Die Griechen hielten dafür, daß er vom göttlichen Geschlecht war, „der Sohn des Titanen Iapetos“; [23] die Hindûs, daß er ein Deva war.

Aber das himmlische Feuer gehörte im Anbeginne den Göttern allein; es war ein Schatz, den sie für sich selbst vorbehielten . . . über den sie eifersüchtigt wachten. . . „Der kluge Sohn des Iapetos“, sagt Hesiod, „täuschte Jupiter, indem er das unermüdliche Feuer der strahlenden Glut stahl und in der Höhlung eines Narthex verbarg.“ [24] . . .  So war das von Prometheus des Menschen gemachte Geschenk eine im Himmel gemachte Eroberung. Nun mußte nach griechischen Ideen (welche hierin mit jenen der Occultisten übereinstimmen), dieser dem Jupiter entrissene Besitz, dieser menschliche Übergriff in das Reich der Götter, von einer Sühne gefolgt sein. . . . Prometheus gehört obendrein jenem Geschlechte von Titanen an, welche sich gegen die Götter erhoben hatten, [25] und welche der Meister des Olymp in den Tartarus hinabgestürzt hatte; gleich ihnen ist er ein Genius des Bösen, verdammt zu grausamen Leiden. [26]

Das Empörendste in den folgenden Erklärungen ist die einseitige Betrachtung dieser großartigsten von allen Mythen. Die intuitivsten unter den modernen Schriftstellern können oder wollen sich in ihren Vorstellungen nicht über die Ebene der Erde und der kosmischen Phänomene erheben. Es wird nicht geleugnet, daß die moralische Idee in der Mythe, wie sie in der Theogonie des Hesiod dargestellt ist, eine gewisse Rolle in der ursprünglichen griechischen Vorstellung spielt. Der Titan ist mehr denn ein Dieb des himmlischen Feuers. Er ist die Darstellung der Menschheit - der thätigen, fleißigen, verständigen, aber gleichzeitig ehrgeizigen, die bestrebt ist, den göttlichen Mächten gleichzukommen. Daher wird die Menschheit in der Person des Prometheus bestraft, sie wird dies aber nur bei den Griechen. Bei ihnen ist Prometheus kein Verbrecher, ausgenommen in den Augen der Götter. In seiner Beziehung zur Erde ist er im Gegenteile selbst ein Gott, ein Freund der Menschheit ([korrekter Abdruck siehe Buch]), die er zur Gesittung erhoben und in die Kenntnis  aller Künste eingeführt; eine Vorstellung, die ihren poetischesten Darleger in  Aischylos gefunden hat. Aber was ist Prometheus bei allen andern Nationen? Der gefallende Engel, der Satan, wie die Kirche es haben möchte? Durchaus nicht. Er ist einfach das Bild der gefährlichen und gefürchteten Wirkungen des Blitzes. Er ist das „böse Feuer“ (mal feu) [27] und das Symbol des göttlichen reproduktiven männlichen Organs.

Zurückgeführt auf seinen einfachen Ausdruck ist der Mythos, den wir zu erklären versuchen, dann einfach ein (kosmischer) Genius des Feuers. [28]

Die erstere Idee (die phallische) war vorzugsweise ârisch, wenn wir Adalbert Kuhn [29] und F. Baudry glauben. Denn:

Da das beim Menschen in Gebrauch stehende Feuer das Ergebnis der Wirkung des paramantha in der arani war, so müssen die Ârier dem himmlischen Feuer denselben Ursprung zugeschrieben haben (?), und sie müssen [30] sich eingebildet haben (?), daß ein mit dem Pramantha bewaffneter Gott, oder ein göttlicher Pramantha, eine gewaltige Reibung in dem Schoße der Wolken verursachte, welche Blitz und Donnerkeile hervorbrachte. [31]
Diese Idee wird unterstützt durch die Thatsache, daß nach Plutarchs Zeugnis [32] die Stoiker dachten, daß der Donner das Ergebnis des Kampfes der Gewitterwolken, und der Blitz eine Entzündung infolge der Reibung sei; während Aristoteles in dem Donnerkeil bloß die Wirkung von Wolken sah, die aufeinander prallten. Was anders war dieses Theorie, als die wissenschaftliche Übersetzung der Hervorbringung des Feuers durch Reibung? . . . Alles führt uns auf den Gedanken, daß seit dem höchsten Altertum und vor der Teilung der Ârier der Glaube bestand, daß der Pramantha das Feuer in der Gewitterwolke ebenso entzündete wie in den Aranis. [33]

So läßt man Vermutungen und müßige Hypothesen für entdeckte Wahrheiten gelten. Verteidiger des toten Buchstabens der Bibel konnten die Schreiber von Missionstraktätchen nicht wirksamer unterstützen, als es die materialistischen Symbologen thun, die es auf diese Art als ausgemacht annehmen, daß die alten Ârier ihre religiösen Vorstellungen auf keinem höheren Gedanken aufbauten, als auf dem physiologischen.
Aber dem ist nicht so, und der echte Geist der vedischen Philosophie ist einer solchen Auslegung entgegen. Denn wenn, wie Decharme selbst gesteht:

Diese Idee der schöpferischen Kraft des Feuers erklärt wird . . . durch die alte Assimilation der menschlichen Seele an den himmlischen Funken [34]

 - wie durch das Gleichnis gezeigt wird, das oft in den Veden gebraucht wird, wenn von Arani die Rede ist, so würde das etwas Höheres bedeuten als einfach eine rohe geschlechtliche Vorstellung. Eine Hymne an Agni im Veda wird als Beispiel angeführt:

Hier ist der Pramantha; der Erzeuger ist bereit. Bringe die Herrin der Rasse (die weibliche Aranî). Lasset uns Agni hervorbringen durch Reibung, nach altem Brauche.

Dies bedeutet nicht Schlechteres als eine abstrakte Idee, ausgedrückt in der Sprache der Sterblichen. Die weibliche Aranî, die „Herrin der Rasse“, ist Aditi, die Mutter der Götter, oder Shekinah, das Ewige Licht - in der Welt des Geistes, die „große Tiefe“ und das Chaos; oder ursprüngliche Substanz auf ihrer ersten Stufe vom Unbekannten weg, in dem geoffenbarten Kosmos. Wenn Zeitalter später dasselbe Beiwort auf Devakî angewendet wird, die Mutter des Krishna oder des inkarnierten Logos; und wenn das Symbol infolge der allmählichen und unaufhaltsamen Ausbreitung der exoterischen Religionen jetzt als im Besitze einer geschlechtlichen Bedeutung betrachtet werden mag, so beeinträchtigt das auf keinerlei Weise die ursprüngliche Reinheit des Bildes. Das Subjektive war in das Objektive verwandelt worden; der Geist war in den Stoff gefallen. Die universale kosmische Polarität der Geist-Substanz war im menschlichen Gedanken zur mystischen, aber doch geschlechtlichen Vereinigung von Geist und Stoff geworden, und hatte so eine anthropomorphische Färbung bekommen, die sie im Anfange nienals gehabt hatte. Zwischen den Veden und den Purânen, liegt ein Abgrund, dessen Pole sie sind, gerade so wie es das siebente Prinzip, der Âtmâ, und das erste oder niederste Prinzip, der physische Körper, in dem siebenfälltigen Aufbau des Menschen sind. Die ursprüngliche und rein geistige Sprache der Veden, die viele Jahrzehntausende vor den purânischen Berichten entworfen wurden, fand einen rein menschlichen Ausdruck zum Zwecke der Beschreibung von Ereignissen, die vor 5000 Jahren stattfanden, zur Zeit von Krishna´s Tod, mit welchem Tage das Kali Yuga oder schwarze Zeitalter für die Menschheit begann.


[23] [korrekter Abdruck siehe Buch] Theog., p. 528.

[24] Theog, 565.

[25] Daher die gefallenen Engel; der Asuras des indischen Pantheons.

[26] Decharme, a. a. O., pp. 259, 260.

[27] Ebenda, p. 263.

[28] Ebenda, p. 261.

[29] Die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks (Berlin 1859).

[30] Die Hervorhebung durch Cursivschrift ist von uns; sie zeigt, wie Annahmen heutzutage zu Gesetzen erhoben werden.

[31] Decharme, a. a. O., p. 262.

[32] Placit. Philosoph., III. 3.

[33] Baudry, Revue Germanique, 14. Avril 1861, p. 368.

[34] a. a. O., pp. 264, 265.