Auf Grund dieser wenigen Zeilen, die, wie irgend ein anderer allegorischer Satz, zu fast jeder Bedeutung gedreht werden können - auf Grund der von Prometheus ausgesprochenen und an Io, die von Zeus verfolgte Tochter des Inachos, gerichteten Worte - ist von einigen katholischen Schriftstellern eine ganze Prophezeiung aufgebaut worden. Der gekreuzigte Titan sagt:

Und wo Dodona‘s hohe Statt das Wunder
Des heiligen Eichenwalds umrauscht, dich klar
Als Zeus‘ Gemahlin - schmeichelt dir das Wort?
Mit keinem falschen Rätselwort begrüßend,
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (853)
Und nur mit leichter Hand dich sanft berührend
Zeugt er mit dir den schwarzen Epaphos,
So nach des Gottes sanfter That geheißen . . . (870)

Dies wurde von verschiedenen Schwärmern - unter andern von Des Mousseaux und De Mirville - als eine unzweifelhafte Weissagung ausgelegt. Io ,,ist die Mutter Gottes“, wird uns gesagt und der ,,schwarze Epaphos“ - Christus. Aber der letztere hat seinen Vater nicht entthront, ausgenommen bildlich, wenn man Jehovah als jenen Vater zu betrachten hat; noch hat der christliche Heiland seinen Vater in den Hades gestürzt. Prometheus sagt (in Vers 930), daß Zeus noch gedemütigt werden wird:

Ein Ehebündnis wirst du dir bereiten,
Das dir das Szepter deiner Macht zerknickt! -
Dann geht der ganze Vaterfluch des Kronos,
Den er, gestürzt vom alten Sitze, sprach,
Dir in Erfüllung . . . .
. . . . So thron‘ er denn
Mit seinem Donner durch die Lüfte prahlend
Und schüttle keck sein feuriges Geschoß,
Nichts kann ihn vor dem schweren Fall bewahren,
Mit Schande sinkt er unaufhaltsam hin
. . . . (980).

Der ,,dunkle Epaphos“ war der Dionysos-Sabazios, der Sohn des Zeus und der Demeter in den Sabazischen Mysterien, während welcher der ,,Vater der Götter“, die Gestalt einer Schlange annehmend, mit der Demeter den Dionysos oder solaren Bakchos erzeugte. Io ist der Mond, und gleichzeitig die Eva einer neuen Rasse und dasselbe ist Demeter - in dem gegenwärtigen Falle. Der prometheische Mythos ist in der That eine Weissagung; aber er bezieht sich nicht auf irgend einen der cyklischen Heilande, welche periodisch in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen Nationen in ihren vergänglichen Entwicklungsbedingungen aufgetreten sind. Er deutet auf das letzte der Geheimnisse der zyklischen Umwandlungen, in deren Verlauf die Menschheit, nachdem sie vom ätherischen zum festen körperlichen Zustande, von der geistigen zur physiologischen Fortpflanzung übergegangen ist, nunmehr vorwärts auf dem entgegengesetzten Bogen des Zyklus nach jener zweiten Phase ihres ursprünglichen Zustandes geführt wird, wo das Weib keinen Mann kannte, und die menschliche Nachkommenschaft erschaffen, nicht erzeugt wurde.
Jener Zustand wird für sie und für die Welt im ganzen wiederkehren, wenn die letztere die Wahrheiten, welche diesem großen Geschlechtsprobleme zu Grunde liegen, entdecken und wirklich erfassen wird. Er wird sein wie „das Lieht, das niemals schien auf Meer noch Land“, und muß den Menschen durch die theosophische Gesellschaft kommen. Jenes Licht wird zu wahrer geistiger Intuition vor- und aufwärtsführen. Dann wird, wie einstmals in einem Briefe an einen Theosophen ausgesprochen wurde:

Die Welt eine Rasse von Buddhas oder Christussen haben, denn die Welt wird entdeckt haben, daß die Individuen es in ihrer eigenen Macht haben, Buddha-gleiche Kinder - oder Dämonen zu erzeugen. . . . Wenn jene Erkenntnis kommt, werden alle dogmatischen Religionen, und mit diesen die Dämonen aussterben.

Wenn wir über die fortlaufende Entwicklung der Allegorie und den Charakter der Helden nachdenken, kann das Geheimnis enträtselt werden. Kronos ist natürlich die ,,Zeit“ in ihrem zyklischen Verlaufe. Er verschlingt seine Kinder - einschließlich der persönlichen Götter der exoterischen Dogmen. Anstatt des Zeus hat er sein Steinbild verschlungen, aber das Symbol ist gewachsen, und hat sich nur in der menschlichen Phantasie entwickelt, so wie die Menschheit auf ihrem abwärts gerichteten Cyklus nur zu ihrer physischen und intellektuellen - nicht zur geistigen - Vervollkommnung fortgeschritten ist. Wenn sie in ihrer geistigen Entwicklung ebenso weit vorgeschritten ist, wird Kronos nicht länger getäuscht sein. Anstatt des Steinbildes wird er die anthropomorphische Dichtung selbst verschlungen haben. Denn die Schlange der Weisheit, repräsentiert in den Sabazischen Mysterien durch den anthropomorphisierten Logos, die Einheit der geistigen und physischen Kräfte, wird in der Zeit (Chronos) eine Nachkommenschaft erzeugt haben - den Dionysos-Bacchus‘ oder den ,,dunklen Epaphos“, den ,,Mächtigen“, die Rasse, welche ihn besiegen wird. Wo wird er geboren werden? Prometheus führt seinen Ursprung und Geburtsort auf Io zurück. Io ist die Mondgöttin der Zeugung - denn sie ist bis und sie ist Eva, die große Mutter. [193] Er verfolgt den Pfad der (rassischen) Wanderungen so deutlich, als Worte es ausdrücken können. Sie hat Europa zu verlassen und auf das Festland Asiens zu gehen, wo sie den höchsten der Berge des Kaukasus erreicht (v. 737), indem der Titan ihr sagt:

Wenn du der Länder Scheidestrom durchschwommen,
Hin zu des Aufgangs glüh‘nder Sonnenbahn . . . . (810).

muß sie ostwärts reisen, nachdem sie den ,,kimmerischen Bosporus“ überschritten hat und das durchquert hat, was offenbar die Wolga und das jetzige Astrachan am kaspischen Meer ist. Danach wird sie ,,heftigen nördlichen Stürmen“ begegnen und sodann zu dem Lande der „arimaspischen Schar“ (östlich von Herodots Skythien) hinübergehen, zu -

Des Pluton goldnen Strom . . . . (825).

Professor Newman vermutet richtig, daß dies den Ural bedeutet habe, indem die Arimaspen des Herodot ,,die anerkannten Bewohner dieser Goldregion“ waren.


[193] Es wird von der Verfasserin der [englischen] Version und Übersetzerin des ,,Gefesselten Prometheus“ beklagt, daß in dieser Verfolgung der Wanderungen Io‘s ,,keine Übereinstimmung mit unserer eigenen bekannten Geographie erreichbar ist“ (p. 379). Dafür mag ein guter Grund sein. Vor allem ist es die Reise oder Wanderung von Ort zu Ort seitens der Rasse, aus der der ,,zehnte“ oder sogenannte Kalki Avatâra hervorgehen soll. Diese nennt er den ,,Königsstamm von Argos“ (888). Aber Argos bezieht sich hier nicht auf Argos in Griechenland. Es kommt von arg oder arka - der im Monde symbolisierten weiblichen Zeugungskraft - der schiffförmigen Argha der Mysterien, welche die Königin des Himmels bedeutet. Eustathius zeigt, daß im Dialekte der Arg-ier Io den Mond bedeutete; während die Esoterik es als das göttliche Androgyne, oder die mystische Zehn (10) erklärt; im hebräischen ist 10 die vollkommene Zahl oder Jehovah. Arghya im Sanskrit ist die Opferschale, das schiffförmige oder bootförmige Gefäß, in welchem Blumen und Früchte den Gottheiten dargebracht werden. Arghyanâth ist ein Titel des Mahâ Chohan, und bedeutet der ,,Herr der Libationen“; und Arghyavarsha, das ,,Land der Libationen“, ist der Mysterienname jener Region, welche sieh vom Berge Kailâsa nahezu bis zur Wüste Shamo erstreckt - aus deren Innern der Kalki Avatâra erwartet wird, Das Airyâna-Varsedya (? Airyana Vaêjô) der Zoroastrier, als eine Örtlichkeit, ist damit identisch. Es heißt jetzt, daß es zwischen dem Aralsee, Baltistan und Kleintibet gelegen gewesen sei; aber in alten Zeiten war sein Gebiet viel größer, da es der Geburtsort der physischen Menschheit war, deren Mutter und Symbol Io ist.