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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Neunzehntes Buch

IV

Reiche der Araber

Die arabische Halbinsel ist einer der ausgezeichneten Erdstriche, der, seiner Nation einen eignen Charakter zu geben, von der Natur selbst bestimmt scheint. Jene große Wüste zwischen Ägypten und Syrien, von Aleppo bis zum Euphrat, gab, wie eine südliche Tatarei, dem Räuber- und Hirtenleben vorzüglich Raum und ist von den ältesten Zeiten mit Stämmen ziehender Araber besetzt gewesen. Die Lebensart dieses Volks, dem die Städte Kerker schienen, sein Stolz auf einen alten eingebornen Ursprung, auf seinen Gott, seine reiche und dichterische Sprache, sein edles Pferd, auf Schwert und Bogen in seiner Hand nebst allem, was es sonst als Heiligtum zu besitzen glaubte, dies alles schien den Arabern eine Rolle vorzubereiten, die sie auch, da ihre Zeit kam, weit anders als jene nördlichen Tataren, in dreien Weltteilen gespielt haben.

Schon in den Zeiten der Unwissenheit, wie sie ihre ältere Geschichte nennen, hatten sie sich oberhalb ihrer Halbinsel verbreitet, in Irak und Syrien kleine Reiche angelegt; Stämme von ihnen wohnten in Ägypten; die Abessinier stammten von ihnen her; die ganze afrikanische Wüste schien ihr Erbteil. Vom großen Asien war ihre Halbinsel durch die Wüste getrennet und damit den häufigen Zügen der Eroberer der Weg zu ihr versagt; sie blieben frei und stolz auf ihre Abkunft, auf den Adel ihrer Geschlechter, auf ihre unbezwungene Tapferkeit und ihre unvermischte Sprache. Dabei waren sie dem Mittelpunkt des südund östlichen Handels, mithin der Kunde aller Nationen nahe, die diesen Handel trieben, an dem sie denn auch, nach der glücklichen Lage ihres Landes, selbst Anteil nehmen konnten und mußten. Frühe also entstand hier eine geistige Kultur, die am Altai oder Ural nicht entstehen konnte; die Sprache der Araber bildete sich zu einem Scharfsinn bildlicher Reden und Weisheitsprüche lange vorher, ehe sie solche zu schreiben wußten. Auf ihrem Sinai hatten die Ebräer ihr Gesetz empfangen und fast immer unter ihnen gewohnt; sobald Christen entstanden und sich untereinander verfolgten, wandten sich auch christliche Sekten zu ihnen. Wie anders also, als daß aus der Mischung jüdischer, christlicher und eigner Stammesideen unter einem solchen Volk, in einer solchen Sprache, zu rechter Zeit eine neue Blüte erscheinen und, wenn sie hervortrat, von der Erdspitze zwischen drei Weltteilen durch Handel, Kriege, Züge und Schriften die größeste Ausbreitung gewinnen mochte? Die duftende Staude des arabischen Ruhms, aus so dürrem Boden entsprossen, ist also ein sehr natürliches Wunder, sobald nur der Mann erschien, der sie zur Blüte zu bringen wußte.

Im Anfange des siebenten Jahrhunderts erschien dieser Mann, eine sonderbare Mischung alles dessen, was Nation, Stamm, Zeit und Gegend gewähren konnte, Kaufmann, Prophet, Redner, Dichter, Held und Gesetzgeber, alles nach arabischer Weise. Aus dem edelsten Stamm in Arabien, dem Bewahrer der reinesten Mundart und des alten Nationalheiligtums, der Kaaba, war Mohammed entsprossen [292], ein Knabe von schöner Bildung, nicht reich, aber im Hause eines angesehenen Mannes erzogen. Schon in seiner Jugend genoß er die Ehre, im Namen der ganzen Nation den heiligen schwarzen Stein wieder an seine Stelle zu legen; er kam in Umstände, die ihm bei seinen Handelsreisen eine frühe Kenntnis anderer Völker und Religionen, nachher auch ein anständiges Vermögen verschafften. Lobsprüche, die man ihm als einem außerordentlichen Jünglinge erteilt hatte, die Würde seines Stammes und Geschlechtes, sein eignes frühes Geschäft bei der Kaaba selbst hatten sich ihm ohne Zweifel in die Seele gegraben; die Eindrücke, die er vom Zustande der Christenheit empfangen hatte, fügeten sich dazu; der Berg Sinai, gekrönt mit hundert Sagen aus der alten Geschichte, stand vor ihm; der Glaube an eine göttliche Begeisterung und Sendung war allen diesen Religionen gemein, der Denkart seines Volks einheimisch, seinem eignen Charakter schmeichelhaft; wahrscheinlich wirkte dies alles während der fünfzehn Jahre, in welchen er ein anschauliches Leben führte, so tief auf seine Seele, daß er sich, den Koreschiten, sich, den ausgezeichneten Mann, erwählt glaubte, die Religion seiner Väter in Lehren und Pflichten wiederherzustellen und sich als einen Knecht Gottes zu offenbaren. Nicht etwa nur der Traum seiner himmlischen Reise, sein Leben und der Koran selbst zeigen, wie glühend seine Phantasie gewesen und daß es zum Wahn seines Prophetenberufs keines künstlich abgeredeten Betruges bedorft habe. Nicht als ein aufbrausender Jüngling trat Mohammed auf, sondern im vierzigsten Jahr seines Alters; zuerst als Prophet seines Hauses, der sich nur wenigen offenbarte, in dreien Jahren kaum sechs Anhänger gewann und, als er bei jenem berühmten Gastmahl Alis vierzig Männern seines Stammes seinen Beruf kundtat, fortan freilich auch alles übernahm, was Widerspruch der Ungläubigen gegen einen Propheten mit sich führt. Mit Recht zählen seine Anhänger ihre Jahre von seiner Flucht nach Yatreb (Medina); in Mekka wäre entweder sein Entwurf oder er selbst vernichtet worden.

Wenn also der Haß gegen Greuel des Götzendienstes, die er in seinem Stamme sah und auch im Christentum zu finden glaubte, nebst einer hohen Begeisterung für die Lehre von einem Gott und die Weise, ihm durch Reinigkeit, Andacht und Guttätigkeit zu dienen, der Grund seines Prophetenberufs gewesen zu sein scheinen, so waren verderbte Traditionen des Juden- und Christentums, die poetische Denkart seiner Nation, die Mundart seines Stammes und seine persönlichen Gaben gleichsam die Fittiche, die ihn über und außer sich selbst forttrugen. Sein Koran, dies sonderbare Gemisch von Dichtkunst, Beredsamkeit, Unwissenheit, Klugheit und Anmaßung, ist ein Spiegel seiner Seele, der seine Gaben und Mängel, seine Neigungen und Fehler, den Selbstbetrug und die Notbehelfe, mit denen er sich und andere täuschte, klarer als irgendein anderer Koran eines Propheten zeigt. Bei veranlassenden Umständen, oder wenn er aus einer beschauenden Entzückung zu sich kam, sagte er ihn in einzelnen Stücken her, ohne dabei an ein schriftliches System zu denken; es waren Ergießungen seiner Phantasie oder ermunternde, strafende Prophetenreden, die er zu anderer Zeit als etwas, das über seine Kräfte ging, als eine göttliche, ihm nur verliehene Gabe selbst anstaunte. Daher foderte er, wie alle mit sich getäuschte starke Gemüter, Glauben, den er zuletzt auch von seinen bittersten Feinden zu erpressen wußte. Kaum war er Herr von Arabien, so sandte er schon an alle benachbarte Reiche, Persien, Äthiopien, Yemen, ja den griechischen Kaiser selbst, Apostel seiner Lehre, weil er diese, so national sie war, als die Religion aller Völker ansah. Die harten Worte, die ihm bei der Rückkunft dieser Gesandten, als er die Weigerung der Könige hörte, entfielen, nebst jener berühmten Stelle des Korans im Kapitel der Buße, [293] waren seinen Nachfolgern Grundes gnug, das auszuführen, was dem Propheten selbst sein früher Tod untersagte: die Bekehrung der Völker.

Leider ging ihnen auch hierin das Christentum vor, das unter allen Religionen zuerst seinen Glauben, als die notwendige Bedingung zur Seligkeit, fremden Völkern aufdrang; nur der Araber bekehrte nicht durch Schleichhandel, Weiber und Mönche, sondern, wie es dem Mann der Wüste geziemte, mit dem Schwert in der Hand und mit der fodernden Stimme: »Tribut oder Glaube!«

Wie der brennende Wind aus der Wüste verbreitete sich nach Mohammeds Tode der Krieg über Babylonien, Syrien, Persien, Ägypten. Die Araber gingen zur Schlacht wie zum Dienst Gottes, mit Sprüchen aus dem Koran und mit Hoffnungen des Paradieses bewaffnet; auch fehlte es ihnen nicht an persönlicher Tugend. Denn wie die ersten Kalifen aus dem Hause Mohammeds (ihren blinden Eiter ausgeschlossen) gerechte, mäßige, vorzügliche Männer waren, so wurden auch die Heere von tapfern, klugen Feldherrn angeführt, wie Khaled, Amru, Abu-Odeidah und viel andere waren. Sie fanden die Reiche der Perser und Griechen so schlecht bestellt, die Sekten der Christen gegeneinander so feindlich, Untreue, Wohllust, Eigennutz, Verräterei, Pracht, Stolz, Grausamkeit und Unterdrückung allenthalben so herrschend, daß man in der schrecklichen Geschichte dieser Kriege die Fabel von einer Löwenherde zu lesen glaubt, die in die Hürden der Schafe und Böcke, in Meiereien voll fetter Rinder, prächtiger Pfauen und wehrloser Hammel einbricht. Ein verächtliches Menschengeschlecht waren dem größesten Teil nach diese entarteten Völker, wert, fortan auf Eseln zu reiten, weil sie Kriegsrosse zu bändigen nicht verstanden, unwert des Kreuzes auf ihren Kirchen, weil sie es nicht zu beschützen vermochten. Wie manche Herrlichkeit der Patriarchen, Priester und Mönche ging in diesen weiten reichen Gegenden jetzt auf einmal zu Grabe!

Damit gingen zugleich, wie durch ein Erdbeben, die Reste jener alten griechischen Kultur und Römerhoheit zugrunde, die auch das Christentum nicht hatte vertilgen mögen. Die ältesten Städte der Welt und in ihnen unsägliche Schätze fielen in die Hände tapferer Räuber, die im Anfange kaum Geldeswert kannten. Vor allem ist das Schicksal zu beklagen, das die Denkmale der Wissenschaften traf. Johann der Grammatiker erbat sich die Bibliothek zu Alexandrien, an welche Amru, der Überwinder, nicht einmal dachte (was wollte der Tor mit dem Geschenke?); der Kalif Omar wurde gefragt und antwortete in jenem berühmten Vernunftschluß, der immerhin der Kalifen- Vernunftschluß genannt zu werden verdienet [294]; und die Bücher wurden vertilget. Über tausend warme Bäder wurden sechs Monate lang damit erhitzt; und so gingen die köstlichsten Gedanken, die unentbehrlichsten Nachrichten, die mühsamsten Lehrgebäude der Alten Welt mit allem, was davon in Jahrtausenden abhing, durch die törichte Bitte eines Grammatikers und durch die fromme Einfalt eines Kalifen verloren. Gern hätten die Araber diesen Schatz wiedergehabt, als sie hundert Jahre später ihn zu schätzen wußten.

Fast vom Tode Mohammeds an taten sich Zwistigkeiten hervor, die nach dem Tode Osmans, des dritten Kalifs, den Eroberungen der Araber bald hätten Einhalt tun können, wenn nicht der lange verdrängte, tapfre, redliche Ali und sein Sohn Hasan dem Hause der Ommijaden Platz gemacht hätten. Mit Moawijah trat dies jetzt auf den Hohepriesterstuhl, auf dem es sich neunzig Jahre erblich erhalten. Damaskus wurde der Sitz der Kalifen; die Araber wunden bald eine Seemacht, und unter der erblichen Regierung kam statt der vorigen Einfalt Pracht an ihren Hof. Zwar rückte in Syrien, Mesopotamien, Kleinasien und Afrika die Eroberung noch fort; mehr als einmal belagerte man, obwohl vergebens, Konstantinopel; unter Al Walid wurde Turkestan eingenommen, ja man drang bis in Indien ein; Tarik und Musa eroberten Spanien mit unmäßigem Glücke, und der letzte hatte den ungeheuren Plan, durch Frankreich, Deutschland, Ungarn, über Konstantinopel hin ein größeres Reich zu stiften, als die Römer in vielen Jahrhunderten zusammengebracht hatten. Wie sehr wurde aber dieser Plan vereitelt! Alle Einbrüche der Araber in Frankreich mißlangen; sie verloren selbst in Spanien bei nie gestilltem Aufruhr eine Provinz nach der andern. Für Konstantinopel war die Zeit der Eroberung noch lange nicht da; vielmehr regten sich unter einigen Ommijaden schon türkische Völker, um einst Überwinder der Araber selbst zu werden. überhaupt war der erste reißende Strom ihres Kriegsglückes mit den dreißig Jahren ihres ersten Enthusiasmus, da das Haus Mohammeds auf dem Stuhl saß, vorüber; unter den erblichen Ommijaden ging die Eroberung bei vielen innern Trennungen nur mit langsamem, oft eingehaltenen Schritten fort.

Das Haus der Abbasiden folgte, die ihren Sitz sogleich von Damaskus entfernten und deren zweiter Kalif Al Mansur im Mittelpunkt seiner Staaten Bagdad sich zur Residenz erbaute. Jetzt war der Hof der Kalifen im größesten Glanz; auch Wissenschaften und Künste kamen an denselben, in Betracht welcher die Namen Al Raschid und Al Mamon immer berühmt sein werden; indessen war's nicht etwa nur um fernere Eroberungen, sondern um den Zusammenhalt der Monarchie selbst unter diesem Stamme geschehen. Schon unter dem zweiten Abbasiden, Al Mansur, stiftete Abderahman, der verdrängte Ommijade, ein besondres, unabhängiges Kalifat in Spanien, das fast 300 Jahre gedauert hat, nachher in zehn Königreiche zerfiel, die unter mehreren arabischen Stämmen auf einige Zeit teilweise unter sich, mit dem Kalifat zu Bagdad aber nie mehr vereinigt wurden. An der Westküste der afrikanischen Barbarei (Mogreb) rissen die Edrisier, ein Zweig der Nachkommen Alis, ein Reich ab, wo sie den Grund zur Stadt Fes legten. Unter Harun al Raschid machte sich sein Statthalter in Afrika zu Kairwan (Cyrene) unabhängig; der Sohn desselben eroberte Sizilien; seine Nachfolger, die Aglabiten, verlegten ihre Residenz nach Tunis, wo sie die große Wasserleitung angelegt hatten; ihr Reich dauerte über hundert Jahre. In Ägypten waren die Bestrebungen der Statthalter nach Unabhängigkeit anfangs unsicher, bis ein Stamm der Fatimiten die Edrisier und Aglabiten verschlang und ein drittes Kalifat gründete, das von Fes über Tunis, Sizilien, Ägypten bis nach Asien reichte. Jetzt waren also drei Kalifate, zu Bagdad, Kahira und Kordova. Doch auch das Reich der Fatimiten ging unter: Kurden und Zeiriten teilten sich in dasselbe, und der tapfre Saladin (Selah-ed-din), Großwesir des Kalifen, entsetzte seinen Herren und gründete das Reich der Kurden in Ägypten, das nachher in die Hände der Leibgarde (Mamlucken, Sklaven) fiel, denen es die Osmanen endlich abjagten. So ging's in allen Provinzen. In Afrika spielten Zeiriten, Morabethen, Muahedier, in Arabien, Persien, Syrien Dynastien aus allen Stämmen und Völkern ihre Rollen, bis die Türken (Seldschuken, Kurden, Arabeken, Turkmannen, Mamlucken u. f.) alles innehatten und Bagdad selbst im Sturm an die Mogolen überging. Der Sohn des letzten Kalifen zu Bagdad floh nach Ägypten, wo ihm die Mamlucken seinen leeren Kalifentitel ließen, bis bei der Eroberung des Landes durch die Osmanen der achtzehnte dieser entthronten Fürsten nach Konstantinopel geführt, aber nach Ägypten zurückgesandt wurde, um daselbst die ganze Reihe dieser arabischen Kaiserpäpste aufs traurigste zu enden. Das glänzende Reich der Araber hat sich in das türkische, persische, mogolische Reich verloren; Teile davon kamen unter die Herrschaft der Christen oder wurden unabhängig; und so lebt der größeste Teil seiner Völker noch fort in ewigen Revolutionen.

Die Ursachen sowohl des schnellen Verfalls dieser ungeheuren Monarchie als der Revolutionen, die sie unaufhörlich zerrissen und stürzten, lagen in der Sache selbst, im Ursprunge und in der Verfassung des Reiches.

1. Durch Tugenden des Enthusiasmus war die arabische Macht entstanden; nur durch ebendiese Tugenden konnte sie erhalten werden, durch Tapferkeit nämlich und Treue gegen das Gesetz, durch Tugenden der Wüste. Wären ihre Kalifen in Mekka, Kufa oder Medina bei der harten Lebensart ihrer vier ersten großen Vorfahren geblieben und hätten das Zaubermittel in Händen gehabt, alle Statthalter und Feldherren mit eben diesen strengen Banden an ihren Beruf zu fesseln: welche Macht hätte diesem Volk schaden mögen? Nun aber, da der Besitz so vieler schönen Länder bei einem weitverbreiteten Handel Reichtum, Pracht und Üppigkeit einführte und der erbliche Thron der Kalifen in Damaskus, noch mehr aber in Bagdad einen Glanz bekam, als ob man ein Märchen der Tausendundeinen Nacht läse, so wiederholte sich auch hier die tausendmal auf der Erde gespielte Szene, nämlich daß Üppigkeit Erschlaffung hervorbringe und am Ende dem rohen Starken der verfeinte Schwache unterliege. Der erste Abbaside nahm einen Großwesir an, dessen Ansehen unter seinen Nachfolgern zur gefürchteten Gewalt eines Emirs al Omrah (des Emirs der Emire) wurde und den Kalifen selbst despotisierte. Da die meisten dieser Wesire Türken waren und dies Volk die Leibwache des Kalifen ausmachte, so saß im Herzen der Monarchie das übel, das bald den ganzen Körper überwältigen konnte. Die Länder der Araber lagen längs der Erdhöhe, auf welcher diese streitbaren Völker, Kurden, Türken, Mogolen, Berbern, wie Raubtiere wachten und, da sie großenteils selbst unwillig unter der Herrschaft der Araber standen, ihrer Rache zu rechter Zeit nicht verfehlten. Hier geschah also, was dem römischen Reich geschah: aus Wesiren und Söldnern wurden Gebieter und Despoten.

2. Daß bei den Arabern die Revolution schneller als bei den Römern geschah, entsprang aus der Verfassung ihres Reiches. Diese war kalifisch, das ist, im höchsten Grade despotisch: Papst und Kaiser waren im Kalifen auf die strengste Weise verbunden. Das unbedingte Schicksal, an welches man glaubte, das Wort des Propheten, das im Koran Gehorsam gebot, foderte auch Ergebung ins Wort seines Nachfolgers, ins Wort der Statthalter desselben; mithin ging dieser Seelendespotismus in die Verwaltung des ganzen Reichs über. Wie leicht war nun, zumal in den entfernten Provinzen des weitverbreiteten Reichs, der Übergang vom Despotismus in eines andern zur Allgewalt in eigenem Namen! Daher fast allenthalben die Statthalter eigenmächtige Herren wurden und die feinste Regierungskunst der Kalifen nur darin bestand, ihre Statthalter geschickt zu verteilen, abzurufen oder zu verwechseln. Als Mamun z.B. seinem tapfern Feldherrn Taher in Chorasan zuviel Gewalt einräumte, gab er ihm damit die Zügel der Selbstherrschaft in die Hand; die Länder jenseit des Gihon wurden vom Stuhl des Kalifen getrennt und den Türken der Weg ins Innere des Reichs gebahnt. So ging's in allen Statthalterschaften, bis das weite Reich einem Sunde losgerissener Inseln glich, die kaum noch durch Sprache und Religion zusammenhingen, in sich selbst aber und gegen andere in höchster Unruhe waren. Sieben- bis achthundert Jahre wechselten diese Inselreiche mit oft veränderten Grenzen, bis die meisten, nie aber alle, unter die Gewalt der Osmanen kamen. Das Reich der Araber hatte keine Konstitution: das größeste Unglück für den Despoten sowohl als für seine Sklaven. Die Konstitution mohammedanischer Reiche ist Ergebung in den Willen Gottes und seiner Statthalter, Islamismus.

3. Die Regierung des arabischen Reichs war an einen Stamm, eigentlich auch nur an ein Geschlecht dieses Stammes, die Familie Mohammeds, geknüpft, und da gleich anfangs der rechtmäßige Erbe, Ali, übergangen, lange vom Kalifat zurückgehalten und mit seinem Geschlecht schnell davon verdrängt wurde, so entstand nicht nur die ungeheure Trennung zwischen Ommijaden und Aliden, die nach einem vollen Jahrtausende mit aller Bitterkeit eines Religionshasses zwischen Türken und Persern noch jetzt fortdauert, sondern auch an jenen blutigen Empörungen fast in allen Provinzen hatten bald Ommijaden, bald Aliden teil. In entfernten Ländern standen Betrüger auf, die sich als Mohammeds Verwandte durch Scheinheiligkeit oder mit dem Schwert in der Hand den Völkern aufdrangen; ja, da Mohammed als Prophet das Reich gegründet hatte, so wagte es hier dieser, dort jener Begeisterte, wie er im Namen Gottes zu reden. Schon der Prophet selbst hatte davon Beispiele erlebt; Afrika und Ägypten aber waren der eigentliche Schauplatz solcher Verrückten und Betrüger. [295] Man sollte die Greuel der Schwärmerei und blinden Leichtgläubigkeit in der Religion Mohammeds erschöpft glauben, wenn man sie leider nicht auch in andern Religionen wiederkommen sähe; der Despotismus des Alten vom Berge indes ist nirgend übertroffen worden. Dieser König eines eignen Staats geübter, ja geborner Meuchelmörder dorfte zu jedem seiner Untertanen sprechen: »Gehe hin und morde!« Dieser tat's, wenn auch mit Verlust seines Lebens; und jahrhundertelang hat sich der Assassinenstaat erhalten.

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