Indessen ist das Obige ein
Exemplar einer von einem paläolithischen „Wilden“ angefertigten Gravierung:
Paläolithisch bedeutet den Menschen der „älteren Steinzeit“, von dem man
annimmt, daß er ebenso wild und tierisch war, wie die Tiere, mit denen
er lebte.
Lassen wir uns den modernen Südseeinsulaner bei Seite oder auch jene asiatische
Rasse - wir bestreiten, daß irgend ein erwachsener Schulknabe, oder selbst
ein europäischer Jüngling, der niemals zeichnen gelernt hat, eine solche
Gravierung oder auch nur eine solche Bleistiftskizze ebenso gut ausführen
kann. Hier haben wir die wahre künstlerische Verkürzung, und richtige
Lichter und Schatten ohne irgend welche ebene Vorlage vor dem Künstler,
welcher unmittelbar nach der Natur kopierte, und somit eine Kenntnis von
Anatomie und Proportion zeigte. Der Künstler, welcher dieses Renntier
gravierte, wie wir zu glauben aufgefordert sind, den ursprünglichen ,halbtierischen’
Wilden an (gleichzeitig mit dem Mammuth und dem wollhaarigen Nashorn,
die einige übereifrige Evolutionisten uns einstmals als ausgesprochene
Annäherung an den Typus ihres hypothetischen „pithekoiden Menschen“ auszumalen
suchten!
Dieses gravierte Geweih beweist ebenso beredt, wie irgend eine Thatsache
es thun kann, daß die Entwicklung der Rassen immer in einer Reihe von
Hebungen und Senkungen vor sich gegangen ist, daß der Mensch vielleicht
ebenso alt ist, als die verkrustete Erde, und - wenn wir seinen göttlichen
Vorfahren einen „Menschen“ nennen können - noch viel älter.
Auch de Mortillet selbst scheint ein unbestimmtes Mißtrauen in die Schlußfolgerungen
der modernen Archäologen zu fühlen, wenn er schreibt:
Die prähistorische Wissenschaft ist eine neue Wissenschaft,
die weit, sehr weit davon entfernt ist, ihr letztes Wort gesprochen zu
haben. [70]
Wie Lyell, eine der höchsten Autoritäten über den Gegenstand, und
der „Vater“ der Geologie, sagt:
Die Erwartung, immer einen um so niedrigeren Typus des
menschlichen Schädels anzutreffen, je älter die Formation ist, in welcher
dies stattfindet, beruht auf der Theorie von fortschreitenden Entwicklung,
und mag sich als giltig erweisen; nichtsdestoweniger müssen wir
uns daran erinnern, daß wir bis jetzt keinen ausgesprochenen geologischen
Beweis dafür haben, daß das Auftreten der sogenannten niederen Rassen
der Menschheit immer jenem der höheren Rassen in chronologischer Reihenfolge
vorangegangen ist. [71]
Auch ist ein solcher Beweis bis zum heutigen Tage nicht gefunden
worden. Die Wissenschaft bietet somit die Haut eines Bären zum Kaufe aus,
welcher bis jetzt noch von keinem sterblichen Auge gesehen wurde!
Dieses Geständnis Lyell´s liest sich höchst bedeutungsvoll mit der unten
folgenden Äusserung Professor Max Müllers, dessen Angriff auf die Darwinsche
Anthropologie vom Standpunkt der Sprache aus, nebenbei bemerkt, niemals
befriedigend beantwortet worden ist:
Was wissen wir von den wilden Stämmen, außer dem letzten
Kapitel ihrer Geschichte? [Man vergleiche dies mit der esoterischen Anschauung
über die Australier, Buschmännner, sowie auch über den paläolithischen
europäischen Menschen, die atlantischen Schößlinge, welche einen Überrest
einer verlorenen Kultur zurückbehielten, welche blühte, als die väterliche
Wurzelkraft in ihrer Jugendkraft war]. Erlangen wir jemals einen Einblick
in ihre früheren Verhältnisse? Können wir jemals erfahren, was schließlich
überall die wichtigste und belehrendste Aufgabe des Lernens ist - wie
sie dazu gekommen sind, das zu sein, was sie sind? . . . Ihre Sprache
beweist in der That, daß diese sogenannten Heiden, mit ihren verwickelten
mythologischen Systemen, mit ihren künstlichen Gewohnheiten, ihren unverständlichen
Launen und Grausamkeiten nicht die Geschöpfe von heute oder gestern sind.
Wenn wir nicht eine besondere Schöpfung für die Wilden zulassen, so müssen
sie ebenso alt sein wie die Inder, die Griechen und Römer [viel älter]
. . . Sie mögen durch ebenso viele Wechselfälle hindurchgegangen sein,
und was wir als ursprünglich betrachten, mag nach alledem, was wir wissen,
ein Zurückversinken in die Wildheit oder eine Verderbnis von etwas, das
in früheren Stadien vernünftiger und verständiger war, sein. [72]
Professor George Rawlinson,
M. A., bemerkt:
„Der ursprüngliche
Wilde“ ist ein gewöhnlicher Ausdruck in der modernen Litteratur, aber
es giebt keinen Beweis dafür, daß der ursprüngliche Wilde jemals existierte.
Vielmehr zielen alle Beweise nach der entgegengesetzten Richtung. [73]
In seinem Ursprung der
Nationen fügt er mit Recht hinzu:
Die mythischen
Überlieferungen nahezu alle Nationen setzen an den Anfang der menschlichen
Geschichte eine Zeit des Glückes und der Vollkommenheit,
ein „goldenes Zeitalter“, welches keine Züge von Wildheit oder Barbarei,
aber viele von Gesittung und Verfeinerung trägt.
[74]
Wie begegnet der moderne
Evolutionist diesem übereinstimmenden Zeugnisse?
Wir wiederholen die in Isis entschleiert gestellt Frage:
Beweist die
Auffindung der Überreste in der Höhle von Devon, daß es damals keine gleichzeitigen
Rassen gab, die hochcivilisiert waren? Wenn die gegenwärtige Bevölkerung
der Erde verschwunden sein, und irgend eine der „kommenden Rassen“ der
fernen Zukunft angehörender Archäologe die Hausgeräte eines unserer Indianer-
oder Andamaneninsulanerstämme ausgraben wird, wird er dann zu dem Schlusse
berechtigt sein, daß die Menschheit im neunzehnten Jahrhundert „soeben
aus der Steinzeit heraustrat?“
Ein anderer seltsamer Widerspruch
in den wissenschaftlichen Theorieen ist der, daß sich der neolithische
Mensch als viel mehr vom ursprünglichen Wilden an sich habend erweist,
denn der paläolithische. Entweder muß Lubbock´s Vorgeschichtlicher
Mensch unrichtig sein, oder Evan´s Alte Steingeräte - oder
beide. Denn folgendes lernen wir aus diesen und anderen Werken:
(1) Wenn wir vom neolithischen zum paläolithischen Menschen übergehen,
so werden die Steingeräte rohe schwerfällige Notbehelfe, anstatt der zierlich
gestalteten und polierten Instrumente. Töpferei und andere nützliche Künste
verschwinden, sowie wir die Stufenleiter hinabsteigen. Und doch konnte
der letztere ein solches Renntier gravieren!
(2) Der paläolithische Mensch lebte in Höhlen, welche er mit Hyänen und
Löwen teilte, [75] wohingegen
der neolithische Mensch in Pfahldörfern und Gebäuden wohnte.
[70] Prehistoric Antiquity of
Man, 1883.
[71] Antiquity of Man, p. 25.
[72] Indien, was kann es uns lehren? Eine
Reihe von Vorlesungen, gehalten an der Universität Cambridge in 1882.
Vorlesung III., p. 110, Ausg. 1892 (engl.).
[73] Antiquity of Man Historically Considered.
„Present Day Tracts,“ Bd. II,
Essay IX, p. 25.
[74] a. a. O., pp. 10, 11.
[75] Der paläolithische Mensch muß zu seiner Zeit
mit dreimal starker herkuloischer Kraft und mit magischer Unverletzlichkeit
begabt gewesen sein, oder aber es war der Löwe so schwach wie ein Lamm
zu jener Periode, denn beide teilen dieselbe Wohnstätte. Wir könnten
ebenso wohl aufgefordert werden, zu glauben, daß jener Löwe oder jene
Hyäne das Wild auf dem Geweih eingegraben haben, als daß uns gesagt
wird, daß dieses Kunstwerk von einem Wilden von solcher Art gemacht
worden ist.
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