ABTEILUNG VII.

ENOÎCHION-HENOCH.

Die Entwicklungsgeschichte des satanischen Mythos wäre nicht vollständig, wenn wir es unterließen, den Charakter des geheimnisvollen und weltbürgerlichen Enoch zu erwähnen, der verschiedentlich Enos, Hanoch, und schließlich von den Griechen Enoîchion genannt wurde. Aus seinem Buche wurden die ersten Vorstellungen über die gefallenen Engel von den frühen christlichen Schriftstellern entnommen.
Das Buch Enoch wird für apokryph erklärt. Aber was ist ein Apokryph? Die bloße Etymologie des Ausdruckes zeigt, daß es einfach ein geheimes Buch ist, d. i. das dem Verzeichnisse der Tempelbüchereien, die unter der Obhut der Hierophanten und initiierten Priester standen, angehörte und niemals für die Profanen bestimmt war. Apokryphon kommt von dem Zeitworte krypto ([korrekter Abdruck siehe Buch]), „verbergen“. Durch Zeitalter wurde das Enoîchion, das Buch des Sehers, in der „Stadt der Buchstaben“ und geheimen Werke aufbewahrt - im alten Kirjath-sepher, dem späteren Debir. [1]
Einige von den Schriftstellern, die sich für den Gegenstand interessierten - insbesondere Freimaurer - haben versucht, Enoch zu identifizieren mit Thoth von Memphis, mit dem griechischen Hermes, und selbst mit dem lateinischen Merkur. Als Individuen waren alle diese einer vom andern verschieden; ihrer Profession nach - wenn man dieses Wort, das in seiner Bedeutung jetzt so beschränkt ist, gebrauchen darf - gehörten einer und alle derselben Kategorie von heiligen Schriftstellern an, von Initiatoren und Aufzeichnern occulter und alter Weisheit. Jene, welche im Korân [2] allgemein der Edris, oder der „Gelehrte“, der Initiierte genannt werden, trugen in Ägypten den Namen des „Thoth“, des Erfinders der Künste, der Wissenschaften, des Briefschreibens, der Musik und der Astronomie. Unter den Juden wurde Edris „Enoch“, welcher, nach Bar-Hebraeus „der erste Erfinder des Schreibens war“, der Bücher, Künste und Wissenschaften, der erste, welcher das Vorrücken der Planeten auf ein System zurückführte. [3] In Griechenland wurde er Orpheus genannt, und so änderte er seinen Namen mit jeder Nation. Daß die Zahl sieben jedem dieser ursprünglichen Initiatoren [4] beigegeben ist und mit ihm in Zusammenhang steht, sowie auch die Zahl 365 der Tage im Jahre, astronomisch, identifiziert die Sendung, den Charakter und den heiligen Beruf aller dieser Männer, aber sicherlich nicht ihre Persönlichkeiten. Enoch ist der siebente Patriarch. Orpheus ist der Besitzer der Phorminx, der siebensaitigen Leier, welche das siebenfältige Geheimnis der Initiation ist. Thoth, mit der siebenstrahligen Sonnenscheibe auf seinem Haupte, reist in dem Sonnenboot (den 365 Graden) und steigt jedes vierte (Schalt-) Jahr für einen Tag aus. Schließlich ist Thoth-Lunus der siebenfältige Gott der sieben Tage oder der Woche. Esoterisch und geistig bedeutet Enoîchion: der „Seher mit dem offenen Auge“.

Die Geschichte, die Josephus von Enoch erzählt, nämlich, daß er seine wertvollen Rollen oder Bücher unter den Säulen des Merkur oder Seth verborgen habe, ist dieselbe, wie die über Hermes, den „Vater der Weisheit“ erzählte, welche seine Bücher der Weisheit unter einer Säule verbarg, und dann, als er die zwei Steinsäulen entdeckte, darauf die Wissenschaft geschrieben fand. Aber Josephus, trotz seiner beständigen Bemühungen in der Richtung einer unverdienten Verherrlichung von Israel, und obwohl er jene Wissenschaft (der Weisheit) dem jüdischen Enoch beimißt - schreibt Geschichte. Er zeigt, daß diese Säulen noch zu seiner eigenen Zeit bestanden. [5] Er sagt uns, daß sie von Seth erbaut waren; und das mögen sie gewesen sein, nur nicht von dem Patriarchen jenes Namens, dem fabelhaften Sohne des Adam, noch auch von dem ägyptischen Gott der Weisheit - Thet, Set, Thoth, Tat, Sat (der letztere Sat-an), oder Hermes, welche alle eins sind - sondern von den „Söhnen des Schlangengottes“, oder den „Söhnen des Drachen“, unter welchen Namen die Hierophanten von Ägypten und Babylon von der Flut bekannt waren, sowie auch ihre Vorväter, die Atlantier.


[1] Siehe Joshua, XV. 15.

[2] Sure XIX.

[3] Siehe Mackenzie´s Royal Masonic Cyclopaedia, unter dem Worte “Enoch“.

[4] Khanoch, oder Hanoch, oder Enoch, bedeutet esoterisch der „Initiator“ und „Lehrer“, sowie auch Enos, der „Sohn des Menschen“. (Siehe Genesis, IV. 26.)

[5] De Mirville, Pneumatologie, III. 70.