Das Grenzland der (metaphysischen) Erkenntnis wird daher am besten der Zeit überlassen, welche der beste Prüfstein der Wahrheit ist. [16]
Dies ist ein weiser und ehrlicher Ausspruch in dem Munde eines Materialisten. Aber wenn ein Haeckel, nachdem er soeben gesagt hat: „die historischen Vorgänge“ der Vergangenheit „haben sich viele Millionen von Jahren hindurch vollzogen [17] und sind unserer unmittelbaren Beobachtung gänzlich entrückt“, und daß weder die Geologie, noch die Phylogenie [18] sich „zu einer wirklich ,exakten’ Naturwissenschaft gestalten“ kann oder wird, dann auf der Entwicklung aller Organismen - „vom niedersten bis zum höchsten Wirbeltiere, vom Amphioxus bis zum Menschen“ - besteht, so verlangen wir einen gewichtigeren Beweis, als er zu geben im stande ist. Bloße „empirische Erkenntnisquellen“, die von dem Verfasser der Anthropogenie so gepriesen werden - wenn er mit der Qualifikation für seine eigenen Ansichten zufrieden sein soll - sind nicht hinreichend zur Lösung von Problemen, die außerhalb ihres Bereiches liegen. Auch ist es nicht der Beruf der exakten Wissenschaft, irgend welches Vertrauen auf sie zu setzen. [19] Wenn sie „empirisch“ sind - und Häckel selbst erklärt dies zu wiederholtenmalen - dann sind die in den Augen der exakten Forschung, wenn sie auf die entfernte Vergangenheit ausgedehnt werden, nicht besser, und durchaus nicht verläßicher, als unsere occulten Lehren des Ostens, indem beide auf dieselbe Stufe gestellt werden müssen. Auch werden seine phylogenetischen und palingenetischen Spekulationen von den wirklichen Gelehrten durchaus nicht günstiger behandelt, als unsere cyklischen Wiederholungen der Entwicklung der großen Rassen in den kleineren, und die ursprüngliche Ordnung der Entwicklung. Denn der Beruf der exakten, wirklichen Wissenschaft, wie materialistisch sie auch sei, besteht darin, alles, was einer Vermutung gleichkommt, einer Spekulation, die nicht verifiziert werden kann, kurz gesagt, jede Unterdrückung des Wahren und jede Eingebung des Falschen sorgfältig zu vermeiden. Das Geschäft der Männer der exakten Wissenschaft ist es, ein jeder in seiner gewählten Abteilung die Naturerscheinungen zu beobachten, die Thatsachen aufzuzeichnen, zu tabulieren, zu vergleichen und zu klassifizieren, herab bis zu den kleinsten Einzelheiten, welche sich der sinnlichen Beobachtung darbieten mit Hilfe der ganzen vorzüglichen Mechanik, welche die moderne Erfindung liefert, nicht mit Hilfe metaphysischer Phantasieflüge. Das einzige was er rechtmäßigerweise thun darf, ist, durch den Beistand physikalischer Instrumente die Mängel oder Täuschungen seiner eigenen gröberen Sehkraft, Hörkraft und anderer Sinne zu korrigieren. Er hat kein Recht, auf den Boden der Metaphysik und Psychologie überzutreten. Seine Pflicht ist, alle Thatsachen, welche unter seine unmittelbare Beobachtung fallen, zu verifizieren und zu rektifizieren; aus den Erfahrungen und Fehlgriffen der Vergangenheit Nutzen zu ziehen bei dem Versuch, das Wirken einer gewissen Verkettung von Ursache und Wirkung zu verfolgen, welche - aber nur vermöge ihrer beständigen und wandellosen Wiederholung - ein Gesetz genannt werden kann. Das ist die Thätigkeit, die von einem Manne der Wissenschaft erwartet wird, wenn er ein Lehrer der Menschen werden und seinem ursprünglichen Programme der Naturwissenschaft oder Physik treu bleiben will. Jeder Seitenpfad von dieser Hauptstraße wird zur Spekulation.
Was thut so mancher sogenannter Mann der Wissenschaft in unseren Tagen, anstatt dies einzuhalten? Er stürzt sich in das Bereich der reinen Metaphysik, während er sie verspottet. Er vergnügt sich mit übereilten Schlußfolgerungen und nennt sie ein „Deduktionsgesetz aus dem Induktionsgesetze“ einer Theorie, die auf den Tiefen seines eigenen Bewußtseins begründet und daraus entnommen ist - welches Bewußtsein durch einseitigen Materialismus verdreht und damit durchsetzt ist. Er versucht die „Entstehung“ von Dingen zu erklären, die bis jetzt nur in seinen eigenen Vorstellungen eingeschlossen sind. Er greift Jahrtausende alte geistige Glauben und religiöse Überlieferungen an, und schmäht alles, mnit Ausnahme seiner eigenen Steckenpferde, als Aberglauben. Er stellt Theorien des Weltalls auf, eine durch blinde mechanische Naturkräfte allein entwickelte Kosmogonie, die viel wunderbarer und unmöglicher ist, als selbst eine auf der Annahme des „es werde Licht aus dem Nichts“ begründete - und versucht, die Welt mit seiner wilden Theorie in Erstaunen zu versetzen; und diese Theorie wird, da man weiß, daß sie aus einem wissenschaftlichen Gehirn kommt, in blindem Glauben für sehr wissenschaftlich und für das Ergebnis der Wissenschaft gehalten.
Sind dies die Gegner, die der Occultismus fürchten soll? Ganz entschieden nicht. Denn solche Theorien werden von der wirklichen Wissenschaft nicht besser behandelt, als unsere eigenen von der empirischen Wissenschaft. Haeckel, in seiner Eitelkeit verletzt durch du Bois-Reymond wird niemals müde, sich öffentlich über den Angriff des letzteren auf seine phantastische Abstammungstheorie zu beklagen. Indem er von dem „äußerst reichhaltigen Schatze von empirischen Urkunden“ schwärmt, nennt er jene „anerkannten Physiologen,“ die sich einer jeden von seinen dem erwähnten „Schatze“ entnommenen Spekulation widersetzen - unwissende Menschen und erklärt:
Wenn aber manche - und darunter selbst einzelne namhafte Naturforscher - meinen, daß die ganze Stammesgeschichte ein Luftschloß und die Stammbäume [von Affen?] leere Phantasie-Spiele seien, so bekunden sie damit nur ihre Unkenntnis jener reichen empirischen Erkenntnis-Quellen. [20]
Wir schlagen Websters Wörterbuch auf und lesen die Definitionen des Wortes „empirisch“:
Auf Erfahrung oder Beobachtung allein beruhend, ohne entsprechende Rücksichtnahme auf moderne Wissenschaft und Theorie.
Dies paßt auf die Occultisten, Spiritualisten, Mystiker u. s. w.  Hinwieder:
Ein Empiriker; einer, der sich darauf beschränkt, nur die Ergebnisse seiner eigenen Beobachtungen anzuwenden [das ist Haeckels Fall]; einer, dem Wissenschaft mangelt . . . ein unwissender und unberufener Praktiker; ein Quacksalber; ein Charlatan.
Kein Occultist oder „Magier“ ist jemals mit schlechteren Beiwörtern traktiert worden. Doch bleibt der Occultist auf seinem eigenen metaphysischen Boden; und versucht nicht, seine Kenntnis, die Früchte seiner persönlichen Beobachtung und Erfahrung, unter die exakten Wissenschaften der modernen Gelehrsamkeit einzureihen. Er hält sich innerhalb seiner rechtmäßigen Sphäre, in der er Meister ist. Aber was soll man von einem eingefleischten Materialisten halten, dem seine Pflicht klar vorgezeichnet ist, und der sich folgendermaßen ausdrückt:
Die Abstammung des Menschen von anderen Säugetieren, und zunächst von catarhinen Affen, ist ein Deduktions-Gesetz, welches mit Notwendigkeit aus dem Induktions-Gesetze der Descendenz-Theorie folgt. [21]


[16] A Modern Zoroastrian, p. 136.

[17] Es scheint somit, daß die Haeckelsche Schule in ihrem ängstlichen Bestreben, unsere edle Abstammung von dem schmalnasigen „Pavian“ zu beweisen, die Zeiten des vorhistorischen Menschen um Jahrmillionen zurückgeschoben hat. (Siehe Haeckel, a. a. O., II, p.96.) [Der englische Text hat: „haben sich vor vielen Millionen Jahren vollzogen“. Der Übers.] Occultisten, danket der Wissenschaft für eine solche Bekräftigung unserer Behauptungen!

[18] Dies scheint eine armselige Artigkeit gegenüber der Geologie zu sein, welche nicht eine spekulative, sondern eine ebenso exakte Wissenschaft ist, wie die Astronomie - ausgenommen vielleicht ihre allzugewagten chronologischen Spekulationen. Sie ist vorwiegend eine „beschreibende“ im Gegensatz zu einer „abstrakten“ Wissenschaft.

[19] Solche neugeprägte Worte wie „Perigenesis der Plastidule“, „Plastidul-Seelen“ (!) und andere weniger anmutige, erfunden von Haeckel, mögen sehr gelehrt und richtig sein, insofern sie die Ideen in seiner eigenen lebendigen Phantasie sehr anschaulich ausdrücken mögen. Als Thatsachen jedoch bleiben sie für seine weniger phantasiereichen Kollegen peinlich cenogenetisch - um seine eigene Terminologie zu benützen;  d. i. für die wahre Wissenschaft sind sie fälschungsgeschichtliche Spekulationen, so lange sie als aus „empirischen Quellen“ hergeleitet werden. Wenn er daher zu beweisen sucht, daß „die Abstammung des Menschen von anderen Säugetieren, und zunächst von catarhinen Affen, ein Deduktionsgesetz ist, welches mit Notwendigkeit dem Induktionsgesetzs der Descendenzlehre folgt“ (Natürliche Schöpfungsgeschichte, 6. Aufl., p. 648, angeführt in den Gesammelten Populären Vorträgen, II. p. 118) - so haben seine nicht weniger gelehrten Gegner (Du Bois-Reymond z. B.) ein Recht, in diesem Satze ein bloßes Spielen mit Worten zu sehen, ein „testimonium paupertatis der Naturwissenschaft“ - wie er selbst beklagt, während er umgekehrt von Du Bois-Reymonds „auffallender Unbekanntschaft“ spricht (siehe die Anmerkungen, a. a. O., II. p. 118-120).

[20] a. a. O., II. p. 97.

[21] Natürliche Schöpfungsgeschichte, p. 648. Angeführt in den Populären Vorträgen, II. p. 118.