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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Siebzehntes Buch

Siebzehntes Buch

Siebenzig Jahre vor dem Untergange des jüdischen Staats wurde in ihm ein Mann geboren, der sowohl in dem Gedankenreich der Menschen als in ihren Sitten und Verfassungen eine unerwartete Revolution bewirkt hat: Jesus. Arm geboren, ob er wohl vom alten Königshause seines Volks abstammte, und im rohesten Teil seines Landes, fern von der gelehrten Weisheit seiner äußerst verfallenen Nation erzogen, lebte er die größeste Zeit seines kurzen Lebens unbemerkt, bis er, durch eine himmlische Erscheinung am Jordan eingeweiht, zwölf Menschen seines Standes als Schüler zu sich zog, mit ihnen einen Teil Judäas durchreiste und sie bald darauf selbst als Boten eines herannahenden neuen Reichs umhersandte. Das Reich, das er ankündigte, nannte er das Reich Gottes, ein himmlisches Reich, zu welchem nur auserwählte Menschen gelangen könnten, zu welchem er also auch nicht mit Auflegung äußerlicher Pflichten und Gebräuche, desto mehr aber mit einer Aufforderung zu reinen Geistes- und Gemütstugenden einlud. Die echteste Humanität ist in den wenigen Reden enthalten, die wir von ihm haben; Humanität ist's, was er im Leben bewies und durch seinen Tod bekräftigte; wie er sich denn selbst mit einem Lieblingsnamen den Menschensohn nannte. Daß er in seiner Nation, insonderheit unter den Armen und Gedrückten, viele Anhänger fand, aber auch von denen, die das Volk scheinheilig drückten, bald aus dem Wege geräumt wurde, so daß wir die Zelt, in welcher er sich öffentlich zeigte, kaum bestimmt angeben können; beides war die natürliche Folge der Situation, in welcher er lebte.

Was war nun dies Reich der Himmel, dessen Ankunft Jesus verkündigte, zu wünschen empfahl und selbst zu bewirken strebte? Daß es keine weltliche Hoheit gewesen, zeigt jede seiner Reden und Taten, bis zu dem letzten klaren Bekenntnis, das er vor seinem Richter ablegte. Als ein geistiger Erretter seines Geschlechts wollte er Menschen Gottes bilden, die, unter welchen Gesetzen es auch wäre, aus reinen Grundsätzen anderer Wohl beförderten und, selbst duldend, im Reich der Wahrheit und Güte als Könige herrschten. Daß eine Absicht dieser Art der einzige Zweck der Vorsehung mit unserm Geschlecht sein könne, zu welchem auch, je reiner sie denken und streben, alle Weisen und Guten der Erde mitwirken müssen und mitwirken werden: dieses ist durch sich selbst klar; denn was hätte der Mensch für ein anderes Ideal seiner Vollkommenheit und Glückseligkeit auf Erden, wenn es nicht diese allgemein wirkende reine Humanität wäre?

Verehrend beuge ich mich vor deiner edlen Gestalt, du Haupt und Stifter eines Reichs von so großen Zwecken, von so daurendem Umfange, von so einfachen, lebendigen Grundsätzen, von so wirksamen Triebfedern, daß ihm die Sphäre dieses Erdelebens selbst zu enge schien. Nirgend finde ich in der Geschichte eine Revolution, die in kurzer Zeit so stille veranlaßt, durch schwache Werkzeuge auf eine so sonderbare Art, zu einer noch unabsehlichen Wirkung allenthalben auf der Erde angepflanzt und in Gutem und Bösem bebaut worden ist, als die sich unter dem Namen nicht deiner Religion, d.i.: deines lebendigen Entwurfs zum Wohl der Menschen, sondern größtenteils einer Religion an dich, d. i. einer gedankenlosen Anbetung deiner Person und deines Kreuzes, den Völkern mitgeteilt hat. Dein heller Geist sähe dies selbst voraus, und es wäre Entweihung deines Namens, wenn man ihn bei jedem trüben Abfluß deiner reinen Quelle zu nennen wagte. Wir wollen ihn, soweit es sein kann, nicht nennen; vor der ganzen Geschichte, die von dir abstammt, stehe deine stille Gestalt allein.

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