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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Palast

Weiter Ziergarten, Großer, gradgeführter Kanal.
Faust, im höchsten Alter wandelnd, nachdenkend.

LYNKEUS DER TÜRMER durchs Sprachrohr.
Die Sonne sinkt, die letzten Schiffe,
Sie ziehen munter hafenein.
Ein großer Kahn ist im Begriffe,
Auf dem Kanale hier zu sein.
Die bunten Wimpel wehen fröhlich,
Die starren Masten stehn bereit:
In dir preist sich der Bootsmann selig,
Dich grüßt das Glück zur höchsten Zeit.
Das Glöckchen läutet auf der Düne.

FAUST auffahrend.
Verdammtes Läuten! Allzu schändlich
Verwundets, wie ein tückischer Schuß!
Vor Augen ist mein Reich unendlich,
Im Rücken neckt mich der Verdruß,
Erinnert mich durch neidische Laute:
Mein Hochbesitz, er ist nicht rein!
Der Lindenraum, die braune Baute,
Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
Und wünscht ich, dort mich zu erholen,
Vor fremdem Schatten schaudert mir,
Ist Dorn den Augen, Dorn den Sohlen -
wär ich weit hinweg von hier!

TÜRMER wie oben. Wie segelt froh der bunte Kahn
Mit frischem Abendwind heran!
Wie türmt sich sein behender Lauf
In Kisten, Kasten, Säcken auf!
Prächtiger Kahn, reich und bunt beladen mit Erzeugnissen
fremder Weltgegenden.

Mephistopheles. Die Drei gewaltigen Gesellen.

CHORUS. Da landen wir,
Da sind wir schon!
Glückan dem Herren,
Dem Patron!

Sie steigen aus, die Güter werden ans Land geschafft.

MEPHISTOPHELES. So haben wir uns wohl erprobt,
Vergnügt, wenn der Patron es lobt.
Nur mit zwei Schiffen ging es fort,
Mit zwanzig sind wir nun im Port.
Was große Dinge wir getan,
Das sieht man unsrer Ladung an.
Das freie Meer befreit den Geist;
Wer weiß da, was Besinnen heißt!
Da fördert nur ein rascher Griff:
Man fängt den Fisch, man fängt ein Schiff,
Und ist man erst der Herr zu drei,
Dann hakelt man das vierte bei;
Da geht es denn dem fünften schlecht,
Man hat Gewalt, so hat man Recht.
Man fragt ums Was und nicht ums Wie!
Ich müßte keine Schiffahrt kennen:
Krieg, Handel und Piraterie,
Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.

DIE DREI GEWALTIGEN GESELLEN.
Nicht Dank und Gruß!
Nicht Gruß und Dank!
Als brächten wir
Dem Herrn Gestank.
Er macht ein
Widerlich Gesicht:
Das Königsgut
Gefällt ihm nicht.

MEPHISTOPHELES.
Erwartet weiter
Keinen Lohn!
Nahmt ihr doch
Euren Teil davon.

DIE GESELLEN.
Das ist nur für
Die Langeweil;
Wir alle fordern
Gleichen Teil.

MEPHISTOPHELES.
Erst ordnet oben,
Saal an Saal,
Die Kostbarkeiten
Allzumal!
Und tritt er zu
Der reichen Schau,
Berechnet er alles
Mehr genau,
Er sich gewiß
Nicht lumpen läßt
Und gibt der Flotte
Fest nach Fest.
Die bunten Vögel kommen morgen,
Für die werd ich zum besten sorgen.

Die Ladung wird weggeschafft.

MEPHISTOPHELES zu Faust.
Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick
Vernimmst du dein erhaben Glück.
Die hohe Weisheit wird gekrönt:
Das Ufer ist dem Meer versöhnt,
Vom Ufer nimmt zu rascher Bahn
Das Meer die Schiffe willig an.
So sprich, daß hier, hier vom Palast
Dein Arm die ganze Welt umfaßt!
Von dieser Stelle ging es aus:
Hier stand das erste Bretterhaus;
Ein Gräbchen ward hinabgeritzt,
Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß
Erwarb des Meers, der Erde Preis.
Von hieraus -

FAUST. Das verfluchte Hier!
Das eben, leidig lastets mir.
Dir Vielgewandtem muß ichs sagen:
Mir gibts im Herzen Stich um Stich,
Mir ists unmöglich zu ertragen!
Und wie ichs sage, schäm ich mich:
Die Alten droben sollten weichen,
Die Linden wünscht ich mir zum Sitz;
Die wenig Bäume, nicht mein eigen,
Verderben mir den Weltbesitz.
Dort wollt ich, weit umherzuschauen,
Von Ast zu Ast Gerüste bauen,
Dem Blick eröffnen weite Bahn,
Zu sehn, was alles ich getan,
Zu überschaun mit einem Blick
Des Menschengeistes Meisterstück,
Betätigend mit klugem Sinn
Der Völker breiten Wohnbeginn.
So sind am härtsten wir gequält:
Im Reichtum fühlend, was uns fehlt!
Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
Umfängt mich wie in Kirch und Gruft.
Des allgewaltigen Willens Kür
Bricht sich an diesem Sande hier.
Wie schaff ich mir es vom Gemüte?
Das Glöcklein läutet, und ich wüte.

MEPHISTOPHELES. Natürlich, daß ein Hauptverdruß
Das Leben dir vergällen muß!
Wer leugnets? Jedem edlen Ohr
Kommt das Geklingel widrig vor,
Und das verfluchte Bim-Baum-Bimmel,
Umnebelnd heitern Abendhimmel,
Mischt sich in jegliches Begebnis
Vom ersten Bad bis zum Begräbnis,
Als wäre zwischen Bim und Baum
Das Leben ein verschollner Traum.

FAUST. Das Widerstehn, der Eigensinn
Verkümmern herrlichsten Gewinn,
Daß man, zu tiefer, grimmiger Pein,
Ermüden muß, gerecht zu sein.

MEPHISTOPHELES. Was willst du dich denn hier genieren?
Mußt du nicht längst kolonisieren?

FAUST. So geht und schafft sie mir zur Seite! -
Das schöne Gütchen kennst du ja,
Das ich den Alten ausersah.

MEPHISTOPHELES. Man trägt sie fort und setzt sie nieder,
Eh man sich umsieht, stehn sie wieder;
Nach überstandener Gewalt
Versöhnt ein schöner Aufenthalt. Er pfeift gellend.
Die Drei treten auf.

MEPHISTOPHELES. Kommt, wie der Herr gebieten läßt!
Und morgen gibts ein Flottenfest.

DIE DREI. Der alte Herr empfing uns schlecht,
Ein flottes Fest ist uns zu Recht.

MEPHISTOPHELES ad spectatores.
Auch hier geschieht, was längst geschah;
Denn Naboths Weinberg war schon da. (Regum I, 21)

 

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