Die Benennung Sa‘tan, im Hebräischen Sâtân, ein ,,Widersacher“ (von dem Zeitwort shatana‘ ,,feindlich sein“, ,,verfolgen“) gebührt von rechtswegen dem ersten und grausamsten ,,Widersacher“ aller andern Götter - dem Jehovah; nicht der Schlange, die nur Worte des Mitgefühls und der Weisheit sprach, und im schlimmsten Falle, selbst im Dogma, der „Widersacher“ der Menschen ist. Dieses Dogma, wie es auf das dritte Kapitel der Genesis begründet wird, ist ebenso unlogisch und ungerecht, wie es widersinnig ist. Denn wer hat zuerst jene ursprüngliche und hinfort allgemeine Versucherin des Menschen das Weib - erschaffen? Sicherlich nicht die Schlange, sondern ,,Gott der Herr“ selbst, welcher mit den Worten: ,,Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!“ das Weib erschuf und ,,sie zum Manne brachtet [115] Wenn der unangenehme kleine Zwischenfall wirklich als die ,,Erbsünde“ zu betrachten war und noch ist, dann zeigt er in der That die göttliche Vorsehung des Schöpfers in einem armseligen Lichte. Es würde für den ersten Adam des ersten Kapitels viel besser gewesen sein, entweder ,,ein Männlein und Fräulein“ oder ,,allein“ gelassen worden zu sein. Offenbar war Gott der Herr die wirkliche Ursache all des Unheils, der ,,Herausforderer“, und die Schlange - nur ein Vorbild des Azazel, des ,,Sündenbockes für die Sünde (des Gottes) von Israel“, wobei der arme Tragos die Buße für seines Meisters und Schöpfers Mißgriff zu zahlen hat.

Dies wendet sich natürlich nur an jene, welche die Anfangsereignisse des Menschheitsdramas in der Genesis nach dem Sinne ihres toten Buchstaben nehmen. Jene, welche sie esoterisch lesen, sind nicht auf phantastische Spekulationen und Hypothesen beschränkt; sie wissen, wie sie die darin enthaltene Symbolik zu lesen haben, und können nicht irren.

Es ist gegenwärtig nicht nötig, die mystische und mannigfaltige Bedeutung des Namens Jehovah in seinem abstrakten Sinne zu berühren, der von der Gottheit, die fälschlich mit jenem Namen benannt wurde, unabhängig ist. Es war eine absichtlich von den Rabbinern geschaffene ,,Maske“, ein Geheimnis, das sie mit zehnfacher Sorgfalt bewahrten, nachdem die Christen sie dieses Gottesnamens beraubt hatten, der ihr eigenstes Eigentum war. [116] Die folgende Behauptung wird jedoch jetzt aufgestellt. Die Persönlichkeit, die in den ersten vier Kapiteln der Genesis verschiedentlich als ,,Gott“, ,,Gott der Herr“, und der ,,Herr“ schlechtweg, bezeichnet wird, ist nicht eine und dieselbe Person; sicherlich ist sie nicht Jehovah. Es gibt drei verschiedene Klassen oder Gruppen von Elohim, genannt Sephiroth in der Kabbalah. Jehovah erscheint nun im vierten Kapitel der Genesis, in dessen erstem Verse er Kain genannt wird, und im letzten in die Menschheit verwandelt wird - männlich und weiblich, Jah-veh. [117] Die Schlange ist obendrein nicht Satan, sondern der helle Engel, einer der Elohim, gekleidet in Glanz und Herrlichkeit, der - indem er dem Weibe versprach, wenn sie von der verbotenen Frucht äßen, ,,werdet ihr mit nichten des Todes sterben“ - sein Versprechen hielt, und den Menschen in seiner unvergänglichen Natur unsterblich machte. Er ist der Iao der Mysterien, das Haupt der androgynen Schöpfer der Menschen. Kapitel III enthält (esoterisch) die Entfernung des Schleiers der Unwissenheit, der die Wahrnehmungen des englischen Menschen versperrte, welcher nach dem Bilde der ,,knochenlosen“ Götter gemacht war, und die Eröffnung seines Bewußtseins für seine wirkliche Natur; es zeigt somit den hellen Engel (Luzifer) im Lichte eines Verleihers der Unsterblichkeit, und als den ,,Erleuchter“; während der wirkliche Fall in die Zeugung und Materie im Kapitel IV gesucht werden muß. Dort erschafft Jehovah-Kain, der männliche Teil des dualen Menschen Adam, nachdem er sich von Eva getrennt hat, in ihr Abel, das erste natürliche Weib, [118] und vergießt das jungfräuliche Blut. Nachdem nun Kain als wesensgleich  mit Jehovah erwiesen ist, auf Grund der richtigen Lesung des ersten Verses des Kapitels IV der Genesis, im ursprünglichen hebräischen Text, und auf Grund dessen, daß die Rabbiner lehren: ,,Kin (Kain) der Böse war der Sohn der Eva durch Samael den Teufel, welcher die Stelle Adams einnahm“, [119] und daß der Talmud hinzufügt: ,,der böse Geist, Satan, und Samael, der Engel des Todes, sind dasselbe,“ [120] - wird es leicht, einzusehen, daß Jehovah (Menschheit oder Jah-hovah) und Satan (daher die versuchende Schlange) in jeder Einzelheit ein und dasselbe sind. Es gibt keinen Teufel, kein Böses außerhalb der Menschheit, das einen Teufel hervorbringen könnte. Das Böse ist eine Notwendigkeit im geoffenbarten Weltall, und eine von dessen Stützen. Es ist eine Notwendigkeit für den Fortschritt und die Entwicklung, so wie die Nacht notwendig ist für die Hervorbringung des Tages, und der Tod für jene des Lebens - damit der Mensch leben könne für immer.

Satan repräsentiert metaphysisch einfach die Kehrseite oder den polaren Gegensatz von allem in der Natur. [121] Er ist der ,, Widersacher“, allegorisch der ,,Mörder“, und der große Feind von allem, weil es nichts im ganzen Weltall gibt, das nicht seine zwei Seiten hätte - die Kehrseiten derselben Münze. Aber in jenem Falle können Licht Güte, Schönheit u. s. w., ebenso zutreffend Satan genannt werden, wie der Teufel, da sie die Widersacher von Dunkelheit, Bosheit und Häßlichkeit sind. Und nun wird die Philosophie und der Daseinsgrund gewisser früher christlicher Sekten - die herätisch genannt, und für die Schande der Zeiten gehalten wurden - begreiflicher werden. Wir können verstehen, wieso es geschah, daß die Sekte der Satanianer dazu kam, degradiert zu werden, und ohne irgend welche Hoffnung auf Ehrenrettung in der Zukunft in den Bann gethan wurde, nachdem sie ihre Lehrsätze geheim hielten. Wie nach demselben Grundsatze die Kainiten dazu kamen, degradiert zu werden, und ebenso die (Judas) Ischarioten; nachdem der wahre Charakter des verräterischen Apostels niemals vor dem Richterstuhle der Menschheit richtig dargestellt worden ist.


[115] II. 18, 22.

[116] Dutzende der gelehrtesten Schriftsteller haben die verschiedenen Bedeutungen des Namens J‘hovah (mit und ohne den masoretischen Punkten) gründlich untersucht, und ihre mannigfaltigen Beziehungen gezeigt. Das beste dieser Werke ist The Source of Measures: Hebrew Egyptian Mystery, von J. Ralston Skinner, das bereits so oft angeführt wurde.

[117] In dem oben erwähnten Werke (p. 233) wird Vers 26 des Kapitels IV richtig übersetzt: ,,dann begannen die Menschen sich selbst Jehovah zu nennen“, aber weniger richtig erklärt, vielleicht da das letzten Wort Jah (männlich) Hovah (weiblich) geschrieben werden sollte, um zu zeigen, daß von jener Zeit an die Rasse dem deutlich getrennten Mannes und Weibes begann.

[118] Siehe zur Erklärung die ausgezeichneten Blätter des Anhanges VII desselben Werkes.

[119] a. a. O., p. 293.

[120] Rabba Battra, 16 a.

[121] In der Dämonologie ist Satan der Führer der Opposition in der Hölle, deren Monarch Beelzebub war. Er gehört der fünften Art oder Klasse von Dämonen an (deren es nach der mittelalterlichen Dämonologie neun giebt), und er steht an der Spitze der Hexen und Zauberer. Aber siehe anderwärts die wahre Bedeutung des Baphomet, des bockköpfigen Satan, eins mit Azazel, dem Sündenbock von Israel. Die Natur ist der Gott Pan.