So ist nach der eigenen Darstellung der Verteidiger dieses Systems die jüdische Gottheit im besten Falle als bloß die manifestierte Zweiheit nachgewiesen, niemals als das Eine Absolute All. Geometrisch erklärt ist sie eine Zahl; symbolisch ein euhemerisierter Priap; und das kann schwerlich eine Menschheit befriedigen, die nach der Erklärung wirklicher geistiger Wahrheiten und nach dem Besitze eines Gottes mit einer göttlichen, nicht anthropomorphischen Natur dürstet. Es ist seltsam, daß die gelehrtesten modernen Kabbalisten in Kreuz und Kreis nichts anderes sehen können, als ein Symbol der geoffenbarten schöpferischen und androgynen Gottheit in ihrer Beziehung zu, und ihrem Konflikt mit dieser phänomenalen Welt. [22]

Ein Verfasser glaubt:

Wie immer der Mensch (lies: der Jude und Rabbi) die Kenntnis des praktischen Maßes erlangte, . . . wodurch die Natur belehrt wurde, die Planeten in Größe der Aufzeichnung ihrer Bewegungen harmonisch anzupassen, es hat den Anschein, daß er sie erlangte, und daß er ihren Besitz als das Mittel zu seinem Verständnis der Gottheit schätzte - das heißt, er näherte sich so sehr der Vorstellung von einem Wesen, das ein Gemüt gleich seinem eigenen hat, nur unendlich mächtiger, daß er im stande war, ein Schöpfungsgesetz zu begreifen, das von jenem Wesen aufgestellt ist, das früher existiert haben muß, als irgend eine Schöpfung (kabbalistisch genannt das Wort). [23]

Das mag das praktische semitische Gemüt befriedigt haben, aber der östliche Occultist muß das Anerbieten eines solchen Gottes ablehnen; in der That ist eine Gottheit, ein Wesen, das „ein Gemüt hat gleich dem des Menschen, nur unendlich mächtiger“, kein Gott, der irgendwelchen Platz jenseits des Cyklus der Schöpfung hätte. Er hat nichts mit dem idealen Entwurf des Ewigen Weltalls zu thun. Er ist im besten Falle eine der untergeordneten schöpferischen Mächte, deren Gesamtheit die Sephiroth genannt wird, der Himmlische Mensch, und Adam Kadmon, der zweite Logos der Platoniker.
Eben dieselbe Idee findet sich klar am Grunde der besten Definitionen der Kabbalah und ihrer Mysterien, z.B. von John A. Parker, wie im selben Werke zitiert:

Für den Schlüssel zur Kabbalah wird das geometrische Verhältnis der Fläche des dem Quadrate eingeschriebenen Kreises oder das des Würfels zur Kugel gehalten, woraus das Verhältnis des Durchmessers zum Umfange eines Kreises hervorgeht, mit dem Zahlenwerte dieses Verhältnisses ausgedrückt in ganzen Zahlen. Das Verhältnis des Durchmessers zum Umfange, welches ein höchstes ist und mit den Gottnamen Elohim und Jehovah im Zusammenhang steht (welche Worte numerische Ausdrücke für diese Verhältnisse beziehungsweise sind - das erste für den Umfang, das zweite für den Durchmesser), umfaßte alle darunter stehenden Unterordnungen. Zwei Ausdrücke des Umfanges durch den Durchmesser in ganzen Zahlen werden in der Bibel gebraucht: (1) Der Vollkommene, und (2) Der Unvollkommene. Eine von den Beziehungen zwischen diesen besteht darin, daß (2) abgezogen von (1) eine Einheit eines Durchmesserwertes in Ausdrücken oder in der Benennung des Umfangwertes des vollkommenen Kreises zurücklassen wird, oder eine Einheitsgerade, welche einen vollkommenen cirkularen Wert hat, oder einen Faktor von cirkularem Wert. [24]

Solche Berechnung können einen nicht weiter führen, als bis zur Enträtselung der Geheimnisse des dritten Zustandes der Entwicklung, oder der „dritten Schöpfung des Brahmâ“. Die initiierten Hindûs verstehen es viel besser „den Zirkel zu quadrieren“ als irgend ein Europäer. Aber davon mehr ein andermal. Thatsache ist, daß die westlichen Mystiker ihre Spekulation erst bei jenem Stadium beginnen, wo das Weltall „in die Materie fällt“, wie die Occultisten sagen. Durch die ganze Reihe der kabbalistischen Bücher sind wir nicht einem einzigen Satze begegnet, der auf die entfernteste Art die psychologischen und geistigen Geheimnisse der „Schöpfung“ ebenso gut andeuten würde, als die mechanischen und physiologischen. Sollen wir also die Entwicklung des Weltalls einfach als ein in großartigem Maßstabe ausgeführtes Vorbild des Zeugungsvorganges ansehen; als „göttlichen“ Phallicismus, und darüber uns überschwänglich ergehen, so wie es der übelinspirierte Verfasser eines kürzlich unter diesem Namen erschienenen Werkes gethan hat? Die Schreiberin denkt nicht so. Und sie fühlt sich berechtigt, so zu sprechen, nachdem sie sorgfältigste Durchlesung des alten Testamentes - esoterisch sowohl, wie exoterisch - die begeistertsten Untersucher nicht weiter gebracht zu haben scheint, als zu einer auf mathematischen Gründen beruhenden Sicherheit, daß vom ersten bis zum letzten Kapitel des Pentateuch jede Scene, jeder Charakter oder jedes Ereignis als unmittelbar oder mittelbar mit dem Ursprung der Geburt in seiner rohesten und brutalsten Form in Zusammenhang stehend nachgewiesen sind. Wie interessant und scharfsinnig also die rabbinischen Methoden auch sind, muß die Schreiberin doch in Übereinstimmung mit anderen östlichen Occultisten jene der Heiden vorziehen.


[22] Der Leser wende sich an den Zohar und die beiden Qabbalahs von Isaac Myer und S. L. MacGregor Mathers, mit Erläuterungen, wenn er sich davon überzeugen will.

[23] Ebenda, p. 5.

[24] Ebenda, p. 12.