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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

5. Akt

Offene Gegend

WANDERER.
Ja! sie sinds, die dunkeln Linden,
Dort, in ihres Alters Kraft,
Und ich soll sie wiederfinden
Nach so langer Wanderschaft!
Ist es doch die alte Stelle,
Jene Hütte, die mich barg,
Als die sturmerregte Welle
Mich an jene Dünen warf!
Meine Wirte möcht ich segnen,
Hülfsbereit, ein wackres Paar.
Das, um heut mir zu begegnen,
Alt schon jener Tage war.
Ach, das waren fromme Leute!
Poch ich? ruf ich? - Seid gegrüßt,
Wenn, gastfreundlich, auch noch heute
Ihr des Wohltuns Glück genießt!

BAUCIS, Mütterchen, sehr alt.
Lieber Kömmling, leise! leise!
Ruhe! laß den Gatten ruhn!
Langer Schlaf verleiht dem Greise
Kurzen Wachens rasches Tun.

WANDERER. Sage, Mutter: bist dus eben,
Meinen Dank noch zu empfahn,
Was du für des Jünglings Leben
Mit dem Gatten einst getan?
Bist du Baucis, die geschäftig
Halberstorbnen Mund erquickt?
Der Gatte tritt auf.
Du Philemon, der so kräftig
Meinen Schatz der Flut entrückt?
Eure Flammen raschen Feuers,
Eures Glöckchens Silberlaut:
Jenes grausen Abenteuers
Lösung war euch anvertraut.
Und nun laßt hervor mich treten,
Schaun das grenzenlose Meer!
Laßt mich knieen, laßt mich beten!
Mich bedrängt die Brust so sehr.
Er schreitet vorwärts auf der Düne.

PHILEMON zu Baucis.
Eile nur, den Tisch zu decken,
Wos im Gärtchen munter blüht!
Laß ihn rennen, ihn erschrecken!
Denn er glaubt nicht, was er sieht.
Neben dem Wandrer stehend.
Das Euch grimmig mißgehandelt,
Wog auf Woge, schäumend-wild,
Seht als Garten Ihr behandelt,
Seht ein paradiesisch Bild.
Älter, war ich nicht zuhanden,
Hülfreich nicht wie sonst bereit,
Und wie meine Kräfte schwanden,
War auch schon die Woge weit.
Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu sein.
Schau grünend Wies an Wiese,
Anger, Garten, Dorf und Wald! -
Komm nun aber und genieße;
Denn die Sonne scheidet bald! -
Dort im Fernsten ziehen Segel,
Suchen nächtlich sichern Port:
Kennen doch ihr Nest die Vögel;
Denn jetzt ist der Hafen dort.
So erblickst du in der Weite
Erst des Meeres blauen Saum,
Rechts und links, in aller Breite,
Dichtgedrängt bewohnten Raum.

Am Tische zu drei, im Gärtchen.

BAUCIS. Bleibst du stumm? und keinen Bissen
Bringst du zum verlechzten Mund?

PHILEMON. Möcht er doch vom Wunder wissen!
Sprichst so gerne: tus ihm kund!

BAUCIS. Wohl! ein Wunder ists gewesen!
Läßt mich heute nicht in Ruh;
Denn es ging das ganze Wesen
Nicht mit rechten Dingen zu.

PHILEMON. Kann der Kaiser sich versündgen,
Der das Ufer ihm verliehn?
Täts ein Herold nicht verkündgen
Schmetternd im Vorüberziehn?
Nicht entfernt von unsern Dünen
Ward der erste Fuß gefaßt:
Zelte, Hütten! - Doch im Grünen
Richtet bald sich ein Palast.

BAUCIS. Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack und Schaufel, Schlag um Schlag;
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,
Stand ein Damm den andern Tag!
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual;
Meerab flossen Feuergluten:
Morgens war es ein Kanal!
Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain!
Wie er sich als Nachbar brüstet,
Soll man untertänig sein.

PHILEMON. Hat er uns doch angeboten
Schönes Gut im neuen Land!

BAUCIS. Traue nicht dem Wasserboden!
Halt auf deiner Höhe stand!

PHILEMON. Laßt uns zur Kapelle treten,
Letzten Sonnenblick zu schaun!
Laßt uns läuten, knieen, beten
Und dem alten Gott vertraun!

 

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