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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zahme Xenien

V

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827) und Gedichte. Nachlese

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

 


Zahme Xenien

V

Kein Stündchen schleiche dir vergebens,
Benutze, was dir widerfahren.
Verdruß ist auch ein Teil des Lebens,
Den sollen die Xenien bewahren.
Alles verdienet Reim und Fleiß,
Wenn man es recht zu sondern weiß.


Gott grüß euch, Brüder,
Sämtliche Oner und Aner!
Ich bin Weltbewohner,
Bin Weimaraner, 
Ich habe diesem edlen Kreis
Durch Bildung mich empfohlen,
Und wer es etwa besser weiß,
Der mag's woanders holen.


»Wohin willst du dich wenden?«
Nach Weimar-Jena, der großen Stadt,
Die an beiden Enden 
Viel Gutes hat.


Gar nichts Neues sagt ihr mir!
Unvollkommen war ich ohne Zweifel.
Was ihr an mir tadelt, dumme Teufel,
Ich weiß es besser als ihr!


»Sag mir doch, von deinen Gegnern
Warum willst du gar nichts wissen?«
Sag mir doch, ob du dahin trittst,
Wo man in den Weg?


Jude
Sie machen immerfort Chausseen,
Bis niemand vor Wegegeld reisen kann!

Student
Mit den Wissenschaften wird's auch so gehen;
Eine jede quält ihren eignen Mann.


»Was ist denn die Wissenschaft?«
Sie ist nur des Lebens Kraft.
Ihr erzeuget nicht das Leben,
Leben erst muß Leben geben.


»Wie ist denn wohl ein Theaterbau?«
Ich weiß es wirklich sehr genau:
Man pfercht das Brennlichste zusammen,
Da steht's denn alsobald in Flammen.


»Wie reizt doch das die Leute so sehr?
Was laufen sie wieder ins Schauspielhaus?«
Es ist doch etwas Weniges mehr,
Als säh man grade zum Fenster hinaus.


Konversationslexikon heißt's mit Recht,
Weil, wenn die Konversation ist schlecht,
Jedermann
Zur Konversation es nutzen kann.


Wie sollen wir denn da gesunden?
Haben weder Außen noch Innen gefunden.


Was haben wir denn da gefunden?
Wir wissen weder oben noch unten.


Mit diesem Versatilen
Scheint nur das Wort zu spielen;
Doch wirkt ein Wort so mächtig,
Ist der Gedanke trächtig.


Wenn sie aus deinem Korbe naschen,
Behalte noch etwas in der Taschen.
Sollen dich die Dohlen nicht umschrein,
Mußt nicht Knopf auf dem Kirchenturn sein.


Man zieht den Toten ihr ehrenvolles Gewand an
Und denkt nicht, daß man zunächst auch wohl 
balsamiert wird;
Ruinen sieht man als malerisch interessant an
Und fühlt nicht, daß man so eben auch ruiniert wird.


Und wo die Freunde verfaulen,
Das ist ganz einerlei,
Ob unter Marmorsaulen
Oder im Rasen frei.
Der Lebende bedenke,
Wenn auch der Tag ihm mault,
Daß er den Freunden schenke,
Was nie und nimmer fault.


»Hast du das alles nicht bedacht?
Wir haben's doch in unserm Orden.«
Ich hätt es gern euch recht gemacht,
Es wäre aber nichts geworden.


Noch bin ich gleich von euch entfernt,
Hass' euch Zyklopen und Silbenfresser!
Ich habe nichts von euch gelernt,
Ihr wußtet's immer besser.


Die Jugend ist vergessen
Aus geteilten Interessen;
Das Alter ist vergessen
Aus Mangel an Interessen.


»Brich doch mit diesem Lump sogleich,
Er machte dir einen Schelmenstreich;
Wie kannst du mit ihm leben?«


Ich mochte mich weiter nicht bemühn;
Ich hab ihm verziehn, 
Aber nicht vergeben.


»Schneide so kein Gesicht!
Warum bist du der Welt so satt?«
Das weiß alles nicht,
Was es neben und um sich hat.

»Wie soll ich meine Kinder unterrichten?
Unnützes, Schädliches zu sichten,
Belehre mich!«
Belehre sie von Himmel und Erden,
Was sie niemals begreifen werden!


Tadle nur nicht! Was tadelst du nur!
Bist mit Laternen auf der Spur
Dem Menschen, den sie nimmer finden!
Was willst ihn zu suchen dich unterwinden?


Die Bösen soll man nimmer schelten,
Sie werden zur Seite der Guten gelten;
Die Guten aber werden wissen,
Vor wem sie sich sorglich hüten müssen.


»In der Urzeit seien Menschen gewesen,
Seien mit Bestien zusammen gewesen.«


»Sie malträtieren dich spät und früh;
Sprichst du denn gar nicht mit?«
††† Seliger Erben und Kompagnie,
Die Firma hat immer Kredit.
Das Zeitungsgeschwister,
Wie mag sich's gestalten,
Als um die Philister
Zum Narren zu halten?


Dem Arzt verzeiht! Denn doch einmal
Lebt er mit seinen Kindern.
Die Krankheit ist ein Kapital,
Wer wollte das vermindern


»Mit unsern wenigen Gaben
Haben wir redlich geprahlt,
Und was wir dem Publikum gaben,
Sie haben es immer bezahlt.«


Frömmigkeit verbindet sehr;
Aber Gottlosigkeit noch viel mehr.


Verständige Leute kannst du irren sehn,
In Sachen nämlich, die sie nicht verstehn.


Der Achse wird mancher Stoß versetzt,
Sie rührt sich nicht - und bricht zuletzt.


Johannisfeuer sei unverwehrt,
Die Freude nie verloren!
Besen werden immer stumpf gekehrt
Und Jungen immer geboren.


Das Schlechte kannst du immer loben,
Du hast dafür sogleich den Lohn!
In deinem Pfuhle schwimmst du oben
Und bist der Pfuscher Schutzpatron.

Das Gute schelten? - Magst's probieren!
Es geht, wenn du dich frech erkühnst;
Doch treten, wenn's die Menschen spüren,
Sie dich in Quark, wie du's verdienst.


Jeder solcher Lumpenhunde
Wird vom zweiten abgetan;
Sei nur brav zu jeder Stunde,
Niemand hat dir etwas an.


Komm her! wir setzen uns zu Tisch,
Wen möchte solche Narrheit rühren!
Die Welt geht auseinander wie ein fauler Fisch,
Wir wollen sie nicht balsamieren.


Sage mir ein weiser Mann,
Was das Mick-Mack heißen kann?
Solch zweideutig Achseltragen,
Nutzen wird's nicht noch behagen.


Ihr seht uns an mit scheelem Blick,
Ihr schwanket vor, ihr schwankt zurück;
Und häufet Zeil auf Zeile.
So zerret Lesers dürftig Ohr
Mit vielgequirltem Phrasenflor;
Uns habt ihr nicht am Seile!
Die W. K. F.s
Mit ihren Treffs,
Sie wirken noch eine Weile.


Der trockne Versemann
Weiß nur zu tadeln;
Ja, wer nicht ehren kann,
Der kann nicht adeln.

»So laß doch auch noch diese gelten,
Bist ja im Urteil sonst gelind!«
Sie sollen nicht die schlechten
Dichter schelten,
Da sie nicht vielmal besser sind.


Deinen Vorteil zwar verstehst du,
Doch verstehst nicht aufzuräumen;
Haß und Widerwillen säst du,
Und dergleichen wird auch keimen.


Will einer sich gewöhnen,
So sei's zum Guten, zum Schönen.
Man tue nur das Rechte,
Am Ende duckt, am Ende dient der Schlechte.


Es darf sich einer wenig bücken,
So hockt mit einem leichten Sprung
Der Teufel gleich dem Teufel auf dem Rücken.


Anbete du das Feuer hundert Jahr',
Dann fall hinein, dich frißt's mit Haut und Haar.

»Der Mond soll im Kalender stehn;
Doch auf den Straßen ist er nicht zu sehn!
Warum darauf die Polizei nicht achtet!«

Mein Freund, urteile nicht so schnell!
Du tust gewaltig klug und hell,
Wenn es in deinem Kopfe nachtet.


O ihr Tags- und Splitterrichter,
Splittert nur nicht alles klein!
Denn, fürwahr! der schlechtste Dichter
Wird noch euer Meister sein.


Habe nichts dagegen, daß ihm so sei;
Aber daß mich's erfreut,
Das müßt ich lügen.
Eh ich's verstand, da sprach ich frei,
Und jetzt versteh ich mancherlei;
Warum sollt ich nun schweigen,
Uns neuen Weg zu zeigen?


Das ist doch nur der alte Dreck,
Werdet doch gescheiter!
Tretet nicht immer denselben Fleck,
So geht doch weiter!


Viel Wunderkuren gibt's jetzunder,
Bedenkliche, gesteh ich's frei!
Natur und Kunst tun große Wunder,
Und es gibt Schelme nebenbei.


Mit diesen Menschen umzugehen
Ist wahrlich keine große Last:
Sie werden dich recht gut verstehen,
Wenn du sie nur zum besten hast.


O Welt, vor deinem häßlichen Schlund
Wird guter Wille selbst zunichte.
Scheint das Licht auf einen schwarzen Grund,
So sieht man nichts mehr von dem Lichte.


Mit Liebe nicht, nur mit Respekt
Werden wir uns mit dir vereinen.
O Sonne, tätest du deinen Effekt,
Ohne zu scheinen!


Sie täten gern große Männer verehren,
Wenn diese nur auch zugleich Lumpe wären.


Wir
Du toller Wicht, gesteh nur offen:
Man hat dich auf manchem Fehler betroffen!

Er
Jawohl! doch macht ich ihn wieder gut.

Wir
Wie denn?

Er
Ei, wie's ein jeder tut.

Wir
Wie hast du denn das angefangen?

Er
Ich hab einen neuen Fehler begangen,
Darauf waren die Leute so versessen,
Daß sie des alten gern vergessen.


Wie mancher auf der Geige fiedelt,
Meint er, er habe sich angesiedelt;
Auch in natürlicher Wissenschaft,
Da übt er seine geringe Kraft
Und glaubt, auf seiner Violin
Ein anderer, dritter Orpheus zu syn.
Jeder streicht zu, versucht sein Glück,
Es ist zuletzt eine Katzenmusik.


Alles will reden,
Jeder will wandeln;
Ich allein soll nicht sprechen
Noch handeln.


Sie kauen längst an dem schlechten Bissen;
Wir spaßen, die wir's besser wissen.


Das ist eine von den alten Sünden,
Sie meinen: Rechnen, das sei Erfinden.


Und weil sie so viel Recht gehabt,
Sei ihr Unrecht mit Recht begabt.


Und weil ihre Wissenschaft exakt,
So sei keiner von ihnen vertrackt.


Man soll nicht lachen!
Sich nicht von den Leuten trennen!
Sie wollen alle machen,
Was sie nicht können.


Wenn du hast, das ist wohl schön,
Doch du mußt es auch verstehn:
Können, das ist große Sache,
Damit das Wollen etwas mache.


Hier liegt ein überschlechter Poet!
Wenn er nur niemals aufersteht.


Hätt ich gezaudert zu werden,
Bis man mir 's Leben gegönnt,
Ich wäre noch nicht auf Erden,
Wie ihr begreifen könnt,
Wenn ihr seht, wie sie sich gebärden,
Die, um etwas zu scheinen,
Mich gerne machten verneinen.
Mag's die Welt zur Seite weisen,
Wenig Schüler werden's preisen,
Die an deinem Sinn entbrannt,
Wenn die Vielen dich verkannt.


Ein reiner Reim wird wohl begehrt,
Doch den Gedanken rein zu haben,
Die edelste von allen Gaben,
Das ist mir alle Reime wert.


Allerlieblichste Trochäen
Aus der Zeile zu vertreiben
Und schwerfälligste Spondeen
An die Stelle zu verleiben,
Bis zuletzt ein Vers entsteht,
Wird mich immerfort verdrießen.
Laß die Reime lieblich fließen,
Laß mich des Gesangs genießen
Und des Blicks, der mich versteht!


»Ein Schnippchen schlägst du doch im Sack,
Der du so ruhig scheinest;
So sag doch frank und frei dem Pack,
Wie du's mit ihnen meinest.«
Ich habe mir mit Müh und Fleiß
Gefunden, was ich suchte;
Was schiert es mich, ob jemand weiß,
Daß ich das Volk verfluchte.


Für mich hab ich genug erworben,
Soviel auch Widerspruch sich regt;
Sie haben meine Gedanken verdorben
Und sagen, sie hätten mich widerlegt.


Nur stille! nur bis morgen früh:
Denn niemand weiß recht, was er will.
Was für ein Lärm! was für eine Müh!
Ich sitze gleich und schlummre still.


Alles auch Meinende
Wird nicht vereint,
Weil das Erscheinende
Nicht mehr erscheint.


Reuchlin! wer will sich ihm vergleichen?
Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen!
Das Fürsten- und das Städtewesen
Durchschlängelte sein Lebenslauf,
Die heilige Bücher schloß er auf.
Doch Pfaffen wußten sich zu rühren,
Die alles breit ins Schlechte führen,
Sie finden alles da und hie
So dumm und so absurd wie sie.
Dergleichen will mir auch begegnen,
Bin unter Dache, laß es regnen:
Denn gegen die obskuren Kutten,
Die mir zu schaden sich verquälen,
Auch mir kann es an Ulrich Hutten,
An Franz von Sickingen nicht fehlen.


Am Lehrling mäkelten sie,
Nun mäkeln sie am Wandrer;
Jener lernte spät und früh,
Dieser wird kein andrer.
Beide wirken im schönen Kreise
Kräftig, wohlgemut und zart;
Lerne doch jeder nach seiner Weise,
Wandle doch jeder in seiner Art.


Nein, das wird mich nicht kränken,
Ich acht es für Himmelsgabe!
Soll ich geringer von mir denken,
Weil ich Feinde habe?


Warum ich Royaliste bin,
Das ist sehr simpel:
Als Poet fand ich Ruhms Gewinn,
Frei Segel, freie Wimpel;
Mußt aber alles selber tun,
Konnt niemand fragen;
Der alte Fritz wußt auch zu tun,
Durft ihm niemand was sagen.


»Sie wollten dir keinen Beifall gönnen,
Du warst niemals nach ihrem Sinn!«
Hätten sie mich beurteilen können,
So wär ich nicht, was ich bin.


Das Unvernünftige zu verbreiten,
Bemüht man sich nach allen Seiten;
Es täuschet eine kleine Frist,
Man sieht doch bald, wie schlecht es ist.


»Der Pseudowandrer, wie auch dumm,
Versammelt sein Geschwister.«
Es gibt manch Evangelium,
Hab es auch der Philister!


Ihr edlen Deutschen wißt noch nicht,
Was eines treuen Lehrers Pflicht
Für euch weiß zu bestehen;


Zu zeigen, was moralisch sei,
Erlauben wir uns frank und frei,
Ein Falsum zu begehen.


Hiezu haben wir Recht und Titel,
Der Zweck heiligt die Mittel.


Verdammen wir die Jesuiten,
So gilt es doch in unsern Sitten.


Ist dem Gezücht Verdienst ein Titel?
Ein Falsum wird ein heilig Mittel.
Das schmeichelt ja, sie wissen's schon,
Der frommen deutschen Nation,
Die sich erst recht erhaben fühlt,
Wenn all ihr Würdiges ist verspielt.
»Doch gegen die obskuren Kutten,
Die mir zu schaden sich verquälen,
Auch mir soll es an Ulrich Hutten,
An Franz von Sickingen nicht fehlen.«


Ihr schmähet meine Dichtung;
Was habt ihr denn getan?
Wahrhaftig, die Vernichtung,
Verneinend fängt sie an.
Doch ihren scharfen Besen
Strengt sie vergebens an;
Ihr seid gar nicht gewesen!
Wo träfe sie euch an?


Haben da und dort zu mäkeln,
An dem äußern Rand zu häkeln,
Machen mir den kleinen Krieg.
Doch ihr schadet eurem Rufe;
Weilt nicht auf der niedern Stufe,
Die ich längst schon überstieg!


»Die Feinde, sie bedrohen dich,
Das mehrt von Tag zu Tage sich,
Wie dir doch gar nicht graut!«
Das seh ich alles unbewegt,
Sie zerren an der Schlangenhaut,
Die jüngst ich abgelegt.
Und ist die nächste reif genung,
Ab streif ich die sogleich
Und wandle neubelebt und jung
Im frischen Götterreich.


Ihr guten Kinder,
Ihr armen Sünder
Zupft mir am Mantel -
Laßt nur den Handel!
Ich werde wallen
Und laß ihn fallen;
Wer ihn erwischet,
Der ist erfrischet.


Über Moses Leichnam stritten
Selige mit Fluchdämonen;
Lag er doch in ihrer Mitten,
Kannten sie doch kein Verschonen!
Greift der stets bewußte Meister
Nochmals zum bewährten Stabe,
Hämmert auf die Pustrichsgeister;
Engel brachten ihn zu Grabe.

 

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