ABTEILUNG IV

ÜBER DEN MYTHOS VON DEN “GEFALLENEN ENGELN“ IN SEINEN VERSCHIEDENEN ASPEKTEN.

A.
DER BÖSE GEIST: WER UND WAS?

Unser gegenwärtiger Streit besteht ausschließlich mit der Theologie. Die Kirche zwingt zu einem Glauben an einen persönlichen Gott und einen persönlichen Teufel, während der Occultismus die Falschheit eines solchen Glaubens zeigt. Für die Pantheisten und Occultisten, sowie für die Pessimisten ist die „Natur“ nichts Besseres als „eine anmutige Mutter, aber steinkalt“; aber dies ist wahr, nur insoweit als die äußere physische Natur in Betracht kommt. Sie stimmen beide dahin überein, daß für den oberflächlichen Beobachter sie nichts besseres ist, als ein ungeheueres Schlachthaus, worin Schlächter zu Schlachtopfern und Schlachtopfer ihrerseits zu Henkern werden. Es ist ganz natürlich, daß der pessimistisch veranlagte Laie, sobald er von den zahlreichen Unzulänglichkeiten  und Mißerfolgen der Natur, und insbesondere von ihren sich selbst verzehrenden Neigungen überzeugt ist, dies für den besten Beweis dafür halten kann, daß es keine in der Natur verborgene Gottheit, und überhaupt nichts Göttliches in ihr giebt. Auch ist es nicht weniger natürlich, daß sich der Materialist und der Physiker vorstellen können, daß Alles blinder Kraft und Zufall, und dem Überleben des Stärksten, noch öfter selbst als dem des Tauglichsten zuzuschreiben ist. Aber die Occultisten, welche die physische Natur als ein Bündel der verschiedenartigsten Täuschungen auf der Ebene trügerischer Wahrnehmungen betrachten; welche in jedem Schmerz und Leid bloß die notwendigen Wehen unaufhörlicher Zeugung erkennen; eine Reihe von Stufen in der Richtung einer immer zunehmenden Vervollkommnungsfähigkeit, die in dem stillen Einflusse des niemals irrenden Karma oder der abstrakten Natur sichtbar ist - die Occultisten, sagen wir, schauen die Große Mutter auf eine andere Art. Wehe jenen, die ohne Leiden leben! Stillstand und Tod ist die Zukunft von allem, was ohne Veränderung vegetiert. Und wie kann es irgend eine Veränderung zum Besseren geben ohne angemessenes Leiden während des vorhergehenden Zustandes? Sind nicht jene allein, die den täuschenden Wert irdischer Hoffnungen und die trügerischen Lockungen der äußeren Natur kennen gelernt haben, bestimmt, die großen Rätsel von Leben, Schmerz und Tod zu lösen?

Wenn unsere modernen Philosophen - nach dem Vorgange der mittelalterlichen Gelehrten - sich mehr als eine Fundamentalidee des Altertums angeeignet haben, so haben die Theologen ihren Gott und seine Erzengel, ihren Satan und seine Engel, zusammen mit dem Logos und seinem Stabe, gänzlich aus den handelnden Personen der alten heidnischen Pantheos gebildet. Sie wären damit willkommen gewesen, wenn sie nicht die ursprünglichen Charaktere schlau entstellt, die philosophische Bedeutung verkehrt, und aus der Unwissenheit der Christenheit - dem Ergebnisse langer Zeitalter geistigen Schlafes, während dessen der Menschheit nur durch Stellvertreter zu denken erlaubt war - Vorteil ziehend jedes Symbol in die unauflöslichste Verwirrung brachten. Eine ihrer sündhaftesten Großthaten in dieser Richtung war die Umwandlung des göttlichen Alter Ego in den grotesken Satan ihrer Theologie.