Ein höchst mystischer Vortrag, voll von siebenfältiger Symbologie, ist in der Anugîtâ zu finden. [150] Dort erzählt der Brâhmana von der Wonne, die Gebiete der Täuschung überschritten zu haben:

in welchen Einbildungen die Bremsen und Moskitos sind, in welchen Kummer und Freude Kälte und Hitze sind, in welchen Täuschung die blendende Finsternis ist, in welchen Habsucht die Raubtiere und Reptilien ist, in welchen Begierde und Zorn die Hinderer sind.

Der Weise beschreibt den Eingang in, und Ausgang aus dem Walde - einem Symbole für die menschliche Lebenszeit - und auch jenen Wald selbst: [151]

In jenem Wald giebt es sieben große Bäume [die Sinne, einschließlich Gemüt und Verstand, oder Manas und Buddhi], sieben Früchte und sieben Gäste; sieben Einsiedeleien, sieben (Formen der) Koncentration, und sieben (Formen der) Initiation. Dies ist die Beschreibung des Waldes. Jener Wald ist erfüllt mit Bäumen, welche herrliche Blüten und Früchte von fünf Farben hervorbringen.

Die Sinne, sagt der Kommentator:

werden Bäume genannt, da sie Hervorbringer der Früchte sind . . . Vergnügen und Schmerzen sind; die Gäste sind die Kräfte eines jeden Sinnes, personificiert - sie empfangen die oben beschriebenen Früchte; die Einsiedeleien sind die Bäume . . . in welchen die Gäste Zuflucht suchen; die sieben Formen der Koncentration sind die Ausschließung der sieben Funktionen der sieben Sinne u. s. w., aus dem Selbst, wie bereits erwähnt; die sieben Formen der Initiation beziehen sich auf die Initiation in das höhere Leben, indem man die Handlungen eines jeden Gliedes aus der Gruppe der sieben als nicht eigene zurückweist. [152]

Diese Erklärung ist harmlos, sie ist unbefriedigend. Der Brâhmana sagt, indem er seine Beschreibung fortsetzt:

Jener Wald ist erfüllt mit Bäumen, welche Blüten und Früchte von vier Farben hervorbringen. Jener Wald ist erfüllt mit Bäumen, welche Blüten und Früchte von drei Farben, und gemischt hervorbringen. Jener Wald ist erfüllt mit Bäumen, welche Blüten und Früchte von zwei Farben, und von schönen Farben hervorbringen. Jener Wald ist erfüllt mit Bäumen, welche Blüten  und Früchte von einer Farbe, und duftig hervorbringen. Jener Wald ist erfüllt [anstatt mit sieben] mit zwei großen Bäumen, welche zahlreiche Blüten und Früchte von ununterschiedenen Farben hervorbringen [Gemüt und Verstand - die zwei höheren Sinne oder theosophisch Manas und Buddhi]. Es ist ein Feuer [das Selbst] hier, verbunden mit dem Brahman, [153] und im Besitze eines guten Gemütes [oder wahrer Erkenntnis, nach Arjuna Mishra]. Und es ist ein Brennmaterial hier, (nämlich) die fünf Sinne [oder menschlichen Leidenschaften]. Die sieben (Formen der) Befreiung aus diesen, sind die (Formen der) Initiation. Die Eigenschaften sind die Früchte. . . . Dort . . . erfahren die großen Weisen Gastfreundschaft. Und wenn sie verehrt worden sind, und verschwunden sind, leuchtet ein anderer Wald hervor, in welchem Intelligenz der Baum, und Befreiung die Frucht ist, und welcher Schatten besitzt (in Form der) Ruhe, welcher abhängt von Erkenntnis, welcher Genügsamkeit als sein Wasser hat, und welcher den Kshetrajña [154] im Innern zur Sonne hat.

Nun ist alles Obige sehr klar, und kein Theosoph, selbst nicht der ungelehrtesten einer, kann verfehlen, die Allegorie zu verstehen. Und doch sehen wir, daß große Orientalisten sie in ihren Erklärungen vollkommen in Verwirrung bringen. Die „großen Weisen“, welche „Gastfreundschaft erfahren,“ werden erklärt als die Sinne bedeutend, „welche, nachdem sie als mit dem Selbst unverbunden gewirkt haben, schließlich in dasselbe absorbiert werden.“ Aber man verfehlt zu verstehen, auf welche Art die Sinne, wenn sie mit dem „Höheren Selbst“ „unverbunden“ sind, „in dasselbe absorbiert“ werden können. Man würde im Gegenteile glauben, daß gerade weil die persönlichen Sinne nach dem unpersönlichen Selbst gravitieren und mit demselben verbunden zu werden streben, das letztere, welches Feuer ist, die niederen fünf verbrennt und dadurch die höheren zwei, „Gemüt und Verstand,“ oder die höheren Aspekte von Manas [155] und Buddhi reinigt. Dies geht augenscheinlich hervor aus dem Texte. Die „großen Weisen“ verschwinden, nachdem sie „verehrt worden“ sind. Verehrt von wem, wenn sie (die angeblichen Sinne) „mit dem Selbst unverbunden“ sind? Von dem Gemüt natürlich; von Manas (in diesem Falle versunken in dem sechsten Sinne), welches das Brahman, das Selbst, oder der Kshetrajña - die Geistige Sonne der Seele - nicht ist und nicht sein kann. In diese Sonne muß Manas selbst mit der Zeit absorbiert werden. Es hat „große Weise“ verehrt und irdischer Weisheit Gastfreundschaft geboten; aber sobald darüber jener andere Wald hervorleuchtete, ist es Intelligenz (Buddhi, der siebente Sinne, aber das sechste Prinzip), welche in den Baum verwandelt wird - jenen Baum, dessen Frucht die Befreiung ist - die schließlich sogar die Wurzeln des Ashvatthabaumes zerstört, des Symboles des Lebens und seiner trügerischen Freuden und Vergnügungen. Und daher haben jene, welche jenen Zustand der Befreiung erlangen, nach den Worten jenes oben angeführten Weisen „hinfort keine Furcht.“ In diesem Zustande „kann das Ende nicht wahrgenommen werden, weil es sich nach allen Seiten erstreckt.“
„Es wohnen dort immer sieben Weiber,“ fährt er fort zu sagen, das Gleichnis ausführend. Diese Weiber - welche nach Arjuna Mishra das Mahat, Ahamkâra und die fünf Tanmâtras sind - haben immer ihre Gesichter abwärts gekehrt, da sie Hindernisse auf dem Wege des geistigen Aufsteigens sind.

In demselben [Brahman, dem Selbst] wohnen die sieben vollkommenen Weisen, zusammen mit ihren Führern, . . . und tauchen wieder auf aus demselben. Herrlichkeit, Glanz und Größe, Erleuchtung, Sieg, Vollkommenheit und Kraft - diese sieben Strahlen folgen dieser selben Sonne [Kshetrajña, dem Höheren Selbst] nach. . . . Jene, deren Wünsche eingeschränkt sind [die Selbstlosen]; . . . deren Sünden [Leidenschaften] durch Buße verbrannt sind, indem sie das Selbst in das Selbst untertauchen, [156] ergeben sich dem Brahman. Jene Menschen, welche den Wald der Erkenntnis (Brahman oder Selbst) verstehen, preisen die Ruhe. Und indem sie jenen Wald anstreben, werden sie [wieder-]geboren, so, daß sie den Mut nicht verlieren. Also ist in der That dieser heilige Wald. . . . Und indem sie das verstehen, handeln sie [die Weisen] (dementsprechend), indem sie von dem Kshetrajña geleitet sind.

Kein Übersetzer unter den westlichen Orientalisten hat bis jetzt in der vorangehenden Allegorie irgend etwas Höheres wahrgenommen, als Mysterien, die zusammenhängen mit Opferritualismus, Buße, oder asketischen Ceremonien und Hatha Yoga. Aber wer symbolische Bildersprache versteht, und die Stimme des Selbst innerhalb des Selbst hört, wird darin etwas weit Höheres sehen, als bloßen Ritualismus, wie oft er auch in kleineren Einzelheiten der Philosophie irren mag.


[150] „The Sacred Books of the East“, VIII. 284 ff.

[151] Ich empfehle hier dem Texte und nicht den Kommentaren des Herausgebers zu folgen, welcher die buchstäblichen Erklärungen des Arjuna Mishra und Nîlakantha annimmt. Unsere Orientalisten beunruhigen sich niemals mit dem Gedanken, daß ein eingeborener Kommentator, wenn er ein Nichtinitiierter ist, nicht richtig erklären könne, und wenn ein Initiierter, nicht wolle.

[152] Siehe Chândogya, p. 219, und Shankaras Kommentar dazu.

[153] Der Herausgeber erklärt hier, indem er sagt: „Ich vermute - ergeben dem Brahman.“ Wir wagen die Behauptung, daß das „Feuer“ oder Selbst das wirkliche HÖHERE SELBST ist, „verbunden mit“, das heißt eins mit Brahma, der Einen Gottheit. Das „Selbst“ trennt sich nicht mehr von dem Universalen Geist.

[154] Das „Höchste Selbst“, sagt Krishna, in der Bhagavad Gîtâ, pp. 102 ff.

[155] So wie Mahat, oder die Universale Intelligenz zuerst als Vishnu geboren wird oder sich offenbart, und dann, wenn es in die Materie fällt und Selbstbewußtsein entwickelt, Egoismus, Selbstsucht wird, ebenso ist Manas von doppelter Natur. Es besteht beziehungsweise unter der Sonne und unter dem Monde, denn, wie Shankarâchârya sagt: „Der Mond ist das Gemüt und die Sonne der Verstand.“ Sonne und Mond sind die Gottheiten unseres planetarischen Makrokosmos, und daher fügt Shankara hinzu: „das Gemüt und der Verstand sind die bezüglichen Gottheiten der [menschlichen] Organe.“ (Siehe Brihadâranyaka, pp. 521 ff.) Dies ist vielleicht der Grund, warum Arjuna Mishra sagt: daß der Mond und das Feuer (das Selbst, die Sonne) das Weltall ausmachen.

[156] „Den Körper in die Seele,“ wie Arjuna Mishra gesagt haben soll, oder vielmehr „die Seele in den Geist;“ und auf einer noch höheren Ebene der Entwicklung das Selbst oder Âtman in das Universale Selbst.