Wahrhaftig ein handfester ,,Glaube“ ist erforderlich, um zu glauben daß es ,,Vermessenheit“ ist, die Gerechtigkeit von jemand in Frage zu stellen, der den hilflosen schwachen Menschen bloß dazu erschafft, um ihn zu ,,verwirren“, und einen ,,Glauben“ zu erproben, mit dem ihn zu begaben jene „Macht“ obendrein vergessen, wenn nicht unterlassen haben mag, wie es manchmal vorkommt. Man vergleiche dieses blinde Glaubensbekenntnis mit dem philosophischen Glauben, der auf jeglichem vernünftigen Beweise und auf Lebenserfahrung beruht an Karma-Nemesis, oder das Gesetz der Wiedervergeltung. Dieses Gesetz - sei es bewußt oder unbewußt - prädestiniert nichts und niemand.   Es existiert von und in Ewigkeit, fürwahr, denn es ist Ewigkeit selbst;    und als solcher, da keine Handlung der Ewigkeit gleich sein kann, kann   man von ihm nicht sagen, daß es handelt, denn es ist Handlung selbst. Es ist nicht die Welle, die einen Menschen ertränkt, sondern die persönliche Handlung des Wichtes, welcher vorsätzlich hingeht und    sich unter die unpersönliche Wirkung der Gesetze begiebt, welche   die Bewegung des Ozeans beherrschen. Das Karma schafft nichts,   noch plant es. Der Mensch ist es, welcher plant und Ursachen schafft,  und das karmische Gesetz gleicht die Wirkungen aus, welche Ausgleichung   keine Handlung ist, sondern universale Harmonie, welche immer ihre ursprüngliche   Lage wieder einzunehmen strebt, wie ein Bogen, welcher, zu gewaltsam niedergebogen,   mit entsprechender Kraft zurückspringt. Wenn er zufällig den Arm verrenkt,   welcher versucht hatte, ihn aus seiner natürlichen Lage zu biegen, sollen  wir da sagen, daß es der Bogen war, welcher unsern Arm gebrochen hat oder daß unsere eigene Thorheit uns hat Schaden nehmen lassen? Das Karma hat niemals intellektuelle und individuelle Freiheit zu zerstören getrachtet, wie der von den Monotheisten erfundene Gott. Es hat nicht seine Beschlüsse absichtlich in Dunkel gehüllt, um den Menschen zu verwirren. noch wird es jenen strafen, der sein Geheimnis zu erforschen wagt. Im Gegenteile, wer durch Studium und Meditation seine verschlungenen Pfade enthüllt und Licht wirft auf jene dunklen Wege, in deren Windungen so viele Menschen wegen ihrer Unkenntnis des Lebenslabyrinthes zu grunde gehen - wirkt zum besten seiner Mitmenschen. Karma ist ein unbedingtes und ewiges Gesetz in der Welt der Offenbarung; und da es nur ein Unbedingtes, als Eine ewige immer gegenwärtige Ursache geben kann, so können Karmagläubige nicht als Atheisten oder Materialisten betrachtet werden - noch weniger als Fatalisten, [165]  denn Karma ist eins mit dem Unerkennbaren, von dem es ein Aspekt ist, in seinen Wirkungen in der Erscheinungswelt.

 

      Eng, oder vielmehr unauflöslich verbunden mit Karma ist sodann das Gesetz der Wiedergeburt, oder der Reinkarnation derselben geistigen Individualität in einer langen, nahezu grenzenlosen Reihe von Persönlichkeiten. Die letzteren sind wie die verschiedenen, von demselben Schauspieler dargestellten Rollen, mit deren jeder sich er Schauspieler identificiert, und vom Publikum identificiert wird, für den Zeitraum einiger Stunden. Der innere oder wirkliche Mensch, welcher in jenen Rollen auftritt, weiß die ganze Zeit, daß er Hamlet bloß für die kurze Zeit von ein paar Akten ist, welche jedoch auf der Ebene der menschlichen Illusion das ganze Leben des Hamlet darstellen. Er weiß auch, daß er in der vorhergehenden Nacht König Lear war, seinerseits die Umwandlung des Othello einer noch früheren vorhergehenden Nacht. Und obwohl der äußere, sichtbare Charakter scheinbar in Unkenntnis dieser Thatsache ist, und im thatsächlichen Leben ist diese Unkenntnis unglücklicherweise nur allzu wirklich, so ist doch die dauernde Individualität sich dessen vollbewußt, aber infolge der Verkümmerung des ,,geistigen Auges“im physischen Körper kamt sich jenes Wissen nicht dem Bewußtsein der falschen Persönlichkeit einprägen.

 

Die Menschen der dritten Wurzelrasse erfreuten sich des Besitzes eines physischen dritten Auges herab bis nahezu zum Mittelpunkte der dritten Unterrasse der vierten Wurzelrasse, als die Verfestigung und Vervollkommnung der menschlichen Gestalt dasselbe von dem äußeren Gerippe des Menschen verschwinden ließen. Psychisch und geistig jedoch dauerte seine mentale und visionelle Wahrnehmungskraft bis nahezu zum Ende der vierten Rasse, wo seine Funktionen infolge der Materialität und des verkommenen Zustandes der Menschheit gänzlich ausstarben. Dies geschah früher als der Untergang der großen Masse des atlantischen Kontinents. Und nun können wir zu den Sintfluten und ihren vielen Noahs zurückkehren.

 

 Der Schüler hat sich vor Augen zu halten, daß es viele solche Sintfluten gab, wie jene in der Genesis erwähnte, und drei bei weitem bedeutendere, welche in der Abteilung des Teiles III, der dem Gegenstande der vorgeschichtlichen ,,untergegangenen Kontinente“ gewidmet ist, erwähnt und beschrieben werden sollen. Die Vermeidung irrtümlicher Mutmaßungen jedoch mit Bezug auf die Behauptung, daß die esoterische Lehre viel mit den Legenden, die in den indischen Schriften enthalten sind, gemein hat; daß wieder die Chronologie der letzteren nahezu jene der ersteren ist - nur erklärt und deutlich gemacht;, und daß schließlich der Glaube besteht, daß Vaivasvata Manu - ein generischer Ausdruck in der That! - der Noah der Ârier war und das Vorbild des biblischen Patriarchen, all dies - als auch zum Glauben der Occultisten gehörig - macht eine neue Erklärung an dieser Stelle notwendig.

 


 

 

 

 

 [165]            Um Karma dem westlichen Verstande, der besser mit der griechischen als mit der ârischen Philosophie vertraut ist, begreiflicher zu machen, haben einige Theosophen versucht, es durch Nemesis zu übersetzen. Wäre Nemesis den Profanen im Altertume so bekannt gewesen, wie sie von den Initiierten verstanden wurde, so würde diese Übersetzung des Ausdrucks einwandfrei sein. In Wirklichkeit aber wurde Nemesis von der griechischen Phantasie allzusehr anthropomorphisiert, als daß man ihn ohne sorgfältig ausgearbeitete Erklärungen benützen könnte. Bei den frühen Griechen,von „Homer bis Herodot, war sie keine Göttin, sondern vielmehr ein moralisches Gefühl,“ sagt Decharme; der Schutzwall gegen Böses und Unsittlichkeit. Wer diesen überschreitet, begeht in den Augen der Götter einen Frevel,und wird von der Nemesis verfolgt. Aber mit der Zeit wurde jenes ,,Gefühl"“vergöttlicht, und seine Personifikation wurde eine immer verderbenbringende und strafende Göttin. Wenn wir daher Karina mit Nemesis in Verbindung bringen wollen, so müssen wir dies thun in ihrem dreifachen Charakter als Nemesis, Adrasteia und Themis. Denn, während die letztere die Göttin der universalen Ordnung und Harmonie ist, welche wie Nemesis beauftragt ist, jede Ausschreitung zu unterdrücken, und den Menschen bei strenger Strafe innerhalb der Schranken der Natur und Rechtschaffenheit zu halten, repräsentiert Adrasteia, die ,,Unentrinnbare“, Nemesis als die unveränderlicheWirkung von Ursachen, die der Mensch selbst geschaffen hat. Nemesis,als die Tochter der Dikê, ist die gerechte Göttin, welche ihren Zorn für jene allein aufspart, welche durch Stolz, Selbstsucht und Ruchlosigkeit rasend gemacht sind. (Siehe Mesomed., Hymn. Nemes., v. 2, ausBrunck, Analecta, II. p. 292; angeführt in Mythologie da la Grèce Antique, p. 304.) Kurz gesagt, während Nemesis eine mythologische, exoterische Göttin oder Macht ist, personificiert und anthropomorphisiert in ihren verschiedenen Aspekten, ist Karma eine hoch philosophische Wahrheit, ein höchst göttlicher und edler Ausdruck der ursprünglichen Intuition des Menschen in Betreff der Gottheit. Es ist eine Lehre, welche den Ursprung des Bösen erklärt, und unsere Vorstellungen von dem, was göttliche unveränderliche Gerechtigkeit sein sollte, veredelt, anstatt die unbekannte  und unerkennbare Gottheit zu erniedrigen, indem sie aus ihr die launenhafte grausame Tyrannin macht, welche wir Vorsehung“ nennen.