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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried 

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Erstes Buch

V

Der Planet, den wir bewohnen, ist ein Erdgebirge, das über die Wasserfläche hervorragt

Der simple Anblick einer Weltkarte bestätigt dieses. Ketten von Gebirgen sind's, die das feste Land  nicht nur durchschneiden, sondern die auch offenbar  als das Gerippe dastehn, an und zu dem sich das Land gebildet hat. In Amerika läuft das Gebirge längst  dem westlichen Ufer durch den Isthmus hinauf. Es  geht quer hin, wie sich das Land ziehet; wo es mehr  in die Mitte tritt, wird auch das Land breiter; bis es  sich über Neumexiko in unbekannten Gegenden verlieret. Wahrscheinlich geht es auch hier nicht nur  höher hinauf bis zu den Eliasbergen fort, sondern  hängt auch in der Breite mit mehreren, insonderheit  den Blauen Bergen zusammen, so wie in Südamerika, wo das Land breiter wird, auch Berge sich nörd- und  östlich hinziehn. Amerika ist also, selbst seiner Figur  nach, ein Erdstrich, an seine Berge gehängt und  gleichsam an ihren Fuß ebner oder schroffer hinangebildet.

Die drei andern Weltteile geben einen zusammengesetztern Anblick, weil ihr großer Umfang im Grunde nur ein Weltteil ist; indessen ist's auch bei ihnen  ohne Mühe kennbar, daß der Erdrücken Asiens der  Stamm der Gebirge sei, die sich über diesen Weltteil  und über Europa, vielleicht auch über Afrika, wenigstens über seinen obern Teil, verbreiten. Der Atlas ist  eine Fortstreckung der asiatischen Gebirge, die in der Mitte des Landes nur eine größere Höhe gewinnen  und sich durch die Bergreihen am Nil wahrscheinlich  mit den Mondsgebirgen binden. Ob diese Mondsgebirge der Höhe und Breite nach ein wirklicher Erdrücken sein, muß die Zukunft lehren. Die Größe des  Landes und einige zerstückte Nachrichten sollten es  zu vermuten geben; indessen scheint eben auch die  proportionierte Wenigkeit und Kleinheit der Flüsse  dieses Erdstrichs, die uns bekannt sind, noch nicht  eben dafür zu entscheiden, daß seine Höhe ein wahrer Erdgürtel sei wie der asiatische Ural oder die amerikanischen Cordilleras. Gnug, auch in diesen Weltteilen ist offenbar das Land den Gebirgen angebildet.  Alle seine Strecken laufen parallel den Asten der  Berge; wo diese sich breiten und verästigen, breiten  sich auch die Länder. Dies gilt bis auf Vorgebirge,  Inseln und Halbinseln: das Land streckt seine Arme  und Glieder, wie sich das Geripp der Gebirge streckt; es ist also nur eine mannigfaltige, in mancherlei  Schichten und Erdlagen an sie angebildete Masse, die  endlich bewohnbar worden.

Auf die Fortleitung der ersten Gebirge kam's also  an, wie die Erde als festes Land dastehen sollte; sie  scheinen gleichsam der alte Kern und die Strebepfeiler der Erde zu sein, auf welche Wasser und Luft nur  ihre Last ablegten, bis endlich eine Pflanzstätte der  Organisation herabgedachet und geebnet ward. Aus  dem Umschwung einer Kugel sind diese ältesten Gebirgsketten nicht zu erklären, sie sind nicht in der Gegend des Äquators, wo der Kugelschwung am größesten war; sie laufen demselben auch nicht einmal parallel, vielmehr geht die amerikanische Bergreihe gerade durch den Äquator. Wir dürfen also von diesen  mathematischen Bezirkungen hier kein Licht fodern,  da überhaupt auch die höchsten Berge und Bergreihen gegen die Masse der Kugel in ihrer Bewegung ein unbedeutendes Nichts sind. Ich halte es also auch nicht  für gut, in Namen der Gebirgketten Ähnlichkeit mit  dem Äquator und den Meridianen zu substituieren, da zwischen beiden kein wahrer Zusammenhang stattfindet und die Begriffe damit eher irregeführt würden.  Auf ihre ursprüngliche Gestalt, Erzeugung und Fortstreckung, auf ihre Höhe und Breite, kurz, auf ein  physisches Naturgesetz kommt es an, das uns ihre  Bildung und mit derselben auch die Bildung des festen Landes erkläre. Ob sich nun ein solches physisches Naturgesetz finden ließe, ob sie als Strahlen aus einem Punkt oder als Äste aus einem Stamm oder als  winklichte Hufeisen dastehn und was sie, da sie als  nackte Gebirge, als ein Gerippe der Erde hervorragten, für eine Bildungsregel hatten: dies ist die wichtige, bisher noch unaufgelösete Frage, der ich eine  gnugtuende Auflösung wünschte. Wohlverstanden  nämlich, daß ich hier nicht von herangeschwemmten  Bergen, sondern vom ersten Grund- und Urgebirge  der Erde rede.

Genug, wie sich die Gebirge zogen, streckten sich  auch die Länder. Asien ward zuerst bewohnbar, weil  es die höchsten und breitesten Bergketten und auf seinem Rücken eine Ebne besaß, die nie das Meer erreicht hat. Hier war also nach aller Wahrscheinlichkeit irgend in einem glückseligen Tal am Fuß und im  Busen der Gebirge der erste erlesene Wohnsitz der  Menschen. Von da breiteten sie sich südlich in die  schönen und fruchtbaren Ebnen längst den Strömen  hinab; nordwärts bildeten sich härtere Stämme, die  zwischen Flüssen und Bergen umherzogen und sich  mit der Zeit westwärts bis nach Europa drängten. Ein  Zug folgte dem andern, ein Volk drängte das andre,  bis sie abermals an ein Meer, die Ostsee, kamen, zum  Teil herübergingen, zum Teil sich brachen und das  südliche Europa besetzten. Dies hatte von Asien aus  südwärts schon andre Züge von Völkern und Kolonien erhalten, und so wurde durch verschiedne, zuweilen sich entgegengesetzte Menschenströme dieser  Winkel der Erde so dicht bevölkert, als er bevölkert  ist. Mehr als ein gedrängtes Volk zog sich zuletzt in  die Gebirge und ließ seinen Überwindern die Plänen  und offene Felder; daher wir beinah auf der ganzen  Erde die ältesten Reste von Nationen und Sprachen  entweder in Bergen oder in den Ecken und Winkeln  des Landes antreffen. Es gibt fast keine Insel, keinen  Erdstrich, wo nicht ein fremdes späteres Volk die  Ebnen bewohnt und rauhe ältere Nationen sich in die  Berge versteckt haben. Von diesen Bergen, auf denen  sie ihre härtere Lebensart fortsetzten, sind sodenn oft  in spätern Zeiten Revolutionen bewirkt worden, die  die Ebnen mehr oder minder umkehrten. Indien, Persi- en, Sina, selbst die westlichen asiatischen Länder, ja  das durch Künste und Erdabteilungen wohl verwahrte Europa wurden mehr als einmal von den Völkern der  Gebirge in umwälzenden Heeren heimgesucht; und  was auf dem großen Schauplatz der Nationen geschah, erfolgte in kleinern Bezirken nicht minder. Die  Maratten in Südasien, auf mehr als einer Insel ein  wildes Gebirgvolk, in Europa hie und da Reste von  alten tapfern Bergbewohnern streiften umher, und  wenn sie nicht Überwinder werden konnten, wurden  sie Räuber. Kurz, die großen Bergstrecken der Erde  scheinen so wie der erste Wohnsitz, so auch die  Werkstätte der Revolutionen und der Erhaltung des  menschlichen Geschlechts zu sein. Wie sie der Erde  Wasser verleihen, verliehen sie ihr auch Völker; wie  sich auf ihnen Quellen erzeugen, springt auch auf  ihnen der Geist des Muts und der Freiheit, wenn die  mildere Ebene unterm Joch der Gesetze, der Künste  und Laster erliegt. Noch jetzt ist die Höhe Asiens der  Tummelplatz von großenteils wilden Völkern; und  wer weiß, zu welchen Überschwemmungen und Erfrischungen künftiger Jahrhunderte sie da sind? 

Von Afrika wissen wir zuwenig, um über das Treiben und Drängen der Völker daselbst zu urteilen. Die  obern Gegenden sind, auch dem Menschenstamm  nach, gewiß aus Asien besetzt, und Ägypten hat seine Kultur wahrscheinlich nicht vom höhern Erdrücken  seines festen Landes, sondern von Asien aus erhalten.  Wohl aber ist's von Äthiopiern überschwemmt worden, und auf mehr als einer Küste (weiter kennen wir  ja das Land nicht) hört man von herabdrängenden  wilden Völkern der Höhe des Erdteils. Die Gagas  sind als die eigentlichsten Menschenfresser berühmt;  die Kaffern und die Völker über Monomotapa sollen  ihnen an Wildheit nicht nachgeben. Kurz, an den  Mondsbergen, die die weiten Strecken des innern  Landes einnehmen, scheint auch hier, wie allenthalben, die ursprüngliche Rauheit dieses Erdgeschlechts  zu wohnen.

Wie alt oder jung die Bewohnung Amerikas sein  möge, so hat sich gerade am Fuß der höchsten Cordilleras der gebildetste Staat dieses Weltteils gefunden,  Peru, aber nur am Fuß des Berges, im gemäßigten  schönen Tal Quito. Längst der Bergstrecke von Chili  bis zu den Patagonen strecken sich die wilden Völker  hinab. Die andern Bergketten und überhaupt das  ganze Land im Innern ist uns zuwenig bekannt; indes  bekannt genug, um überall den Satz bestätigt zu finden, daß auf und zwischen den Bergen alte Sitte, originale Wildheit und Freiheit wohne. Die meisten dieser Völker sind von den Spaniern noch nicht bezwungen, und sie mußten ihnen selbst den Namen los bravos geben. Die kalten Gegenden von Nordamerika  sowie die von Asien sind dem Klima und der Lebensart ihrer Völker nach für eine weite große Berghöhe  zu halten.

So hat also die Natur mit den Bergreihen, die sie  zog, wie mit den Strömen, die sie herunterrinnen ließ,  gleichsam den rohen, aber festen Grundriß aller Menschengeschichte und ihrer Revolutionen entworfen.  Wie Völker hie und da durchbrachen und weiteres  Land entdeckten; wie sie längst den Strömen fortzogen und an fruchtbaren Örtern Hütten, Dörfer und  Städte bauten; wie sie sich zwischen Bergen und Wüsten, etwa einen Strom in der Mitte, gleichsam verschanzten und diesen von der Natur und ihrer Gewohnheit abgezirkten Erdstrich nun das Ihre nannten; wie hieraus nach der Beschaffenheit der Gegend verschiedne Lebensarten, zuletzt Reiche entstanden, bis  das menschliche Geschlecht endlich Ufer fand und an  dem meistens unfruchtbarern Ufer auf der See gehen  und aus ihr Nahrung gewinnen lernte - das alles gehört so sehr zur natürlich fortschreitenden Geschichte  des Menschengeschlechts als zur Naturgeschichte der  Erde. Eine andre Höhe war's, die Jagdnationen erzog,  die also Wildheit unterhielt und nötig machte; eine  andre, mehr ausgebreitet und milde, die Hirtenvölkern ein Feld gab und ihnen friedliche Tiere zugesellte;  eine andre, die den Ackerbau leicht und notwendig  machte; noch eine andre, die aufs Schwimmen und  den Fischfang stieß, endlich und zuletzt gar zum Handel führte - lauter Perioden und Zustände der  Menschheit, die der Bau unsrer Erde in seiner natürlichen Verschiedenheit und Abwechselung notwendig  machte. In manchen Erdstrichen haben sich daher die  Sitten und Lebensarten Jahrtausende erhalten, in andern sind sie, meistens durch äußere Ursachen, verändert worden, aber immer nach Proportion des Landes,  von dem die Veränderung kam, sowie dessen, in dem  sie geschah und auf das sie wirkte. Meere, Bergketten  und Ströme sind die natürlichsten Abscheidungen, so  der Länder, so auch der Völker, Lebensarten, Sprachen und Reiche; ja auch in den größesten Revolutionen menschlicher Dinge sind sie die Direktionslinien  oder die Grenzen der Weltgeschichte gewesen. Liefen  die Berge, flössen die Ströme, uferte das Meer anders, wie unendlich anders hätte man sich auf diesem Tummelplatz von Nationen umhergeworfen!

Ich will nur einige Worte über die Ufer des Meers  sagen: Sein Schauplatz ist so weit als mannigfaltig  und groß die Aussicht des festen Landes. Was ist's,  das Asien so zusammenhängend an Sitten und Vorurteilen, ja recht eigentlich zum ersten Erziehungshause  und Bildungsplatz der Völker gemacht hat? Zuerst  und vorzüglich, daß es solch eine große Strecke festen Landes ist, in welchem Völker sich nicht nur leicht  fortbreiten, sondern auch lange und immer zusammenhangen mußten, sie mochten wollen oder nicht.  Das große Gebirge trennt Nord- und Südasien, sonst  aber trennet diese weiten Strecken kein Meer; der einzige Kaspische See ist als ein Rest des alten Weltmeers am Fuß des Kaukasus stehengeblieben. Hier  fand also die Tradition so leicht ihren Weg und konnte durch neue Traditionen aus derselben oder einer andern Gegend verstärkt werden. Hier wurzelte also  alles so tief, Religion, Vateransehen, Despotismus! Je naher nach Asien, desto mehr sind diese Dinge als  alte ewige Sitte zu Hause, und ohngeachtet aller Verschiedenheiten einzelner Staaten sind sie über das  ganze Südasien gebreitet. Das nördliche, das durch  hohe Bergmauern von jenem geschieden ist, hat sich  in seinen vielen Nationen anders, aber, trotz aller Verschiedenheit der Völker unter sich, auf einen ebenso  einförmigen Fuß gebildet. Der ungeheuerste Strich  der Erde, die Tartarei, wimmelt von Nationen verschiedner Abkunft, die doch beinah alle auf einer  Stufe der Kultur stehen; denn kein Meer trennt sie; sie tummeln sich alle umher auf einer großen, nordwärts  hinabgesenkten Tafel.

Dagegen, was macht das kleine Rote Meer für Unterscheidung! Die Abessinier sind ein arabischer Völkerstamm, die Ägypter ein asiatisches Volk; und  welch eine andre Welt von Sitten und Lebensweise  errichtete sich unter ihnen! An den untersten Ecken  von Asien zeigt sich ein gleiches. Der kleine Persische Meerbusen, wie sehr trennt er Arabien und Persien! Der kleine Malayische Sinus, wie sehr unterscheidet er die Malayen und Kambojer voneinander! Bei  Afrika ist's offenbar, daß die Sitten seiner Einwohner  weniger verschieden sind, weil diese durch keine  Meere und Meerbusen, sondern vielleicht nur durch  die Wüsten voneinander getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weniger auf dasselbe wirken können, und uns, die wir alles durchkrochen haben,  ist dieser ungeheure Erdteil so gut als unbekannt;  bloß und allein, weil er keine tiefe Einschnitte des  Meers hat und sich wie ein unzugangbares Goldland  mit einer stumpfen Strecke ausbreitet. Amerika ist  vielleicht auch deswegen voll so viel kleiner Nationen, weil es nord- und südlich mit Flüssen, Seen und  Bergen durchschnitten und zerhackt ist. Seiner Lage  nach ist's von außen das zugangbarste Land, da es aus zwei Halbinseln bestehet, die nur durch einen engen  Isthmus zusammenhangen, an dem die tiefe Einbucht  noch einen Archipelagus von Inseln bildet. Es ist also gleichsam ganz Ufer und daher auch der Besitz fast  aller europäischen Seemächte sowie im Kriege immer  der Apfel des Spiels. Günstig ist diese Lage für uns  europäische Räuber; ungünstig war seine innere  Durchschnittenheit für die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten voneinander durch Seen und Ströme,  durch plötzlich abbrechende Höhen und Tiefen zu  sehr gesondert, als daß die Kultur eines Erdstrichs  oder das alte Wort der Tradition ihrer Väter sich wie  in dem breiten Asien hätte befestigen und ausbreiten  mögen.

Warum zeichnet sich Europa durch seine Verschiedenheit von Nationen, durch seine Vielgewandtheit  von Sitten und Künsten, am meisten aber durch die  Wirksamkeit aus, die es auf alle Teile der Welt gehabt hat? Ich weiß wohl, daß es einen Zusammenfluß  von Ursachen gibt, den wir hier nicht auseinanderleiten können; physisch aber ist's unleugbar, daß sein  durchschnittenes, vielgestaltiges Land mit dazu eine  veranlassende und fördernde Ursache gewesen. Als  auf verschiednen Wegen und zu verschiednen Zeiten  sich die Völker Asiens hieher zogen: welche Buchten  und Busen, wie viele und verschieden laufende Ströme, welche Abwechselung kleiner Bergreihen fanden  sie hier! Sie konnten zusammen sein und sich trennen  aufeinander wirken und wieder in Friede leben; der  vielgegliederte kleine Weltteil ward also der Markt  und das Gedränge aller Erdvölker im kleinen. Das  einzige Mittelländische Meer, wie sehr ist es die Bestimmerin des ganzen Europa worden! so daß man  beinah sagen kann, daß dies Meer allein den Über- und Fortgang aller alten und mittlern Kultur gemacht  habe. Die Ostsee stehet ihm weit nach, weil sie nördlicher, zwischen härtern Nationen und unfruchtbarern  Ländern, gleichsam auf einer Nebenstraße des Weltmarkts, liegt; indessen ist auch sie dem ganzen Nordeuropa das Auge. Ohne sie wären die meisten ihr angrenzenden Länder barbarisch, kalt und unbewohnbar. Ein gleiches ist's mit dem Einschnitt zwischen  Spanien und Frankreich, mit dem Kanal zwischen diesem und England, mit der Gestalt Englands, Italiens,  des alten Griechenlandes. Man ändere die Grenzen  dieser Länder, nehme hier eine Meerenge weg, schließe dort eine Straße zu, und die Bildung und Verwüstung der Welt, das Schicksal ganzer Völker und  Weltteile geht Jahrhunderte durch auf einem andern  Wege.

Zweitens Fragt man also, warum es außer unsern  vier Weltteilen keinen fünften Weltteil in jenem  ungeheuren Meer gibt, in dem man ihn so lange für  gewiß gehalten, so ist die Antwort anjetzt durch Tatsachen ziemlich entschieden: weil es in dieser Meerestiefe kein so hohes Urgebirge gab, an dem sich ein großes festes Land bilden konnte. Die asiatischen Ge- bürge schneiden sich in Ceylon mit dem Adamsberge, auf Sumatra und Borneo mit den Bergstrecken aus  Malakka und Siam ab, so wie die afrikanischen am  Vorgebirge der Guten Hoffnung und die amerikanischen am Feuerlande. Nun geht der Granit, die  Grundsäule des festen Landes, in die Tiefe nieder und  kommt, hohen Strecken nach, nirgend mehr überm  Meer zum Vorschein. Das große Neuholland hat  keine Gebirgkette der ersten Gattung; die Philippinen, Molukken und die andern hin und wieder zerstreueten Inseln sind alle nur vulkanischer Art, und  viele derselben haben noch bis jetzt Vulkane. Hier  konnten also zwar der Schwefel und die Kiese ihr  Werk verrichten und den Gewürzgarten der Welt hinaufbauen helfen, den sie mit ihrer unterirdischen Glut  als ein Treibhaus der Natur wahrscheinlich mit unter halten. Auch die Korallentiere tun, was sie können [4],  und bringen, in Jahrtausenden vielleicht, die Inselchen hervor, die als Punkte im Weltmeer liegen; weiter  aber erstreckten sich die Kräfte dieser südlichen Weltgegend nicht. Die Natur hatte diese ungeheuren  Strecken zur großen Wasserkluft bestimmt; denn auch sie war dem bewohnten Lande unentbehrlich. Entdecket sich einst das physische Bildungsgesetz der  Urgebirge unsrer Erde, mithin auch der Gestalt des  festen Landes, so wird sich in ihm auch die Ursache  zeigen, warum der Südpol keine solche Gebirge,  folglich auch keinen fünften Weltteil haben konnte.  Wenn er da wäre, mußte er nicht auch nach der jetzigen Beschaffenheit der Erdatmosphäre unbewohnt liegen und wie die Eisschollen und das Sandwichsland  den Seehunden und Pinguins zum Erbeigentum dienen?

Drittens. Da wir hier die Erde als einen Schauplatz  der Menschengeschichte betrachten, so ergibt sich aus dem, was gesagt ist, augenscheinlich, wie besser es  war, daß der Schöpfer die Bildung der Berge nicht  von der Kugelbewegung abhangen ließ, sondern ein  andres, von uns noch unentdecktes Gesetz für sie fest- stellte. Wäre der Äquator und die größeste Bewegung der Erde unter ihm an der Entstehung der Berge Ursach, so hätte sich das feste Land auch in seiner größten Breite unter ihm fortstrecken und den heißen  Weltgürtel einnehmen müssen, den jetzt größtenteils  das Meer kühlet. Hier wäre also der Mittelpunkt des  menschlichen Geschlechts gewesen, gerade in der  trägsten Gegend für körperliche und Seelenkräfte,  wenn anders die jetzige Beschaffenheit der gesamten  Erdnatur noch stattfinden sollte. Unter dem Brande  der Sonne, den heftigsten Explosionen der elektrischen Materie, der Winde und allen kontrastierenden  Abwechselungen der Witterung hätte unser Geschlecht seine Geburts- und erste Bildungsstätte nehmen und sich sodann in die kalte Südzone, die dicht  an den heißen Erdstrich grenzt, sowie in die nordlichen Gegenden verbreiten müssen; der Vater der Welt wählte unserm Ursprunge eine bessere Bildungsstätte. In den gemäßigten Erdstrich rückte er den Hauptstamm der Gebirge der Alten Welt, an dessen Fuß die wohlgebildetsten Menschenvölker wohnen. Hier gab  er ihm eine mildere Gegend, mithin eine sanftere  Natur, eine vielseitigere Erziehungsschule, und ließ  sie von da, festgebildet und wohlgestärkt, nach und  nach in die heißern und kältern Regionen wandern.  Dort konnten die ersten Geschlechter zuerst ruhig  wohnen, mit den Gebirgen und Strömen sich sodenn  allmählich herabziehn und härterer Gegenden gewohnt werden. Jeder bearbeitete seinen kleinen Umkreis und nutzte ihn, als ob er das Universum wäre.  Glück und Unglück breiteten sich nicht so unaufhaltsam weiter, als wenn eine, wahrscheinlich höhere  Bergkette unter dem Äquator die ganze Nord- und  Südwelt hätte beherrschen sollen. So hat der Schöpfer der Welt es immer besser geordnet, als wir ihm vorschreiben mögen; auch die unregelmäßige Gestalt  unsrer Erde erreichte Zwecke, die eine größere  Regelmäßigkeit nicht würde erreicht haben.

 

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