Jehovah „geschaffenen“ Automaten eröffnete. Und er, welcher der erste war zu raunen: „welches Tages ihr davon esset, so werdet ihr sein wie Elohim, und wissen, was gut und böse ist,“ kann nur im Lichte eines Heilandes betrachtet werden. Ein „Widersacher“ gegen Jehovah, den „personificierenden Geist“, bleibt er doch der esoterischen Wahrheit nach der ewig liebende „Sendbote“, der Engel, die Seraphim und Cherubin, welche beide wohl „wußten“, und noch mehr „liebten“ und auf uns geistige, an Stelle der physischen Unsterblichkeit übertrugen - welche letztere eine Art von statischer Unsterblichkeit wäre, die den Menschen in einen nicht sterbenden „ewigen Juden“ verwandelt hätte.

Wie in King´s Gnostic and their Remains in Bezug auf Ilda-baoth, den verschiedene Sekten als den Gott des Moses betrachteten, erzählt wird:

Ildabaoth war weit davon entfernt, ein reiner Geist zu sein; Ehrgeiz und Stolz herrschten in seiner Zusammensetzung vor. Er beschloß daher, alle Verbindung mit seiner Mutter Achamoth abzubrechen, und eine Welt ganz für sich selbst zu schaffen. Unterstützt von seinen eigenen sechs Geistern schuf er den Menschen, den er als das Abbild seiner Macht beabsichtigte; aber sein Werk war ein vollständiger Mißerfolg, sein Mensch erwies sich als ein großes seelenloses Ungeheuer, das auf der Erde kroch. Die Sechs Geister waren gezwungen, ihr Werk wieder vor ihren Vater zu bringen, damit er es beseele: dies that er, indem er ihm den Strahl des göttlichen Lichts mitteilte, den er selbst von Achamoth geerbt hatte, welche ihn durch diesen Verlust für seinen Stolz und seine Selbstzufriedenheit bestrafte.
Der Mensch, also von Achamoth auf Kosten ihres eigenen Sohnes begünstigte, folgte dem Antriebe des göttlichen Lichtes, das sie auf ihn übertragen hatte, sammelte einen weiteren Vorrat aus der Schöpfung, mit der es vermengt war, und begann, nicht das Abbild seines Schöpfers Ildabaoth darzustellen, sondern vielmehr das des Höchsten Wesens hervorgebracht zu haben, das ihm so sehr überlegen war. Seine durch seine Leidenschaften entflammten Blicke wurden in dem Abgrunde wie in einem Spiegel zurückgeworfen, das Bild wurde belebt, und es stieg auf der „schlangenförmige Satan“, Ophiomorphos, die Verkörperung von Neid und List. [40]

Dies ist die exoterische Wiedergabe der Gnostiker, und die Allegorie, wenn auch eine sektiererische Lesart, ist bedeutsam und erscheint lebenswahr. Sie ist die natürliche Schlußfolgerung aus dem buchstäblich aufgefaßten Texte des Kapitels III der Genesis.


[40] a. a. O., pp. 97, 98; zweite Ausg. 1887.