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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Schattiger Hain

Der Schauplatz verwandelt sich durchaus.
An eine Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschlossne Lauben.
Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan.
Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher.

PHORKYAS. Wie lange Zeit die Mädchen schlafen, weiß ich nicht;
Ob sie sich träumen ließen, was ich hell und klar
Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
Drum weck ich sie. Erstaunen soll das junge Volk,
Ihr Bärtigen auch, die ihr dadrunten sitzend harrt,
Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.
Hervor! hervor! und schüttelt eure Locken rasch!
Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so und hört mich an!

CHOR.
Rede nur! erzähl, erzähle, was sich Wunderlichs begeben!
Hören möchten wir am liebsten, was wir gar nicht glauben können;
Denn wir haben lange Weile, diese Felsen anzusehn.

PHORKYAS.
Kaum die Augen ausgerieben, Kinder, langeweilt ihr schon?
So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten, diesen Lauben
Schutz und Schirmung war verliehen, wie idyllischem Liebespaare,
Unserm Herrn und unsrer Frauen.

CHOR. Wie? dadrinnen?

PHORKYAS. Abgesondert
Von der Welt, nur mich, die Eine, riefen sie zu stillem Dienste.
Hochgeehrt stand ich zur Seite; doch wie es Vertrauten ziemet,
Schaut ich um nach etwas andrem, wendete mich hier- und dorthin,
Suchte Wurzeln, Moos und Rinden, kundig aller Wirksamkeiten:
Und so blieben sie allein.

CHOR.
Tust du doch, als ob dadrinnen ganze Weltenräume wären,
Wald und Wiese, Bäche, Seen! welche Märchen spinnst du ab!

PHORKYAS.
Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte Tiefen:
Saal an Sälen, Hof an Höfen; diese spürt ich sinnend aus.
Doch auf einmal ein Gelächter echot in den Höhlenräumen;
Schau ich hin: da springt ein Knabe von der Frauen Schoß zum Manne,
Von dem Vater zu der Mutter! das Gekose, das Getändel,
Töriger Liebe Neckereien, Scherzgeschrei und Lustgejauchze
Wechselnd übertäuben mich.
Nackt, ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne Tierheit,
Springt er auf den festen Boden; doch der Boden, gegenwirkend,
Schnellt ihn zu der luftgen Höhe, und im zweiten, dritten Sprunge
Rührt er an das Hochgewölb.
Ängstlich ruft die Mutter: »Springe wiederholt und nach Belieben,
Aber hüte dich zu fliegen! freier Flug ist dir versagt.«
Und so mahnt der treue Vater: »In der Erde liegt die Schnellkraft,
Die dich aufwärts treibt; berühre mit der Zehe nur den Boden,
Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald gestärkt.«
Und so hüpft er auf die Masse dieses Felsens, von der Kante
Zu dem andern und umher so, wie ein Ball geschlagen springt.
Doch auf einmal in der Spalte rauher Schlucht ist er verschwunden,
Und nun scheint er uns verloren! Mutter jammert, Vater tröstet,
Achselzuckend steh ich ängstlich. Doch nun wieder welch Erscheinen!
Liegen Schätze dort verborgen? Blumenstreifige Gewande
Hat er würdig angetan.
Quasten schwanken von den Armen, Binden flattern um den Busen;
In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner Phöbus,
Tritt er wohlgemut zur Kante, zu dem Überhang: wir staunen,
Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd sich ans Herz.
Denn wie leuchtets ihm zu Haupten? Was erglänzt, ist schwer zu sagen:
Ist es Goldschmuck? ist es Flamme übermächtiger Geisteskraft?
Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe schon verkündend
Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen Melodien
Durch die Glieder sich bewegen, und so werdet ihr ihn hören,
Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster Bewunderung.

CHOR. Nennst du ein Wunder dies,
Kretas Erzeugte?
Dichtend belehrendem Wort
Hast du gelauscht wohl nimmer?
Niemals noch gehört Joniens,
Nie vernommen auch Hellas
Urväterlicher Sagen
Göttlich-heldenhaften Reichtum?
Alles, was je geschieht
Heutigen Tages,
Trauriger Nachklang ists
Herrlicher Ahnherrntage!
Nicht vergleicht sich dein Erzählen
Dem, was liebliche Lüge,
Glaubhaftiger als Wahrheit,
Von dem Sohne sang der Maja.
Diesen zierlich und kräftig, doch
Kaum geborenen Säugling
Faltet in reinster Windeln Flaum,
Strenget in köstlicher Wickeln Schmuck
Klatschender Wärterinnen Schar,
Unvernünftigen Wähnens.
Kräftig und zierlich aber zieht
Schon der Schalk die geschmeidigen,
Doch elastischen Glieder
Listig heraus, die purpurne,
Ängstlich drückende Schale
Lassend ruhig an seiner Statt,
Gleich dem fertigen Schmetterling,
Der aus starrem Puppenzwang,
Flügel entfaltend, behendig schlüpft,
Sonne-durchstrahlten Äther kühn
Und mutwillig durchflatternd.
So auch er, der Behendeste,
Daß er Dieben und Schälken,
Vorteilsuchenden allen auch
Ewig günstiger Dämon sei!
Dies betätigt er alsobald
Durch gewandteste Künste:
Schnell des Meeres Beherrscher stiehlt
Er den Trident, ja dem Ares selbst
Schlau das Schwert aus der Scheide,
Bogen und Pfeil dem Phöbus auch,
Wie dem Hephästos die Zange;
Selber Zeus, des Vaters, Blitz
Nähm er, schreckt ihn das Feuer nicht;
Doch dem Eros siegt er ob
In beinstellendem Ringerspiel,
Raubt auch Cyprien, wie sie ihm kost,
Noch vom Busen den Gürtel.

Ein reizendes, rein-melodisches Saitenspiel erklingt
aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald innig gerührt.
Von hier an bis zur bemerkten Pause durchaus mit
vollstimmiger Musik.

PHORKYAS. Höret allerliebste Klänge!
Macht euch schnell von Fabeln frei!
Eurer Götter alt Gemenge,
Laßt es hin! es ist vorbei.
Niemand will euch mehr verstehen,
Fordern wir doch höhern Zoll:
Denn es muß von Herzen gehen,
Was auf Herzen wirken soll.
Sie zieht sich nach den Felsen zurück.

CHOR. Bist du, fürchterliches Wesen,
Diesem Schmeichelton geneigt,
Fühlen wir, als frisch genesen,
Uns zur Tränenlust erweicht.
Laß der Sonne Glanz verschwinden,
Wenn es in der Seele tagt:
Wir im eignen Herzen finden,
Was die ganze Welt versagt.

Helena, Faust, Euphorion in dem oben beschriebenen Kostüm.

EUPHORION. Hört ihr Kindeslieder singen,
Gleich ists euer eigner Scherz;
Seht ihr mich im Takte springen,
Hüpft euch elterlich das Herz.

HELENA. Liebe, menschlich zu beglücken,
Nähert sie ein edles Zwei;
Doch zu göttlichem Entzücken
Bildet sie ein köstlich Drei.

FAUST. Alles ist sodann gefunden:
Ich bin dein, und du bist mein,
Und so stehen wir verbunden;
Dürft es doch nicht anders sein!

CHOR. Wohlgefallen vieler Jahre
In des Knaben mildem Schein
Sammelt sich auf diesem Paare:
O wie rührt mich der Verein!

EUPHORION. Nun laßt mich hüpfen,
Nun laßt mich springen!
Zu allen Lüften
Hinaufzudringen,
Ist mir Begierde:
Sie faßt mich schon.

FAUST. Nur mäßig! mäßig!
Nicht ins Verwegne,
Daß Sturz und Unfall
Dir nicht begegne,
Zugrund uns richte
Der teure Sohn!

EUPHORION. Ich will nicht länger
Am Boden stocken:
Laßt meine Hände,
Laßt meine Locken,
Laßt meine Kleider!
Sie sind ja mein.

HELENA. O denk, o denke,
Wem du gehörest,
Wie es uns kränke,
Wie du zerstörest
Das schön errungene
Mein, Dein und Sein!

CHOR. Bald löst, ich fürchte,
Sich der Verein!

HELENA UND FAUST. Bändige, bändige,
Eltern zuliebe,
Überlebendige,
Heftige Triebe!
Ländlich im stillen
Ziere den Plan!

EUPHORION. Nur euch zu Willen
Halt ich mich an.

Durch den Chor sich schlingend und ihn zum Tanze fortziehend.

Leichter umschweb ich hie
Muntres Geschlecht.
Ist nun die Melodie,
Ist die Bewegung recht?

HELENA. Ja, das ist wohlgetan!
Führe die Schönen an
Künstlichem Reihn!

FAUST. Wäre das doch vorbei!
Mich kann die Gaukelei
Gar nicht erfreun.

Euphorion und Chor,
tanzend und singend, bewegen sich in verschlungenem Reihen.

CHOR. Wenn du der Arme Paar
Lieblich bewegest,
Im Glanz dein lockig Haar
Schüttelnd erregest,
Wenn dir der Fuß so leicht
Über die Erde schleicht,
Dort und da wieder hin
Glieder um Glied sich ziehn,
Hast du dein Ziel erreicht,
Liebliches Kind!
All unsre Herzen sind
All dir geneigt.
Pause.

EUPHORION. Ihr seid so viele
Leichtfüßige Rehe,
Zu neuem Spiele
Frisch aus der Nähe!
Ich bin der Jäger,
Ihr seid das Wild.

CHOR. Willst du uns fangen
Sei nicht behende!
Denn wir verlangen
Doch nur am Ende,
Dich zu umarmen,
Du schönes Bild!

EUPHORION. Nur durch die Haine!
Zu Stock und Steine!
Das leicht Errungene,
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergetzt mich schier.

HELENA UND FAUST.
Welch ein Mutwill! welch ein Rasen!
Keine Mäßigung ist zu hoffen!
Klingt es doch wie Hörnerblasen
Über Tal und Wälder dröhnend:
Welch ein Unfug! welch Geschrei!

CHOR einzeln schnell eintretend.
Uns ist er vorbeigelaufen!
Mit Verachtung uns verhöhnend,
Schleppt er von dem ganzen Haufen
Nun die Wildeste herbei.

EUPHORION ein junges Mädchen hereintragend.
Schlepp ich her die derbe Kleine
Zu erzwungenem Genusse!
Mir zur Wonne, mir zur Lust
Drück ich widerspenstige Brust,
Küß ich widerwärtigen Mund,
Tue Kraft und Willen kund.

MÄDCHEN. Laß mich los! In dieser Hülle
Ist auch Geistes Mut und Kraft;
Deinem gleich, ist unser Wille
Nicht so leicht hinweggerafft,
Glaubst du wohl mich im Gedränge?
Deinem Arm vertraust du viel!
Halte fest, und ich versenge
Dich, den Toren, mir zum Spiel.
Sie flammt auf und lodert in die Höhe.
Folge mir in leichte Lüfte,
Folge mir in starre Grüfte,
Hasche das verschwundne Ziel!

EUPHORION die letzten Flammen abschüttelnd.
Felsengedränge hier
Zwischen dem Waldgebüsch!
Was soll die Enge mir?
Bin ich doch jung und frisch!
Winde, sie sausen ja,
Wellen, sie brausen da,
Hör ich doch beides fern:
Nah wär ich gern!
Er springt immer höher felsauf.

HELENA, FAUST UND CHOR.
Wolltest du den Gemsen gleichen?
Vor dem Falle muß uns graun.

EUPHORION. Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun!
Weiß ich nun, wo ich bin:
Mitten der Insel drin,
Mitten in Pelops Land,
Erde- wie seeverwandt!

CHOR. Magst nicht in Berg und Wald
Friedlich verweilen?
Suchen wir alsobald
Reben in Zeilen,
Reben am Hügelrand,
Feigen und Apfelgold.
Ach, in dem holden Land
Bleibe du hold!

EUPHORION. Träumt ihr den Friedenstag?
Träume, wer träumen mag!
Krieg ist das Losungswort!
Sieg! und so klingt es fort.

CHOR. Wer im Frieden
Wünschet sich Krieg zurück,
Der ist geschieden
Vom Hoffnungsglück.

EUPHORION. Welche dies Land gebar
Aus Gefahr in Gefahr,
Frei, unbegrenzten Muts,
Verschwendrisch eignen Bluts,
Den nicht zu dämpfenden
Heiligen Sinn,
Alle den Kämpfenden
Bring es Gewinn!

CHOR. Seht hinauf wie hoch gestiegen!
Und erscheint uns doch nicht klein:
Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
Wie von Erz und Stahl der Schein!

EUPHORION. Keine Wälle, keine Mauern,
Jeder nur sich selbst bewußt!
Feste Burg, um auszudauern,
Ist des Mannes ehrne Brust.
Wollt ihr unerobert wohnen,
Leicht bewaffnet rasch ins Feld!
Frauen werden Amazonen
Und ein jedes Kind ein Held.

CHOR. Heilige Poesie,
Himmelan steige sie!
Glänze, der schönste Stern,
Fern und so weiter fern!
Und sie erreicht uns doch
Immer, man hört sie noch,
Vernimmt sie gern.

EUPHORION. Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen:
In Waffen kommt der Jüngling an!
Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,
Hat er im Geiste schon getan.
Nun fort!
Nun dort
Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

HELENA UND FAUST. Kaum ins Leben eingerufen,
Heitrem Tag gegeben kaum,
Sehnest du von Schwindelstufen
Dich zu schmerzenvollem Raum.
Sind denn wir
Gar nichts dir?
Ist der holde Bund ein Traum?

EUPHORION. Und hört ihr donnern auf dem Meere?
Dort widerdonnern Tal um Tal,
In Staub und Wellen Heer dem Heere,
In Drang um Drang zu Schmerz und Qual!
Und der Tod
Ist Gebot:
Das versteht sich nun einmal.

HELENA, FAUST UND CHOR.
Welch Entsetzen! welches Grauen!
Ist der Tod denn dir Gebot?

EUPHORION. Sollt ich aus der Ferne schauen?
Nein, ich teile Sorg und Not!

DIE VORIGEN. Übermut und Gefahr!
Tödliches Los!

EUPHORION. Doch! - Und ein Flügelpaar
Faltet sich los!
Dorthin! Ich muß! ich muß!
Gönnt mir den Flug!
Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn einen Augenblick,
sein Haupt strahlt, ein Lichtschweif zieht nach.

CHOR. Ikarus! Ikarus!
Jammer genug!

Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen, man glaubt
in dem Toten eine bekannte Gestalt zu erblicken;
doch das Körperliche verschwindet sogleich, die Aureole steigt wie
ein Komet zum Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.

HELENA UND FAUST. Der Freude folgt sogleich
Grimmige Pein.

EUPHORIONS STIMME aus der Tiefe.
Laß mich im düstern Reich,
Mutter, mich nicht allein!
Pause.

CHOR, Trauergesang.
Nicht allein! - wo du auch weilest!
Denn wir glauben dich zu kennen;
Ach, wenn du dem Tag enteilest,
Wird kein Herz von dir sich trennen.
Wüßten wir doch kaum zu klagen,
Neidend singen wir dein Los:
Dir in klar- und trüben Tagen
Lied und Mut war schön und groß.
Ach, zum Erdenglück geboren,
Hoher Ahnen, großer Kraft,
Leider früh dir selbst verloren,
Jugendblüte weggerafft!
Scharfer Blick, die Welt zu schauen,
Mitsinn jedem Herzensdrang,
Liebesglut der besten Frauen
Und ein eigenster Gesang.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei ins willenlose Netz:
So entzweitest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Mut Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? - Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt:
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
Völlige Pause. Die Musik hört auf.

HELENA zu Faust.
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
Bejammernd beide, sag ich schmerzlich Lebewohl
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir. -
Persephoneia, nimm den Knaben auf und mich!
Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet,
Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.

PHORKYAS zu Faust. Halte fest, was dir von allem übrigblieb!
Das Kleid, laß es nicht los! Da zupfen schon
Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
Die Göttin ists nicht mehr, die du verlorst,
Doch göttlich ists! Bediene dich der hohen,
Unschätzbarn Gunst und hebe dich empor:
Es trägt dich über alles Gemeine rasch
Am Äther hin, solange du dauern kannst. -
Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier.
Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf, umgeben Faust,
heben ihn in die Höhe und ziehen mit ihm vorüber.

PHORKYAS nimmt Euphorions Kleid, Mantel und Lyra von der Erde,
tritt ins Proszenium, hebt die Exuvien in die Höhe und spricht:
Noch immer glücklich aufgefunden!
Die Flamme freilich ist verschwunden,
Doch ist mir um die Welt nicht leid.
Hier bleibt genug, Poeten einzuweihen,
Zu stiften Gild- und Handwerksneid,
Und kann ich die Talente nicht verleihen,
Verborg ich wenigstens das Kleid.

Sie setzt sich im Proszenium an eine Säule nieder.

PANTHALIS. Nun eilig, Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,
Der altthessalischen Vettel wüsten Geisteszwang,
So des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch,
Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den innern Sinn.
Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sei
Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt!
Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.

CHOR. Königinnen freilich, überall sind sie gern;
Auch im Hades stehen sie obenan,
Stolz zu ihresgleichen gesellt,
Mit Persephonen innigst vertraut;
Aber wir, im Hintergrunde
Tiefer Asphodeloswiesen,
Langgestreckten Pappeln,
Unfruchtbaren Weiden zugesellt,
Welchen Zeitvertreib haben wir?
Fledermausgleich zu piepsen,
Geflüster, unerfreulich, gespenstisch.

PANTHALlS. Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will,
Gehört den Elementen an: so fahret hin!
Mit meiner Königin zu sein, verlangt mich heiß;
Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person. Ab.

ALLE. Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,
Zwar Personen nicht mehr,
Das fühlen, das wissen wir,
Aber zum Hades kehren wir nimmer!
Ewig lebendige Natur
Macht auf uns Geister,
Wir auf sie vollgültigen Anspruch.

EIN TEIL DES CHORS. Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben
Reizen tändlend, locken leise wurzelauf des Lebens Quellen
Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüten überschwenglich
Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.
Fällt die Frucht, sogleich versammeln lebenslustig Volk und Herden
Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig kommend, emsig drängend,
Und wie vor den ersten Göttern bückt sich alles um uns her.

EIN ANDERER TEIL.
Wir, an dieser Felsenwände weithinleuchtend-glattem Spiegel
Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;
Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen, Röhrigflöten,
Sei es Pans furchtbarer Stimme: Antwort ist sogleich bereit.
Säuselts, säuseln wir erwidernd, donnerts, rollen unsre Donner
In erschütterndem Verdoppeln dreifach, zehnfach hintennach.

EIN DRITTER TEIL.
Schwestern, wir, bewegtern Sinnes, eilen mit den Bächen weiter;
Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte Hügelzüge.
Immer abwärts, immer tiefer wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Haus.
Dort bezeichnens der Zypressen schlanke Wipfel, über Landschaft,
Uferzug und Wellenspiegel nach dem Äther steigende.

EIN VIERTER TEIL.
Wallt ihr andern, wo's beliebet: wir umzingeln, wir umrauschen
Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die Rebe grünt;
Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft des Winzers
Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen sehn.
Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln, Schneiden, Binden
Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum Sonnengott.
Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um den treuen Diener,
Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem jüngsten Faun.
Was zu seiner Träumereien halbem Rausch er je bedurfte,
Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen und Gefäßen,
Rechts und links der kühlen Grüfte, ewige Zeiten aufbewahrt.
Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend, Beerenfüllhorn aufgehäuft,
Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wirds lebendig,
Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von Stock zu Stock.
Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten ächzen hin,
Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer kräftgem Tanz.
Und so wird die heilige Fülle reingeborner, saftiger Beeren
Frech zertreten: schäumend, sprühend mischt sichs, widerlich zerquetscht.
Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken Erzgetöne;
Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt,
Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwenkend Ziegenfüßlerinnen,
Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus öhrig Tier.
Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte nieder,
Alle Sinne wirbeln taumlig, gräßlich übertäubt das Ohr.
Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind Kopf und Wänste;
Sorglich ist noch ein- und andrer, doch vermehrt er die Tumulte:
Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch den alten Schlauch!

Der Vorhang fällt.

Phorkyas, im Proszenium, richtet sich riesenhaft auf, tritt aber
von den Kothurnen herunter, lehnt Maske und Schleier zurück
und zeigt sich als Mephistopheles, um, insofern es nötig wäre,
im Epilog das Stück zu kommentieren.

 

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