Unterdessen, was könnte leichter sein als ein Versuch zum mindesten, die purânische Chronologie zu verificieren? Es giebt viele Kapilas; aber der Kapila, welcher die Nachkommenschaft von König Sagara - 60 00 Mann stark - erschlug, war unleugbar Kapila, der Begründer der Sânkhyaphilosophie, da es so in den Purânen behauptet ist; obwohl eines derselben die Beimessung rundweg leugnet, ohne ihre esoterische Bedeutung zu erklären. Es ist das Bhâgavata Purâna, [33] welches sagt:

Der Bericht ist nicht wahr, daß die Söhne des Königs durch die Wut des Weisen verbrannt wurden. Denn wie kann die Eigenschaft der Finsternis, das Ergebnis des Zornes, in einem Weisen bestehen, dessen Körper die Güte war und der die Welt reinigte - gewissermaßen der Staub der Erde den Himmeln zugeschrieben! Wie konnte geistige Störung jenen mit dem Höchsten Geiste identificierten Weisen abziehen, der hier (auf Erden) jenes feste Fahrzeug der Sânkhyaphilosophie gesteuert hat, mit dessen Hilfe derjenige, welcher Befreiung zu erlangen begehrt, den furchtbaren Ozean des Daseins durchquert, jenen Pfad zum Tode? [34]

Das Purâna ist pflichtgemäß gebunden, so zu sprechen, wie es thut. Es hat ein Dogma zu verkünden und eine Politik durchzuführen - jene der großen Geheimhaltung mit Bezug auf mystische göttliche Wahrheiten, die durch zahllose Zeitalter nur bei der Initiation bekannt gemacht wurden. Wir haben daher nicht in den Purânen nach einer Erklärung des mit verschiedenen transcendentalen Daseinszuständen verknüpften Geheimnisses zu suchen. Daß die Geschichte eine Allegorie ist, sieht man auf den ersten Blick: die 60 000 rohen, lasterhaften und gottlosen „Söhne“ sind die Personifikation der menschlichen Leidenschaften, die ein „bloßer Blick des Weisen“ - des Selbstes, welches den höchsten Zustand der Reinheit, der auf Erden erreicht werden kann, repräsentiert - in Asche verwandelt. Aber sie hat auch andere Bedeutungen, cyklische und chronologische Bedeutungen, eine Methode, die Perioden, zu denen gewisse Weise blühten, zu bezeichnen, die sich auch in anderen Purânen findet.
Nun ist es so wohl festgestellt, als irgend eine Überlieferung sein kann, daß Kapila zu Hardwar, oder Gangâdvâra, der „Thüre oder Pforte des Ganges,“ am Fuße der Himâlayas durch eine Anzahl von Jahren in Betrachtung saß. Nicht weit von der Sewalikette wird der Pass von Hardwar bis zum heutigen Tage „Kapilas Paß“ genannt und der Ort heißt auch „Kapilasthen“ bei den Asketen. Dort beginnt der Ganges, die Gangâ, aus seiner Gebirgsschlucht auftauchend seinen Lauf durch die schwülen Ebenen von Indien. Und es ist durch geologische Landaufnahme festgestellt, daß die Überlieferung, welche behauptet, daß der Ozean vor Zeiten den Fuß der Himâlayas bespülte, nicht gänzlich ohne Begründung ist, da ausgesprochene Spuren davon noch vorhanden sind.
Die Sânkhyaphilosophie mag von dem ersten Kapila herabgebracht und gelehrt, und vom letzten niedergeschrieben worden sein.
Nun ist Sâgara der Name des Ozeans, und insbesondere der Bay von Bengalen, an der Mündung des Ganges, bis zum heutigen Tage in Indien. [35] Haben die Geologen jemals die Anzahl von Jahrtausenden berechnet, welche das Meer gebraucht haben muß, um den Abstand zurückzuweichen, den es jetzt von Hardwar hat, welches gegenwärtig 1024 Fuß über seinem Spiegel liegt? Wenn sie es hätten, dann könnten jene Orientalisten, welche den Kapila zwischen dem ersten und neunten Jahrhundert n. Chr. blühen lassen, ihre Ansichten ändern, wenn auch nur aus einem von zwei sehr guten Gründen. Erstens ist die wahre Zahl von Jahren, welche seit dem Tage Kapilas gegangen sind, unverkennbar in den Purânen enthalten, wenn auch die Übersetzer verfehlen mögen, dies zu sehen; und zweitens mögen der Kapila des Satya-, und der Kapila des Kali-Yuga eine und dieselbe Individualität sein, ohne dieselbe Persönlichkeit zu sein.
Kapila ist, abgesehen davon, der Name einer Persönlichkeit, des einstmals lebenden Weisen und des Urhebers der Sânkhyaphilosophie zu sein, auch der generische Name der Kumâras, der himmlischen Asketen und Jungfern; daher sollte die bloße Thatsache, daß das Bhâgavata Purâna jenen Kapila - den es gerade zuvor als einen Teil des Vishnu gezeigt hat - den Urheber der Sânkhyaphilosophie nennt, den Leser vor einer eine esoterische Bedeutung enthaltenden „Maske“ gewarnt haben. Ob er nun der Sohn des Vitatha war, wie der Harivamsha ihn sein läßt, oder von irgend jemand andern, der Urheber des Sânkhya kann nicht derselbe sein, wie der Weise des Satya Yuga - am ersten Anfange des Manvantara, wo Vishnu in der Form des Kapila „allen Geschöpfen wahre Weisheit mitteilend“ dargestellt wird; denn dies bezieht sich auf jene ursprüngliche Periode, da die „Söhne Gottes“ den neuerschaffenen Menschen jene Künste und Wissenschaften lehrten, welche seither in den Heiligtümern von den Initiierten gepflegt und bewahrt wurden. Es gibt verschiedene wohlbekannte Kapilas in den Purânen. Zuerst den ursprünglichen Weisen, dann Kapila als einen der drei „geheimen“ Kumâras, und Kapila den Sohn des Kashyapa und der Kadrû - die „vielköpfige Schlange“ [36] - außer Kapila den großen Weisen und Philosophen des Kali-Yuga. Der letztere, welcher ein Initiierter, „eine Schlange der Weisheit,“ ein Nâga war, wurde absichtlich mit den Kapilas der früheren Zeitalter vermengt.


[33] IX. VIII. 12, 13.

[34] Aus Burnouf`s Übersetzung; siehe Wilson`s Vishnu Purâna, III. 300.

[35] Wilson, ebenda, p. 302., Anm.

[36] Siehe Vâyu Purâna, das ihn auf die Liste der vierzig berühmten Söhne des Kashyapa setzt.