Spielgemeinschaft ODYSSEE - Inhaltsübersicht
http://goethe.odysseetheater.com 

Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Neunzehntes Buch

I

Römische Hierarchie

Man ist gewohnt, dem, was ein Gebäude geworden ist, schon vor seiner Entstehung einen Entwurf des Baues zum Grunde zu legen; selten aber trifft dies bei den politischen Bauwerken ein, die nur die Zeiten vollführt haben. Bei Roms geistlicher Größe wäre selbst zu zweifeln, ob sie je erreicht worden wäre, wenn man mit unverwandtem Blick auf sie gearbeitet hätte. Auf dem Stuhle zu Rom saßen Bischöfe von so mancherlei Art wie auf jedem andern Throne, und auch für die fähigsten Werkzeuge gab's unglückliche Zeiten. Diese unglücklichen Zeiten aber und die Fehler der Vorgänger sowohl als der Feinde selbst zu nutzen, das war die Staatskunst dieses Stuhles, durch welche er zur Festigkeit und Hoheit gelangte. Lasst uns aus vielen nur einige Umstände der Geschichte samt den Grundsätzen betrachten, auf welche sich Roms Größe stützte.

Das meiste sagt der Name Rom selbst: die alte Königin der Welt, das Haupt und die Krone der Völker, hauchte auch ihrem Bischöfe den Geist ein, das Haupt der Völker auf seine Weise zu werden. Alle Sagen von Petrus' Bischof- und Märtyrertum wären zu Antiochien oder Jerusalem nicht von der politischen Wirkung gewesen, wie sie in der blühenden Kirche des alten ewigen Roms wurden; denn wieviel fand der Bischof dieser ehrwürdigen Stadt, das ihn fast ohne seinen Willen emporheben mußte! Der unaustilgbare Stolz des römischen Volks, dem so manche Kaiser hatten weichen müssen, trug ihn auf seinen Schultern und gab ihm, dem Hirten des ersten Volks der Erde, den Gedanken ein, in dieser hohen Schule der Wissenschaft und Staatskunst, zu welcher man auch noch in den christlichen Zeiten, um Roms Gesetze zu lernen, wallfahrtete, sie selbst zu lernen und gleich den alten Römern durch Satzungen und Rechte die Welt zu regieren. Die Pracht des heidnischen Gottesdienstes stand vor seinen Augen da, und da dieser in der römischen Staatsverfassung mit der obrigkeitlichen Macht verknüpft gewesen war, so erwartete das Volk auch in seinem christlichen Bischöfe den alten Pontifex maximus, Aruspex und Augur. An Triumphe, Feste und Staatsgebräuche gewöhnt, sähe es gern, daß aus Gräbern und Katakomben das Christentum in Tempel einzog, die der römischen Größe würdig waren, und so wurde durch Anordnungen, Feste und Gebräuche Rom zum zweitenmal das Haupt der Völker.

Frühe äußerte Rom seine gesetzgebende Klugheit dadurch, daß es auf Einheit der Kirche, auf Reinheit der Lehre, auf Rechtgläubigkeit und Katholizismus drang, auf den die Kirche gebaut werden mußte. Schon im zweiten Jahrhundert wagete es Victor, die Christen in Asien nicht für seine Brüder zu erkennen, wenn sie das Osterfest nicht zu einer Zeit mit ihm feiern wollten; ja die erste Spaltung der Juden- und Heidenchristen ist wahrscheinlich von Rom aus beigelegt worden: Paulus und Petrus liegen in ihm friedlich begraben. [285] Dieser Geist einer allgemeinen Lehre erhielt sich auf dem Römischen Stuhl; und obgleich einige Päpste sich vom Vorwurf der Ketzerei kaum haben rein erhalten mögen, so wußten jedesmal ihre Nachfolger einzulenken und traten zurück ans Steuer der rechtgläubigen Kirche. Nie hat sich Rom vor Ketzereien gebückt, sooft diese es auch mächtig drängten: morgenländische Kaiser, Ost- und Westgoten, Burgunder und Longobarden waren Arianer; einige derselben beherrschten Rom; Rom aber blieb katholisch. Ohne Nachsicht schnitt es zuletzt sich ab von der griechischen Kirche, ob diese gleich eine halbe Welt war. Notwendig mußte diese Grundlage einer unerschütterten Reinigkeit und Allgemeinheit der Lehre, die auf Schrift und Tradition zu ruhen vorgab, bei günstigen Umständen einen geistlichen Richterthron über sich gewinnen und tragen.

Solche günstige Umstände kamen. Nachdem der Kaiser Italien verlassen, als das Reich geteilt, von Barbaren überschwemmt, Rom mehrmals erobert und geplündert wurde, da hatte mehr als einmal sein Bischof Gelegenheit, auch sein Erretter zu werden. Er wurde der verlassenen Königsstadt Vater, und die Barbaren, die die Herrlichkeit Roms verehrten, scheusten desselben obersten Priester. Attila zog zurück; Geiserich gab nach; ergrimmte longobardische Könige warfen sich, noch ehe er Roms Herr war, vor ihm nieder. Lange wußte er zwischen Barbaren und Griechen die Mitte zu halten; er wußte zu teilen, damit er einst regiere. Und als die teilende Staatskunst nicht mehr gelang, da hatte er sein katholisches Frankreich zur Hülfe sich schon zubereitet; er zog über das Gebirge, erhielt von seinem Befreier mehr, als er gesucht hatte, seine Bischofsstadt mit allen Städten des Exarchats. Endlich wurde Karl der Große römischer Kaiser, und nun hieß es: ein Rom, ein Kaiser, ein Papst! drei unzertrennliche Namen, die fortan das Wohl und das Übel der Völker wurden. Unerhört ist's, was sich der römische Bischof schon gegen den Sohn seines Wohltäters erlaubte; noch mehreres wartete auf seine späteren Nachfolger. Er schlichtete zwischen den Kaisern, gebot ihnen, entsetzte sie und stieß die Krone von ihrem Haupt, die er ihnen gegeben zu haben glaubte. Die gutmütigen Deutschen, die 350 Jahre lang dieses Kleinodes halber nach Rom zogen und ihm das Blut ihrer Nation willig aufopferten, sie waren es, die den Übermut der Päpste zu seiner schrecklichsten Höhe erhuben. Ohne einen deutschen Kaiser und die traurige Verfassung seines Reichs wäre nie ein Hildebrand entstanden, und noch jetzt ist Deutschland seiner Verfassung wegen ein Ruhekissen der römischen Krone.

Wie das heidnische Rom seinen Eroberungen bequem lag, so war das christliche Rom den seinigen wohlgelegen. Von der Nord- und Ostsee, vom Schwarzen Meer und der Wolga kamen zahllose Völker, die der Bischof zu Rom mit dem rechtgläubigen Kreuz doch endlich bezeichnen mußte, wenn sie in dieser rechtgläubigen Gegend friedlich wohnen sollten; und die nicht selbst kamen, suchte er auf. Gebete und Weihrauch sandte er den Nationen, wofür sie ihm Gold und Silber weihten und seine zahlreichen Diener mit Äckern, Wäldern und Auen begabten. Die schönste Gabe aber, die sie ihm darbrachten, war ihr unbefangenes rohes Herz, das mehr sündigte, als es Sünden kannte, und von ihm Sündenregister empfing, damit es den Ablaß derselben empfangen möchte. Hier kamen die Schlüssel Petrus' in Übung, und sie erklungen nie ohne Belohnung. Welch ein schönes Erbteil der Geistlichen waren die Länder der Goten, Alemannen, Franken, Angeln, Sachsen, Dänen, Schweden, Slawen, Polen, Ungarn und Preußen! Je später diese Völker ins Himmelreich traten, desto teurer mußten sie den Eintritt, oft mit Land und Freiheit, bezahlen. Je nördlicher oder östlicher, desto langsamer war die Bekehrung, desto ansehnlicher ihr Dank; je schwerer ein Volk ans Glauben ging, desto fester lernte es glauben. Nach Grönland hinauf, zur Düna und zum Dnepr gen Osten, westlich bis zu jedem äußersten VorGebirge reichte endlich des römischen Bischofs Hürde.

Der Bekehrer der Deutschen, Winfried oder Bonifacius, hat dem Ansehen des Papstes über Bischöfe, die außer seiner Diözese saßen, mehr emporgeholfen, als es irgendein Kaiser hätte tun mögen. Als Bischof im Lande der Ungläubigen hatte er dem Papst einen Eid der Treue geschworen, der nachher durch Überredung und Federungen auch auf andere Bischöfe überging und endlich in allen katholischen Reichen zum Gesetz wurde. Mit den öftern Teilungen der Länder unter den Karlingern wurden auch die Diözesen der Bischöfe zerrissen, und der Papst bekam reiche Gelegenheit, in ihren Sprengeln zu wirken. Die Sammlung der Dekrete des falschen Isidors endlich, die in diesen karlingischen Zeiten, wahrscheinlich zwischen dem fränkischen und deutschen Reich, zuerst öffentlich erschien und. da man sie aus Unachtsamkeit, List und Unwissenheit gelten ließ, alle eingerissene jüngere Mißbräuche auf einmal mit dem ältesten Ansehen feststellte, dies einzige Buch diente dem Papst mehr als zehn Kaiserdiplome; denn überhaupt waren Unwissenheit und Aberglaube, mit denen die ganze Abendwelt überdeckt war, das weite und tiefe Meer, in welchem Petrus' Netz fischte.

Am meisten zeigt sich die Staatsklugheit der römischen Bischöfe darin, daß sie die widerwärtigsten Umstände ihnen zu dienen zwangen. Lange waren sie von den morgenländischen, oft wurden sie auch von den abendländischen Kaisern gedrückt, und doch mußte ihnen Konstantinopel zuerst den Rang eines allgemeinen Bischofs zugestehn, Deutschland endlich die Investitur der geistlichen Reichsstände doch überlassen. Die griechische Kirche trennte sich; auch zum Vorteil des Papstes, der in ihr nie zu dem Ansehen hätte kommen können, nach welchem er im Okzident strebte; jetzt schloß er die seinige desto fester an sich. Mahomed erschien, die Araber bemächtigten sich eines großen Teils des südlichen Europa, sie streiften selbst nahe an Rom und versuchten Landung; auch diese übel wurden dem Papst ersprießlich, der sowohl die Schwäche der griechischen Kaiser als die Gefahr, mit der Europa bedroht wurde, sehr wohl zu gebrauchen wußte, sich selbst als Retter Italiens ins Feld wagte und fortan das Christentum gegen alle Ungläubigen zum Feldpanier machte. Eine fürchterliche Art der Kriege, zu denen er mit Bann und Interdikt zwingen konnte und in denen er nicht etwa nur Herold, sondern oft auch Schatzmeister und Feldherr wurde. Das Glück der Normänner gegen die Araber nutzte er gleichfalls; er belieh sie mit Ländern, die ihm nicht gehörten, und gewann durch sie den Rücken frei, um vor sich hin zu wirken. So wahr ist's, daß der am weitsten kommt, der anfangs selbst nicht weiß, wie weit er kommen werde, dafür aber jeden Umstand, den ihm die Zeit gewährt, nach festen Maßregeln gebraucht.

Lasst uns einige dieser Maßregeln, die der römische Hof zu seinem Vorteil befolgt hat, ohne Liebe und Haß auszeichnen.

1. Roms Herrschaft beruhte auf Glauben, auf einem Glauben, der zeitlich und ewig das Wohl menschlicher Seelen befördern sollte. Zu diesem System gehörte alles, was menschliche Seelen leiten kann, und dies alles brachte Rom in seine Hände. Von Mutterleibe an bis ins Grab, ja bis jenseit desselben im Fegefeuer war der Mensch in der Gewalt der Kirche, der er sich nicht entziehen konnte, ohne rettungslos unglücklich zu werden: sie formte seinen Kopf, sie beunruhigte und beruhigte sein Herz; durch die Beicht hatte sie den Schlüssel zu seinen Geheimnissen, zu seinem Gewissen, zu allem, was er um und an sich trägt, in Händen. Lebenslang blieb der Gläubige unter ihrer Zucht unmündig, und im Artikel des Todes band sie ihn mit siebenfachen Banden, um den Reuigen und Freigebigen desto freigebiger zu lösen. Das geschah Königen und Bettlern, Rittern und Mönchen, Männern und Weibern; weder seines Verstandes noch seines Gewissens mächtig, mußte jedermann geleitet werden, und an Leitern konnte es ihm nie fehlen. Da nun der Mensch ein träges Geschöpf ist und, wenn er einmal an eine christliche Seelenpflege gewöhnt wurde, derselben schwerlich wieder entbehren mag, vielmehr seinen Nachkommen dies sanfte Joch als das Polster eines Kranken anempfiehlt, so war die Herrschaft der Kirche damit im Innersten der Menschen gegründet. Mit dem Verstande und dem Gewissen des Gläubigen hatte sie alles in ihrer Gewalt; es war eine Kleinigkeit, daß, wenn sie ihm sein Geistliches säete, sie etwa sein Leibliches ernte; hingegeben, wie er war, hatte sie ihn bei Leibesleben im Innersten längst geerbt.

2. Diesen Glauben zu leiten, bediente sich die Kirche nicht etwa des Größesten, des Wichtigsten, sondern des Faßlichsten, des Kleinsten, weil sie wohl wußte, welch ein weniges die Andacht der Menschen vergnüge. Ein Kreuz, ein Marienbild mit dem Kinde, eine Messe, ein Rosenkranz taten zu ihrem Zwecke mehr, als viele feine Spekulationen würden getan haben; und auch diesen Hausrat verwaltete sie mit dem sparsamsten Fleiße. Wo eine Messe hinreichte, bedorfte es des Abendmahls nicht; wo eine stille Messe gnug war, bedorfte es keiner lauten; wo man verwandeltes Brot aß, war der verwandelte Wein zu entbehren. Mit einer solchen Ökonomie gewann die Kirche Raum zu unzähligen Freiheiten und unkostbaren Geschenken; denn auch der sparsamste Ökonom könnte gefragt werden, ob er aus Wasser, Brot, Wein, aus einigen Glas- oder Holzperlen, ein wenig Wolle, Salbe und dem Kreuz ein mehreres zu machen wisse, als daraus die Kirche gemacht hat. So auch mit Formularen, Gebeten, Cerimonien. Nie wollte sie vergebens erfunden und angeordnet haben; alte Formeln blieben, obwohl für die neuere Zeit neue gehörten; die andächtige Nachkommenschaft sollte und wollte wie ihre Vorfahren selig werden. Noch weniger nahm die Kirche je einen ihrer begangenen Fehler zurück; gar zu augenscheinlich begangen, wurde er jederzeit nur auf die verblümtste Weise vernichtet; sonst blieb alles, wie es war, und wurde nach gegebnen Veranlassungen nicht verbessert, sondern vermehrt. Ehe auf diesem bedächtlichen Wege der Himmel voll Heiliger war, war die Kirche voll Reichtümer und Wunder; und auch bei den Wundern ihrer Heiligen hat sich die Erfindungskraft der Erzähler nicht bemüht. Alles wiederholt sich und baut auf den großen Grundsatz der Popularität, des Faßlichsten, des Gemeinsten, weil eben bei der mindesten Glaubwürdigkeit das oft und dreust Wiederkommende selbst Glauben gebietet und zuletzt Glauben findet.

3. Mit dem Grundsatz des Kleinsten wußte die römische Staatskunst das Feinste und Gröbste dergestalt zu verbinden, daß sie in beidem schwerlich zu übertreffen sein möchte. Niemand konnte demütiger, schmeichelnder und flehender sein, als in Zeiten der Not oder gegen Willfährige und Gutherzige die Päpste waren; bald spricht St. Petrus durch sie, bald der zärtlichste Vater; niemand aber kann auch offner und stärker, gröber und härter als sie schreiben und handeln, sobald es not war. Nie disputieren sie, sondern sie dekretieren; eine schlaue Kühnheit, die ihren Weg verfolgt, sie mag flehen und bitten oder fodern, drohen, trotzen und strafen, bezeichnet die Bullensprache des Romanismus fast ohne ihresgleichen. Daher der eigne Ton der Kirchengesetze, Briefe und Dekrete mittlerer Zeiten, der von der Würde der altrömischen Gesetzgebung sich sonderbar unterscheidet; der Knecht Christi ist gewöhnt, zu Laien oder zu Untergebnen zu sprechen, immer seiner Sache gewiß, nie sein Wort zurücknehmend. Dieser heilige Despotismus, mit väterlicher Würde geschmückt, hat mehr ausgerichtet als jene leere Höflichkeit nichtiger Staatsränke, denen niemand traut. Er wußte, was er wollte und wie er Gehorsam zu fodern habe.

4. Auf keinen einzelnen Gegenstand der bürgerlichen Gesellschaft ließ sich die römische Staatskunst mit Vorliebe ein; sie war um ihr selbst willen da, brauchte alles, was ihr diente, konnte alles vernichten, was ihr entgegenstand: denn nur an ihr selbst lag ihr. Ein geistlicher Staat, der auf Kosten aller christlichen Staaten lebte, konnte freilich nicht umhin, jetzt auch den Wissenschaften, jetzt der Sittlichkeit und Ordnung, jetzt dem Ackerbau, Künsten, dem Handel nützlich zu werden, wenn es sein Zweck wollte; daß aber dem eigentlichen Papismus es nie an reiner Aufklärung, an Fortschritten zu einer bessern Staatsordnung, samt allem, was dazu gehört, gelegen gewesen sei, erweist die ganze mittlere Geschichte. Der beste Keim konnte zertreten werden, sobald er gefährlich wurde; auch der gelehrtere Papst mußte seine Einsichten verbergen oder bequemen, sobald sie dem ewigen Interesse des Römischen Stuhls zu weit aus dem Wege lagen. Dagegen, was dies Interesse nährte, Künste, Zinsen, Aufruhr erregende Munizipalstädte, geschenkte Äcker und Länder, das wurde zur größern Ehre Gottes gepflegt und verwaltet. Bei aller Bewegung war die Kirche der stillstehende Mittelpunkt des Universum.

5. Zu diesem Zweck dorfte der römischen Staatsherrschaft alles dienen, was ihr nützte: Krieg und Schwert, Flamme und Gefängnis, erdichtete Schriften, Meineid auf eine geteilte Hostie, Inquisitionsgerichte und Interdikte, Schimpf und Elend, zeitliches und ewiges Unglück. Um ein Land gegen seinen Landesherren aufzubringen, konnten ihm alle Mittel der Seligkeit, außer In der Todesstunde, genommen werden; über Gottes- und Menschengebote, über Völker- und Menschenrechte wurde mit den Schlüsseln Petrus' gewaltet.

6. Und da dies Gebäude allen Pforten der Hölle überlegen sein sollte, da dies System kanonischer Einrichtungen, die Macht der Schlüssel, zu binden und zu lösen, die zauberische Gewalt heiliger Zeichen, die Gabe des Geistes, der sich von Petrus an auf seine Nachfolger und ihre Geweihten fortpflanzt, nichts als Ewigkeit predigt: wer könnte sich ein tiefer eingreifendes Reich gedenken? Seel- und leibeigen gehört ihm der Stand der Priester; mit geschornem Haupt und unwiderruflichem Gelübde werden sie seine Diener auf ewig. Unauflöslich ist das Band, das Kirche und Priester knüpft; genommen wird ihm Kind, Weib, Väter und Erbe; abgeschnitten vom fruchtbaren Baum des menschlichen Geschlechts, wird er dem perennierend-dürren Baum der Kirche eingeimpft: seine Ehre fortan nur ihre Ehre, ihr Nutzen, der seine; keine Änderung der Gedanken, keine Reue ist möglich, bis der Tod seine Knechtschaft endet. Dafür aber zeigte diesen Leibeignen die Kirche auch ein weites Feld der Belohnung, eine hohe Stutenleiter, reiche, weitgebietende Knechte, die Herren aller Freien und Großen der Erde zu werden. Den Ehrgeizigen reizte sie mit Ehre, den Andächtigen mit Andacht und hatte für jeden, was ihn lockt und belohnt. Auch hat diese Gesetzgebung das Eigene, daß, solange ein Rest von ihr da ist, sie ganz da sei und mit jeder einzelnen Maxime alle befolgt werden müssen; denn es ist Petrus' Fels, auf welchem man mit seinem unvergänglichen Netze fischt; es ist das unzuzerstückende Gewand, das im Spiel der Kriegsleute selbst nur einem zuteil werden konnte.

7. Und wer war in Rom, an der Spitze seines heiligen Kollegium, dieser eine? Nie ein wimmerndes Kind, dem man etwa an seiner Wiege den Eid der Treue schwur und damit allen Phantasien seines Lebens Huldigung gelobte; nie ein spielender Knabe, bei dem man sich durch Begünstigung seiner Jugendtorheiten einschmeichelte, um nachher der verzärtelnde Liebling seiner Laune zu werden; ein Mann oder Greis wurde erwählt, der, meistens in Geschäften der Kirche schon geübt, das Feld kannte, auf welchem er Arbeiter bestellen sollte. Oder er war mit den Fürsten seiner Zeit nahe verwandt und wurde in kritischen Zeiten gerade nur zu der Verlegenheit gewählt, die er abtun sollte. Nur wenige Jahre hatte er zu leben und für keine Nachkommenschaft rechtmäßig etwas zu erbeuten; wenn er aber auch dieses tat, so war's im großen ganzen des christlichen Pontifikats selten wert der Rede. Das Interesse des Römischen Stuhls war fortgehend; der erfahrne Greis wurde nur eingeschoben, damit er zu dem, was geschehen war, auch seinen Namen dazutun könnte. Manche Päpste erlagen der Bürde; andere rechtserfahrne, staatskluge, kühne und standhafte Männer verrichteten in wenigen Jahren mehr, als schwache Regierungen in einem halben Jahrhunderte tun konnten. Eine lange Reihe von Namen müßte hier stehen, wenn auch nur die vornehmsten würdigen und großen Päpste genannt werden sollten, bei deren vielen man es bedauert, daß sie zu keinem andern Zweck arbeiten konnten. Der wohllüstigen Weichlinge sind auf dem Römischen Stuhl weit weniger als auf den Thronen weltlicher Regenten, und bei manchen derselben sind ihre Fehler nur auffallend, weil sie Fehler der Päpste waren.

<zurück | Inhalt | weiter>

zurück zum Anfang

Diese Seite als PDF drucken
Wolfgang Peter, Ketzergasse 261/3, A-2380 Perchtoldsdorf, Austria Tel/Fax: +43-1- 86 59 103 Mobil: 0676 9 414 616 
www.odysseetheater.com             Impressum             Email: wolfgang@odysseetheater.com

Free counter and web stats