Der Verfasser des so oft angeführten kabbalistischen Werkes fragt:

Der theoretische Gebrauch der Kreuzigung muß daher irgendwie mit der Personifikation dieses Symbols (der Struktur des Gartens des Paradieses, symbolisiert durch einen gekreuzigten Menschen) in Zusammenhang gestanden sein. Aber wie? Und um was zu zeigen? Das Symbol war das des Ursprungs der Masse, andeutend schöpferisches Gesetz oder Plan. Was konnte, praktisch, in Bezug auf die Menschheit, thatsächliche Kreuzigung bedeuten? Doch wird der Umstand, daß sie für das Bild irgend eines geheimnisvollen Wirkens desselben Systems gehalten wurde, eben durch die Thatsache des Gebrauches erwiesen. Es scheint Tiefe unter Tiefe zu liegen in Bezug auf die geheimnisvollen Wirkungen dieser Zahlenwerte - (der Symbolisation der Verbindung von 113 : 355, mit 20 612 : 6561, durch einen gekreuzigten Menschen). Nicht nur wird gezeigt, daß sie im Kosmos wirken, sondern, . . . durch Sympathie scheinen sie Bedingungen auszuarbeiten im Bezug auf eine unsichtbare und geistige Welt, und die Propheten scheinen Kenntnis gehabt zu haben von den verbindenden Gliedern. Die Betrachtung wird verwickelter, wenn man überlegt, daß die Macht, das Gesetz genau durch Zahlen auszudrücken, welche klar ein System bestimmen, nicht die zufällige Eigenschaft der Sprache war, sondern ihre wirkliche Wesenheit, und ihrer ursprünglichen Konstruktion angehörig; daher konnte weder die Sprache, noch das damit verbundene mathematische System der menschlichen Erfindung angehören, wenn nicht beide auf einer früheren Sprache begründet waren, welche später veraltet wurde. [62]

Der Verfasser beweist diese Punkte durch fernere Erläuterung und enthüllt die geheime Bedeutung von mehr als einer Totenbuchstabenerzählung, indem er zeigt, daß wahrscheinlich [korrekter Abdruck siehe Buch], Mensch, das ursprüngliche Wort war:

Das allererste Wort im Besitze der Hebräer, wer immer sie waren, um die Idee eines Menschen durch den Laut zu übermitteln. Das Wesentliche dieses Wortes war 113 (der Zahlenwert jenes Wortes) von Anbeginn an, und trug mit sich die Elemente des dargelegten kosmischen Systems. [63]

Dies ist gezeigt durch den indischen Vittoba, eine Form des Vishnu, wie bereits festgestellt wurde. Die Figur des Vittoba ist selbst bis auf die Nagelzeichen an den Füßen, [64] jene des gekreuzigten Jesus, in allen ihren Einzelheiten, ausgenommen das Kreuz. Daß der Mensch gemeint war, ist für uns ferner durch die Thatsache erwiesen, das der Initiierte nach seiner Kreuzigung auf dem Baume des Lebens, wiedergeboren war. Dieser „Baum“ ist jetzt exoterisch - indem ihn die Römer als ein Marterwerkzeug gebrauchten, und durch die Unkenntnis der frühen christlichen Systematiker - zum Baume des Todes geworden!
Somit ist eine der sieben esoterischen Bedeutungen, die durch dieses Mysterium der Kreuzigung beabsichtigt waren durch die mystischen Erfinder des Systems - dessen ursprüngliche Ausarbeitung und Annahme bis zur ersten Stiftung der Mysterien zurückdatiert - in den geometrischen Symbolen entdeckt, welche die Geschichte der Entwicklung der Menschen enthalten. Die Hebräer - deren Prophet Moses so gelehrt in der esoterischen Weisheit von Ägypten war, und die ihr Zahlensystem von den Phöniziern annahmen und später von den Heiden, von denen sie auch das meiste ihres kabbalistischen Mystizismus entlehnten - paßten die kosmischen und anthropologischen Symbole der „heidnischen“ Völker ihren besonderen geheimen Berichten höchst geistreich an. Wenn christliches Priestertum davon heute den Schlüssel verloren hat, so waren die frühen Kompilatoren der christlichen Mysterien wohl vertraut mit esoterischer Philosophie und der hebräischen occulten Metrologie, und benutzten ihn geschickt. So nahmen sie das Wort Aish, eine der hebräischen Wortformen für Mensch, und gebrauchten es mit jener von Shânâh oder dem Mondjahr, das so mystisch in Verbindung gebracht wurde mit dem Namen von Jehovah, dem angenommenen „Vater“ des Jesus, und schlossen die mystische Idee in einen astronomischen Wert und Formel ein.
Die ursprüngliche Idee von dem im Raume „gekreuzigten Menschen“ gehört sich den alten Hindûs an. Moor zeigt dies in seinem Hindû Pantheon in der Abbildung, welche Vittoba darstellt. Plato nahm sie auf in seinem schiefen Kreuze im Raume, dem [Symbolabbildung siehe Buch], dem „zweiten Gotte, welcher sich dem Weltalle in Form eines Kreuzes eindrückte“; Krishna wird gleicherweise „gekreuzigt“ gezeigt. [65] Wieder ist sie wiederholt im alten Testamente in dem sonderbaren Gebote, Männer vor dem Herrn, der Sonne, zu kreuzigen - was durchaus keine Prophezeiung ist, sondern eine unmittelbare phallische Bedeutung hat. In eben jenem höchst anregenden Buch über die kabbalistischen Bedeutungen lesen wir wieder:

Im Symbole haben die Nägel des Kreuzes als Gestalt für ihre Köpfe eine feste Pyramide, und einen spitz zulaufenden viereckigen obeliskförmigen Schaft, oder ein phallisches Emblem für den Nagel. Nimmt man die Lage der drei Nägel in den Gliedmaßen des Menschen und auf dem Kreuze, so bilden oder bezeichnen sie ein Dreieck an Gestalt, indem ein Nagel an jeder Ecke des Dreiecks ist. Die Wunden oder Male an den Gliedmaßen sind notwendigerweise vier, und bedeuten das Viereck. . . . Die Nägel mit den drei Wunden sind an Zahl 6, was die 6 Flächen des entfalteten Würfels bedeutet (welche das Kreuz oder die Menschenform bilden, oder 7, wenn man die drei horizontalen und die vier vertikalen Quadrate zusammenzählt, worauf der Mensch gelegt ist; und dies deutet seinerseits auf das Kreismaß, das auf die Kanten des Würfels übertragen ist. Die eine Wunde der Füße trennt sich in zwei, wenn die Füße getrennt werden, was für alle zusammen drei macht, und vier wenn getrennt, oder sieben in allem - eine andere und höchst heilige (bei den Juden) weibliche Grundzahl. [66]

Während somit die phallische oder geschlechtliche Bedeutung der „Kreuzigungsnägel“ durch die geometrische und numerische Lesung bewiesen ist, ist ihre mystische Bedeutung durch die kurzen Bemerkungen darüber angedeutet, wie sie oben in ihrem Zusammenhang mit, und ihrem Verhältnis zu Prometheus gegeben sind. Dieser ist ein anderes Opfer, denn er ist auf dem Kreuze der Liebe gekreuzigt, auf dem Felsen der menschlichen Leidenschaften, ein Opfer seiner Hingabe an die Sache des geistigen Elements in der Menschheit.
Nun ist das ursprüngliche System, die doppelte Glyphe, welche der Idee zu Grunde liegt, nicht von „menschlicher Erfindung“, denn kosmische Ideenbildung und die geistige Darstellung des göttlichen Ego-Menschen sind an seiner Grundlage. Später erweiterte es sich zu der schönen Idee, die von den Mysterien aufgenommen und in ihnen dargestellt wurde, zu jener Idee vom wiedererneuerten Menschen, dem Sterblichen, der, indem er den Menschen von Fleisch und seine Leidenschaften auf dem Prokrustesbette der Marter kreuzigte, als ein Unsterblicher wiedergeboren wurde. Indem sie den Körper, den Tiermenschen an das Kreuz der Initiation gleich einer leeren Puppenschale hinter sich ließ, wurde die Ich-Seele so frei wie ein Schmetterling. Noch später, infolge des allmählichen Verlustes an Geistigkeit wurde das Kreuz in Kosmogonie und Anthropologie nichts höheres als ein phallisches Symbol.
Bei den Esoterikern war von den entferntesten Zeiten an die Universalseele oder Anima Mundi - der materielle Wiederschein des immateriellen Ideals - die Quelle des Lebens aller Wesen und des Lebensprinzipes der drei Reiche. Diese war siebenfältig bei den hermetischen Philosophen, sowie bei allen Alten. Denn sie wird dargestellt als ein siebenfältiges Kreuz, dessen Arme beziehungsweise Licht sind, Wärme, Elektrizität, terrestrischer Magnetismus, astrale Radiation, Bewegung und Intelligenz, oder was einige Selbstbewußtsein nennen.


[62] The Source of Measures, p. 204.

[63] Ebenda, p. 205.

[64] Siehe Moors Hindû Pantheon, wo Vittoba`s linker Fuß, auf der Figur seines Idols, die Spur der Nägel trägt.

[65] Siehe Dr. Lundry`s Monumental Christianity, Fig. 72.

[66] Source of Measures, p. 52.