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Johann Gottfried
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IGriechenlands Lage und BevölkerungDas dreifache Griechenland, von dem wir reden, ist ein meerumgebenes Busen- und Küstenland oder gar ein Sund von Inseln. Es liegt in einer Weltgegend, in der es aus mehreren Erdstrichen nicht nur Bewohner, sondern auch gar bald Keime der Kultur empfangen konnte; seine Lage also und der Charakter des Volks, der sich durch frühe Unternehmungen und Revolutionen, dieser Gegend gemäß bildete, brachte gar bald eine innere Zirkulation der Ideen und eine äußere Wirksamkeit zuwege, die den Nationen des großen festen Weltteils von der Natur versagt war. Endlich die Zeit, in welche die Kultur Griechenlandes traf, die Stufe der Bildung, auf der damals nicht nur die umherwohnenden Völker standen, sondern der gesamte Menschengeist lebte: alles dies trug dazu bei die Griechen zu dem Volk zu machen, das sie einst waren, jetzt nicht mehr sind und nie mehr sein werden. Lasst uns dies schöne Problem der Geschichte näher betrachten; die Data desselben, insonderheit durch den Fleiß deutscher Gelehrten bearbeitet, liegen beinahe bis zur Auflösung vor uns. Ein eingeschränktes Volk, das fern von der Seeküste und dem Umgange anderer Nationen zwischen Bergen wohnt, ein Volk, das seine Aufklärung nur von einem Ort her erhielt und, je früher es diese annahm, dieselbe durch eherne Gesetze um so fester machte, eine solche Nation mag viele Eigenheit an Charakter erhalten und sich lange darin bewahren; es fehlt aber viel, daß dieser beschränkte Idiotismus ihr jene nützliche Vielseitigkeit gebe, die nur durch tätige Konkurrenz mit andern Nationen erlangt werden konnte. Beispiele davon sind nebst Ägypten alle asiatischen Länder. Hätte die Kraft, die unsere Erde baute, ihren Bergen und Meeren eine andere Gestalt, und das große Schicksal, das die Grenzen der Völker setzte, ihnen einen anderen Ursprung als von den asiatischen Gebirgen gegeben; hätte das östliche Asien früheren Seehandel und ein Mittelländisches Meer bekommen, das es jetzt, seiner Lage nach, nicht hat: der ganze Gang der Kultur wäre verändert. Jetzt ging dieser nach Westen hinab, weil er sich ostwärts weder ausbreiten noch wenden konnte. Betrachten wir die Geschichte der Inseln und Sundländer, wie und wo sie auch in der Welt liegen, so finden wir, daß, je glücklicher ihre Bepflanzung, je leichter und vielfacher der Kreislauf von Tätigkeit war, der auf ihnen in Gang gesetzt werden konnte, endlich in je eine vorteilhaftere Zeit oder Weltlage die Rolle ihrer Wirksamkeit fiel, desto mehr haben sich solche Inseln- oder Küstenbewohner vor den Geschöpfen des ebnen Landes ausgezeichnet. Trotz aller angebornen Gaben und erworbnen Geschicklichkeiten blieb auf diesem der Hirt ein Hirt, der Jäger ein Jäger; selbst der Ackermann und Künstler waren wie Pflanzen an einen engen Boden befestigt. Man vergleiche England mit Deutschland: die Engländer sind Deutsche, ja bis auf die spätesten Zeiten haben Deutsche den Engländern in den größesten Dingen vorgearbeitet. Weil aber jenes Land als eine Insel von frühen Zeiten in manche größere Tätigkeit eines Allgemeingeistes kam, so konnte dieser Geist auf ihr sich besser ausarbeiten und ungestörter zu einer Konsistenz gelangen, die dem bedrängten Mittellande versagt war. Bei den Inseln der Dänen, bei den Küsten Italiens, Spaniens, Frankreichs, nicht minder der Niederlande und Norddeutschlands werden wir ein gleiches Verhältnis gewahr, wenn wir sie mit den innern Gegenden des europäischen Slawen- und Scythenlandes, mit Rußland, Polen, Ungarn, vergleichen. In allen Meeren haben die Reisenden gefunden, daß sich auf Inseln, Halbinseln oder Küsten von glücklicher Lage eine Bestrebsamkeit und freiere Kultur erzeugt hatte, die sich unter dem Druck einförmiger, alter Gesetze des testen Landes nicht erzeugen konnte. [209] Man lese die Beschreibungen der Sozietäts- und Freundschaftsinseln; trotz ihrer Entfernung von der ganzen bewohnten Welt haben sie sich bis auf Putz und Üppigkeit zu einer Art von Griechenland gebildet. Selbst in manchen einzelnen Inseln des öffnen Meers trafen die ersten Reisenden eine Milde und Gefälligkeit an, die man bei den Nationen des innern Landes vergebens suchte. Allenthalben sehen wir also das große Gesetz der Menschennatur, daß, wo sich Tätigkeit und Ruhe, Geselligkeit und Entfernung, freiwillige Betriebsamkeit und Genuß derselben auf eine schöne Weise gatten, auch ein Kreislauf befördert werde, der dem Geschlecht selbst sowohl als allen ihm nahenden Geschlechten hold ist. Nichts ist der menschlichen Gesundheit schädlicher als Stockung ihrer Säfte; in den despotischen Staaten von alter Einrichtung ist diese Stockung unvermeidlich; daher sie meistens auch, falls sie nicht schnell aufgerieben werden, bei lebendem Leibe ihres langsamen Todes sterben. Wo hingegen durch die Natur des Landes die Staaten sich klein und die Einwohner in der gesunden Regsamkeit erhalten, die ihnen z.B. das geteilte See- und Landleben vorzüglich gibt, da dürfen nur günstige Umstände hinzukommen, und sie werden ein gebildetes, berühmtes Volk werden. So war, anderer Gegenden zu geschweigen, unter den Griechen selbst die Insel Kreta das erste Land, das eine Gesetzgebung zum Muster aller Republiken des festen Landes hervorbrachte; ja die meisten und berühmtesten von diesen waren Küstenländer. Nicht ohne Ursache haben daher die Alten ihre glücklichen Wohnungen auf Inseln gesetzt, wahrscheinlich weil sie auf ihnen die meisten freien, glücklichen Völker fanden. Wenden wir dies alles auf Griechenland an, wie natürlich mußte sich sein Volk von den Einwohnern des höheren Gebirges unterscheiden! Durch eine kleine Meerenge war Thracien von Kleinasien getrennt und dies nationenreiche, fruchtbare Land längst seiner westlichen Küste durch einen inselvollen Sund mit Griechenland verbunden. Der Hellespont, könnte man sagen, war nur dazu durchbrochen und das Ägäische Meer mit seinen Inseln zwischengeworfen, damit der Übergang eine leichte Mühe und in dem busenreichen Griechenlande eine beständige Wanderung und Zirkulation würde. Von den ältesten Zeiten an finden wir daher die zahlreichen Völker dieser Küsten auf der See wandernd: Kretenser, Lydier, Pelasger, Thracier, Rhodier, Phrygier, Zyprier, Milesier, Karier, Lesbier, Phokäer, Samier, Spartaner, Naxier, Ereträer und Ägineten folgten schon vor Xerxes' Zeilen einander in der Herrschaft des Meeres [210]; und lange vor diesen Seemächten fanden sich auf demselben Seeräuber, Kolonien, Abenteurer, so daß es beinah kein griechisches Volk gibt, das nicht, oft mehr als einmal, gewandert habe. Von allen Zeiten an ist hier alles in Bewegung, von den Küsten Kleinasiens bis nach Italien, Sizilien, Frankreich; kein europäisches Volk hat einen weitern, schönern Weltstrich als diese Griechen bepflanzt. Nichts anders will man auch, wenn man das schöne Klima der Griechen nennt, sagen. Käme es dabei bloß auf träge Wohnplätze der Fruchtbarkeit in wasserreichen Tälern oder auf Auen überschwemmender Ströme an: wie manches schönere Klima würde sich in den andern drei Weltteilen finden, das doch nie Griechen hervorgebracht hat! [211] Eine Reihe von Küsten aber, die im Lauf der Kultur für die Betriebsamkeit kleiner Staaten unter einer so günstigen Aura lägen wie diese ionischen, griechischen und großgriechischen Küsten, findet man sonst nirgend auf der Erde. Wir dürfen daher auch nicht lange fragen, woher dem Lande der Griechen seine ersten Bewohner kamen. Pelasger heißen sie, Ankömmlinge, die sich auch in dieser Entfernung noch als Brüder der Völker jenseit des Meers, d. i. Kleinasiens, erkannten. Es wäre eine grundlose Mühe, alle die Züge herzuzählen, wie über Thrazien oder über den Hellespont und Sund west- und südwärts die Völker dahingesteurt und sich, beschützt von den nordischen Gebirgen, allmählich über Griechenland verbreitet haben. Ein Stamm folgte dem andern, ein Stamm verdrängte den andern; Hellenen brachten den alten Pelasgern neue Kultur, so wie sich mit der Zeit griechische Kolonien wieder an die asiatischen Ufer verpflanzten. Günstig gnug für die Griechen, daß sie eine so schöne Halbinsel des großen festen Landes sich nahe zur Seite hatten, auf welcher die meisten Völker nicht nur eines Stammes, sondern auch von früher Kultur waren. [212] Dadurch bekam nicht nur ihre Sprache jene Originalität und Einheit, die sie als ein Gemisch vieler Zungen nie würde erhalten haben; auch die Nation selbst nahm an dem sittlichen Zustande ihrer benachbarten Stammvölker teil und kam bald mit denselben in mannigfaltige Verhältnisse des Krieges und des Friedens. Kleinasien also ist die Mutter Griechenlandes, sowohl in seiner Anpflanzung als den Hauptzügen seiner frühesten Bildung; dagegen es auf die Küsten seines Mutterlandes wiederum Kolonien sandte und in ihnen eine zweite, schönere Kultur erlebte. Leider aber, daß uns auch von der asiatischen Halbinsel aus der frühesten Zeit so wenig bekannt ist! Das Reich der Trojer kennen wir nur aus Homer, und so hoch er als Dichter seine Landesleute über jene erhebt, so ist doch selbst bei ihm der blühende Zustand des trojanischen Reichs auch in Künsten und sogar in der Pracht unverkennbar. Desgleichen sind die Phrygier ein altes frühegebildetes Volk, dessen Religion und Sagen auf die älteste Mythologie der Griechen unstreitig gewirkt haben. So späterhin die Karier, die sich selbst Brüder der Mysier und Lydier nannten und mit den Pelasgern und Lelegern eines Stammes waren: sie legten sich frühe auf die Schiffahrt, welche damals Seeräuberei war, da die gesittetem Lydier sogar die Erfindung des geprägten Geldes als eines Mittels der Handlung mit den Phöniziern teilen. Keinem von diesen Völkern also, sowenig als den Mysiern und Thraciern, hat es an früher Kultur gefehlt, und bei einer guten Verpflanzung konnten sie Griechen werden. Der erste Sitz der griechischen Musen war gegen Thrazien zu, nordöstlich. Aus Thrazien kam Orpheus, der den verwilderten Pelasgern zuerst ein menschliches Leben gab und Jene Religionsgebräuche einführte, die so weit umher und so lange galten. Die ersten Berge der Musen waren Thessaliens Berge, der Olympus, Helikon, Parnassus, Pindus: hier (sagt der feinste Forscher der griechischen Geschichte [213], hier war der älteste Sitz ihrer Religion, Weltweisheit, Musik und Dichtkunst. Hier lebten die ersten griechischen Barden; hier bildeten sich die ersten gesitteten Gesellschaften; die Lyra und Kithara wurde hier erfunden, und allem, was nachher der Geist der Griechen ausschuf, die erste Gestalt angebildet. In Thessalien und Böotien, die in spätem Zeiten durch Geistesarbeiten sich so wenig hervorgetan haben, ist kein Quell, kein Fluß, kein Hügel, kein Hain, der nicht durch Dichtungen bekannt und in ihnen verewigt wäre. Hier floß der Peneus, hier war das angenehme Tempe, hier wandelte Apoll als Schäfer, und die Riesen türmten ihre Berge. Am Fuß des Helikons lernte noch Hesiodus seine Sagen aus dem Munde der Musen; kurz, hier hat sich zuerst die griechische Kultur einheimisch gebildet, so wie auch von hier aus durch die Stämme der Hellenen die reinere griechische Sprache in ihren Hauptdialekten ausging. Notwendig aber entstand mit der Folge der Zeiten auf so verschiednen Küsten und Inseln, bei so manchen Wanderungen und Abenteuern eine Reihe anderer Sagen, die sich ebenfalls durch Dichter im Gebiet der griechischen Muse festsetzten. Beinah jedes kleine Gebiet, jeder berühmte Stamm trug seine Vorfahren oder Nationalgottheiten in dasselbe, und diese Verschiedenheit, die ein undurchschaulicher Wald wäre, wenn wir die griechische Mythologie als eine Dogmatik behandeln müßten, eben sie brachte aus dem Leben und Weben der Stämme auch Leben ins Gebiet der Nationaldenkart. Nur aus so vielartigen Wurzeln und Keimen konnte jener schöne Garten aufblühn, der selbst in der Gesetzgebung mit der Zeit die mannigfaltigsten Früchte brachte. Im vielgeteilten Lande schützte diesen Stamm sein Tal, jenen seine Küste und Insel, und so erwuchs aus der langen jugendlichen Regsamkeit zerstreuter Stämme und Königreiche die große freie Denkart der griechischen Muse. Von keinem Allgemeinherrscher war ihnen Kultur aufgezwungen worden; durch den Klang der Leier bei heiligen Gebräuchen, Spielen und Tänzen, durch selbsterfundene Wissenschaften und Künste, am meisten endlich durch den vielfachen Umgang untereinander und mit andern Völkern nahmen sie freiwillig, jetzt dieser, jetzt jener Strich, Sittlichkeit und Gesetze an: auch im Gange zur Kultur also ein griechisches Freivolk. Daß hiezu, wie in Theben, auch phönizische und, wie in Attika, ägyptische Kolonien beigetragen haben, ist außer Zweifel, obgleich durch diese Völker glücklicherweise weder der Hauptstamm der griechischen Nation noch ihre Denkart und Sprache gebildet wurde. Ein ägyptisch-kananitisches Volk sollten die Griechen, dank ihrer Abstammung, Lebensart und einländischen Muse, nicht werden. |
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Wolfgang
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