So geteilt und persönlich sind die Ansichten der Sanskritisten in Bezug auf die Wichtigkeit und den inneren Wert des Rig Veda, daß diese Ansichten gänzlich einseitig werden, nach welcher Richtung sie sich auch neigen. So erklärt Professor Max Müller:

Nirgends ist der weite Abstand, welcher die alten Gedichte Indiens von der ältesten Litteratur Griechenlands trennt, klarer zu fühlen, als wenn wir die entstehenden Mythen des Veda mit den voll entwickelten und verfallenen Mythen vergleichen, auf welche die Dichtungen des Homer gegründet sind. Der Veda ist die wirkliche Theogonie der ârischen Rassen, während jene des Hesiod ein entstelltes Zerrbild des ursprünglichen Bildes ist.

Dies ist eine weittragende Behauptung, und vielleicht ziemlich ungerecht in ihrer allgemeinen Anwendung. Aber warum nicht versuchen, sie zu rechtfertigen? Die Orientalisten können dies nicht thun, denn sie verwerfen die Chronologie der Geheimlehre, und können schwerlich die Thatsache zugestehen, daß zwischen den Hymnen des Rig Veda und der Hesiodischen Theogonie Zehntausende von Jahren vergangen sind. So verfehlen sie zu sehen, daß die griechischen Mythen nicht mehr die ursprüngliche symbolische Sprache der Intiierten sind, der Schüler der Gott-Hierophanten, der göttlichen alten „Opferer“, und daß durch die Entfernung formlos gemacht, und von dem üppigen Wachstum der menschlichen profanen Phantasie behindert, sie jetzt wie verzerrte Bilder von Sternen in fließenden Wassern dastehen. Aber wenn Hesiods Kosmogonie und Theogonie als Zerrbilder der ursprünglichen Bilder zu betrachten sind, um wie vielmehr so die Mythen in der hebräischen Genesis, in den Augen jener, für welche sie nicht mehr göttliche Offenbarung oder das Wort Gottes sind, als Hesiods Theogonie für Herrn Gladstone.
Wie Barth sagt:

Die Poesie, die er (der Rig Veda) enthält, scheint mir im Gegenteile von einem besonders verfeinerten Charakter und künstlich ausgearbeitet zu sein, voll Anspielungen und Verschweigungen, von Anmaßungen (?) in Bezug auf Mysticismus und theosophische Einsicht; und seine Ausdrucksweise ist eine solche, daß sie einen häufiger an die innerhalb gewisser kleiner Gruppen von Initiierten in Gebrauch stehende Phraseologie erinnert, als an die poetische Sprache eines großen Gemeinwesens. [2]

Wir wollen uns nicht damit aufhalten, den Kritiker zu fragen, was er von der unter den „Intitiierten“ in Gebrauch stehenden Phraseologie wissen kann, oder ob er selbst zu einer solchen Gruppe gehört; denn im letzteren Falle würde er schwerlich eine solche Sprache geführt haben. Aber das Obige zeigt die bemerkenswerte Nichtübereinstimmung zwischen Gelehrten sogar in Bezug auf den äußeren Charakter des Rig Veda. Was kann dann irgend einer von den modernen Sanskritisten über seine innere oder esoterische Bedeutung wissen, abgesehen von der richtigen Schlußfolgerung Barths, daß diese Schrift von Initiierten zusammengestellt worden ist?
Das ganze vorliegende Werk ist ein Versuch, diese Wahrheit zu beweisen. Die alten Adepten haben die großen Probleme der Wissenschaft gelöst, wie wenig auch der moderne Materialismus geneigt sein mag, die Thatsache zuzugestehen. Die Geheimnissen von Leben und Tod wurden von den großen Meistergemütern des Altertums ergründet; und wenn sie dieselben in Geheimnis und Stillschweigen bewahrt haben, so geschah dies, weil diese Probleme einen Teil der heiligen Mysterien bildeten, welche für die große Mehrheit der Menschen damals, ebenso wie heute, unverständlich geblieben sein mußten. Wenn solche Lehren von unsern Gegnern in der Philosophie noch immer als Chimären betrachtet werden, so mag es ein Trost sein für die Theosophen, auf gute Beweise hin zu lernen, daß die Spekulationen moderner Psychologen - einerlei ob ernster Idealisten, wie Herr Herbert Spencer, oder zerstreuter Pseudo-Idealisten - noch viel chimärischer sind. In der That sind sie, anstatt auf der festen Grundlage von Naturthatsachen zu ruhen, die ungesunden Irrlichter materialistischer Einbildung, der Gehirne, welche sie entwickelt haben - und nicht mehr. Während sie bestreiten, behaupten wir; und unsere Behauptung wird bestätigt von nahezu allen Weisen des Altertums. An Occultismus und eine Schaar unsichtbarer Kräfte aus guten Gründen glaubend, sagen wir: Certus sum, scio quod credidi; worauf unsere Kritiker antworten: Credat Judaeus Apella. Keiner wird vom andern bekehrt, noch bewegt ein solches Ergebnis auch nur unsern kleinen Planeten. E pur se muove!
Auch besteht kein Bedürfnis, Anhänger zu werben. Wie von dem weisen Cicero bemerkt ist:

Die Zeit vernichtet die Spekulationen des Menschen, aber sie bestätigt das Urteil der Natur.

Warten wir unsere Zeit ab. Indessen liegt es nicht in der menschlichen Gemütsart, der Vernichtung der eigenen Götter, seien sie wahr oder falsch, stillschweigend zuzusehen. Und da Theologie und Materialismus sich verbunden haben, die alten Götter der Vorzeit zu vernichten, und jede alte philosophische Vorstellung zu entstellen suchen, so ist es nur gerecht, daß die Liebhaber der alten Weisheit ihre Stellung verteidigen, indem sie beweisen, daß das ganze Zeughaus der beiden im besten Falle aus neuen Waffen besteht, die aus sehr altem Material gemacht sind.


[2] The Religions of India, p. XIII.