Mit anderen Worten bis ins vierte Jahr der Weltschöpfung nach der biblischen Chronologie, und als Adam noch in seinen Windeln war. Vielleicht werden in ein paar weiteren Jahren die 4000 Jahre noch mehr ausgedehnt. Der wohlbekannte Oxforder Vortragende bemerkte in seinen Untersuchungen über „Ursprung und Entwicklung der Religion, dargelegt an der Religion der alten Babylonier“:

Die Schwierigkeiten, den Ursprung und die Geschichte der babylonische Religion systematisch zu verfolgen, waren beträchtlich. Die Quellen unserer Kenntnis des Gegenstandes waren fast ausschließlich monumentale, indem von klassischen und orientalischen Schriftstellern nur sehr wenig Hilfe zu erhalten war. In der That war es eine unleugbare Thatsache, daß die babylonische Priesterschaft absichtlich das Studium der religiösen Texte in Windungen von nahezu unüberwindlicher Schwierigkeit wickelte.

Daß sie die Daten, und insbesondere die Reihenfolge der Ereignisse „absichtlich“ verwirrten, ist unleugbar, und zwar aus einem sehr guten Grund: ihre Schriften und Aufzeichnungen waren alle esoterisch. Die babylonischen Priester thaten nicht mehr als die Priester von andern alten Nationen. Ihre Berichte waren nur den Initiierten und ihren Schülern zugedacht, und nur die letzteren wurden mit den Schlüssen zu der wahren Bedeutung ausgerüstet. Aber Professor Sayce´s Bemerkungen sind vielversprechend. Denn er erklärt die Schwierigkeit mit den Worten:

Die Bibliothek von Niniveh enthielt zumeist Kopien älterer babylonischer Texte, und die Kopisten wählten nur solche Tafeln, welche für die assyrischen Eroberer von besonderem Interesse waren und einer verhältnismäßig späten Epoche angehörten, was viel zu der größten von unsern Schwierigkeiten beitrug - nämlich, daß wir so oft über das Alter unserer dokumentarischen Urkunden, und über den genauen Wert unserer Materialien für die Geschichte im Dunkeln gelassen sind.

Somit hat man ein Recht zu schließen, daß irgend eine noch jüngere Entdeckung zu einer neuen Notwendigkeit führen kann, die babylonischen Daten so weit vor das Jahr 4000 v. Chr. zurückzuschieben, daß sie dadurch nach dem Urteilsvermögen eines jeden Bibelanbeters präkosmisch gemacht werden.

Um wie viel mehr würde die Paläontologie gelernt haben, wenn nicht Millionen von Werken zerstört worden wären! Wir reden von der alexandrinischen Bibliothek, welche dreimal zerstört worden ist, nämlich durch Julius Caesar 48 v. Chr., dann 390 n. Chr., und zuletzt im Jahre 640 n. Chr. durch den General des Kalifen Omar. Was ist das im Vergleich mit den Werken und Aufzeichnungen, die in den ursprünglichen atlantischen Bibliotheken vernichtet wurden, worin Aufzeichnungen, die auf den gegerbten Häuten riesiger vorsintflutlicher Ungeheuer niedergeschrieben waren, vorhanden gewesen sein sollen? Oder wiederum im Vergleich mit der Vernichtung der zahllosen chinesischen Bücher auf Befehl des Begründers der kaiserlichen Tsin-Dynastie. Tsin Shi Hwang-ti, im Jahre 213 v. Chr.? Sicherlich konnten die Lehmziegeltafeln der kaiserlich babylonischen Bibliothek, und die unermeßlichen Schätze der chinesischen Sammlungen niemals eine solche Belehrung enthalten haben, als eine der vorerwähnten „atlantischen“ Häute der unwissenden Welt erteilt haben würde.

Aber selbst an der Hand der außerordentlichen mageren Daten ist die Wissenschaft imstande gewesen, die Notwendigkeit einzusehen, nahezu jedes babylonische Datum zurückzuschieben, und hat das ganz großmütig gethan. Wir lernen von Professor Sayce, daß selbst die archaischen Statuen zu Tel-loh in Unterbabylonien plötzlich einem der vierten Dynastie in Ägypten gleichzeitigen Datum zugeschrieben wurden. [3] Unglücklicherweise teilen Dynastien und Pyramiden das Schicksal der geologischen Perioden; ihre Daten sind willkürlich und hängen von den Grillen der betreffenden Männer der Wissenschaft ab. Die Archäologen wissen jetzt, wie es heißt, daß die oben erwähnten Statuen aus grünem Diorit angefertigt sind, der nur auf der Halbinsel Sinai gefunden werden kann; und

Sie stimmen im Kunststil und in der angewendeten Maßeinheit mit den ähnlichen Dioritstatuen der Pyramidenerbauer der dritten und vierten ägyptischen Dynastie überein. . . . Ferner muß die einzig mögliche Periode für eine babylonische Besetzung der sinaiitischen Steinbrüche kurz hinter dem Schluß der Epoche angesetzt werden, zu welcher die Pyramiden erbaut wurden; und nur so können wir verstehen, wieso der Name Sinai abgeleitet sein konnte von jenem des Sin, des ursprünglichen babylonischen Mondgottes.

Das ist sehr logisch, aber welches ist das für diese Dynastien angesetzte Datum? Sanchuniathon´s und Manetho´s synchronistische Tafeln - oder was immer von diesen übrig blieb, nachdem der heilige Eusebius sie in Behandlung gehabt hatte - sind verworfen worden; und noch immer müssen wir zufrieden bleiben mit den vier oder fünf Jahrtausenden v. Chr., die Ägypten so freigebig zugemessen wurden. Auf jeden Fall ist ein Punkt gewonnen. Es giebt endlich eine Stadt auf der Erdoberfläche, welcher mindesten 6000 Jahre zugestanden sind, und das ist Eridu. Die Geologie hat sie entdeckt. Wiederum nach Professor Sayce:

Sie sind jetzt auch im stande, Zeit zu erhalten für das Verschlammen der Spitze des perischen Golfes, welches einen Verlauf von 5000 bis 6000 Jahren seit der Zeitperiode erfordert, da Eridu, das jetzt fünfundzwanzig Meilen landeinwärts liegt, der Seehafen an der Mündung des Euphrat, und der Sitz des babylonischen Handels mit Südarabien und Indien war. Mehr als alles, giebt die neue Chronologie Zeit für die lange Reihe von Sonnenfinsternissen, die in dem großen astronomischen Werke, betiteln „Die Beobachtungen des Bel“ aufgezeichnet sind; und wir sind auch im stande, die sonst verblüffende Änderung in der Lage des Frühlingsäquiniktiums zu verstehen, welche stattgefunden hat, seitdem unsere gegenwärtigen Tierkreiszeichen von den frühesten babylonischen Astronomen benannt worden waren. Als der akkadische Kalender aufgestellt und die akkadischen Monate benannt wurden, war die Sonne beim Frühlingsäquinoktium nicht wie jetzt in den Fischen, oder auch nur im Widder, sondern im Stier. Da die Geschwindigkeit des Vorrückens der Tagundnachtgleichen bekannt ist, so erfahren wir, daß die Sonne zum Frühlingsäquinoktium im Stiere von ungefähr 4700 Jahre v. Chr. war, und wir erlangen so astronomische Grenzen für das Datum, welche nicht bestritten werden können. [4]


[3] Siehe die Hibbert Lectures für 1887, p. 33.

[4] Aus einem Berichte der Hibbert Vorlesungen, 1887. Vorlesungen über Ursprung und Entwicklung der Religion, dargelegt an der Religion der alten Babylonier. Von A. H. Sayce.