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Johann Gottfried
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VIAllgemeine Betrachtung über die Einrichtung der deutschen Reiche in EuropaWenn Einrichtungen der Gesellschaft das größeste Kunstwerk des menschlichen Geistes und Fleißes sind, indem sie jedesmal auf der ganzen Lage der Dinge nach Ort, Zeit und Umständen beruhen, mithin der Erfolg vieler Erfahrungen und einer steten Wachsamkeit sein müssen, so läßt sich mutmaßen, daß eine Einrichtung der Deutschen, wie sie am Schwarzen Meer oder in den nordischen Wäldern war, ganz andere Folgen haben mußte, wenn sie unter gebildete oder durch Üppigkeit und eine abergläubige Religion mißgebildete Völker rückte. Diese zu überwinden war leichter, als sie oder sich selbst in ihrer Mitte wohl zu regieren. Daher denn gar bald die gestifteten deutschen Reiche entweder untergingen oder in sich selbst dermaßen zerfielen, daß ihre lange folgende Geschichte nur das Flickwerk einer verfehlten Einrichtung blieb. 1. Jede Eroberung der deutschen Völker ging auf ein Gesamteigentum aus. Die Nation stand für einen Mann; der Erwerb gehörte derselben durch das barbarische Recht des Krieges und sollte dermaßen unter sie verteilt werden, daß alles noch ein Gemeingut bliebe; wie war dies möglich? Hirtenvölker auf ihren Steppen, Jäger in ihren Wäldern, ein Kriegsheer bei seiner Beute, Fischer bei ihrem gemeinschaftlichen Zuge können unter sich teilen und ein Ganzes bleiben; bei einer erobernden Nation, die sich in einem weiten Gebiet niederlässet, wird dieses weit schwerer. Jeder Wehrsmann auf seinem neuerworbenen Gute wurde jetzt ein Landeigentümer; er blieb dem Staate zum Heerzuge und zu andern Pflichten verbunden; in kurzer Zeit aber erstirbt sein Gemeingeist, die Versammlungen der Nation werden von ihm nicht besucht; auch des Aufgebots zum Kriege, das ihm zur Last wurde, sucht er sich gegen Übernehmung anderer Pflichten zu entladen. So war's z.B. unter den Franken: das Märzfeld wurde von der freien Gemeine bald versäumt; mithin blieben die Entschlüsse desselben dem Könige und seinen Dienern anheimgestellt, und der Heerbann selbst konnte nur mit wachsamer Mühe im Gange erhalten werden. Notwendig also kamen die Freien mit der Zeit dadurch tief herunter, daß sie den allezeit fertigen Rittern ihre Wehrdienste mit guter Entschädigung auftrugen, und so verlor sich der Stamm der Nation, wie ein zerteilter, verbreiteter Strom, in kraftloser Trägheit. Ward nun in diesem Zeitraum der ersten Erschlaffung ein dermaßen errichtetes Reich mächtig angegriffen: was Wunder, daß es erlag? Was Wunder, daß auch ohne äußern Feind auf diesem trägen Wege die besten Rechte und Besitztümer der Freien in andere, sie vertretende Hände kamen? Die Verfassung des Ganzen war zum Kriege oder zu einer Lebensart eingerichtet, bei welcher alles in Bewegung bleiben sollte, nicht aber zu einem zerstreuten, fleißig-ruhigen Leben. 2. Mit jedem erobernden Könige war ein Trupp Edeln ins Land gekommen, die als seine Gefährten und Treuen, als seine Knechte und Leute aus denen ihm zukommenden Ländereien beteilt wurden. Zuerst geschähe dies nur lebenslänglich; mit der Zeit wurden die ihnen zum Unterhalt angewiesenen Güter erblich: der Landesherr gab so lange, bis er nichts mehr zu geben hatte und selbst verarmte. Bei den meisten Verfassungen dieser Art haben also die Vasallen den Lehnsherren, die Knechte den Gebieter dergestalt ausgezehrt, daß, wenn der Staat lange dauerte, dem Könige selbst von seinen nutzbaren Gerechtigkeiten nichts übrigblieb und er zuletzt als der Ärmste des Landes dastand. Wenn nun, wie wir gesehen, dem Gange der Dinge nach bei langen kriegerischen Zeitläuften die Edeln notwendig auch den Stamm der Nation, die freie Gemeine, sofern diese sich nicht selbst zu Edeln erhob, allgemach zugrunde richten mußten, so sieht man, wie das löbliche, damals unentbehrliche Ritterhandwerk so hoch emporkommen konnte. Von kriegerischen Horden waren die Reiche erobert; wer sich am längsten in dieser Übung erhielt, gewann so lange, bis mit Faust und Schwert nichts zu gewinnen mehr da war. Zuletzt hatte der Landesherr nichts, weil er alles verliehen hatte; die freie Gemeine hatte nichts, weil die Freien entweder verarmt oder selbst Edle geworden und alles andere Knecht war. 3. Da die Könige im Gesamteigentum ihres Volks umherziehen oder vielmehr allenthalben gegenwärtig sein sollten und dies nicht konnten, so wurden Statthalter, Herzoge und Grafen unentbehrlich. Und weil nach der deutschen Verfassung die gesetzgebende, gerichtliche und ausübende Macht noch nicht verteilt waren, so blieb es beinah unvermeidlich, daß nicht mit der Zeit unter schwachen Königen die Statthalter großer Städte oder entfernter Provinzen selbst Landesherren oder Satrapen wurden. Ihr Distrikt enthielt, wie ein Stück der gotischen Baukunst, alles im kleinen, was das Reich im großen hatte; und sobald sie sich nach Lage der Sache mit ihren Ständen einverstanden, war, obgleich noch abhängig vom Staat, das kleine Reich fertig. So zerfielen die Lombardei und das fränkische Reich, kaum wurden sie noch am seidnen Faden eines königlichen Namens zusammengehalten; so wäre es mit dem gotischen und dem wandalischen Reich worden, hätten sie länger gedauert. Um diese Bruchstücke, wo jeder Teil ein Ganzes sein wollte, wieder zusammenzubringen, haben alle Reiche deutscher Verfassung in Europa ein halbes Jahrtausend hin arbeiten müssen, und einigen derselben hat es noch nicht gelingen mögen, ihre eignen Glieder wiederzufinden. In der Verfassung selbst liegt der Same dieser Absondrung; sie ist ein Polyp, bei welchem in jedem abgesonderten Teile ein Ganzes lebt. 4. Weil bei diesem Gesamtkörper alles auf Persönlichkeit beruhte, so stellte das Haupt desselben, der König, ob er gleich nichts weniger als unumschränkt war, mit seiner Person sowohl als mit seinem Hauswesen die Nation vor. Mithin ging seine Gesamtwürde, die bloß eine Staatsfiktion sein sollte, auch auf seine Trabanten, Diener und Knechte über. Leibesdienste, die man dem Könige erwies, wurden als die ersten Staatsdienste betrachtet, weil die, die um ihn waren, Kapellan, Stallmeister und Truchseß, oft, bei Ratschlägen, Gerichten und sonst, seine Helfer und Diener sein mußten. So natürlich dies in der rohen Einfalt damaliger Zeiten war, so unnatürlich wurde's, als diese Kapellane und Truchsesse wirklich repräsentierende Gestalten des Reichs, erste Glieder des Staats oder gar auf Ewigkeiten der Ewigkeiten erbliche Würden sein sollten; und dennoch ist ein barbarischer Prachtaufzug dieser Art, der zwar in das Tafelzelt eines tatarischen Khans, nicht aber in den Palast eines Vaters, Vorstehers und Richters der Nation gehörte, die Grundverfassung jedes germanischen Reichs in Europa. Die alte Staatsfiktion wurde zur nackten Wahrheit: das ganze Reich wurde in die Tafel, den Stall und die Küche des Königes verwandelt. Eine sonderbare Verwandlung! Was Knecht und Vasall war, mochte immerhin durch diese glänzenden Oberknechte vorgestellt werden, nicht aber der Körper der Nation, der in keinem seiner freien Glieder des Königs Knecht, sondern sein Mitgenoß und Mitstreiter gewesen war und sich von keinem seiner Hausgenossen vorstellen lassen dorfte. Nirgend ist diese tatarische Reichsverfassung mehr gediehen und prächtiger emporkommen als auf dem fränkischen Boden, von da sie durch die Normannen nach England und Sizilien, mit der Kaiserkrone nach Deutschland, von dannen in die nordischen Reiche, und aus Burgund endlich in höchster Pracht nach Spanien hinübergepflanzt worden ist, wo sie dann allenthalben nach Ort und Zeit neue Blüten getragen. Von einer solchen Staatsdichtung, das Hauswesen des Regenten zur Gestalt und Summe des Reichs zu machen, wußten weder Griechen noch Römer, weder Alexander noch Augustus; am Jaik aber oder am Jenisseistrom ist sie einheimisch; daher auch nicht unbedeutend die Zobel und Hermeline ihr Sinnbild und Wappenschmuck geworden. 5. In Europa hätte diese Verfassung schwerlich so festen Platz gewinnen oder behalten mögen, wenn nicht, wie wir gesehen, diese Barbarei bereits eine andere vor sich gefunden hätte, mit der sie sich freundlich vermählte, die Barbarei des römischen Papsttums. Denn weil die Klerisei damals den ganzen Rest der Wissenschaften besaß, ohne welche auch die Barbaren in diesen Ländern nicht sein konnten, so blieb diesen, die sich selbst Wissenschaften zu erwerben nicht begehrten, nur ein Mittel übrig, sie gleichsam mitzuerobern, wenn sie die Bischöfe unter sich aufnähmen. Es geschah. Und da diese mit den Edlen Reichsstände, mit den Dienern des Hofes Hofdiener wurden, da, wie diese, auch sie sich Benefizien, Gerechtigkeiten und Länder verleihen ließen und aus mehreren Ursachen den Laien in vielem zuvorkamen, so war ja keine Staatsverfassung dem Papsttum holder und werter als diese. Wie nun einerseits nicht zu leugnen ist, daß zu Milderung der Sitten und sonstiger Ordnung die geistlichen Reichsstände viel beigetragen haben, so wurde auf der andern Seite durch Einführung einer doppelten Gerichtsbarkeit, ja eines unabhängigen Staats im Staate der letzte in allen seinen Grundsätzen wankend. Keine zwei Dinge konnten einander an sich fremder sein als das römische Papsttum und der Geist deutscher Sitten: jenes untergrub diese unaufhörlich, wie es sich gegenteils vieles aus ihnen zueignete und zuletzt alles zu einem deutsch-römischen Chaos machte. Wofür allen deutschen Völkern lange geschaudert hatte, das wurde ihnen am Ende über alles lieb; ihre eignen Grundsätze ließen sie gegen sich selbst gebrauchen. Die Güter der Kirche, dem Staat entrissen, wurden in ganz Europa ein Gemeingut, für welches der Bischof zu Rom kräftiger als irgendein Fürst für seinen Staat waltete und wachte. Eine Verfassung voll Widerspruchs und unseliger Zwiste. 6. Weder Krieger noch Mönche nähren ein Land; und da bei dieser Einrichtung für den erwerbenden Stand so wenig gesorgt war, daß vielmehr alles in ihr dahin ging, Bischöfen und Edeln die ganze Welt leibeigen zu machen, so sieht man, daß damit dem Staat seine lebendigste Triebfeder, der Fleiß der Menschen, ihr wirksamer freier Erfindungsgeist, auf lange geraubt war. Der Wehrsmann hielt sich zu groß, die Äcker zu bauen, und sank herab; der Edle und das Kloster wollte Leibeigne haben, und die Leibeigenschaft hat nie etwas Gutes gefördert. Solange man Land und Güter nicht als einen nutzbaren, in allen Teilen und Produkten organischen Körper, sondern als ein unteilbares totes Besitztum betrachtete, das der Krone oder der Kirche oder dem Stammhalter eines edlen Geschlechts in der Qualität eines liegenden Grundes, zu welchem Knechte gehören, zustünde, so lange war der rechte Gebrauch dieses Landes samt der wahren Schätzung menschlicher Kräfte unsäglich behindert. Der größeste Teil der Länder wurde eine dürftige Allmende, an deren Erdschollen Menschen wie Tiere klebten, mit dem harten Gesetz, nie davon losgetrennt werden zu können. Handwerke und Künste gingen desselben Weges. Von Weibern und Knechten getrieben, blieben sie lange auch im großen eine Hantierung der Knechte; und als Klöster, die ihre Nutzbarkeit aus der römischen Welt kannten, sie an ihre Klostermauern zogen, als Kaiser ihnen Privilegien städtischer Zünfte gaben, war dennoch der Gang der Sache damit nicht verändert. Wie können Künste sich heben, wo der Ackerbau daniederliegt? wo die erste Quelle des Reichtums, der unabhängige, gewinnbringende Fleiß der Menschen, und mit ihm alle Bäche des Handels und freien Gewerbes, versiegt, wo nur der Pfaffe und Krieger gebietende, reiche, besitzführende Herren waren? Dem Geist der Zeiten gemäß konnten also auch die Künste anders nicht als Gemeinwesen (Universitates) in Form der Zünfte eingeführt werden: eine rauhe Hülle, die damals der Sicherheit halben nötig, zugleich aber auch eine Fessel war, daß keine Wirksamkeit des menschlichen Geistes sich unzunftmäßig regen mochte. Solchen Verfassungen sind wir's schuldig, daß in Länder, die seit Jahrhunderten bebaut wurden, noch unfruchtbare Gemeinplätze, daß in festgesetzten Zünften, Orden und Brüderschaften noch jene alten Vorurteile und Irrtümer übrig sind, die sie treu aufbewahrt haben. Der Geist der Menschen modelte sich nach einem Handwerksleisten und kroch gleichsam in eine privilegierte Gemeinlade. 7. Aus allem erhellt, daß die Idee der deutschen Völkerverfassung, so natürlich und edel sie an sich war, auf große, zumal eroberte, lange Zeit kultivierte oder gar römisch-christliche Reiche angewandt, nichts anders als ein kühner Versuch sein konnte, dem viele Mißbräuche bevorstanden; sie mußte von mehrern Völkern voll gesunden Verstandes in der nörd- und südlichen Welt lange geübt, mannigfaltig geprüft und ausgebildet werden, ehe sie zu einiger Bestandheit kommen konnte. In kleinen Munizipalitäten, beim Gerichtshandel und allenthalben, wo lebendige Gegenwart gilt, zeigt sie sich unstreitig als die beste. Die altdeutschen Grundsätze, daß jedermann von seinesgleichen gerichtet werde, daß der Vorsitzer des Gerichts von den Beisitzern das Recht nur schöpfe, daß jedes Verbrechen nur als ein Bruch der Gemeine seine Gnugtuung erwarte und nicht aus Buchstaben, sondern aus lebendiger Ansicht der Sache beurteilt werden müsse: diese samt einer Reihe anderer Gerichts-, Zunft- und anderer Gebräuche sind Zeugen vom hellen und billigen Geist der Deutschen. Auch in Rücksicht des Staats waren die Grundsätze vom Gesamteigentum, der Gesamtwehr und gemeinen Freiheit der Nation groß und edel; da sie aber auch Männer erforderten, die alle Glieder zusammenzuhalten, zwischen allen ein Verhältnis zu treffen und das Ganze mit einem Blick zu beleben wüßten, und diese Männer nicht nach dem Erstgeburtsrecht geboren werden, so erfolgte, was mehr oder minder allenthalben erfolgt ist; die Glieder der Nation lösten sich auf in wilden Kräften; sie unterdrückten das Unbewehrte und ersetzten den Mangel des Verstandes und Fleißes durch lange tatarische Unordnung. Indessen ist in der Geschichte der Welt die Gemeinverfassung germanischer Völker gleichsam die feste Hülse gewesen, in welcher sich die überbliebene Kultur vorm Sturm der Zeiten schützte, der Gemeingeist Europas entwickelte und zu einer Wirkung auf alle Weltgegenden unserer Erde langsam und verborgen reifte. Zuvörderst kamen hohe Phantome, eine geistliche und eine andere Monarchie, zum Vorschein, die aber ganz andere Zwecke beförderten, als wozu sie gestiftet worden. |
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Wolfgang
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