ZUSÄTZE: WISSENSCHAFT UND DIE
GEHEIMLEHRE EINANDER GEGENÜBERGESTELLT.
ABTEILUNG I.
ARCHAISCHE
ODER MODERNE ANTHROPOLOGIE.
So oft die Frage nach dem
Ursprung des Menschen einem vorurteilslosen, ehrlichen und ernsten Manne
der Wissenschaft ernst gestellt wird, kommt unwandelbar die Antwort: „Wir
wissen es nicht.“ De Quatrefages mit seiner agnostischen Haltung ist einer
von diesen Anthropologen. Das bedeutet nicht, daß die übrigen Männer
der Wissenschaft entweder nicht aufrichtig oder nicht ehrlich sind, da
eine solche Bemerkung von fragwürdiger Besonnenheit wäre. Aber es wird
geschätzt, daß 75 v. H. der europäischen Gelehrten Evolutionisten sind.
Sind diese Repräsentanten des modernen Denkens alle einer offenkundigen
Verdrehung der Thatsachen schuldig? Niemand sagt das - aber es giebt ein
paar ausnahmsweise Fälle. Doch sind die Gelehrten in ihrer antiklerikalen
Begeisterung und in ihrer Hoffnungslosigkeit auf irgend eine alternative
Theorie zum Darwinismus mit Ausnahme jener von der „speciellen Schöpfung“
unbewußt unaufrichtig, indem sie eine Hypothese „forcieren,“ deren
Elastizität unzulänglich ist, und die die starke Beanspruchung übelnimmt,
der sie jetzt unterworfen wird. Unaufrichtigkeit in Bezug auf denselben
Gegenstand ist jedoch offenkundig in kirchlichen Kreisen. Bischof Temple
ist in seiner Religion und Wissenschaft als ein vollendeter
Unterstützer des Darwinismus aufgetreten. Dieser klerikale Schriftsteller
geht so weit, die Materie - nachdem sie ihren „ursprünglichen Eindruck“
erhalten hat - als die ununterstützte Entwicklerin aller kosmischen
Erscheinungen zu betrachten. Diese Anschauung unterscheidet sich von jener
Haeckels nur dadurch, daß sie eine hypothetische Gottheit „hinter dem
Jenseits“ fordert, eine Gottheit, welche ganz abseits von dem
Wechselspiele der Kräfte steht. Eine solche metaphysische Wesenheit ist
nicht mehr der Theologische Gott, als jener des Kant. Bischof Temple´s
Waffenstillstand mit der materialistischen Wissenschaft ist unserer
Ansicht nach unpolitisch - abgesehen von der Thatsache, daß er eine
gänzliche Verwerfung der biblischen Kosmogonie in sich schließt.
Angesichts dieser Zurschautragung von Bedientenhaftigkeit gegenüber dem
Materialismus unseres „gelehrten“ Zeitalters können wir Occultisten nur
lächeln. Aber wie steht es mit der Treue gegen den Meister, dem solche
theologische Schulschwänzer zu dienen vorgeben - gegen Christus und das
Christentum im allgemeinen? Wir haben jedoch gegenwärtig kein
Verlangen, der Klerisei den Fehdehandschuh hinzuwerfen; wir haben jetzt
nur mit der materialistischen Wissenschaft allein zu thun. Die letztere
antwortet in der Person ihrer besten Vertreter auf unsere Frage: „Wir
wissen es nicht;“ aber die Mehrzahl derselben handelt so, als wenn
Allwissenheit ihr Erbe wäre, und sie alle Dinge wüßten. Denn in der
That hat diese negative Erwiderung die Mehrzahl der Gelehrten nicht
verhindert, über die Frage zu spekulieren, indem ein jeder sucht, seine
eigene specielle Theorie bis zum Ausschlusse aller andern angenommen zu
sehen. So sind von Maillet in 1748 bis herab zu Haeckel in 1870 die
Theorien über den Ursprung des Menschengeschlechtes von einander
ebensosehr verschieden gewesen, als die Persönlichkeiten ihrer Erfinder
selbst. Buffon, Bory de St. Vincent, Lamarck, E. Geoffroy St. Hilaire,
Gaudry, Naudin, Wallace, Darwin, Owen, Haeckel, Filippi, Vogt, Huxley,
Agassiz, u. s. w., haben ein jeder eine mehr oder weniger
wissenschaftliche Hypothese der Genesis aufgestellt. De Quatrefages stellt
diese Theorien in zwei Hauptgruppen zusammen, deren eine auf einer
raschen, und die andere auf einer sehr allmäligen Umwandlung beruht; die
ersteren neigen sich der Ansicht zu von einem neuen Typus (Menschen), der
durch ein gänzlich verschiedenes Wesen hervorgebracht wurde, die letzteren
lehren die Entwicklung des Menschen durch fortschreitende
Differentiationen. Seltsam genug ist von der wissenschaftlichsten
dieser Autoritäten die allerunwissenschaftlichste Theorie in betreff des
Ursprungs des Menschens ausgegangen. Dies ist jetzt so offenkundig, daß
die Stunde rasch herannaht, in der die landläufige Lehre von der
Abstammung des Menschen von einem affenartigen Säugetier mit weniger
Ehrfurcht betrachtet werden wird, als die Entstehung des Adam aus Lehm,
und die der Eva aus der Rippe Adams. Denn: Es ist
einleuchtend, insbesondere nach den ersten Fundamentalprinzipien des
Darwinismus, daß ein organisiertes Wesen nicht ein Abkömmling eines
anderen sein kann, dessen Entwicklung in einer umgekehrten Reihenfolge zu
seiner eigenen vor sich geht. Folglich kann in Übereinstimmung mit diesen
Prinzipien der Mensch nicht als der Abkömmling irgend eines beliebigen
Affentypus betrachtet werden. [1]
Lucae´s Argument gegen die Affentheorie, das auf den
verschiedenen Knickungen der Knochen beruht, welche die Schädelachse im
Falle des Menschen und der menschenähnlichen Affen bilden, ist von Schmidt
unparteiisch besprochen. Er gesteht zu: daß der Affe,
indem er wächst, tierischer, der Mensch . . . menschlicher wird
- und scheint in der That einen Augenblick zu zögern, bevor er
fortfährt: Jene Knickung der Schädelachse mag daher
immerhin als menschlicher Charakter den Affen gegenüber hervorgehoben, ein
besonderer Ordnungscharakter kann daraus schwerlich abgeleitet werden, und
zumal für die Abstammungsfrage scheint uns dieser Umstand nicht im
geringsten entscheidend zu sein. [2]
Der Verfasser ist offenbar nicht wenig beunruhigt über sein
eigenes Argument. Er versichert uns, daß es jede Möglichkeit ausschließt,
daß die gegenwärtigen Affen die Vorfahren der Menschheit gewesen seien.
Aber verneint es nicht auch die bloße Möglichkeit, daß der Mensch und der
Anthropoide einen gemeinsamen - wenn auch bis jetzt einen absolut
theoretischen - Vorfahren gehabt haben?
[1]
De Quatrefages (The Human Spezies, p. 111). Es
werden die beziehungsweisen Entwicklungen des Menschen- und des
Affengehirnes angeführt. „Beim Affen erscheinen die temporo-sphenoidalen
Windungen, welche den mittleren Lappen bilden, früher, und werden früher
vollendet als die vorderen Windungen, welche den Stirnlappen bilden. Beim
Menschen erscheinen im Gegenteile die frontalen Windungen zuerst, und jene
des Mittellappens werden später gebildet.“
(Ebenda.)
[2]
Descendenzlehre und Darwinismus, p.
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