Und nun ist es bewiesen, daß Satan, oder der rote feurige Drache, der „Herr des Phôsphoros“ - Schwefel war eine theologische Verbesserung - und Luzifer, oder der „Lichtträger“, in uns ist: er ist unser Gemüt, unser Versucher und Erlöser, unser intelligenter Befreier und Retter aus der reinen Tierheit. Ohne dieses Prinzip - der Emanation aus der eigentlichen Wesenheit des rein göttlichen Prinzipes Mahat (Intelligenz), welche unmittelbar aus dem Göttlichen Gemüte ausstrahlt - würden wir sicherlich nicht besser sein als Tiere. Der erste Mensch Adam war nur zu einer lebendigen Seele (Nephesh) gemacht, der letzte Adam war zu einem lebendigmachenden Geist gemacht [16] - sagt Paulus, dessen Worte sich auf die Bildung oder Schöpfung des Menschen beziehen. Ohne diesen lebendigmachenden Geist, oder das menschliche Gemüt oder Seele wäre kein Unterschied zwischen Mensch und Tier; sowie thatsächlich keiner zwischen den Tieren besteht mit Rücksicht auf ihre Handlungen. Der Tiger und der Esel, der Habicht und die Taube sind eines so rein und unschuldig wie das andere, weil unverantwortlich. Ein jedes folgt seinem Instinkt, der Tiger und der Habicht töten mit derselben Gleichgiltigkeit, wie der Esel eine Distel ißt, oder die Taube ein Getreidekorn aufpickt. Wenn der Fall die Bedeutung hätte, die ihm von der Theologie gegeben wird; wenn jener Fall als die Wirkung einer niemals von der Natur beabsichtigten Handlung - einer Sünde geschehen wäre, wie ist es mit den Tieren? Wenn uns gesagt wird, daß sie ihre Art infolge eben derselben „Erbsünde“ fortpflanzen, wegen welcher Gott die Erde verfluchte - und somit alles, was auf ihr lebt, so wollen wir eine andere Frage stellen. Es wird uns von der Theologie, sowie von der Wissenschaft gesagt, daß das Tier auf Erden viel früher war als der Mensch. Wir fragen die erstere: Wie hat es seine Art fortgepflanzt, bevor die Frucht vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen gepflückt worden war? Wie gesagt:

Die Christen - viel weniger klar blickend als der große Mystiker und Befreier, dessen Namen sie angenommen haben, dessen Lehren sie mißverstanden und entstellt, und dessen Andenken sie durch ihre Thaten besudelt haben - nahmen den jüdischen Jehovah wie er war, und strebten natürlich vergeblich, das Evangelium des Lichts und der Freiheit mit der Gottheit der Finsternis und der Unterwürfigkeit in Einklang zu bringen. [17]

Aber es ist jetzt hinlänglich erwiesen, daß alle sogenannten bösen Geister, welche mit den Göttern gekämpft haben sollen, als Persönlichkeiten wesensgleich sind; daß ferner alle alten Religionen denselben Satz lehrten, mit Ausnahme des letzten Schlusses, welcher von dem christlichen verschieden ist. Die sieben ursprünglichen Götter hatten alle einen doppelten Zustand, einen wesentlichen und einen zufälligen. In ihrem wesentlichen Zustande waren sie alle die Erbauer oder Former, die Erhalter und die Herrscher dieser Welt; und in dem zufälligen Zustande stiegen sie, sich in sichtbare Körperlichkeit kleidend, auf die Erde herab und herrschten auf ihr als Könige und Unterweiser der niederen Scharen, die sich wiederum auf ihr als Menschen inkarniert hatten.
So zeigt die esoterische Philosophie, daß der Mensch in Wahrheit die geoffenbarte Gottheit nach ihren beiden Aspekten ist - dem guten und dem bösen, aber die Theologie kann diese philosophische Wahrheit nicht zugestehen. Dies zu thun - nachdem sie thatsächlich das Dogma von den Gefallenen Engeln in seiner buchstäblichen Bedeutung lehrt, und aus Satan den Eckstein und Pfeiler des Dogmas von der Erlösung gemacht hat - wäre selbstmörderisch. Nachdem man einmal gezeigt hat, daß die aufrührerischen Engel von Gott und dem Logos in ihren Persönlichkeiten verschieden sind, zuzugestehen, daß der Herabfall der ungehorsamen Geister einfach ihren Fall in Zeugung und Stoff bedeutet, wäre gleichbedeutend mit dem Ausspruche, daß Gott und Satan wesensgleich seien. Denn nachdem der Logos oder Gott das Aggregat jener einstmals göttlichen Schar ist, die unter der Anklage steht, gefallen zu sein, so würde natürlich folgen, daß der Logos und Satan eins sind.
So war aber die wirkliche philosophische Anschauung im Altertum über den jetzt entstellten Lehrsatz. Das Verbum, oder der „Sohn“ wurde in einem doppelten Aspekt von den heidnischen Gnostikern gezeigt - er war in der That eine Zweiheit in voller Einheit. Daher die endlosen und verschiedenen nationalen Versionen. Die Griechen hatten Jupiter, den Sohn des Vaters Kronos, der ihn in die Tiefen des Kosmos hinabstürzt. Die Ârier hatten Brahmâ (in der späteren Theologie) von Shiva in den Abgrund der Finsternis gestürzt, u. s. w. Aber der Fall aller dieser Logoi und Demiurgen von ihrer ursprünglichen erhabenen Stellung enthielt in allen Fällen eine und dieselbe esoterische Bedeutung; den Fluch; in seinem philosophischen Sinne, auf dieser Erde inkarniert zu sein; eine unvermeidliche Sprosse auf der Leiter der kosmischen Entwicklung, ein hoch philosophisches und zutreffendes karmisches Gesetz, ohne welches das Vorhandensein des Bösen auf Erden für immer ein verschlossenes Geheimnis für das Verständnis wahrer Philosophie bleiben müßte. Zu sagen, wie der Verfasser der Esprits Tombés des Paiens thut:

Das Christentum ist auf zwei Pfeilern aufgebaut, auf jenen des Bösen ([korrekter Abdruck siehe Buch]), und dem des Guten ([korrekter Abdruck siehe Buch]); kurz gesagt, auf zwei Kräften ([korrekter Abdruck siehe Buch]): wenn wir daher die Bestrafung der bösen Kräfte unterdrücken, so wird die schützende Bestimmung der guten Kräfte weder Wert noch Sinn haben

 - heißt den unphilosophischesten Unsinn aussprechen. Wenn es zum christlichen Dogma paßt und es erklärt, so verdunkelt es die Thatsachen und Wahrheiten der ursprünglichen Weisheit der Zeitalter. Die vorsichtigen Andeutungen des Paulus haben alle die wahre esoterische Bedeutung, und es bedurfte Jahrhunderte scholastischer Kasuistik, um ihnen die falsche Färbung in ihren gegenwärtigen Auslegungen zu geben. Das Verbum und Luzifer sind eins in ihrem doppelten Aspekt; und der „Fürst der Luft“ (princeps aeris hujus) ist nicht der „Gott jener Periode“, sondern ein immerdauerndes Prinzip. Wenn von dem letzteren gesagt wurde, daß er immer die Welt umkreise (qui circumambulat terram), so bezog sich der große Apostel einfach auf die unaufhörlichen Cyklen menschlicher Inkarnationen, in denen das Böse immer vorherrschen wird bis zu dem Tage, an dem die Menschheit durch die wahre göttliche Erleuchtung erlöst wird, welche die richtige Auffassung der Dinge giebt.

Es ist leicht, undeutliche Ausdrücke, die in toten und langvergessenen Sprachen geschrieben sind, zu entstellen, und sie den unwissenden Massen betrügerisch als Wahrheiten und geoffenbarte Thatsachen vorzusetzen. Die Übereinstimmung des Gedankens und der Bedeutung ist der eine Umstand, der dem Schüler bei allen Religionen auffällt, welche die Überlieferung von den gefallenen Geistern erwähnen, und unter jenen großen Religionen findet sich nicht eine, welche es unterließe, sie in der einen oder anderen Form zu beschreiben. So sieht Hoang-ty, der Große Geist, seine Söhne, welche thätige Weisheit erlangt hatten, in das Thal des Schmerzes fallen. Ihr Führer, der fliegende Drache, welcher von der verbotenen Ambrosia getrunken hatte, fiel auf die Erde mit seiner Schar (seinen Königen). Im Zend Avesta sucht Angra Mainyu (Ahriman), sich selbst mit Feuer (den „Flammen“ der Strophen) umgebend, die Himmel zu erobern, [18] während Ahura Mazda, der von dem festen  Himmel, den er bewohnt, herabsteigt, um den Himmeln, die sich drehen (in Zeit und Raum, den geoffenbarten Welten der Cyklen einschließlich jener der Inkarnation) zu helfen, und die Amshaspands, die „sieben hellen Sravah“, die von ihren Sternen begleitet sind, den Ahriman bekämpfen, und die besiegten Devas mit ihm zugleich zur Erde fallen. [19] Im Vendîdâd werden die Daêvas „Übelthäter“ genannt, und dargestellt, wie sie „in die Tiefen der . . . . Höllenwelt“ oder Materie stürzen. [20] Dies ist eine Allegorie, welche die Devas zur Inkarnation gezwungen zeigt, sobald sie sich von ihrer väterlichen Wesenheit getrennt haben, oder mit andern Worten, nachdem die Einheit zur Vielheit geworden war, nach Differentiation und Offenbarung.


[16] Der wirkliche ursprüngliche Text von I. Korinther, XV. 44, würde, kabbalistisch und esoterisch wiedergegeben, lauten: „Es wird gesäet ein Seelen-Leib (nicht ,natürlicher’ Leib), und wird auferstehen „ein Geist-Leib“. St. Paulus war ein Initiierter, und seine Worte haben eine ganz verschiedene Bedeutung, wenn sie esoterisch gelesen werden. Der Leib „wird gesäet in Schwachheit (Passivität), und wird auferstehen in Kraft“ (v. 43) - oder in Geistigkeit und Verstand.

[17] „Der Krieg im Himmel“ (Theosophist, III, 24, 36, 67), von Godolphin Mitford, im späteren Leben Murad Ali Beg. In Indien geboren, der Sohn eines Missionärs, wurde G. Mitford zum Islam bekehrt, und starb als Mohamedaner im Jahre 1884. Er war ein höchst außerordentlicher Mystiker, von großer Gelehrsamkeit und bemerkenswertem Verstand. Aber er verließ den Rechten Pfad und verfiel sofort der karmischen Vergeltung. Wie von dem Verfasser des angeführten Aufsatzes gut gezeigt ist: „Die Anhänger der besiegten ,Elohim’, die zuerst von den siegreichen Juden (den Jehoviten) massakriert, und dann von den siegreichen Christen und Mohammedanern überredet wurden, blieben (nichtsdestoweniger) bestehen . . . .  Einige (von diesen verstreuten Sekten) . . .  haben selbst die Überlieferung von dem wahren Vernunftgrund ihres Glaubens verloren - in Verborgenheit und Geheimnis das Prinzip von Feuer, Licht und Freiheit zu verehren. Warum rufen die sabäischen Beduinen (ihrem Bekentnisse nach Monotheisten, wenn sie in mohammedanischen Städten) in der Einsamkeit  der Wüstennacht noch immer die „Himmlische Schaar“ der Gestirne an? Warum verehren die Yezidis, die ,Teufelsanbeter’ den ,Muluk-Taoos’ - den ,Herrn Pfau’ - das Emblem des Stolzes und des hundertäugigen Verstandes (und auch der Initiation), welcher aus dem Himmel mit Satan ausgetrieben wurde, nach einer alten orientalischen Überlieferung? Warum glauben die Gholaiten und die ihnen verwandten mesapotamisch-iranischen mohammedanischen Sekten an den ,Noor IllhahÎ’ - das ,Licht der Elohim’ - das in Anastase durch hundert prophetische Führer hindurch überliefert wurde? Deshalb, weil sie in unwissendem Aberglauben die traditionelle Religion der ,Lichtgottheiten’, welche Jehovah gestürzt hat, fortgesetzt haben!“ (p. 69) - vielmehr gestürzt haben soll; denn wenn er sie gestürzt hätte, hätte er auch sich selbsdt gestürzt. Der Muluk-Taoos ist Maluk, „Herrscher“, wie in der Fußnote gezeigt wird. Er ist nur eine neue Form von Moloch, Melek, Molech, Malayak und Malachim - Sendboten, Engel u. s. w.

[18] So handelt jeder YogÎ und selbst jeder Christ, denn man muß das Himmelreich mit Gewalt erobern - wird uns gelehrt. Warum soll also ein solches Verlangen einen zum Teufel machen?

[19] Acad. Des Inscrip., XXXIX, 690.

[20] Fargard, XIX. 47; Darmesteter`s Übers., p. 218.