Die Vorstellung war sicherlich verursacht durch die riesige Bergkette, welche entlang der Grenze des Festlandes oder der Scheibe verlief. Diese Bergspitzen versenkten ihre Wurzeln bis auf den Grund der Meere hinab, während sie ihre Häupter himmelwärts erhoben, so daß ihre Spitzen in den Wolken verloren waren. Die alten Kontinente hatten mehr Berge als Thäler darauf. Atlas und der Pic von Teneriffa, jetzt zwei von den verkümmerten Überresten der zwei vergangenen Kontinente, waren dreimal so himmelanstrebend in den Tagen von Lemurien und zweimal so hoch in jenen der Atlantis. So nannten die Lybier den Berg Atlas, die „Säule des Himmels“, nach Herodot, [53]   und Pindar bezeichnete den späteren Ätna als den „himmlischen Pfeiler“. [54] Atlas war ein unzugänglicher Inselgipfel in den Tagen von Lemurien, als der afrikanische Kontinent sich noch nicht erhoben hatte. Er ist der einzige westliche Überrest, welcher unabhängig vorhanden ist, der zu dem Kontinente gehörte, auf welchem die Dritte Rasse geboren wurde, sich entwickelte und fiel, [55] denn Australien ist jetzt ein Teil des östlichen Kontinents. Nachdem der stolze Atlas, nach der esoterischen Überlieferung, um ein Drittel seiner Höhe in die Gewässer versunken war, blieben zwei Drittel von ihm zum Erbe der Atlantis.
Dies war wiederum den Priestern von Ägypten und Plato selbst bekannt, und nur der feierliche Eid der Geheimhaltung, welcher sich sogar auf die Mysterien des Neoplatonismus erstreckte, verhinderte es, daß die ganze Wahrheit gesagt wurde. [56] So geheim war die Kenntnis von der letzten Insel der Atlantis fürwahr - wegen der übermenschlichen Kräfte, die ihre Einwohner besaßen, die letzten unmittelbaren Abkömmlinge der Götter oder Göttlichen Könige, wie man dachte - daß die Veröffentlichung ihrer Wohnorte und ihres Daseins mit dem Tode bestraft wurde. Theopompus sagt ebensoviel in seiner immer verdächtigten Meropis, wenn er von den Phöniziern spricht, daß sie die einzigen Schiffer sind in den Meeren, welche die Westküste von Afrika bespülen; was sie so geheimnisvoll thaten, daß sie sehr oft ihre eigenen Schiffe versenkten, um allzu neugierige Fremde jede Spur von ihnen verlieren zu lassen.
Es giebt Orientalisten und Historiker - und sie bilden die Mehrheit - welche sich zwar ganz ungerührt von der etwas rohen Sprache der Bibel und einigen darin erzählten Ereignissen fühlen, jedoch großen Widerwillen über die „Unmoralität“ in den Pantheons von Indien und Griechenland zeigen. [57] Es mag uns gesagt werden, daß vor ihnen Euripides, Pindar, und selbst Plato denselben Widerwillen ausdrücken; daß sie sich auch durch die erfundenen Erzählungen verletzt fühlten - von „jenen elenden Erzählungen der Poeten“, wie Euripides sie nennt. [58]
Aber es mag vielleicht noch einen andern Grund dafür gegeben haben. Für jene, welche wußten, daß es mehr als einen Schlüssel zu der theogonischen Symbolik giebt, war es ein Mißgriff, dieselbe in einer so rohen und irreführenden Sprache ausgedrückt zu haben. Denn, wenn der gebildete und gelehrte Philosoph den Kern der Weisheit unter der rauhen Schale der Frucht wahrnehmen konnte, und wußte, daß die letztere die größten Gesetze und Wahrheiten der psychischen und physischen Natur verbarg sowie auch den Ursprung aller Dinge - so war dies nicht so bei dem uninitiierten Profanen. Für ihn war der tote Buchstabe Religion; die Auslegung - Lästerung. und dieser tote Buchstabe konnte ihn weder erbauen, noch vollkommen machen, in Anbetracht dessen, daß ihm ein solches Beispiel von seinen Göttern gegeben war. Aber für den Philosophen - insbesondere für den Initiierten - ist Hesiods Theogonie ebenso geschichtlich, wie irgend eine Geschichte sein kann. Plato faßt sie so auf, und giebt so viel von ihren Wahrheiten preis, als seine Gelöbnisse ihm gestatteten.

Die Thatsache, daß die Atlantes Uranus als ihren ersten König in Anspruch nahmen, und daß Plato seine Geschichte der Atlantis mit der Trennung des großen Kontinentes durch Neptun, den Enkel des Uranus, beginnt, zeigt, daß es Kontinente vor der Atlantis und Könige vor dem Uranus gegeben hat. Denn Neptun, welchem der große Kontinent zufiel, findet auf einer kleinen Insel nur ein einziges Menschenpaar aus Lehm gemacht - d. i. den ersten physischen menschlichen Menschen, dessen Ursprung mit den letzten Unterrassen der Dritten Wurzelrasse begann. Ihre Tochter Clito heiratet der Gott, und sein ältester Sohn Atlas empfängt als seinen Anteil den Berg und den Kontinent, welche nach seinem Namen benannt waren. [59]

Nun waren alle Götter des Olymps, ebensowohl wie jene des indischen Pantheons und die Rishis die siebenförmigen Personifikationen (1) der Noumena der intelligenten Kräfte der Natur; (2) der kosmischen Kräfte; (3) der Himmelskörper; (4) der Götter oder Dhyân Chohans; (5) der psychischen und geistigen Kräfte; (6) der Göttlichen Könige auf Erden, oder der Inkarnationen der Götter; und (7) der irdischen Heroen oder Menschen. Die Wissenschaft, wie unter diesen sieben Formen die eine beabsichtigte zu erkennen sei, gehörte zu allen Zeiten den Initiierten an, deren früheste Vorgänger dieses symbolische und allegorische System geschaffen hatten.

Während somit Uranus, oder die Schar, welche diese himmlische Gruppe repräsentierte, über die Zweite Rasse und ihren damaligen Kontinent herrschte und regierte; lenkte Cronus oder Saturn die Lemurier; und Jupiter, Neptun [60] und andere kämpften in der Allegorie für die Atlantis, welche die ganze Erde war zur Zeit der Vierten Rasse. Poseidonis, oder die letzte Insel der Atlantis - des „dritten Schrittes“ des Idas-pati oder Vishnu in der mystischen Sprache der Geheimen Bücher - dauerte bis vor ungefähr 12 000 Jahren. [61] Die Atlantes des Diodor hatten recht mit der Behauptung, daß ihr Land, die Umgebung des Berges Atlas, der Ort war, wo „die Götter geboren wurden“ - d. i. „inkarniert“. Aber erst nach ihrer vierten Inkarnation wurden sie zum erstenmale menschliche Könige und Herrscher.

Diodor spricht von Uranus als dem ersten Könige der Atlantis, und vermengt entweder bewußt oder unbewußt die Kontinente; aber wie wir gezeigt haben, stellt Plato den Satz mittelbar richtig. Der erste astronomische Lehrer der Menschen war Uranus, weil er einer der sieben Dhyân Chohans jener Zweiten Periode oder Rasse ist. So finden wir auch im zweiten Manvantara, in jenem des Svârochisha, unter den sieben Söhnen des Manu, den herrschenden Göttern oder Rishis jener Rasse, den Jyotis, [62] den Lehrer der Astronomie (Jyotisha), einen der Namen des Brahmâ. Und so verehren auch die Chinesen Tien (oder den Himmel, Ouranos), und nennen ihn ihren ersten Lehrer der Astronomie. Uranos brachte die Titanen der Dritten Rasse hervor, und sie, personifiziert durch Saturn-Kronos, waren es, welche ihn verstümmelten. Denn da die Titanen es waren, welche in die Zeugung verfielen, als „die Schöpfung durch den Willen durch physische Fortpflanzung überflüssig gemacht wurde“, brauchten sie den Uranos nicht mehr.


[53] IV. 184.

[54] Pyth., I. 20; Decharme, a. a. O., p. 315.

[55] Das will nicht sagen, daß der Atlas der Ort war, wo sie fiel, denn dies fand im nördlichen und centralen Asien statt, sondern daß der Atlas einen Teil des Kontinentes bildete.

[56] Hätte nicht Diocletian die esoterischen Werke der Ägypter 296 n. Chr. verbrannt, zusammen mit ihren Büchern über Alchemie, „[korrekter Abdruck siehe Buch];“ Caesar 700 000 Rollen zu Alexandrien; Leo der Isaurer 300 000 zu Konstantinopel (im achten Jahrhundert); und die Mohammedaner alles, woran sie ihre frevelhaften Hände legen konnten - die Welt würde heute mehr von der Atlantis wissen, als sie jetzt weiß. Denn die Alchimie hatte ihren Entstehungsort auf der Atlantis während der Vierten Rasse, und nur ihre Renaissance in Ägypten.

[57] Professor Max Müllers Vorlesungen - Über die Philosophie der Mythologie - liegen uns vor. Wir lesen seine Anführungen des Heraklit (460 v. Chr.), welcher erklärte, Homer verdiene „aus den öffentlichen Versammlungen ausgestoßen und ausgepeitscht zu werden;“ und des Xenophanes, welcher „Homer und Hesiod für den volkstümlichen Aberglauben von Griechenland verantwortlich hielt“ und dafür, daß sie „den Göttern alles das zuschrieben, was unter Menschen entehrend und anstößig ist . . . gesetzwidrige Handlungen, wie Diebstahl, Ehebruch und Betrug.“ Schließlich citiert der Oxforder Professor aus Jowetts Übersetzung des Plato, wo der letztere Adaimantus sagt (Republik), daß: „dem jungen Manne [im Staate] nicht gesagt werden solle, daß er bei der Verübung der schlechtesten Verbrechen weit davon entfernt sei, irgend etwas Schimpfliches zu thun, und daß er seinen Vater züchtigen könne [wie es Zeus mit Kronos that] . . . auf welche Art er wolle, und darin nur dem Beispiele der ersten und größten der Götter folgen werde. . . . Nach meiner Ansicht sind diese Geschichten nicht geeignet, wiederholt zu werden.“ Dazu bemerkt Professor Max Müller: „die griechische Religion war offenbar eine nationale und traditionelle Religion und als solche teilte sie zugleich die Vorteile und Nachteile dieser Form religiösen Glaubens;“ während die christliche Religion „eine historische und bis zu einem hohen Maße eine individuelle Religion ist, und den Vorteil eines autorisierten Kodex und eines festgelegten Glaubenssystems hat“ (p. 349 [engl.]). Um so schlimmer, wenn sie historisch ist, denn sicherlich würde Lots Abenteuer mit seinen Töchtern nur gewinnen, wenn es „allegorisch“ wäre.

[58] [korrekter Abdruck siehe Buch], Hercules Furens, 1346, ed. Dindorf.

[59] Kritias.

[60] Neptun oder Poseidon ist der indische Idas-pati, wesensgleich mit Nârâyana (dem sich auf den Wassern bewegenden) oder Vishnu, und gleich diesem indischen Gotte wird er dargestellt, wie er den ganzen Horizont mit drei Schritten durchschreitet. Idas-pati bedeutet auch den „Meister der Wasser“.

[61] Bailly´s Behauptung, daß die von den ägyptischen Priestern erwähnten 9000 Jahre keine „Sonnenjahre“ repräsentieren, ist grundlos. Bailly wußte nichts von der Geologie und ihren Berechnungen; sonst würde er anders gesprochen haben.

[62] Siehe Matsya Purâna, welches ihn unter die sieben Prajâpatis der Periode einreiht.