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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Grablegung

LEMUR, solo. Wer hat das Haus so schlecht gebaut
Mit Schaufeln und mit Spaten?

LEMUREN, Chor. Dir, dumpfer Gast im hänfnen Gewand,
Ists viel zu gut geraten.

LEMUR, solo. Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
Wo blieben Tisch und Stühle?

LEMUREN, Chor. Es war auf kurze Zeit geborgt;
Der Gläubiger sind so viele.

MEPHISTOPHELES.
Der Körper liegt, und will der Geist entfliehn,
Ich zeig ihm rasch den blutgeschriebnen Titel;
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
Dem Teufel Seelen zu entziehn.
Auf altem Wege stößt man an,
Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
Sonst hätt ich es allein getan,
Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
Uns gehts in allen Dingen schlecht:
Herkömmliche Gewohnheit, altes Recht,
Man kann auf gar nichts mehr vertrauen!
Sonst mit dem letzten Atem fuhr sie aus,
Ich paßt ihr auf, und, wie die schnellste Maus,
Schnapps! hielt ich sie in festverschlossnen Klauen.
Nun zaudert sie und will den düstern Ort,
Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen;
Die Elemente, die sich hassen,
Die treiben sie am Ende schmählich fort.
Und wenn ich Tag und Stunden mich zerplage,
Wann? wie? und wo? das ist die leidige Frage;
Der alte Tod verlor die rasche Kraft:
Das Ob sogar ist lange zweifelhaft!
Oft sah ich lüstern auf die starren Glieder:
Es war nur Schein! das rührte, das regte sich wieder.
Phantastisch-flügelmännische Beschwörungsgebärden.
Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne!
Von altem Teufelsschrot und -korne,
Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit!
Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!
Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein;
Doch wird man auch bei diesem letzten Spiele
Inskünftige nicht so bedenklich sein.
Der greuliche Höllenrachen tut sich links auf.
Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
Entquillt der Feuerstrom in Wut,
Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.
Die rote Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,
Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;
Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne,
Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn.
In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken:
So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
Ihr tut sehr wohl, die Sünder zu erschrecken;
Sie haltens doch für Lug und Trug und Traum.
Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne.
Nun, wanstige Schuften mit den Feuerbacken,
Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist!
Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken!
Hier unten lauert, obs wie Phosphor gleißt!
Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln:
Die rupft ihr aus, so ists ein garstiger Wurm!
Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln,
Dann fort mit ihr im Feuerwirbelsturm!
Paßt auf die niedern Regionen,
Ihr Schläuche! das ist eure Pflicht.
Obs ihr beliebte, da zu wohnen,
So akkurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus:
Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus!
Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne.
Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,
Greift in die Luft! versucht euch ohne Rast!
Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
Daß ihr die Flatternde, die Flüchtige faßt!
Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus,
Und das Genie, es will gleich obenaus.

Glorie von oben rechts.

HIMMLISCHE HEERSCHAR. Folget, Gesandte,
Himmelsverwandte,
Gemächlichen Flugs:
Sündern vergeben,
Staub zu beleben!
Allen Naturen
Freundliche Spuren
Wirket im Schweben
Des weilenden Zugs!

MEPHISTOPHELES. Mißtöne hör ich! garstiges Geklimper,
Von oben kommts mit unwillkommnem Tag:
Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sichs lieben mag.
Ihr wißt, wie wir in tiefverruchten Stunden
Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht:
Das Schändlichste, was wir erfunden,
Ist ihrer Andacht eben recht.
Sie kommen gleisnerisch, die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt!
Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen:
Es sind auch Teufel, doch verkappt.
Hier zu verlieren, wär euch ewge Schande;
Ans Grab heran und haltet fest am Rande!

CHOR DER ENGEL Rosen streuend.
Rosen, ihr blendenden,
Balsam versendenden!
Flatternde, schwebende,
Heimlich belebende
Zweigleinbeflügelte,
Knospenentsiegelte,
Eilet zu blühn!
Frühling entsprieße,
Purpur und Grün!
Tragt Paradiese
Dem Ruhenden hin!

MEPHISTOPHELES zu den Satanen.
Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?
So haltet stand und laßt sie streuen!
An seinen Platz ein jeder Gauch!
Sie denken wohl, mit solchen Blümeleien
Die heißen Teufel einzuschneien;
Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.
Nun pustet, Püstriche! - Genug, genug!
Vor eurem Broden bleicht der ganze Flug.
Nicht so gewaltsam! schließet Maul und Nasen!
Fürwahr, ihr habt zu stark geblasen.
Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt!
Das schrumpft nicht nur: es bräunt sich, dorrt, es brennt!
Schon schwebts heran mit giftig-klaren Flammen:
Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen! -
Die Kraft erlischt! dahin ist aller Mut!
Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.

CHOR DER ENGEL. Blüten, die seligen,
Flammen, die fröhlichen,
Liebe verbreiten sie,
Wonne bereiten sie,
Herz wie es mag.
Worte, die wahren,
Äther im klaren
Ewigen Scharen
Überall Tag!

MEPHISTOPHELES. O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
Satane stehen auf den Köpfen,
Die Plumpen schlagen Rad auf Rad
Und stürzen ärschlings in die Hölle.
Gesegn euch das verdiente heiße Bad!
Ich aber bleib auf meiner Stelle. -
Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend.
Irrlichter, fort! Du leuchte noch so stark,
Du bleibst, gehascht, ein ekler Gallertquark.
Was flatterst du? Willst du dich packen! -
Es klemmt wie Pech und Schwefel mir im Nacken.

CHOR DER ENGEL. Was euch nicht angehört,
Müsset ihr meiden!
Was euch das Innre stört
Dürft ihr nicht leiden!
Dringt es gewaltig ein,
Müssen wir tüchtig sein.
Liebe nur Liebende
Führet herein!

MEPHISTOPHELES.
Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt!
Ein überteuflisch Element!
Weit spitziger als Höllenfeuer! -
Drum jammert ihr so ungeheuer,
Unglückliche Verliebte! die, verschmäht,
Verdrehten Halses nach der Liebsten späht.
Auch mir! Was zieht den Kopf auf jene Seite?
Bin ich mit ihr doch in geschwornem Streite!
Der Anblick war mir sonst so feindlich scharf.
Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen?
Ich mag sie gerne sehn, die allerliebsten Jungen;
Was hält mich ab, daß ich nicht fluchen darf? -
Und wenn ich mich betören lasse,
Wer heißt denn künftighin der Tor? -
Die Wetterbuben, die ich hasse,
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor! -
Ihr schönen Kinder, laßt mich wissen:
Seid ihr nicht auch von Luzifers Geschlecht?
Ihr seid so hübsch: fürwahr, ich möcht euch küssen!
Mir ists, als kämt ihr eben recht.
Es ist mir so behaglich, so natürlich,
Als hätt ich euch schon tausendmal gesehn,
So heimlich-kätzchenhaft begierlich:
Mit jedem Blick aufs neue schöner schön!
O nähert euch, o gönnt mir einen Blick!

CHOR DER ENGEL.
Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
Wir nähern uns, und wenn du kannst, so bleib!

Die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen Raum ein.

MEPHISTOPHELES, der ins Proszenium gedrängt wird.
Ihr scheltet uns verdammte Geister
Und seid die wahren Hexenmeister;
Denn ihr verführet Mann und Weib. -
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dies das Liebeselement?
Der ganze Körper steht in Feuer,
Ich fühle kaum, daß es im Nacken brennt. -
Ihr schwanket hin und her: so senkt euch nieder!
Ein bißchen weltlicher bewegt die holden Glieder!
Fürwahr, der Ernst steht euch recht schön;
Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn!
Das wäre mir ein ewiges Entzücken!
Ich meine so: wie wenn Verliebte blicken!
Ein kleiner Zug am Mund, so ists getan!
Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,
Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,
So sieh mich doch ein wenig lüstern an!
Auch könntet ihr anständig-nackter gehen:
Das lange Faltenhemd ist übersittlich!
Sie wenden sich - Von hinten anzusehen! -
Die Racker sind doch gar zu appetitlich!

CHOR DER ENGEL. Wendet zur Klarheit
Euch, liebende Flammen!
Die sich verdammen,
Heile die Wahrheit,
Daß sie vom Bösen
Froh sich erlösen,
Um in dem Allverein
Selig zu sein!

MEPHISTOPHELES sich fassend.
Wie wird mir! - Hiobsartig, Beul an Beule
Der ganze Kerl, dems vor sich selber graut,
Und triumphiert zugleich, wenn er sich ganz durchschaut,
Wenn er auf sich und seinen Stamm vertraut:
Gerettet sind die edlen Teufelsteile,
Der Liebespuk, er wirft sich auf die Haut!
Schon ausgebrannt sind die verruchten Flammen.
Und wie es sich gehört, fluch ich euch allzusammen!

CHOR DER ENGEL. Heilige Gluten,
Wen sie umschweben,
Fühlt sich im Leben
Selig mit Guten.
Alle vereinigt
Hebt euch und preist!
Luft ist gereinigt:
Atme der Geist!

Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches entführend.

MEPHISTOPHELES sich umsehend.
Doch wie? - Wo sind sie hingezogen?
Unmündiges Volk, du hast mich überrascht!
Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
Mir ist ein großer, einziger Schatz entwendet:
Die hohe Seele, die sich mir verpfändet,
Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bei wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
Du hasts verdient, es geht dir grimmig schlecht!
Ich habe schimpflich mißgehandelt,
Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan;
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.
Und hat mit diesem kindisch-tollen Ding
Der Klugerfahrne sich beschäftigt,
So ist fürwahr die Torheit nicht gering,
Die seiner sich am Schluß bemächtigt.

 

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