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Johann Gottfried
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IIFortpflanzung des Christentums in den MorgenländernIn Judäa wuchs das Christentum unter dem Druck hervor und hat in ihm, solange der jüdische Staat währte, seine gedrückte Gestalt behalten. Die Nazaräer und Ebioniten, wahrscheinlich die Reste des ersten christlichen Anhanges, waren ein dürftiger Haufe, der längst ausgegangen ist und jetzt nur noch seiner Meinung wegen, daß Christus ein bloßer Mensch, der Sohn Josephs und der Maria gewesen, unter den Ketzern steht. Zu wünschen wäre es, daß ihr Evangelium nicht auch untergegangen wäre; in ihm hätten wir vielleicht die früheste, obwohl eine unreine Sammlung der nächsten Landestraditionen vom Leben Christi. Ebenso wären jene alten Bücher, die die Sabäer oder Johanneschristen besaßen, vielleicht nicht unmerkwürdig; denn ob wir gleich von dieser aus Juden und Christen gemischten fabelnden Sekte nichts weniger als eine reine Aufklärung uralter Zeiten erwarten dörfen, so ist doch bei Sachen dieser Art oft auch die Fabel erläuternd. [258] Wodurch die Kirche zu Jerusalem auf andere Gemeinen am meisten wirkte, war das Ansehen der Apostel; denn da Jakobus, der Bruder Jesu, ein vernünftiger und würdiger Mann, ihr eine Reihe von Jahren vorstand, so ist wohl kein Zweifel, daß ihre Form auch andern Gemeinen ein Vorbild worden. Also ein jüdisches Vorbild, und weil beinah jede Stadt und jedes Land der ältesten Christenheit von einem Apostel bekehrt sein wollte, so entstanden allenthalben Nachbilder der Kirche zu Jerusalem, apostolische Gemeinen. Der Bischof, der von einem Apostel mit dem Geist gesalbt war, trat an seine Stelle, mithin auch in sein Ansehen; die Geisteskräfte, die er empfangen hatte, teilte er mit und wurde gar bald eine Art Hohepriester, eine Mittelperson zwischen Gott und Menschen. Wie das erste Konzilium zu Jerusalem im Namen des Heiligen Geistes gesprochen hatte, so sprachen andere Konzilien ihm nach, und in mehreren asiatischen Provinzen erschrickt man über die früh erworbene geistliche Macht der Bischöfe. Das Ansehen der Apostel also, das auf die Bischöfe leibhaft überging, machte die älteste Einrichtung der Kirche aristokratisch, und in dieser Verfassung lag schon der Keim zur künftigen Hierarchie und zum Papsttum. Was man von der reinen Jungfräulichkeit der Kirche in den drei ersten Jahrhunderten sagt, ist übertrieben oder erdichtet. Man kennt in den ersten Zeiten des Christentums eine sogenannte morgenländische Philosophie, die sich weit umher gebreitet hat, näher betrachtet aber nichts als ein Aufschößling der eklektischen, neuplatonischen Weisheit ist, wie ihn diese Gegenden und Zeiten hervorbringen konnten. Er schlang sich dem Juden- und Christentum an, ist aber aus ihm nicht entsprossen, hat ihm auch keine Früchte getragen. Vom Anfange des Christentums belegte man die Gnostiker mit dem Ketzernamen, weil man keine Vernünftler unter sich dulden wollte, und. mehrere derselben wären unbekannt geblieben, wenn sie nicht auf der Ketzerrolle ständen. Es wäre zu wünschen, daß dadurch auch ihre Schriften erhalten wären, die uns über den Kanon des Neuen Testaments nicht unwillkommen sein dürften; jetzt sieht man bei den aufbehaltenen einzelnen Meinungen dieser zahlreichen Sekte nur einen rohen Versuch, morgenländisch-platonische Dichtungen über die Natur Gottes und die Schöpfung der Welt dem Juden- und Christentum anzufügen und eine metaphysische Theologie meistens in allegorischen Namen samt einer Theodizee und philosophischen Moral daraus zu bilden. Da die Geschichte der Menschheit keine Ketzernamen kennt, so ist jeder dieser verunglückten Versuche ihr schätzbar und merkwürdig, ob es gleich für die Geschichte des Christentums gut ist, daß Träume dieser Art nie das herrschende System der Kirche wurden. Nach so vieler Mühe, die man sich kirchlich über diese Sekten gegeben, wäre eine rein philosophische Untersuchung, woher sie ihre Ideen genommen, was sie mit solchen gemeint und welche Früchte diese gebracht haben, für die Geschichte des menschlichen Verstandes nicht unnützlich. [259] Weiter hinauf ist die Lehre des Manes gedrungen, der keinen kleinern Zweck hatte, als ein vollkommenes Christentum zu stiften. Er scheiterte, und seine ausgebreiteten Anhänger wurden zu allen Zeiten, an allen Orten dergestalt verfolgt, daß der Name Manichäer, insonderheit seitdem Augustinus die Feder gegen sie geführt hatte, fortan der schrecklichste Name eines Ketzers blieb. Wir schaudern jetzt vor diesem kirchlichen Verfolgungsgeist und bemerken, daß mehrere dieser schwärmenden Häresiarchen unternehmende denkende Köpfe waren, die den kühnen Versuch machten, nicht nur Religion, Metaphysik, Sitten- und Naturlehre zu vereinigen, sondern sie auch zum Zweck einer wirklichen Gesellschaft, eines philosophisch-politischen Religionsordens, zu verbinden. Einige derselben liebten die Wissenschaft und sind zu beklagen, daß sie nach ihrer Lage keine genauere Kenntnisse haben konnten; die katholische Partei indes wäre selbst zum stehenden Pfuhl geworden, wenn diese wilden Winde sie nicht in Regung gesetzt und wenigstens zur Verteidigung ihrer buchstäblichen Tradition gezwungen hätten. Die Zeit einer reinen Vernunft und einer politischen Sittenverbesserung aus derselben war noch nicht da, und für Manes' Kirchengemeinschaft war weder in Persien noch Armenien, auch späterhin weder unter den Bulgarn noch Albigensern eine Stelle. Bis nach Indien, Tibet und Sina drangen die christlichen Sekten, obwohl für uns noch auf dunkeln Wegen [260]; der Stoß indessen, der in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung auf die entferntesten Gegenden Asiens geschah, ist in ihrer Geschichte selbst merklich. Die Lehre des Buddha oder Fo, die aus Baktra hinuntergestiegen sein soll, bekam in diesen Zeiten ein neues Leben. Sie drang bis nach Ceylon hinab, bis nach Tibet und Sina hinauf; indische Bücher dieser Art wurden ins Sinesische übersetzt, und die große Sekte der Bonzen kam zustande. Ohne dem Christentum alle Greuel der Bonzen oder das ganze Klostersystem der Lamas und Talepoinen zuzuschreiben, scheint es der Tropfe gewesen zu sein, der von Ägypten bis Sina alle altern Träume der Völker neu in Gärung brachte und sie mehr oder weniger in Formen schied. In manche Fabel von Buddha, Krischnu u. f. scheinen christliche Begriffe gekommen zu sein, auf indische Art verkleidet; und der große Lama auf den Gebirgen, der vielleicht erst im fünfzehnten Jahrhundert entstanden, ist mit seiner persönlichen Heiligkeit, mit seinen harten Lehren, mit seinen Glocken und Priesterorden vielleicht ein weitläuftiger Vetter des Lama an der Tiber, nur daß bei jenem der Manichäismus und Nestorianismus auf asiatische, so wie bei diesem die rechtgläubige Christenreligion auf römische Ideen und Gebräuche gepfropft ist. Schwerlich aber werden sich die beiden Vettern anerkennen, sowenig sie einander besuchen werden. Heller wird der Blick auf die gelehrteren Nestorianer, die insonderheit vom fünften Jahrhundert an sich tief in Asien verbreitet und mancherlei Gutes bewirkt haben. [261] Fast vom Anfange der christlichen Zeitrechnung blühte die Schule zu Edessa als ein Sitz der syrischen Gelehrsamkeit. König Abgarus, den man mit Christo selbst in einen Briefwechsel gebracht hat, ließ, als er seine Residenz von Nesibis dahin verlegte, die Büchersammlungen, die in den Tempeln lagen, nach Edessa bringen; nach Edessa reiste in dieser Zeit, wer gelehrt werden wollte, aus allen Ländern umher, weil außer der christlichen Theologie auch über die freien Künste in griechisch- und syrischer Sprache Unterricht gegeben wurde, so daß Edessa vielleicht die erste christliche Universität in der Welt ist. Vierhundert Jahre blühte sie, bis durch die Streitigkeiten über Nestorius' Lehre, zu welcher sich diese Schule schlug, ihre Lehrer vertrieben und die Hörsäle derselben gar niedergerissen wurden. Dadurch aber breitete sich die syrische Literatur nicht nur in Mesopotamien, Palästina, Syrien und Phönizien umher, sie ging auch nach Persien, wo sie mit Ehren aufgenommen wurde und wo endlich gar ein nestorianischer Papst entstand, der über die Christenheit in diesem Reich, späterhin auch über die in Arabien, Indien, der Mungalei und Sina herrschte. Ob er der berühmte Priester Johannes (Pres-Tadschani, der Priester der Welt) sei, von dem in den mittlern Zeiten viel gefabelt worden, und ob durch eine seltsame Vermischung der Lehren endlich der große Lama aus ihm entstanden, lassen wir unentschieden.262 Gnug, in Persien wurden die beliebten Nestorianer von den Königen als Leibärzte, Gesandten und Minister gebraucht; die Schriften des Christentums wurden ins Persische übersetzt, und die syrische wurde die gelehrte Sprache des Landes. Als Mahomeds Reich emporkam, insonderheit unter seinen Nachfolgern, den Ommiaden, bekleideten Nestorianer die höchsten Ehrenstellen, wurden Statthalter der eroberten Provinzen, und seit die Kalifen zu Bagdad saßen, auch da sie ihre Residenz nach Samaraja verlegen mußten, war der Patriarch der Nestorianer ihnen zur Seite. Unter Al-Mamon, der seine Nation gelehrt kultivierte und auf der Akademie zu Bagdad Ärzte und Astronomen, Philosophen, Physiker, Mathematiker, Geographen und Annalisten bestellte, waren die Syrer der Araber Mitlehrer und Lehrer. Wetteifernd übersetzten beide die Schriften der Griechen, deren viele schon in der syrischen Sprache waren, ins Arabische; und wenn nachher aus dem Arabischen das Licht der Wissenschaften dem dunkeln Europa aufging, so haben an ihrem Ort die christlichen Syrer dazu ursprünglich mitgeholfen. Ihre Sprache, die unter den morgenländischen Dialekten dieses Weltstrichs zuerst Vokalen bekommen hatte, die sich auch der ältesten und schönsten Übersetzung des Neuen Testaments rühmen kann, ist gleichsam die Brücke der griechischen Wissenschaften für Asien und durch die Araber für Europa worden. Weit und breit gingen damals unter so günstigen Umständen nestorianische Missionen aus, die andere christliche Sekten zu unterdrücken oder zu entfernen wußten. Auch noch unter den Dschengiskaniden galten sie viel: ihr Patriarch begleitete den Khan oft auf seinen Zügen, und so drang ihre Lehre unter die Mogolen, lgurier und andere tatarische Völker. In Samarkand saß ein Metropolit, in Kaschgar und andern Städten Bischöfe; ja, wenn das berühmte christliche Monument in Sina echt wäre, so fände man auf ihm eine ganze Chronik der Einwanderungen der Priester aus Tatsin. Nimmt man noch hinzu, daß ohne vorhergehendes und einwirkendes Christentum die ganze mahomedanische Religion, wie sie ist, nicht entstanden wäre, so zeigt sich in ihm ohn allen Streit ein Ferment, das mehr oder minder, früher oder später, die Denkart des ganzen Süd-, zum Teil auch Nordasien in Bewegung gesetzt hat. Niemand indessen erwarte aus dieser Bewegung eine neue eigne Blüte des Menschengeistes, wie wir sie etwa bei Griechen und Römern fanden. Die Nestorianer, die soviel bewirkten, waren kein Volk, kein selbstgewachsner Stamm in einer mütterlichen Erde; sie waren Christen, sie waren Mönche. Ihre Sprache konnten sie lehren; was aber in ihr schreiben? Liturgien, Auslegungen der Schrift, klösterliche Erbauungsbücher, Predigten, Streitschriften, Chroniken und geistlose Verse. Daher in der syrisch-christlichen Literatur kein Funke jener Dichtergabe, die aus der Seele flammt und Herzen erwärmt; eine elende Künstelei, Namenregister, Predigten, Chroniken zu versifizieren ist ihre Dichtkunst. In keine der Wissenschaften, die sie bearbeitet, haben sie Erfindungsgeist gebracht, keine derselben mit Eigentümlichkeit behandelt. Ein trauriger Erweis, wie wenig der asketisch- polemische Mönchsgeist bei aller politischen Klugheit leiste. In allen Weltteilen hat er sich in dieser unfruchtbaren Gestalt gezeigt und herrscht noch auf den tibetanischen Bergen, wo man bei aller gesetzlichen Pfaffenordnung auch keine Spur eines freien, erfindenden Genius antrifft. Was aus dem Kloster kommt, gehört auch meistens nur für Klöster. Bei einzelnen Provinzen des christlichen Asiens darf die Geschichte also nur kurz verweilen. Nach Armenien kam das Christentum frühe und hat der alten merkwürdigen Sprache eigne Buchstaben, mit diesen auch eine doppelte und dreifache Übersetzung der Schrift und eine armenische Geschichte gegeben. Weder aber Misrob mit seinen Buchstaben noch sein Schüler Moses aus Chorene [263] mit seiner Geschichte konnten ihrem Volk eine Literatur oder Nationalverfassung geben. Von jeher lag Armenien an der Wegscheide der Völker; wie es ehemals unter Persern, Griechen, Römern gewesen war, kam es jetzt unter Araber, Türken, Tätern, Kurden. Noch jetzt treiben die Einwohner ihre alte Kunst, den Handel; ein wissenschaftliches oder Staatsgebäude hat, mit und ohne Christentum, in dieser Gegend nie errichtet werden mögen. Noch elender ist's mit den christlichen Georgien. Kirchen und Klöster, Patriarchen, Bischöfe und Mönche sind da; die Weiber sind schön, die Männer herzhaft; und doch verkaufen Eltern die Kinder, der Mann sein Weib, der Fürst seine Untertanen, der Andächtige allenfalls seinen Priester. Ein seltenes Christentum unter diesem muntern und treulosen Raubgesindel. Auch ins Arabische ist das Evangelium frühe übersetzt worden, und mehrere christliche Sekten haben sich Mühe um dies schöne Land gegeben. Juden und Christen lagen darin oft verfolgend gegeneinander; aus beiden Teilen, ob sie gleich zuweilen selbst Könige hervorbrachten, ist nie etwas Merkwürdiges worden. Alles sank unter Mahomed; und jetzt gibt's in Arabien zwar ganze Judenstämme, aber keine Christengemeinen. Drei Religionen, Abkömmlinge voneinander, bewachen mit gegenseitigem Haß untereinander das Heiligtum ihrer Geburtsstätte, die arabische Wüste. [264] Wollen wir nun mit einem allgemeinen Blick ein Resultat der Wirkungen erfassen, die das Christentum seinen asiatischen Provinzen gebracht hat, so werden wir uns zuvörderst über den Gesichtspunkt des Vorteils vergleichen müssen, den irgendeine und diese Religion einem Weltteil bringen konnte. 1. Auf ein irdisches Himmelreich, d. i. auf eine vollkommnere Einrichtung der Dinge zum Besten der Völker, mag das Christentum im stillen gewirkt haben; die Blüte der Wirkung aber, ein vollkommener Staat, ist durch dasselbe nirgend zum Vorschein gekommen, weder in Asien noch in Europa. Syrer und Araber, Armenier und Perser, Juden und Grusiner sind, was sie waren, geblieben, und keine Staatsverfassung jener Gegenden kann sich eine Tochter des Christentums zu sein rühmen; es sei denn, daß man Einsiedelei und Mönchsdienst oder die Hierarchie jeder Art mit ihren rastlosen Wirkungen für das Ideal eines Christenstaats nehmen wollte. Patriarchen und Bischöfe senden Missionen umher, um ihre Sekte, ihren Sprengel, ihre Gewalt auszubreiten; sie suchen die Gunst der Fürsten, um Einfluß in die Geschäfte oder um Klöster und Gemeinen zu erhalten; eine Partei strebt gegen die andere und sorgt, daß sie die herrschende werde; so jagen Juden und Christen, Nestorianer und Monophysiten einander umher, und keiner Partei darf es einfallen, auf das Beste einer Stadt oder eines Erdstrichs rein und frei zu wirken. Die Klerisei der Morgenländer, die immer etwas Mönchartiges hatte, wollte Gott dienen und nicht den Menschen. 2. Um auf Menschen zu wirken, hatte man drei Wege: Lehre, Ansehen und gottesdienstliche Gebräuche. Lehre ist allerdings das reinste und wirksamste Mittel, sobald sie von rechter Art war. Unterricht der Jungen und Alten, wenn er die wesentlichsten Beziehungen und Pflichten der Menschheit betraf, konnte nicht anders als eine Anzahl nutzbarer Kenntnisse in Gang bringen oder im Gange erhalten; der Ruhm und Vorzug, solche auch dem geringen Volk klarer gemacht zu haben, bleibt dem Christentum in vielen Gegenden ausschließend eigen. Durch Fragen, Predigten, Lieder, Glaubensbekenntnisse und Gebete wurden Kenntnisse von Gott und der Moral unter die Völker verbreitet; durch Übersetzung und Erklärung der heiligen Schriften kam Schrift und Literatur unter dieselbe, und wo die Nationen noch so kindisch waren, daß sie nur Fabeln fassen mochten, da erneuerte sich wenigstens eine heilige Fabel. Offenbar aber kam hiebei alles darauf an, ob der Mann, der lehren sollte, lehren konnte und was es war, das er lehrte. Auf beide Fragen wird die Antwort nach Personen, Völkern, Zeiten und Weltgegenden so verschieden, daß man am Ende sich nur an das halten muß, was er lehren sollte; woran sich denn auch die herrschende Kirche hielt. Sie fürchtete die Untüchtigkeit und Kühnheit vieler ihrer Lehrer, faßte sich also kurz und blieb in einem engen Kreise. Dabei lief sie nun freilich auch Gefahr, daß der Inhalt ihrer Lehre sich sehr bald erschöpfte und wiederholte, daß in wenigen Geschlechtern die ererbte Religion fast allen Glanz ihrer Neuheit verlor und der gedankenlose Lehrer auf seinem alten Bekenntnis sanft einschlief. Und so war meistens auch nur der erste Stoß christlicher Missionen recht lebendig; bald geschah es, daß jede matte Welle eine mattere trieb und alle zuletzt in die stille Oberfläche des Herkommens eines alten Christengebrauches sanft sich verloren. Durch Gebräuche suchte man nämlich das zu ersetzen, was der Seele des Gebrauchs, der Lehre, abging, und so fand sich das Cerimonienwesen ein, das endlich zu einer geistlosen Puppe geriet, die in alter Pracht, unberührbar und unbeweglich, dastand. Für Lehrer und Zuhörer war die Puppe zur Bequemlichkeit erdacht, denn beide konnten dabei etwas denken, wenn sie denken wollten; wo nicht, so ging doch, wie man sagte, das Vehikulum der Religion nicht verloren. Und da vom Anfange an die Kirche sehr auf Einheit hielt, so waren zur gedankenlosen Einheit Formeln, die die Herde am wenigsten zerstreuen mochten, allerdings das beste. Von allem diesen sind die Kirchen Asiens die vollesten Erweise; sie sind noch, was sie vor fast zwei Jahrtausenden wurden, entschlafne seelenlose Körper: selbst Ketzerei ist in ihnen ausgestorben; denn auch zu Ketzereien ist keine Kraft mehr da. Vielleicht aber kann das Ansehen der Priester ersetzen, was der entschlafnen Lehre oder der erstorbnen Bewegung abgeht? Einigermaßen, aber nie ganz. Allerdings hat das Alter einer geheiligten Person den sanften Schimmer väterlicher Erfahrung, reifer Klugheit und einer leidenschaftlosen Ruhe der Seele vor und um sich; daher so manche Reisende der Ehrerbietung gedenken, die sie vor bejahrten Patriarchen, Priestern und Bischöfen des Morgenlandes fühlten. Eine edle Einfalt in Gebärden, in der Kleidung, dem Betragen, der Lebensweise trug dazu bei, und mancher ehrwürdige Einsiedler, wenn er der Welt seine Lehre, seine Warnung, seinen Trost nicht versagte, kann mehr Gutes gestiftet haben als hundert geschwätzige Müßiggänger im Tumult der Gassen und Märkte. Indessen ist auch das edelste Ansehen eines Mannes nur Lehre, ein Beispiel, auf Erfahrung und Einsicht gegründet; treten Kurzsichtigkeit und Vorurteile an die Stelle der Wahrheit, so ist das Ansehen der ehrwürdigsten Person gefährlich und schädlich. 3. Da alles Leben der Menschen sich auf die Geschäftigkeit einer gemeinsamen Gesellschaft bezieht, so ist offenbar, daß auch im Christentum früher oder später alles absterben mußte oder absterben wird, was sich davon ausschließt. Jede tote Hand ist tot; sie wird abgelöst, sobald der lebendige Körper sein Leben und ihre unnütze Bürde fühlt. Solange in Asien die Missionen in Wirksamkeit waren, teilten sie Leben aus und empfingen Leben; als die weltliche Macht der Araber, Tätern, Türken sie davon ausschloß, verbreiteten sie sich nicht weiter. Ihre Klöster und Bischofssitze stehen als Trümmern anderer Zeiten traurig und beschränkt da; viele werden nur der Geschenke, Abgaben und Knechtsdienste wegen geduldet. 4. Da das Christentum vorzüglich durch Lehre wirkt, so kommt allerdings vieles auf die Sprache an, in welcher es gelehrt wird, und auf die in derselben bereits enthaltene Kultur, der es sich rechtgläubig anschließt. Mit einer gebildeten oder allgemeinen Sprache pflanzt es sich sodann nicht nur fort, sondern es erhält auch durch sie eine eigne Kultur und Achtung; sobald es dagegen, als ein heiliger Dialekt göttlichen Ursprunges, hinter andern lebendigem Sprachen zurückbleibt oder gar in die engen Grenzen einer abgeschlossenen, rauhen Vätermundart wie in ein wüstes Schloß verbannt wird, so muß es in diesem wüsten Schlosse mit der Zeit sein Leben als ein armer Tyrann oder als ein unwissender Gefangener kümmerlich fortziehen. Als in Asien die griechische und nachher die syrische Sprache von der siegenden arabischen verdrängt wurde, kamen auch die Kenntnisse, die in jenen lagen, außer Umlauf; nur als Liturgien, als Bekenntnisse, als eine Mönchstheologie dorften sie sich fortpflanzen. Sehr trüglich ist also die Behauptung, wenn man alles das dem Inhalt einer Religion zuschreibt, was eigentlich nur den Hülfsmitteln gehört, durch welche sie wirkte. Seht jene Thomaschristen in Indien, jene Georgier, Armenier, Abessinier und Kopten an: Was sind sie? Was sind sie durch ihr Christentum worden? Kopten und Abessinier besitzen Bibliotheken alter, ihnen selbst unverständlicher Bücher, die in den Händen der Europäer vielleicht nutzbar wären; jene brauchen sie nicht und können sie nicht brauchen. Ihr Christentum ist zum elendesten Aberglauben hinabgesunken. 5. Also muß ich auch hier der griechischen Sprache das Lob geben, das ihr in der Geschichte der Menschheit so vorzüglich gebührt; durch sie ist nämlich alle das Licht aufgegangen, mit welchem auch das Christentum unsern Weltteil beleuchtet oder überschimmert hat. Wäre durch Alexanders Eroberungen, durch die Reiche seiner Nachfolger und fernerhin durch das römische Besitztum diese Sprache nicht so weit verbreitet, so lange erhalten worden, schwerlich wäre in Asien irgendeine Aufklärung durchs Christentum entstanden; denn eben an der griechischen Sprache haben Rechtgläubige und Ketzer auf unmittelbare oder mittelbare Weise ihr Licht oder Irrlicht angezündet. Auch in die armenische, syrische und arabische Sprache kam aus ihr der Funke der Erleuchtung; und wären überhaupt die ersten Schriften des Christentums nicht griechisch, sondern im damaligen Judendialekt verfasset worden, hätte das Evangelium nicht griechisch gepredigt und fortgebreitet werden können: wahrscheinlich wäre der Strom, der sich jetzt über Nationen ergoß, nahe an seiner Quelle erstorben. Die Christen wären worden, was die Ebioniten waren und etwa die Johannesjünger oder Thomaschristen noch sind, ein armer verachteter Haufe, ohne alle Wirkung auf den Geist der Nationen. Lasst uns also, von diesen östlichen Geburtsländern hinweg, dem Schauplatz entgegengehen, auf dem es seine erste größere Rolle spielte. |
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