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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Siebzehntes Buch

IV

Fortgang des Christentums in den lateinischen Provinzen

1. Rom war die Hauptstadt der Welt: aus Rom ergingen die Befehle entweder zu Duldung oder zu Unterdrückung der Christen; notwendig mußte auf diesen Mittelpunkt der Macht und Hoheit eine Hauptwirkung des gesamten Christentums sehr frühe streben.

Die Duldung der Römer gegen alle Religionen überwundener Völker ist über allen Widerspruch erhoben; ohne dieselbe und ohne den ganzen Zustand der damaligen römischen Verfassung würde das Christentum sich nie so schnell und allgemein ausgebreitet haben. Es entstand in der Ferne, unter einem Volk, das man verachtete und zum Sprüchwort des Aberglaubens gemacht hatte; in Rom regierten böse, tolle und schwache Kaiser, also daß es dem Staat an einer herrschenden Übersicht des Ganzen fehlte. Lange wurden die Christen nur unter dem Namen der Juden begriffen, deren in Rom, wie in allen römischen Provinzen, eine große Anzahl war. Wahrscheinlich war es auch der Haß der Juden selbst, der die ausgestoßenen Christen den Römern zuerst kenntlich machte, und sodann lag es in der römischen Denkart, daß man sie als Abtrünnige von ihrer väterlichen Religion entweder für Atheisten oder ihrer geheimen Zusammenkünfte wegen für Ägypter ansah, die sich gleich andern Eingeweihten mit Aberglauben und Greueln befleckten. Man betrachtete sie als einen verworfenen Haufen, den Nero die Schuld seiner Mordbrennertollheit am ersten tragen lassen durfte; das Mitleid, das man ihnen über diese erlittene äußerste Ungerechtigkeit schenkte, scheint nur die Barmherzigkeit gewesen zu sein, die man einem ungerecht gequälten Sklaven schenkt. Weiter untersuchte man ihre Lehre nicht und ließ sie sich fortpflanzen, wie sich im Römerreich alles fortpflanzen konnte.

Als die Grundsätze ihres Gottesdienstes und Glaubens mehr ans Licht traten, fiel es den Römern, die nur an eine politische Religion gewöhnt waren, vor allem hart auf, daß diese Unglücklichen die Götter ihres Staats als höllische Dämonen zu schmähen und den Dienst, den man den Beschützern des Reiches leistete, für eine Schule der Teufel zu erklären wagten. Es fiel ihnen hart auf, daß sie den Bildsäulen der Kaiser eine Ehrerbietung, die ihnen selbst Ehre sein sollte, entzogen und sich von allem, was Pflicht oder Dienst des Vaterlandes war, entfernten. Natürlich wurden sie also für Feinde desselben gehalten, des Hasses und Abscheues anderer Menschen würdig. Nachdem die Kaiser gesinnt waren und neue Gerüchte sie entweder besänftigten oder aufbrachten, nachdem wurden Befehle für oder gegen die Christen gegeben, Befehle, die in jeder Provinz nach den Gesinnungen der Statthalter oder nach ihrem eignen Betragen mehr oder minder befolgt wurden. Eine Verfolgung indessen, wie man in spätem Zeiten z.B. gegen die Sachsen, Albigenser, Waldenser, Hugenotten, Preußen und Liven vornahm, ist gegen sie nie ergangen; Religionskriege der Art lagen nicht in der römischen Denkweise. Es wurden also die ersten dreihundert Jahre des Christentums während der Verfolgungen, die man in ihnen zählt, die Triumphzeit der Märtyrer des christlichen Glaubens.

Nichts ist edler, als, seiner Überzeugung treu, sie durch Unschuld der Sitten und Biederkeit des Charakters bis zum letzten Atem zu bewähren; auch haben die Christen, wo sie als verständige, gute Menschen dergleichen Unschuld und Festigkeit zeigten, sich dadurch mehr Anhänger erworben als durch Erzählungen von Wundergaben und Wundergeschichten. Mehrere ihrer Verfolger staunten ihren Mut an, selbst wenn sie nicht begriffen, warum sie sich der Gefahr aussetzten, also verfolgt zu werden. Überdem, nur das, was ein Mensch herzhaft will, erreicht er, und worauf eine Anzahl Menschen lebend und sterbend beharret, das kann schwerlich unterdrückt werden. Ihr Eifer zündet an; ihr Beispiel, selbst wenn es nicht erleuchten kann, wärmt. Gewiß ist also die Kirche der Standhaftigkeit ihrer Bekenner jene tiefe Gründung eines Baues schuldig, der mit ungeheurer Erweiterung Jahrtausende überdauren konnte; weiche Sitten, nachgebende Grundsätze würden von Anfange an alles haben zerfließen lassen, wie ein schaleloser Saft zerfließt.

Indessen kommt es in einzelnen Fällen doch auch darauf an, wofür ein Mensch streite und sterbe. Ist's für seine innere Überzeugung, für einen Bund der Wahrheit und Treue, dessen Lohn bis über das Grab reicht, ist's für das Zeugnis einer unentbehrlich wichtigen Geschichte, die man selbst erlebt hat, deren uns anvertraute Wahrheit ohne uns untergehen würde: wohlan! da stirbt der Märtyrer wie ein Held; seine Überzeugung labt ihn in Schmerzen und Qualen, und der offene Himmel ist vor ihm. So konnten jene Augenzeugen der ersten Begebenheiten des Christentums leiden, wenn sie sich in dem notwendigen Fall sahen, die Wahrheit derselben mit ihrem Tode zu besiegeln. Ihre Verleugnung wäre eine Absagung selbsterfahrner Geschichte gewesen; und wenn es nötig ist, opfert ein Rechtschaffener auch dieser sich selbst auf. Solche eigentliche Bekenner und Märtyrer aber konnte nur das älteste Christentum, und auch dieses ihrer nicht ungeheuer viele, haben, von deren Ausgange aus der Welt sowie von ihrem Leben wir wenig oder nichts wissen. Anders war's mit den Zeugen, die Jahrhunderte später oder Hunderte von Meilen entfernt zeugten, denen die Geschichte des Christentums nur als Gerücht, als Tradition oder als eine geschriebene Nachricht zukam; für urkundliche Zeugen können diese nicht gelten, indem sie nur ein fremdes Zeugnis oder vielmehr nur ihren Glauben an dasselbe mit Blute besiegeln. Da dies nun mit allen bekehrten Christen außer Judäa der Fall war, so muß man sich wundern, daß eben in den entferntesten, den lateinischen Provinzen so ungemein viel auf das Blutzeugnis dieser Zeugen, mithin auf eine Tradition, die sie fernher hatten und schwerlich prüfen konnten, gebaut wurde. Selbst nachdem am Ende des ersten Jahrhunderts die in Orient aufgesetzten Schriften in diese entfernteren Gegenden gekommen waren, verstand nicht jeder sie in der Ursprache und mußte sich, abermals auf das Zeugnis seines Lehrers, mit Anführung einer Übersetzung begnügen. Und wie weit seltner beziehen sich die abendländischen Lehrer überhaupt auf die Schrift, da die morgenländischen, selbst auf ihren Konzilien, mehr nach gesammelten Meinungen voriger Kirchenväter als aus der Schrift entschieden! Tradition also und Glaube, für den man gestorben sei, wurde bald das vorzüglichste und siegende Argument des Christentums; je ärmer, entfernter und unwissender die Gemeine war, desto mehr mußte ihr eine solche Tradition, das Wort ihres Bischofs und Lehrers, das Bekenntnis der Blutzeugen als ein Zeugnis der Kirche gleichsam aufs Wort gelten.

Und doch läßt sich bei dem Ursprunge des Christentums kaum eine andere Weise der Fortpflanzung als diese gedenken; denn auf eine Geschichte war es gebaut, und eine Geschichte will Erzählung, Überlieferung, Glauben. Sie geht von Munde zu Munde, bis sie, in Schriften aufgenommen, gleichfalls eine festgestellte, fixierte Tradition wird, und jetzt erst kann sie von mehreren geprüft oder nach mehreren Traditionen verglichen werden. Nun aber sind auch meistens die Augenzeugen nicht mehr am Leben; wohl also, wenn sie der Sage nach das von ihnen gepflanzte Zeugnis mit ihrem Tode bekräftigt haben: hier beruhigt sich der menschliche Glaube.

Und so baute man zuversichtvoll die ersten christlichen Altäre auf Gräber. An Gräbern kam man zusammen; sie wurden in den Katakomben selbst Altäre, über welchen man das Abendmahl genoß, das christliche Bekenntnis ablegte und demselben, wie der Begrabene, treu zu sein angelobte, über Gräbern wurden die ersten Kirchen erbaut, oder die Leichname der Märtyrer wurden unter die erbauten Altäre gebracht, bis zuletzt auch nur mit einem Gebein derselben der Altar geweiht werden mußte. In Cerimonie und Formel ging nun über, was einst Ursprung der Sache, Entstehung und Besiegelung eines Bundes christlicher Bekenner gewesen war. Auch die Taufe, bei der ein Symbolum des Bekenntnisses abgelegt wurde, feierte man über der Bekenner Gräbern, bis späterhin die Baptisterien über ihnen erbaut oder Gläubige, zum Zeichen, daß sie auf ihr Taufbekenntnis gestorben sein, unter ihnen begraben wurden. Eins entstand aus dem andern, und fast die ganze Form und Gestalt der abendländischen Kirchengebräuche kam von diesem Bekenntnis und Gräberdienst her. [270]

Allerdings fand sich viel Rührendes bei diesem Bunde der Treue und des Gehorsams über den Gräbern. Wenn, wie Plinius sagt, die Christen vor Tage zusammenkamen, ihrem Christus als einem Gott Loblieder zu singen und sich mit dem Sakrament wie mit einem Eidschwur zur Reinheit der Sitten und zu Ausübung moralischer Pflichten zu verbinden, so mußte das stille Grab ihres Bruders ihnen ein redendes Symbol der Beständigkeit bis zum Tode, ja eine Grundfeste ihres Glaubens an jene Auferstehung werden, zu welcher ihr Herr und Lehrer, auch als Märtyrer, zuerst gelangt war. Das irdische Leben mußte ihnen vorübergehend, der Tod als eine Nachfolge seines Todes rühmlich und angenehm, ein zukünftiges Leben fast sichrer als das gegenwärtige dünken, und Überzeugungen dieser Art sind allerdings der Geist der ältesten christlichen Schritten. Indessen konnte es auch nicht fehlen, daß durch solche Anstalten die Liebe zum Märtyrertum unzeitig erweckt wurde, indem man, satt des vorübergehenden irdischen Lebens, nach der Blut- und Feuertaufe als nach der Heldenkrone Christi oft mit nutzlosem Eiter lief. Es konnte nicht fehlen, daß den Gebeinen der Begrabenen mit der Zeit eine fast göttliche Ehre angetan wurde und sie zu Entsühnungen, Heilungen und andern Wunderwerken abergläubig mißgebraucht wurden. Es konnte endlich am wenigsten fehlen, daß diese Schar christlicher Helden in kurzem den ganzen Kirchenhimmel bezog und, so wie ihre Leichname ins Schiff der Kirche mit Anbetung gebracht waren, auch ihre Seelen alle andere Wohltäter der Menschen aus ihren Sitzen vertrieben; womit dann eine neue christliche Mythologie anfing. Welche Mythologie? Die wir auf den Altären sehen, von der wir in den Legenden lesen.

2. Da im Christentum alles auf Bekenntnis, dies Bekenntnis aber auf einem Symbol und dies Symbol auf Tradition beruhte, so waren zu Erhaltung der Aufsicht und Ordnung entweder Wundergaben oder eine strenge Kirchenzucht vor allem nötig. Mit dieser Einrichtung stieg das Ansehen der Bischöfe, und um die Einheit des Glaubens, d. i. den Zusammenhang mehrerer Gemeinen zu erhalten, bedorfte man der Konzilien und Synoden. Ward man auf diesen nicht einig oder fanden sie in andern Gegenden Widerspruch, so nahm man angesehene Bischöfe als Schiedsrichter zu Hülfe, und am Ende konnte es nicht fehlen, daß nicht unter mehreren dieser apostolischen Aristokraten ein Hauptaristokrat sich allmählich hervorhob. Wer sollte dies sein? Wer konnte es werden? Der Bischof zu Jerusalem war zu entfernt und arm; seine Stadt hatte große Unfälle erlitten; sein Sprengel wurde von andern, auch apostolischen Bischöfen zu sehr eingeengt; er saß auf seinem Golgatha gleichsam außer dem Kreise der Weltherrschaft. Die Bischöfe von Antiochien, Alexandrien, Rom, endlich auch von Konstantinopel traten hervor, und es war Lage der Sache, daß der zu Rom über sie alle, auch über seinen eifrigsten Mitkämpfer, den konstantinopolitanischen, siegte. Dieser saß nämlich dem Thron der Kaiser zu nahe, die ihn nach Gefallen erheben und erniedrigen konnten; mithin dorfte er nichts als ihr prächtiger Hofbischof werden. Dagegen verbanden sich, seitdem die Kaiser Rom verlassen und sich an die Grenze Europas verpflanzt hatten, tausend Umstände, die dieser alten Hauptstadt der Welt das Primat der Kirche gaben. An die Verehrung des Namens Rom waren die Völker seit Jahrhunderten gewöhnt, und in Rom bildete man sich ein, daß auf ihren sieben Hügeln ein ewiger Geist der Weltbeherrschung schwebe. Hier hatten, den Kirchenregistern nach, so viele Märtyrer gezeugt und die größesten Apostel, Petrus und Paulus, ihre Kronen empfangen. Früh also erzeugte sich die Sage vom Bischoftum Petri in dieser alten apostolischen Kirche, und das unverrückte Zeugnis seiner Nachfolger wußte man bald zu erweisen. Da diesem Apostel nun namentlich die Schlüssel des Himmelreichs übergeben und auf sein Bekenntnis der unzerstörliche Felsenbau der Kirche gegründet war: wie natürlich, daß Rom an die Stelle Antiochiens oder Jerusalems trat und als Mutterkirche der herrschenden Christenheit betrachtet zu werden Anstalt machte. Frühe genoß der römische Bischof vor andern, gelehrteren und mächtigern, selbst auf Konzilien, Ehre und Vorsitz; man nahm ihn in Streitigkeiten als einen friedlichen Schiedsrichter an, und was lange eine frei gewählte Ratserholung gewesen war, wurde mit der Zeit als Appellation, seine belehrende Stimme als Entscheidung betrachtet. Die Lage Roms im Mittelpunkt der römischen Welt gewährte ihrem Bischöfe west-, süd- und nordwärts einen weiten Raum zu Ratschlägen und Einrichtungen; zumal der griechische Kaiserthron zu ferne stand, auch bald zu schwach war, als daß er ihn außerordentlich drücken konnte. Die schönen Provinzen des römischen Reichs, Italien mit seinen Inseln, Afrika, Spanien. Gallien und ein Teil von Deutschland, in welche das Christentum frühe gekommen war, lagen ihm als ein rat- und hülfbedürftiger Garten umher; höher hinauf standen die Barbaren, deren rauhere Gegenden bald zu einem urbaren Lande der Christenheit gemacht werden sollten. Allenthalben war hier, bei schwächerer Konkurrenz, mehr zu tun und zu gewinnen als in denen mit alten Bischoftümern übersäeten östlichen Provinzen, die durch Spekulationen, Widersprüche und Streitigkeiten, bald auch durch die wohllüstige Tyrannei der Kaiser, endlich durch die Einbrüche der mahomedanischen Araber und noch wilderer Völker eine zerstörte lechzende Aue wurden. Die barbarische Gutherzigkeit der Europäer kam ihm weit mehr zustatten als die Treulosigkeit der feinem Griechen oder die Schwärmerei der Asiaten. Das dort brausende Christentum, das hie und da ein hitziges Fieber des menschlichen Verstandes zu sein schien, kühlte sich also in einem gemäßigtem Erdstrich durch seine Satzungen und Rezepte ab, ohne welche wahrscheinlich auch hier alles in den kraftlosen Zustand gesunken wäre, den wir nach tollen Anstrengungen zuletzt in Orient bemerkten.

Gewiß hat der Bischof zu Rom für die christliche Welt viel getan; er hat, dem Namen seiner Stadt getreu, nicht nur durch Bekehrungen eine Welt erobert, sondern sie auch durch Gesetze, Sitten und Gebräuche länger, stärker und inniger, als das alte Rom die seine, regiert. Gelehrt hat der römische Stuhl nie sein wollen; er überließ dies Vorrecht andern, z.B. dem alexandrinischen, mailändischen, selbst dem hipponesischen Bischofstuhle und wer sonst dessen begehrte; aber auch die gelehrtesten Stühle unter sich zu bringen und nicht durch Philosophie, sondern durch Staatsklugheit, Tradition, kirchliches Recht und Gebräuche die Welt zu regieren, das war sein Werk und mußte es sein, da er selbst nur auf Gebräuchen und der Tradition ruhte. Von Rom aus sind also jene vielen Zeremonien der abendländischen Kirche ausgegangen, welche die Feier der Feste, die Einteilung der Priester, die Anordnung der Sakramente, Gebete und Opfer für die Toten oder Altäre, Kelche, Lichter, Fasten, die Anbetung der Mutter Gottes, den ehelosen Stand der Priester und Mönche, die Anrufung der Heiligen, den Dienst der Bilder, Prozessionen, Seelmessen, Glocken, die Kanonisation, Transsubstantiation, die Anbetung der Hostie u. f. betrafen: Gebräuche, die teils aus altern Veranlassungen, oft aus schwärmenden Vorstellungsarten des Orients entstanden, teils in abendländischen, am meisten in römischen Lokalumständen gleichsam gegeben waren und dem großen Kirchenritual nur nach und nach einverleibt wurden. [271] Solche Waffen eroberten jetzo die Welt; es waren die alles eröffnenden Schlüssel des Himmel- und Erdenreiches. Vor ihnen beugten sich die Völker, die übrigens Schwerter nicht scheuten; römische Gebräuche laugten mehr für sie als jene morgenländischen Spekulationen. Freilich sind diese kirchlichen Gesetze ein schrecklicher Gegensatz gegen die altrömische Staatskunst; indessen gingen sie doch am Ende darauf hinaus, den schweren Zepter in einen sanftem Hirtenstab und das barbarische Herkommen heidnischer Nationen mehr und mehr in ein milderes Christenrecht zu verwandeln. Der mühsam emporgekommene Oberhirte zu Rom mußte sich wider Willen des Abendlandes mehr annehmen, als einer seiner Mitbrüder in Ost und Westen es tun konnte; und wenn die Ausbreitung des Christentums an sich ein Verdienst ist, so hat er sich dieses in hohem Grade erworben. England und der größeste Teil von Deutschland, die nordischen Königreiche, Polen, Ungarn sind durch seine Gesandtschaften und Anstalten christliche Reiche; ja, daß Europa nicht von Hunnen, Sarazenen, Tataren, Türken, Mogolen vielleicht auf immer verschlungen worden, ist mit andern auch sein Werk. Wenn alle christlichen Kaiser-, Königs-, Fürsten-, Grafen- und Ritterstämme ihre Verdienste vorzeigen sollten, durch welche sie ehemals zur Herrschaft der Völker gelangten, so darf der dreigekrönte große Lama in Rom, auf den Schultern unkriegerischer Priester getragen, sie alle mit dem heiligen Kreuz segnen und sagen: »Ohne mich wärt ihr nicht, was ihr seid, worden.« Auch das gerettete Altertum ist sein Werk, und Rom ist wert, daß es ein stiller Tempel dieser geretteten Schätze bleibe.

3. Im Abendlande hat sich also die Kirche so lokal gebildet wie im Orient. Auch hier war ein lateinisches Ägypten, das christliche Afrika, in welchem, wie dort, manche afrikanische Lehren entstanden. Die harten Ausdrücke, die Tertullian von der Gnugtuung, Cyprian von der Buße der Gefallenen, Augustin von der Gnade und dem Willen des Menschen brauchte, flossen ins System der Kirche, und obgleich der Bischof zu Rom in seinen Anordnungen gewöhnlich den gemäßigten Weg ging, so fehlte es ihm dennoch bald an Gelehrsamkeit, bald an Ansehen, um auf dem ganzen Ozean der Lehre das Schiff der Kirche zu steuren. Von Augustin und Hieronymus wurde z.B. dem gelehrten, frommen Pelagius viel zu hart begegnt; der erste stritt gegen die Manichäer mit einem nur feinem Manichäismus, und was bei dem außerordentlichen Mann oft Feuer des Streits und der Einbildungskraft war, ging in zu heftiger Flamme in das System der Kirche über. Ruht indessen auch ihr wohl, ihr großen Streiter für das, was ihr Einheit des Glaubens nanntet. Euer mühsames Geschäft ist vollendet, und vielleicht habt ihr schon zu lange und stark auf die ganze Reihe christlicher Zeiten hinab gewirkt.

Noch muß ich des einen und ersten Ordens erwähnen, der in Okzident eingeführt wurde, der Benediktiner; ungeachtet aller Versuche, das morgenländische Mönchleben dem Abendlande einheimisch zu machen, widerstand zu gutem Glücke Europas das Klima, bis endlich, unter Begünstigung Roms, dieser gemäßigtere Orden zu Monte Cassino aufkam. Er nährte und kleidete besser, als jene im fastenden, heißen Orient tun dorften; dabei legte seine Regel, die ursprünglich von einem Laien für Laien gemacht war, auch die Arbeit auf, und durch diese insonderheit ist er manchem wüsten und wilden Strich in Europa nützlich worden. Wie viele schöne Gegenden in allen Ländern besitzen Benediktiner, die sie zum Teil urbar gemacht haben. Auch in allen Gattungen der Literatur taten sie, was mönchischer Fleiß tun konnte; einzelne Männer haben eine Bibliothek geschrieben und ganze Kongregationen es sich zur Pflicht gemacht, durch Erläuterung und Herausgabe zahlreicher Werke, insonderheit des Mittelalters, auch literarische Wüsteneien urbar zu machen und zu lichten. Ohne den Orden Benedikts wäre vielleicht der größeste Teil der Schriften des Altertums für uns verloren; und wenn es auf heilige Äbte, Bischöfe, Kardinäle und Päpste ankommt, so füllt die Zahl derer, die aus ihm hervorgegangen sind, mit dem, was sie veranstalteten, selbst eine Bibliothek. Der einzige Gregor der Große, ein Benediktiner, tat mehr, als zehn geist- und weltliche Regenten tun konnten; auch die Erhaltung der alten Kirchenmusik, die soviel Wirkung auf die Gemüter der Menschen gehabt hat, sind wir diesem Orden schuldig.

Weiter schreiten wir nicht. Um von dem zu reden, was unter den Barbaren das Christentum wirkte, müssen wir diese erst selbst ins Auge nehmen, wie sie in großen Zügen nacheinander ins römische Reich einziehn, Reiche stiften, meistens von Rom aus gefirmelt werden, und was zur Geschichte der Menschheit daraus ferner folgt.

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