Aber jetzt haben die Orientalisten anders entschieden. Sie kennen die wirkliche Bedeutung der zwei Namen besser als jene, die sie ersonnen hatten.

Die Legende beruht auf einem Ereignis von universeller Wichtigkeit. Sie war aufgestellt zur Erinnerung an:

ein großes Ereignis, welches auf die Einbildungskraft der ersten Zeugen einen tiefen Eindruck gemacht haben muß, und dessen Gedächtnis seither niemals aus der Erinnerung des Volkes entschwunden ist. [13]

Was war dies? Legen wir jede poetische Erdichtung bei Seite, alle jene Träume vom goldenen Zeitalter; und stellen uns - argumentieren die modernen Gelehrten - den ersten elenden Zustand der Menschheit in seiner ganzen rohen Wirklichkeit vor, dessen wohlgetroffenes Bild uns nach Aischylos von Lucretius gezeichnet worden ist, und dessen genaue Wahrheit jetzt durch die Wissenschaft bestätigt wird; und dann können wir besser verstehen, daß in Wirklichkeit ein neues Leben für den Menschen begann an jenem Tage, an dem er den ersten Funken sah, der durch die Reibung zweier Holzstücke oder aus den Adern eines Feuersteins hervorgebracht war. Wie konnten die Menschen anders denn Dankbarkeit für jenes geheimnisvolle und wunderbare Wesen fühlen, das sie nunmehr nach ihrem Willen erschaffen konnten, und das sofort nach seiner Entstehung wuchs und sich ausbreitete, indem es sich mit eigentümlicher Kraft entwickelte.

War diese irdische Flamme nicht ihrer Natur nach analog dem, das ihnen von oben herab sein Licht und seine Wärme sendete, und das sie im Blitze erschreckte? War sie nicht aus der selben Quelle hergeleitet? Und wenn ihr Ursprung im Himmel war, muß sie nicht eines Tages auf die Erde herabgebracht worden sein? Wenn so, wer war das mächtige Wesen, das wohlthätige Wesen, Gott oder Mensch, der es erobert hatte? Derart sind die Fragen, welche die Wissbegierde der Ârier in den frühen Tagen ihres Daseins vorbrachte, und welche ihre Antwort in dem Prometheusmythos fanden. [14]

Die Philosophie der occulten Wissenschaft findet zwei schwache Punkte in den obigen Widerlegungen, und geht daran, diese zu bezeichnen. Der elende Zustand der Menschheit, wie ihn Aischylos und Lucrez beschreiben, war damals, in den frühen Tagen der Ârier, nicht jämmerlicher, als er jetzt ist. Jener „Zustand“ war auf die wilden Stämme beschränkt; und die jetzt existierenden Wilden sind nicht eine Spur glücklicher oder unglücklicher als ihre Vorväter vor einer Million Jahre waren.
Es ist eine angenommene Thatsache in der Wissenschaft, daß „rohe Werkzeuge, die genau jenen gleichen, welche unter bestehenden Wilden im Gebrauche sind,“ im Flußsande und in Höhlen sich finden, die geologisch „ein ungeheures Alter bedeuten“. Jene Ähnlichkeit ist so groß, daß, wie der Verfasser von The Modern Zoroastrian uns sagt:

Wenn die in der Kolonialausstellung befindliche Sammlung von Steinkelten und Pfeilspitzen, wie sie von den Buschmännern von Südafrika benützt werden, Seite an Seite mit einer aus dem Britischen Museum stammenden von ähnlichen Gegenständen aus der Kent´s Cavern oder aus den Höhlen der Dordogne gestellt würden, so würde niemand, außer ein Sachverständiger zwischen ihnen unterscheiden können. [15]

Und wenn jetzt, in unserem Zeitalter der höchsten Civilisation es Buschmänner giebt, die intellektuell nicht höher stehen als die Menschenrasse, welche Devonshire und Südfrankreich während des paläolithischen Zeitalters bewohnte, warum konnte die letztere nicht gleichzeitig gelebt haben und Zeitgenossin gewesen sein und anderen Rassen, die ebenso hochcivilisiert für ihre Zeit waren, als wir für die unsere sind? Daß die Summe des Wissens sich in der Menschheit täglich vermehrt, „daß aber die intellektuelle Fähigkeit nicht mit ihr zunimmt,“ zeigt sich, sobald der Intellekt, wenn nicht das physische Wissen, der Euklide, Pythagorasse, Pâninis, Kapilas, Platos und Sokratesse mit jenen der Newtons, Kante, und der modernen Huxleys und Häckels verglichen wird. Beim Vergleiche der von dem Kraniologen Dr. J. Barnard Davis erhaltenen Ergebnisse [16] mit Bezug auf den inneren Fassungsraum des Schädels - sein Volumen ist als der Maßstab und das Kriterium zur Beurteilung der Verstandesfähigkeiten angenommen - findet Dr. Pfaff, daß diese Kapacität bei den Franzosen (die gewiß in der höchsten Reihe der Menschheit stehen), 88·4 Kubikzoll beträgt, und somit „merklich kleiner ist als jene bei den Polynesiern im allgemeinen, welche selbst bei vielen Papuas und Alfuras der niedersten Stufe sich auf 89 und 89·7 Kubikzoll beläuft; woraus hervorgeht, daß die Qualität und nicht die  Quantität die Ursache der intellektuellen Fähigkeit ist. Nachdem der mittlere Index der Schädel bei den verschiedenen Rassen jetzt als „eines der charakteristischsten Merkmale des Unterschieds zwischen verschiedenen Rassen“ anerkannt ist, so ist die folgende Vergleichung bedeutsam:

Der Breitenindex bei den Skandinaviern (ist) an 75; bei den Engländern an 76; bei den Holsteinern an 77; im Breisgrau an 80; Schillers Schädel zeigt einen Breitenindex sogar von 82 . . . die Maduresen auch 82!

Schließlich bringt dieselbe Vergleichung zwischen den ältesten bekannten Schädeln und den europäischen die überraschende Thatsache ans Licht:

Die meisten dieser alten Schädel, welcher der Steinzeit angehören, stehen dem Volumen nach viel mehr über, als unter dem Durchschnitt des Gehirns des jetzt belebenden Menschen.

Berechnet man die Maße für die Höhe, Breite und Länge in Zollen aus den durchschnittlichen Messungen der verschiedenen Schädel, so werden die folgenden Summen erhaltem:

1.

Altnordische Schädel der Steinzeit . . . . . . . .

18·877 Zoll

2.

Durchschnitt von 48 Schädeln derselben Periode aus England . . . . . . . . . . . . . . . .

18·858 „

3.

Durchschnitt von 7 Schädeln derselben Periode aus Wales

18·649 „

4.

Durchschnitt aus 36 Schädeln der Steinzeit aus Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18·220 „


Der Durchschnitt der jetzt lebenden Europäer ist 18·579 Zoll; der der Hottentotten 17·795 Zoll!

Diese Zahlen zeigen klar:
Die Größe des Gehirns der ältesten uns bekannten Völkerschaften ist keine solche, daß sie dieselben auf eine niedere Stufe stellen würde, als auf die der jetzt lebenden Bewohner der Erde. [17]
Außerdem zeigen sie, daß das „fehlende Glied“ in leere Luft verschwindet. Davon jedoch ein andermal mehr: wir müssen zu unserem unmittelbaren Gegenstand zurückkehren.


[13] Ebenda, p. 257.

[14] Ebenda, p. 258.

[15] a. a. O., p. 145.

[16] Transactions of the Royal Society, London, 1868.

[17] The Age and Origin of Man.