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Johann Gottfried
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IHandelsgeist in EuropaVergebens hatte die Natur diesen kleinen Weltteil nicht mit soviel Küsten und Buchten begrenzt, nicht mit soviel schiffbaren Strömen und Meeren durchzogen; von den ältesten Zeiten an waren auf diesen die anwohnenden Völker rege. Was den südlichen Europäern das Mittelländische Meer gewesen war, wurde den Nordländern die Ostsee: ein früher Übungsplatz der Schiffahrt und des Verkehrs der Völker. Außer den Galen und Kymren sahen wir Friesen, Sachsen, insonderheit Normänner alle west- und nördliche Meere, ja auch die Mittelländische See durchstreifen und mancherlei Böses und Gutes bewirken. Von gehöhlten Kielen stiegen sie zu großen Schiffen, wußten die hohe See zu halten und sich aller Winde zu bedienen, so daß noch jetzt in allen europäischen Sprachen die Striche des Kompasses und viele Benennungen des Seewesens deutsche Namen sind. Insonderheit war der Bernstein das kostbare Spielzeug, das Griechen, Römer und Araber an sich zog und die Nordwelt der Südwelt bekannt machte. Durch Schiffe aus Massilien (Marseille) wurde er über den Ozean, landwärts über Karnunt zum Adriatischen, auf dem Dnepr zum Schwarzen Meere in unglaublicher Menge geführt; vor allen andern blieb der Weg zum Schwarzen Meer die Straße des Völkerverkehrs zwischen der Nord-, Süd- und Ostwelt. [301] Am Ausflusse des Dons und Dneprs waren zwei große Handelsplätze: Asow (Tanais, Asgard) und Olbia (Borysthenes, Alfheim), die Niederlagen der Waren, die aus der Tatarei, Indien, Tsina, Byzanz, Ägypten, meistens durch Tauschhandel, ins nördliche Europa gingen: auch als der bequemere Weg über das Mittelländische Meer besucht wurde, über die Zeit der Kreuzzüge hinaus, blieb dieser nordöstliche Handel gangbar. Seitdem die Slawen einen großen Teil der baltischen Küste besaßen, wurden von ihnen längs derselben blühende Handelsstädte errichtet; die deutschen Völker auf den Inseln und der gegenseitigen Küste wetteiferten mit ihnen und ließen nicht eher ab, als bis des Gewinnes und Christentums willen dieser Handel der Slawen zerstört war. Jetzt suchten sie in ihre Stelle zu treten, und es kam allmählich, längst vor dem eigentlichen hanseatischen Bunde, eine Art von Seerepublik, ein Verein handelnder Städte zustande, der späterhin sich zur großen Hansa aufschwang. Wie es in Norden zu. den Zeiten des Raubes Seekönige gegeben hatte, so erzeugte sich jetzt ein weitverbreiteter, aus vielen Gliedern zusammengesetzter Handelsstaat, auf echte Grundsätze der Sicherheit und Gemeinhülfe gebaut, wahrscheinlich ein Vorbild des künftigen Zustandes aller handelnden europäischen Völker. An mehr als einer nördlichen Seeküste, vorzüglich aber und am frühesten in Flandern, das mit deutschen Kolonisten besetzt war, blühten Fleiß und nutzbare Gewerbe. Freilich aber war die innere Verfassung dieses Weltteils dem aufstrebenden Fleiße seiner Bewohner nicht die bequemste, indem nicht nur die Verwüstungen der Seeräuber fast an allen Küsten oft den besten Anlagen ein trauriges Ende machten, sondern auch zu Lande der Kriegesgeist, der noch in den Völkern tobte, und die aus ihm entstandene Lehnverfassung ihm tausend Hindernisse entgegenlegte. In den ersten Zeiten, nachdem sich die Barbaren in die Länder Europas geteilt hatten, als noch eine mehrere Gleichheit unter den Gliedern der Nationen, auch eine mildere Behandlung der alten Einwohner bestand, da fehlte dem allgemeinen Fleiße nichts als Aufmunterung, die ihm auch, wenn mehrere Theodorichs, Karl und Alfrede gelebt hätten, nicht entgangen wäre. Als aber alles unter das Joch der Leibeigenschaft geriet und ein erblicher Stand sich zu seiner Völlerei und Pracht des Schweißes und Fleißes seiner Untersassen anmaßete, sich selbst aber jedes nützlichen Gewerbes schämte; als jede kunstfleißige Seele erst durch Gnadenbriefe oder Zins von Dämons Gewalt erlöst werden mußte, um ihre Kunst nur treiben zu dörfen: da lag freilich alles in harten Banden. Einsehende Regenten taten, was sie konnten: sie stifteten Städte und begnadeten sie; sie nahmen Künstler und Handwerker unter ihren Schutz, zogen Kaufleute, ja selbst die ebräischen Wucherer unter ihre Gerichtsbarkeit, erließen jenen die Zölle, gaben diesen oft schädliche Handelsfreiheiten, weil sie des jüdischen Geldes bedorften; bei dem allen aber konnte unter vorgenannten Umständen auf dem festen Lande Europas noch kein freier Gebrauch oder Umlauf des menschlichen Fleißes zustande kommen. Alles war abgeschlossen, zerstückt, bedrängt, und nichts war also natürlicher, als daß die südliche Behendigkeit und Wohlgelegenheit der nordischen Emsigkeit auf eine Zeit vortrat. Nur aber auf eine Zeit; denn alles, was Venedig, Genua, Pisa, Amalfi getan haben, ist innerhalb dem Mittelländischen Meer geblieben; den nordischen Seefahrern gehörte der Ozean und mit dem Ozean die Welt. Venedig war in seinen Lagunen wie Rom entstanden. Zuerst der Zufluchtsort derer, die bei den Streitereien der Barbaren auf unzugängliche, arme Inseln sich retteten und, wie sie konnten, nährten; sodann mit dem alten Hafen von Padua vereinigt, verband es seine Flecken und Inseln, gewann eine Regierungsform und stieg von dem elenden Fisch- und Salzhandel, mit welchem es angefangen hatte, auf einige Jahrhunderte zur ersten Handelsstadt Europas, zum Vorratshause der Waren für alle umliegende Länder, zum Besitztum mehrerer Königreiche und noch jetzt zur Ehre des ältesten, nie eroberten Freistaates empor. Es erweist durch seine Geschichte, was mehrere Handelsstaaten erwiesen haben, daß man von nichts zu allem kommen und sich auch vor dem nahesten Ruin sichern könne, solange man unablässigen Fleiß mit Klugheit verbindet. Spät wagte es sich aus seinen Morästen hervor und suchte, wie ein scheues Tier des Schlammes, am Strande des Meers einen kleinen Erdstrich, tat sodann einige Schritte weiter und stand, um die Gunst des reichsten Kaisertums bemüht, seinen schwachen Exarchen zu Ravenna bei. Dafür erhielt es denn, was es gewünscht hatte, die ansehnlichsten Freiheiten in diesem Reiche, bei welchem damals der Haupthandel der Welt war. Sobald die Araber um sich griffen und mit Syrien, Ägypten, ja fast allen Küsten des Mittelländischen Meers auch den Handel derselben sich zueigneten, stand zwar Venedig ihren Angriffen aufs Adriatische Meer kühn und glücklich entgegen, ließ sich aber auch zu rechter Zeit mit ihnen in Verträge ein und wurde durch solche mit ungemeßnem Vorteil die Verhändlerin alles morgenländischen Reichtums. über Venedig kamen also Gewürze, Seide, alle östliche Waren der Üppigkeit in so reichem Maß nach Europa, daß beinahe die ganze Lombardei die Niederlage derselben und nebst den Juden die Venetianer und Lombarden die Unterhändler der gesamten Abendwelt wurden. Der nutzbarere Handel der Nordländer litt damit auf eine Zeitlang, und nun faßte, von den Ungarn und Avaren gedrängt, das reiche Venedig auch einen Fuß auf dem festen Lande. Indem sie es weder mit den griechischen Kaisern noch mit den Arabern verdarben, wußten sie Konstantinopel, Aleppo und Alexandrien zu nutzen und setzten mit fürchtendem Eifer sich den Handelsanlagen der Normänner so lange entgegen, bis auch diese in ihren Händen waren. Eben die Waren der Üppigkeit, die sie und ihre Nebenbuhlerinnen aus Orient brachten, der Reichtum, den sie dadurch erwarben, nebst den Sagen der Pilgrime von der Herrlichkeit der Morgenländer, fachten einen großem Neid in den Gemütern der Europäer über die Besitzungen der Mohammedaner an als das Grab Christi; und als die Kreuzzüge ausbrachen, war niemand, der so vielen Vorteil davon zog als eben diese italienische Handelsstädte. Viele Heere schifften sie über, führten ihnen Lebensmittel zu und gewannen damit nicht nur unsägliche Summen, sondern auch in den neueroberten Ländern neue Freiheiten, Handelsplätze und Besitztümer. Vor allen andern war Venedig glücklich; denn da es ihm gelang, mit einem Heer von Kreuzfahrern Konstantinopel einzunehmen und ein lateinisches Kaisertum in demselben zu errichten, teilte es sich mit seinen Bundesgenossen in den Raub so vorteilhaft, daß diese wenig und das Wenige auf eine unsichere, kurze Zeit, sie aber alles, was ihnen zum Handel diente, die Küsten und Inseln Griechenlandes, bekamen. Lange haben sie sich in diesem Besitz erhalten und ihn noch ansehnlich vermehrt; allen Gefahren, die ihnen Nebenbuhler und Feinde legten, wußten sie glücklich oder vorsichtig zu entweichen, bis eine neue Ordnung der Dinge, die Fahrt der Portugiesen um Afrika und der Einbruch des türkischen Reichs in Europa, sie in ihr Adriatisches Meer einschränkte. Ein großer Teil der Beute des griechischen Reichs, der Kreuzfahrten und des morgenländischen Handels ist in ihre Lagunen zusammengeführt; die Früchte davon in Gutem und Bösen sind über Italien, Frankreich und Deutschland, zumal den südlichen Teil desselben, verbreitet worden. Sie waren die Holländer ihrer Zeit und haben sich, außer ihrem Handelsfleiße, außer mehreren Gewerben und Künsten, am meisten durch ihre daurende Regierungsform ins Buch der Menschheit eingezeichnet. [302] Früher als Venedig gelangte Genua zu großem Handel und eine Zeitlang zur Herrschaft des Mittelländischen Meeres. Es nahm an dem griechischen, nachher an dem arabischen Handel teil, und da ihm daran gelegen war, das Mittelländische Meer sicher zu halten, so hatte es sich nicht nur der Insel Korsika, sondern auch, mit Hülfe einiger christlich-spanischen Fürsten, mehrerer Plätze in Afrika bemächtigt und gebot den Seeräubern Friede. Bei den Kreuzzügen war es sehr wirksam: die Genueser unterstützten die Heere mit ihrer Flotte, halfen bei dem ersten Zuge Antiochien, Tripolis, Cäsarea, Jerusalem miterobern, so daß sie, außer einer rühmlichen Dankschrift über dem Altar in der Kapelle des Heiligen Grabes, mit ausgezeichneten Freiheiten in Palästina und Syrien belohnt wurden. Im Handel mit Ägypten waren sie Nebenbuhler der Venetianer; vorzüglich aber herrschten sie auf dem Schwarzen Meer, wo sie die große Handelsstadt Kaffa, den Versammlungsort der Waren, die aus der Ostwelt den Weg zu Lande genommen hatten, besaßen und in Armenien, ja bis tief in die Tatarei ihre Niederlagen und Handelsverkehr hatten. Lange beschützten sie Kaffa nebst den Inseln des Archipelagus, die sie besaßen, bis die Türken Konstantinopel erobert hatten und ihnen das Schwarze Meer, sodann auch den Archipelagus schlössen. Mit Venedig führten sie lange und blutige Kriege; mehrmals brachten sie diese Republik dem Verderben nahe, und Pisa haben sie gar zugrunde gerichtet; bis endlich es den Venetianern gelang, die genuesische Macht zu Chiozza einzuschließen und den Fall ihrer Größe zu vollenden. Amalfi, Pisa und mehrere Städte des festen Landes in Italien nahmen mit Genua und Venedig am morgenländisch- arabischen Handel teil. Florenz machte sich unabhängig und vereinte Fiesole mit sich; Amalfi dorfte in allen Staaten des ägyptischen Kalifen frei handeln; vorzüglich aber waren Amalfi, Pisa und Genua die Seemächte des Mittelländischen Meeres. Die Küsten von Frankreich und Spanien suchten am Handel der Levante auch teilzunehmen, und die Pilger aus beiden Ländern zogen nicht minder des Gewinnes als der Andacht wegen dahin. Dies war die Lage des südlichen Europa gegen die Besitzungen der Araber; den Küsten Italiens insonderheit lagen sie wie ein Garten voll Spezereien, wie ein Feenland voll Reichtümer vor Augen. Die italienischen Städte, die bei den Kreuzzügen mitzogen, suchten nicht den Leichnam des Herren, sondern die Gewürze und Schätze an seinem Grabe. Die Bank zu Tyrus war ihr Gelobtes Land, und was sie irgend vornahmen, lag auf ihrem ordentlichen, seit Jahrhunderten betretenen Handelswege. So vergänglich nun das Glück war, das dieser fremde Reichtum seinen Gewinnern bringen konnte, so war er doch zur ersten Blüte der italienischen Kultur vielleicht unentbehrlich. Durch ihn lernte man eine weichere, bequemere Lebensart kennen und konnte sich, statt der groben, wenigstens durch eine feinere Pracht unterscheiden. Die vielen großen Städte Italiens, die an ihre abwesenden schwachen Oberherren jenseit der Alpen nur durch schwache Bande geknüpft waren und alle nach der Unabhängigkeit strebten, gewannen über den rohen Bewohner der Burg oder des Raubschlosses dadurch mehr als eine Übermacht; denn entweder zogen sie ihn durch Bande der Üppigkeit und des vermehrten gemeinschaftlichen Wohllebens in ihre Mauern und machten ihn zum friedlichen Mitbürger, oder sie bekamen durch ihre vermehrte Volksmenge bald Kraft gnug, seine Burg zu zerstören und ihn zu einer friedlichen Nachbarschaft zu zwingen. Der aufkeimende Luxus erweckte Fleiß, nicht nur in Manufakturen und Künsten, sondern auch im Landbau: die Lombardei, Florenz, Bologna, Ferrara, die neapolitanischen und sizilischen Küsten wurden in der Nachbarschaft reicher, großer und fleißiger Städte wohlangebaute, blühende Felder; die Lombardei war ein Garten, als ein großer Teil von Europa noch Weide und Wald war. Denn da diese volkreichen Städte vom Lande ernährt werden mußten und der Landeigentümer bei dem erhöhten Preise der Lebensmittel, die er zuführte, mehr gewinnen konnte, so mußte er es zu gewinnen suchen, wenn er im Gange der neuen Üppigkeit mitleben wollte. So weckte eine Tätigkeit die andere und hielt sie in Übung; notwendig kam mit diesem neuen Lauf der Dinge auch Ordnung, Freiheit des Privateigentums und eine gesetzmäßige Einrichtung mehr empor. Man mußte sparen lernen, damit man vertun könne; die Erfindung der Menschen schärfte sich, indem einer dem andern den Preis abgewinnen wollte; jeder einst sich selbst gelassene Haushälter wurde jetzt gewissermaße selbst Kaufmann. Es war also nichts als Natur der Sache, daß das schöne Italien mit einem Teil des Reichtums der Araber, der durch seine Hände ging, auch zuerst die Blüte einer neuen Kultur zeigte. Freilich aber war's nur eine flüchtige Blüte. Der Handel verbreitete sich und nahm einen andern Weg; Republiken verfielen, üppige Städte wurden übermütig und mit sich selbst uneins; das ganze Land wurde mit Parteien erfüllt, unter welchen unternehmende Männer und einzelne mächtige Familien sich hoch emporschwangen. Krieg, Unterdrückung kam hinzu; und da durch Üppigkeit und Künste der Kriegsgeist, ja Redlichkeit und Treue verbannt waren, wurde eine Stadt, ein Gebiet nach dem andern die Beute auswärtiger oder innerlicher Tyrannen; die Austeilerin dieses süßen Giftes, Venedig selbst, konnte sich nur durch die strengsten Maßregeln vor dem Untergange bewahren. Indessen darf jede Triebfeder menschlicher Dinge des Rechts genießen, das ihr gehört. Zum Glück für Europa war diese Üppigkeit damals nichts weniger als allgemein, und sein größester Teil mußte dem baren Gewinn der Lombarden nur dienen; dem entgegen regele sich noch mächtig ein anderer, der Rittergeist, uneigennützig und nur für den Gewinn der Ehre alles unternehmend. Lasst uns sehen, aus welchen Keimen diese Blüte entsprosset sei, was sie genährt und was sie, den Handelsgeist einschränkend, für Früchte getragen habe. |
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Wolfgang
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