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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte. Nachlese

Zahme Xenien

IX

Gedichte. Nachlese

 

 


Zahme Xenien

IX

»Sag, was enthält die Kirchengeschichte?
Sie wird mir in Gedanken zunichte;
Es gibt unendlich viel zu lesen,
Was ist denn aber das alles gewesen?«

Zwei Gegner sind es, die sich boxen,
Die Arianer und Orthodoxen.
Durch viele Säkla dasselbe geschicht,
Es dauert bis an das Jüngste Gericht.

Der Vater ewig in Ruhe bleibt,
Er hat der Welt sich einverleibt.

Der Sohn hat Großes unternommen:
Die Welt zu erlösen, ist angekommen;
Hat gut gelehrt und viel ertragen,
Wie das [?] noch heut in unsern Tagen.

Nun aber kommt der Heilig Geist,
Er wirkt am Pfingsten allermeist.
Woher er kommt, wohin er weht,
Das hat noch niemand ausgespäht.
Sie geben ihm nur eine kurze Frist,
Da er doch Erst' und Letzter ist.

Deswegen wir treulich, unverstohlen
Das alte Credo wiederholen:
Anbetend sind wir all' bereit
Die ewige Dreifaltigkeit.


Mit Kirchengeschichte was hab ich zu schaffen?
Ich sehe weiter nichts als Pfaffen;
Wie's um die Christen steht, die Gemeinen,
Davon will mir gar nichts erscheinen.


Ich hätt auch können Gemeinde sagen,
Ebensowenig wäre zu erfragen.


Glaubt nicht, daß ich fasele, daß ich dichte;
Seht hin und findet mir andre Gestalt!
Es ist die ganze Kirchengeschichte
Mischmasch von Irrtum und von Gewalt.


Ihr Gläubigen! rühmt nur nicht euren Glauben
Als einzigen! Wir glauben auch wie ihr.
Der Forscher läßt sich keineswegs berauben
Des Erbteils, aller Welt gegönnt - und mir.


Ein Sadduzäer will ich bleiben! -
Das könnte mich zur Verzweiflung treiben,
Wenn von dem Volk, das hier mich bedrängt,
Auch würde die Ewigkeit eingeengt;
Das wäre doch nur der alte Platsch,
Droben gäb's nur verklärten Klatsch.
»Sei nicht so heftig, sei nicht so dumm!
Da drüben bildet sich alles um.«


Ich habe nichts gegen die Frömmigkeit,
Sie ist zugleich Bequemlichkeit;
Wer ohne Frömmigkeit will leben,
Muß großer Mühe sich ergeben:
Auf seine eigne Hand zu wandern,
Sich selbst genügen und den andern
Und freilich auch dabei vertraun,
Gott werde wohl auf ihn niederschaun.


Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,
Hat auch Religion;
Wer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.


Niemand soll ins Kloster gehn,
Als er sei denn wohl versehn
Mit gehörigem Sündenvorrat,
Damit es ihm so früh als spat
Nicht mög am Vergnügen fehlen,
Sich mit Reue durchzuquälen.


Laßt euch nur von Pfaffen sagen,
Was die Kreuzigung eingetragen!
Niemand kommt zum höchsten Flor
Von Kranz und Orden,
Wenn einer nicht zuvor
Derb gedroschen worden.


Den deutschen Mannen gereicht's zum Ruhm,
Daß sie gehaßt das Christentum,
Bis Herrn Carolus' leidigem Degen
Die edlen Sachsen unterlegen.


Doch haben sie lange genug gerungen,
Bis endlich die Pfaffen sie bezwungen
Und sie sich unters Joch geduckt;
Doch haben sie immer einmal gemuckt.
Sie lagen nur im halben Schlaf,
Als Luther die Bibel verdeutscht so brav.
Sankt Paulus, wie ein Ritter derb,
Erschien den Rittern minder herb.
Freiheit erwacht in jeder Brust,
Wir protestieren all mit Lust.


»Ist Konkordat und Kirchenplan
Nicht glücklich durchgeführt?« -
Ja fangt einmal mit Rom nur an,
Da seid ihr angeführt.

Ein lutherischer Geistlicher spricht:

Heiliger, lieber Luther,
Du schabtest die Butter
Deinen Gesellen vom Brot,
Das verzeihe dir Gott!

Den Vereinigten Staaten

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern
Zu lebendiger Zeit
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.


Benutzt die Gegenwart mit Glück!
Und wenn nun eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.


Bei einer großen Wassersnot
Rief man zu Hülfe das Feuer,
Da ward sogleich der Himmel rot,
Und nirgend war es geheuer:
Durch Wälder und Felder kamen gerannt
Die Blitze zu flammenden Rotten,
Die ganze Erde, sie war verbrannt,
Noch eh die Fische gesotten.


Und als die Fische gesotten waren,
Bereitet' man große Feste;
Ein jeder brachte sein Schüsselein mit,
Groß war die Zahl der Gäste;
Ein jeder drängte sich herbei,
Hier gab es keine Faule;
Die Gröbsten aber schlugen sich durch
Und fraßen's den andern vom Maule.


Die Engel stritten für uns Gerechte,
Zogen den kürzern in jedem Gefechte;
Da stürzte denn alles drüber und drunter,
Dem Teufel gehörte der ganze Plunder.
Nun ging es an ein Beten und Flehen!
Gott ward bewegt, hereinzusehen.
Spricht Logos, dem die Sache klar
Von Ewigkeit her gewesen war:
Sie sollten sich keineswegs genieren,
Sich auch einmal als Teufel gerieren,
Auf jede Weise den Sieg erringen
Und hierauf das Tedeum singen.


Das ließen sie sich nicht zweimal sagen,
Und siehe! die Teufel waren geschlagen.
Natürlich fanden sie hinterdrein,
Es sei recht hübsch, ein Teufel zu sein.

Wenn auch der Held sich selbst genug ist,
Verbunden geht es doch geschwinder;
Und wenn der Überwundne klug ist,
Gesellt er sich zum Überwinder.


Die reitenden Helden vom festen Land
Haben jetzt gar viel zu bedeuten;
Doch stünd es ganz in meiner Hand,
Ein Meerpferd möcht ich reiten.


Am Jüngsten Tag vor Gottes Thron
Stand endlich Held Napoleon.
Der Teufel hielt ein großes Register
Gegen denselben und seine Geschwister,
War ein wundersam verruchtes Wesen:
Satan fing an, es abzulesen.

Gott Vater oder Gott der Sohn,
Einer von beiden sprach vom Thron,
Wenn nicht etwa gar der Heilige Geist
Das Wort genommen allermeist:

»Wiederhol's nicht vor göttlichen Ohren!
Du sprichst wie die deutschen Professoren.
Wir wissen alles, mach es kurz!
Am Jüngsten Tag ist's nur ein....
Getraust du dich, ihn anzugreifen,
So magst du ihn nach der Hölle schleifen.«


Ich kann mich nicht betören lassen,
Macht euren Gegner nur nicht klein:
Ein Kerl, den alle Menschen hassen,
Der muß was sein!


Wolltet ihr in Leipzigs Gauen
Denkmal in die Wolken richten,
Wandert, Männer all und Frauen,
Frommen Umgang zu verrichten!


Jeder werfe dann die Narrheit,
Die ihn selbst und andre quälet,
Zu des runden Haufens Starrheit,
Nicht ist unser Zweck verfehlet.


Ziehen Junker auch und Fräulen
Zu der Wallfahrt stillem Frieden,
Wie erhabne Riesensäulen
Wachsen unsre Pyramiden.


Die Sprachreiniger
Gott Dank! daß uns so wohl geschah:
Der Tyrann sitzt auf Helena!
Doch ließ sich nur der eine bannen,
Wir haben jetzo hundert Tyrannen.
Die schmieden, uns gar unbequem,
Ein neues Kontinentalsystem.
Teutschland soll rein sich isolieren,
Einen Pestkordon um die Grenze führen,
Daß nicht einschleiche fort und fort Kopf,
Körper und Schwanz von fremdem Wort.


An die T... und D...
Verfluchtes Volk! kaum bist du frei,
So brichst du dich in dir selbst entzwei.
War nicht der Not, des Glücks genug?
Deutsch oder teutsch, du wirst nicht klug.


Ein ewiges Kochen statt fröhlichem Schmaus!
Was soll denn das Zählen, das Wägen, das Grollen?
Bei allem dem kommt nichts heraus,
Als daß wir keine Hexameter machen sollen,
Und sollen uns patriotisch fügen,
An Knittelversen uns zu begnügen.

Sagst du »Gott«, so sprichst du vom Ganzen;
Sagst du »Welt«, so sprichst du von Schranzen.
Hofschranzen sind noch immer die besten -
* * * schranzen fürchte, die allerletzten.


Hatte sonst einer ein Unglück getragen,
So durft er es wohl dem andern klagen;
Mußte sich einer im Felde quälen,
Hatt er im Alter was zu erzählen.
Jetzt sind sie allgemein, die Plagen,
Der einzelne darf sich nicht beklagen;
Im Felde darf nun niemand fehlen -
Wer soll denn hören, wenn sie erzählen?


Die Deutschen sind recht gute Leut,
Sind sie einzeln, sie bringen's weit,
Nun sind ihnen auch die größten Taten
Zum ersten Mal im Ganzen geraten.
Ein jeder spreche amen darein,
Daß es nicht möge das letzte Mal sein.


Die Franzosen verstehn uns nicht;
Drum sagt man ihnen deutsch ins Gesicht,
Was ihnen wär verdrießlich gewesen,
Wenn sie es hätten franzö'sch gelesen.


Epimenides' Erwachen. Letzte Strophe
Verflucht sei, wer nach falschem Rat,
Mit überfrechem Mut,
Das, was der Korse-Franke tat,
Nun als ein Deutscher tut!
Er fühle spät, er fühle früh,
Es sei ein dauernd Recht;
Ihm geh es, trotz Gewalt und Müh,
Ihm und den Seinen schlecht!


Was haben wir nicht für Kränze gewunden!
Die Fürsten, sie sind nicht gekommen;
Die glücklichen Tage, die himmlischen Stunden,
Wir haben voraus sie genommen.
So geht es wahrscheinlich mit meinem Bemühn,
Den lyrischen Siebensachen;
Epimenides, denk ich, wird in Berlin
Zu spät, zu früh erwachen.
Ich war von reinem Gefühl durchdrungen;
Bald schein ich ein schmeichelnder Lober:
Ich habe der Deutschen Juni gesungen,
Das hält nicht bis in Oktober.

Was die Großen Gutes taten,
Sah ich oft in meinem Leben;
Was uns nun die Völker geben,
Deren auserwählte Weisen
Nun zusammen sich beraten,
Mögen unsre Enkel preisen,
Die's erleben.


Sonst, wie die Alten sungen,
So zwitscherten die Jungen;
Jetzt, wie die Jungen singen,
Soll's bei den Alten klingen.
Bei solchem Lied und Reigen
Das Beste - ruhn und schweigen.


Calan empfahl sich Alexandern,
Um jenen Rogus zu besteigen.
Der König fragte, so die andern
Des Heeres auch: »Was willst du zeigen?«
»Nichts zeigen will ich, aber zeigen,
Daß vor dem Könige, dem Heere,
Vor blinkend blitzendem Gewehre
Dem Weisen sich's geziemt zu schweigen.«


»Warum denn aber bei unsern Sitzen
Bist du so selten gegenwärtig?«
Mag nicht für Langerweile schwitzen,
Der Mehrheit bin ich immer gewärtig.


Was doch die größte Gesellschaft beut?
Es ist die Mittelmäßigkeit.


Konstitutionell sind wir alle auf Erden;
Niemand soll besteuert werden,
Als wer repräsentiert ist.
Da dem also ist, Frag ich und werde kühner:
Wer repräsentiert denn die Diener?


Wie alles war in der Welt entzweit,
Fand jeder in Mauern gute Zeit:
Der Ritter duckte sich hinein,
Bauer in Not fand's auch gar fein.
Wo kam die schönste Bildung her,
Und wenn sie nicht vom Bürger wär?
Wenn aber sich Ritter und Bauern verbinden,
Da werden sie freilich die Bürger schinden.


Laßt euch mit dem Volk nur ein,
Popularischen! Entschied' es,
Wellington und Aristides
Werden bald beiseite sein.


Besonders, wenn die Liberalen
Die Pinsel fassen, kühnlich malen,
Man freut sich am Originalen;
Da zeigt sich nun ein jeder frei:
Er ist von Kindesbeinen tüchtig,
Sein Urteil ist ihm nur gewichtig,
Die Kunst ist selbst schon Tyrannei.


Ich bin so sehr geplagt
Und weiß nicht, was sie wollen,
Daß man die Menge fragt,
Was einer hätte tun sollen.


Mir ist das Volk zur Last,
Meint es doch dies und das:
Weil es die Fürsten haßt,
Denkt es, es wäre was.


»Sage mir, was das für Pracht ist?
Äußre Größe, leerer Schein!« -
O zum Henker! Wo die Macht ist,
Ist doch auch das Recht, zu sein.


Bürgerpflicht
Ein jeder kehre vor seiner Tür,
Und rein ist jedes Stadtquartier.
Ein jeder übe sein' Lektion,
So wird es gut im Rate stohn.


»Warum denn wie mit einem Besen
Wird so ein König hinausgekehrt?«
Wären's Könige gewesen,
Sie stünden alle noch unversehrt.


Geburt und Tod betrachtet ich
Und wollte das Leben vergessen;
Ich armer Teufel konnte mich
Mit einem König messen.


»Der alte, reiche Fürst
Blieb doch vom Zeitgeist weit,
Sehr weit!« -
Wer sich aufs Geld versteht,
Versteht sich auf die Zeit,
Sehr auf die Zeit!


»Geld und Gewalt, Gewalt und Geld,
Daran kann man sich freuen;
Gerecht- und Ungerechtigkeit,
Das sind nur Lumpereien.«


Die gute Sache kommt mir vor
Als wie Saturn, der Sünder:
Kaum sind sie an das Licht gebracht,
So frißt er seine Kinder.


Daß du die gute Sache liebst,
Das ist nicht zu vermeiden;
Doch von der schlimmsten ist sie nicht
Bis jetzt zu unterscheiden.

Grabschrift, gesetzt von A. v. J.

Verstanden hat er vieles recht,
Doch sollt er anders wollen;
Warum blieb er ein Fürstenknecht?
Hätt unser Knecht sein sollen.

 

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