Wie Aditi Surârani, die Matrix oder „Mutter“ der Suras oder Götter genannt wird, so wird Kuntî, die Mutter der Pândavas im Mahâbhârata Pandâvârani genannt [35] - und der Ausdruck wird jetzt physiologisiert. Aber Devakî, das Vorbild der römisch-katholischen Madonna, ist eine spätere anthropomorphisierte Form der Aditi. Die letztere ist die Göttin-Mutter, oder Devamâtri, von sieben Söhnen (den sechs und den sieben Âdityas der frühen vedischen Zeiten); in den Schoß der Mutter des Krishna, Devakî, wurden von Jagad-dhâtri, der „Amme der Welt“, sechs Keime gebracht, während der siebente, Krishna, der Logos, in jenen der Rohinî übertragen wurde. Maria, die Mutter Jesu, ist die Mutter von sieben Kindern, von fünf Söhnen und zwei Töchtern (eine spätere Umwandlung des Geschlechtes) im Mathäusevangelium. [36] Keiner der Verehrer der römisch-katholischen Jungfrau würde sich weigern, ihr zu Ehren das Gebet zu sprechen, das die Götter an Devakî richteten.

Der Leser möge urteilen.

Du bist jene Prakriti (Wesenheit), unendlich und zart, welche früher Brahmâ in ihrem Schoße trug . . . Du ewiges Wesen, die du in deiner Substanz die Wesenheit aller erschaffenen Dinge umfaßt, warst wesensgleich mit der Schöpfung; du warst die Mutter des dreiförmigen Opfers, das der Keim aller Dinge wurde. Du bist das Opfer, aus dem alle Frucht hervorgeht; du bist die Ârani, deren Reibung Feuer erzeugt. [37] Als Aditi bist du die Mutter der Götter. . . . Du bist das Licht [Jyotsnâ, das Morgenzwielicht], [38] aus dem der Tag erzeugt wird. Du bist die Demut (Samnati, eine Tochter des Daksha), die Mutter der Weisheit; du bist Niti, die Mutter der Harmonie (Naya); [39] du bist die Bescheidenheit, die Erzeugerin der Zuneigung (Prashraya, erklärt durch Vinaya); du bist das Verlangen, aus dem die Liebe geboren wird. . . . Du bist . . . die Mutter der Erkenntnis (Avabodha); du bist die Ausdauer (Dhriti), die Mutter des Mutes (Dhairya). [40]

Somit ist hier Aranî nachgewiesen als das Gleiche wie das römisch-katholische „auserwählte Gefäß“. Was ihre ursprüngliche Bedeutung anbelangt, so war sie rein metaphysisch. Kein unreiner Gedanke durchquerte diese Vorstellungen in dem alten Gemüt. Selbst im Zohar - der viel weniger metaphysisch ist in seiner Symbologie als irgend eine andere Symbolik - ist die Idee eine Abstraktion und nichts weiter. So, wenn der Zohar sagt:

Alles, was besteht, alles, was von dem Alten, dessen Name heilig ist, gebildet wurde, kann nur bestehen durch ein männliches und weibliches Prinzip. [41]

Das bedeutet nicht mehr, als daß der göttliche Geist des Lebens sich immer mit dem Stoffe vereinigt. Es ist der Wille der Gottheit, und die Idee ist rein Schopenhauerisch.

Als Attikah Kaddosha, das Alte und das Verborgene des Verborgenen, alle Dinge zu formen wünschte, formte es alle Dinge wie männlich und weiblich. Diese Weisheit umfaßt alles, wenn sie verkündigt wird.

Daher heißt es, daß Chokmah (männliche Weisheit) und Binah (weibliches Bewußtsein oder Intellekt) alles zwischen den beiden - dem aktiven und dem passiven Prinzip - erschaffen. Wie das Auge des erfahrenen Juweliers unter der rauhen und groben Muschelschale die reine unbefleckte Perle, die in ihrem Innern eingeschlossen ist, wahrnimmt, und seine Hand die Schale nur berührt, um zu ihrem Inhalte zu gelangen, so liest das Auge des wahren Philosophen zwischen den Zeilen der Purânen die erhabenen vedischen Wahrheiten, und berichtigt die Form mit Hilfe der Vedântaweisheit. Unsere Orientalisten jedoch nehmen niemals die Perle unter dem dicken Mantel der Schale wahr und - handeln dementsprechend.
Aus allem dem, was in dieser Abteilung gesagt worden ist, sieht man klar, daß zwischen der Schlange von Eden und dem Teufel der Christenheit ein Abgrund liegt. Nur der Schmiedehammer der alten Philosophie kann dieses Dogma töten.


[35] Siehe Vishnu Purâna, Wilson`s Übers., v. 96, Anmerkung.

[36] XIII., 55, 56.

[37] „Schoß des Lichtes“, „Heiligen Gefäß“, sind die Beinamen der Jungfrau.

[38] Die Jungfrau wird oft angerufen als der „Morgenstern“ und als der „Stern der Erlösung“.

[39] Wilson übersetzt: „Du bist die königliche Politik, die Mutter der Ordnung“.

[40] Vishnu Purâna, Wilson`s Übers., IV. Pp. 264, 265.

[41] III. 290.