So sehr ist Michael der Merkur der Griechen und anderer Nationen, daß, als die Bewohner von Lystra den Paulus und Barnabas für Merkur und Jupiter hielten, indem sie sagten: „Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herniedergekommen“ - der Text hinzufügt: „Und nannten Barnabas Jupiter und Paulus Merkurius, dieweil er das Wort (Logos) führte,“ und nicht: „der Hauptsprecher war“, wie in der autorisierten englischen Bibel irrtümlich übersetzt und selbst in der revidierten wiederholt ist. Michael ist der Engel der Vision des Daniel, der Sohn Gottes, welcher „wie eines Menschen Sohn“ war. Er ist der Hermes-Christos der Gnostiker, der Anubis-Syrius der Ägypter, der Berater des Osiris in Amenti, der Leontoide Michael-Ophiomorphos ([korrekter Abdruck siehe Buch]) der Ophiten, welcher auf gewissen gnostischen Kleinoden das Haupt eines Löwen trägt, wie sein Vater Ildabaoth. [20]

Nun stimmt die römisch-katholische Kirche dem allen stillschweigend bei, während viele von ihren Schriftstellern es sogar öffentlich  aussprechen. Außer Stande, das offenkundige „Ausborgen“ ihrer Kirche zu leugnen, welche ihren Älteren ihre Symbole „entzogen“, sowie die Juden den Ägyptern ihre silbernen und goldenen Kleinode „entzogen“ hatten, erklären sie die Thatsache ganz kühl und ernsthaft. So wird den Schriftstellern, die bisher ängstlich genug gewesen sind, in dieser Wiederholung alter heidnischer Ideen durch christliche Dogmen ein von Menschen ausgeführtes Legendenplagiat“ zu sehen, ernstlich versichert, daß die nahezu vollständige Ähnlichkeit, weit entfernt von einer so einfachen Lösung, einer ganz anderen Ursache zugeschrieben werden muß - „einem vorhistorischen Plagiat von übermenschlichem Ursprung“.

Wenn der Leser wissen will, wie, muß er sich wieder freundlichst demselben Bande von De Mirville´s Werk zuwenden. [21] Es wird gebeten, zu bemerken, daß dieser Verfasser der offizielle und anerkannte Verteidiger der römischen Kirche war, und daß er von der Gelehrsamkeit aller Jesuiten unterstützt wurde. Wir lesen daselbst:

Wir haben auf verschiedene Halbgötter hingewiesen, und auch auf „sehr historische“ Helden der Heiden, welche vom Augenblicke ihrer Geburt an vorherbestimmt waren, die Geburt des Helden, welcher ganz Gott war, vor dem sich die ganze Erde beugen mußte, nachzuäffen, während sie dieselbe gleichzeitig entehrten; wir haben sie gezeichnet als geboren, so wie er wurde, aus einer unbefleckten Mutter; wir haben sie gesehen, Schlangen in ihren Wiegen erwürgen, gegen Dämonen kämpfen, Wunder wirken, als Märtyrer sterben, in die Unterwelt hinabsteigen und wieder von den Toten auferstehen. Wir haben bitter beklagt, das ängstliche und schüchterne Christen sich gedrungen fühlen sollten, alle solche Gleichheiten auf Grund zufälliger Übereinstimmung von Mythe und Symbol zu erklären. Sie vergessen anscheinend diese Worte des Heilands: alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder gewesen - ein Wort, das alles ohne irgend welche unsinnige Ableugnung erklärt, und das ich mit diesen Worten kommentiert habe: „Das Evangelium ist ein erhabenes Drama, das vor seiner bestimmten Zeit von Schalken parodiert und gespielt wurde.“

Die „Schalke“ (les drôles) sind natürlich Dämonen, deren Führer der Satan ist. Nun ist dies der leichteste und der großartigste und einfachste Weg, aus der Schwierigkeit herauszukommen! Der Ehrw. Dr. Lundy, ein protestantischer De Mirville, befolgte diese glückliche Anregung in seiner Monumental Christianity, und das gleiche that Dr. Sepp aus München in seinen Werken, die geschrieben waren, um die Gottheit Jesu und den satanischen Ursprung aller andern Heilande zu beweisen. Umsomehr ist es zu bedauern, daß ein systematisches und gemeinsames Plagiat, das durch verschiedene Jahrhunderte in großartigstem Maßstabe vor sich ging, durch ein anderes Plagiat erklärt werden soll, diesmal im vierten Evangelium. Denn der aus demselben angeführte Satz: „Alle, die vor mir gekommen sind“ u. s. w., ist eine wörtliche Wiederholung der im Buche Enoch geschriebenen Worte. In der Einleitung zu Erzbischof Laurence`s Übersetzung aus einer äthiopischen Handschrift in der Bodleianischen Bibliothek bemerkt der Herausgeber, der Verfasser der Entwicklung des Christentums:

Bei der Revision der Korrekturbogen des Buches Enoch prägte sich uns die Verwandtschaft mit den neutestamentarischen Schriften noch tiefer ein. So ist die Parabel von dem Schafe, das von dem guten Hirten von Mietlingswächtern und grimmigen Wölfen befreit wurde, von dem vierten Evangelisten offenbar entlehnt aus Enoch LXXXIX, wo der Verfasser darstellt, wie die Schäfer das Schaf vor der Ankunft ihres Herrn töten und erschlagen und so die wahre Bedeutung jener bisher geheimnisvollen Stelle in der Johanninischen Parabel enthüllt - „Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder“ - eine Sprache, in der wir jetzt eine offenbare Bezugnahme auf die allegorischen Hirten des Enoch entdecken. [22]


[20] Ebenda. Siehe auch die Tafeln in King`s Gnostics and their Remains.

[21] P. 518.

[22] The Book of Enoch the Prophet, p. XLVIII. Ausg. 1883.