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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Dritter Teil

Elftes Buch

II

Cochin-Sina, Tunkin, Laos, Korea, die östliche Tatarei, Japan

Aus der Geschichte der Menschheit ist's unleugbar, daß, wo sich irgendein Land zu einem vorzüglichen Grad der Kultur erhob es auch auf einen Kreis seiner Nachbarn gewirkt habe. Also auch die sinesische Nation, ob sie gleich unkriegerisch und ihre Verfassung sehr in sich gekehrt ist, so hat doch auch sie auf einen großen Bezirk der Länder umher ihren Einfluß verbreitet. Es ist dabei die Frage nicht, ob diese Länder dem sinesischen Reich unterworfen gewesen oder unterworfen geblieben; wenn sie an seiner Einrichtung, Sprache, Religion, Wissenschaften, Sitten und Künsten teilnahmen, so sind sie eine Provinz desselben im Gebiet des Geistes.

Cochin-Sina ist das Land, das von Sina am meisten angenommen hat und gewissermaße seine politische Pflanzstadt gewesen; daher die Ähnlichkeit zwischen beiden Nationen an Temperament und Sitten, an Wissenschaften und Künsten, in der Religion, dem Handel und der politischen Einrichtung. Sein Kaiser ist ein Vasall von Sina, und die Nationen sind durch den Handel enge verbunden. Man vergleiche dies geschäftige, vernünftige, sanftmütige Volk mit dem nahe gelegenen, trägen Siam, dem wilden Arrakan u. f., so wird man den Unterschied wahrnehmen. Wie indes kein Abfluß sich über die Quelle erhebt, so ist auch nicht zu erwarten, daß Cochin-Sina sein Vorbild übertreffe; die Regierung ist despotischer als dort, seine Religion und Wissenschaften ein schwächerer Nachhall des Mutterlandes.

Ein gleiches ist's mit Tunkin, das den Sinesern noch näher liegt, obgleich wilde Berge es scheiden. Die Nation ist wilder; das Gesittete, was sie an sich hat und welches den Staat erhält, Manufakturen, Handel, Gesetze, Religion, Kenntnisse und Gebräuche sind sinesisch, nur wegen des südlichem Himmelsstrichs und des Charakters der Nation tief unter dem Mutterlande.

Noch schwächer ist der Eindruck, den Sina auf Laos gemacht hat; denn das Land wurde zu bald von ihm abgerissen und befreundete sich mit den Sitten der Siamesen; Reste indes sind noch kenntlich.

Unter den südlichen Inseln haben die Sinesen insonderheit mit Java Gemeinschaft, ja wahrscheinlich haben sie sich auch in Kolonien daraufgepflanzt. Ihre politische Einrichtung indes hat sich in diesem soviel heißem, ihnen entlegnen Lande nicht anpflanzen können; denn die mühselige Kunst der Sinesen will ein betriebsames Volk und ein mäßigeres Klima. Sie nutzen also die Insel, ohne sie zu bilden.

Mehreren Platz hat die sinesische Einrichtung nordwärts gewonnen, und das Land kann sich rühmen, daß es zu Besänftigung der wilden Völker dieses ungeheuren Erdstrichs mehr beigetragen habe als vielleicht die Europäer in allen Weltteilen. Korea ist durch die Mandschus den Sinesern wirklich unterworfen, und man vergleiche diese einst wilde Nation mit ihren nördlichem Nachbarn. Die Einwohner eines zum Teil so kalten Erdstrichs sind sanft und milde; in ihren Ergötzungen und Trauergebräuchen, in Kleidungen und Häusern, in der Religion und einiger Liebe zur Wissenschaft ahmen sie wenigstens den Sinesen nach, von denen auch ihre Regierung eingerichtet und einige Manufaktur in Gang gebracht worden. In einem noch weitern Umfange haben sie auf die Mongolen gewirkt. Nicht nur, daß die Mandschu, die Sina bezwangen, durch ihren Umgang gesitteter worden sind, daher auch ihre Hauptstadt Schin-yang zu einem Tribunal wie Peking eingerichtet werden mögen; auch die zahlreichen mongolischen Horden, die dem größesten Teil nach unter der Herrschaft von Sina stehen, sind ohngeachtet ihrer roheren Sitten nicht ganz ohne sinesischen Einfluß geblichen. Ja, wenn bloß der friedliche Schutz dieses Reichs, unter welchen sich auch in der neuesten Zeit die Torguts, 300000 Menschen stark, begaben, eine Wohltat der Menschheit ist, so hat Sina auf diese weiten Erdstriche billiger als je ein Eroberer gewirkt. Mehrmals hat es die Unruhen in Tibet gestillt und in ältern Zeiten bis ans Kaspische Meer seine Hand gebreitet. Die reichen Gräber, die in verschiedenen Strichen der Mongolei und Tatarei gefunden worden, tragen an dem, was sie enthielten, offenbare Denkmale des Verkehrs mit Sina, und wenn einst in diesen Gegenden kultiviertere Nationen gewohnt haben, so waren sie es wahrscheinlich nicht ohne näheren Umgang mit diesem Volke.

Die Insel indes, an welcher sich die Sinesen den größten Nebenbuhler ihres Fleißes erzogen haben, ist Japan. Die Japaner waren einst Barbaren und ihrem gewalttätigen, kühnen Charakter nach gewiß harte und strenge Barbaren; durch die Nachbarschaft und den Umgang mit jenem Volk, von dem sie Schrift und Wissenschaften, Manufakturen und Künste lernten, haben sie sich zu einem Staat gebildet, der in manchen Stücken mit Sina wetteifert oder es gar übertrifft. Zwar ist, dem Charakter dieser Nation nach, sowohl die Regierung als die Religion härter und grausamer, auch ist an einen Fortgang zu feinem Wissenschaften, wie sie Europa treibt, in Japan sowenig als in Sina zu denken; wenn aber Kenntnis und Gebrauch des Landes, wenn Fleiß im Ackerbau und in nützlichen Künsten, wenn Handel und Schiffahrt, ja selbst die rohe Pracht und despotische Ordnung ihrer Reichsverfassung unleugbar Stufen der Kultur sind, so hat das stolze Japan diese nur durch die Sinesen erstiegen. Die Annalen dieser Nation nennen noch die Zeit, da die Japaner als Barbaren nach Sina kamen; und so eigentümlich sich die rauhe Insel gebildet und von Sina weggebildet hat, so ist doch in allen Hülfsmitteln ihrer Kultur, ja in der Bearbeitung ihrer Künste selbst der sinesische Ursprung kenntlich.

Ob nun dieses Volk auch weitergedrungen und zur Kultur eines der zwei gesitteten Reiche Amerikas, die beide an dem ihm zugekehrten westlichen Ufer lagen, Einfluß gehabt habe, wird schwerlich entschieden werden. Wäre von dieser Weltseite ein kultiviertes Volk nach Amerika gelangt, so könnte es kaum ein anderes gewesen sein als die Sinesen oder die Japaner. Überhaupt ist's schade, daß die sinesische Geschichte, der Verfassung ihres Landes nach, so sinesisch hat bearbeitet werden müssen. Alle Erfindungen schreibt sie ihren Königen zu; sie vergißt die Welt über ihrem Lande, und als eine Geschichte des Reichs ist sie leider so wenig eine unterrichtende Menschengeschichte.

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