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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried 

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Zweites Buch

Zweites Buch

I

Unser Erdball ist eine große Werkstätte zur Organisation sehr verschiedenartiger Wesen

Sosehr uns in den Eingeweiden der Erde alles noch  als Chaos, als Trümmer vorkommt, weil wir die erste  Konstruktion des Ganzen nicht zu übersehen vermögen, so nehmen wir doch selbst in dem, was uns das  Kleinste und Roheste dünkt, ein sehr bestimmtes Dasein, eine Gestaltung und Bildung nach ewigen Gesetzen wahr, die keine Willkür der Menschen verändert. Wir bemerken diese Gesetze und Formen; ihre  innern Kräfte aber kennen wir nicht, und was man in  einigen allgemeinen Worten, z. E. Zusammenhang,  Ausdehnung, Affinität, Schwere, dabei bezeichnet,  soll uns nur mit äußern Verhältnissen bekannt machen, ohne uns dem innern Wesen im mindesten naher zu führen.

Was indes jeder Stein- und Erdart verliehen ist, ist  gewiß ein allgemeines Gesetz aller Geschöpfe unsrer  Erde; dieses ist Bildung, bestimmte Gestalt, eignes  Dasein. Keinem Wesen kann dies genommen werden; denn alle seine Eigenschaften und Wirkungen sind  darauf gegründet. Die unermeßliche Kette reicht vom  Schöpfer hinab bis zum Keim eines Sandkörnchens,  da auch dieses seine bestimmte Gestalt hat, in der es  sich oft der schönsten Kristallisation nähert. Auch die vermischtesten Wesen folgen in ihren Teilen demselben Gesetz; nur weil so viel und mancherlei Kräfte in  ihnen wirken und endlich ein Ganzes zusammengebracht werden sollte, das mit den verschiedensten Bestandteilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene,  so wurden Übergänge, Vermischungen und mancherlei divergierende Formen. Sobald der Kern unsrer  Erde, der Granit, da war, war auch das Licht da, das  in den dicken Dünsten unsres Erdchaos vielleicht  noch als Feuer wirkte; es war eine gröbere mächtigere Luft, als wir jetzt genießen; es war ein vermischteres  schwangeres Wasser da, auf ihn zu wirken. Die andringende Säure lösete ihn auf und führte ihn zu andern Steinarten über; der ungeheure Sand unsers Erdkörpers ist vielleicht nur die Asche dieses verwitterten Körpers. Das Brennbare der Luft beförderte vielleicht den Kiesel zur Kalkerde, und in dieser organisierten  sich die ersten Lebendigen des Meers, die Schalengeschöpfe, da in der ganzen Natur die Materie früher als die organisierte lebendige Form scheinet. Noch eine  gewaltigere und reinere Wirkung des Feuers und der  Kälte ward zur Kristallisation erfordert, die nicht mehr die Muschelform, in die der Kiesel springt, sondern  schon eckige geometrische Winkel liebet. Auch diese ändern sich nach den Bestandteilen eines jeden Geschöpfs, bis sie sich in Halbmetallen und Metallen  zuletzt der Pflanzensprossung nähern. Die Chemie,  die in den neuen Zeiten so eifrig geübt wird, öffnet  dem Liebhaber hier im unterirdischen Reich der Natur eine mannigfaltige zweite Schöpfung; und vielleicht  enthält diese nicht bloß die Materie, sondern auch die  Grundgesetze und den Schlüssel zu alle dem, was  über der Erde gebildet worden. Immer und Überall  sehen wir, daß die Natur zerstören muß, indem sie  wieder aufbauet, daß sie trennen muß, indem sie neu  vereinet. Von einfachen Gesetzen sowie von groben  Gestalten schreitet sie ins Zusammengesetztere,  Künstliche, Feine; und hätten wir einen Sinn, die Ur- gestalten und ersten Keime der Dinge zu sehen, so  würden wir vielleicht im kleinsten Punkt die Progression der ganzen Schöpfung gewahr werden. -

Da indes Betrachtungen dieser Art hier nicht unser  Zweck sind, so lasset uns nur eins, die überdachte Mischung, betrachten, durch die unsre Erde zur Organisation unsrer Pflanzen, mithin auch der Tiere und  Menschen fähig ward. Wären auf ihr andre Metalle  zerstreut gewesen, wie jetzt das Eisen ist, das sich allenthalben, auch in Wasser, Erde, Pflanzen, Tieren  und Menschen, findet; hätten sich die Erdharze, die  Schwefel in der Menge auf ihr gefunden, in der sich  jetzt der Sand, der Ton und endlich die gute frucht- bare Erde findet: welch andre Geschöpfe hätten auf  ihr leben müssen! Geschöpfe, in denen auch eine  schärfere Temperatur herrschte, statt daß jetzt der  Vater der Welt die Bestandteile unsrer nährenden  Pflanzen zu mildern Salzen und Ölen machte. Hiezu  bereitet sich allmählich der lose Sand, der feste Ton,  der moosige Torf; ja selbst die wilde Eisenerde und  der harte Fels muß sich dazu bequemen. Dieser verwittert mit der Zeit und gibt trocknen Bäumen, wenigstens dem dürren Moose Raum; jene war unter den  Metallen nicht nur die gesundeste, sondern auch die  lenkbarste zur Vegetation und Nahrung. Luft und  Tau, Regen und Schnee, Wasser und Winde düngen  die Erde natürlich; die ihr zugemischten kalischen  Kalkarten helfen ihrer Fruchtbarkeit künstlich auf,  und am meisten befördert diese der Tod der Pflanzen  und Tiere. Heilsame Mutter, wie haushälterisch und  ersetzend war dein Zirkel! Aller Tod wird neues  Leben, die verwesende Faulung selbst bereitet Gesundheit und frische Kräfte.

Es ist eine alte Klage, daß der Mensch, statt den  Boden der Erde zu bauen, in ihre Eingeweide gedrungen ist und mit dem Schaden seiner Gesundheit und  Ruhe unter giftigen Dünsten daselbst die Metalle auf- sucht, die seiner Pracht und Eitelkeit, seiner Habgier  und Herrschsucht dienen. Daß vieles hierin wahr sei,  bezeugen die Folgen, die diese Dinge auf der Oberfläche der Erde hervorgebracht haben, und noch mehr  die blassen Gesichter, die als eingekerkerte Mumien  in diesen Reichen des Pluto wühlen. Warum ist die  Luft in ihnen so anders, die, indem sie die Metalle  nährt, Menschen und Tiere tötet? Warum belegte der  Schöpfer unsre Erde nicht mit Gold und Diamanten,  statt daß er jetzt allen ihren Wesen Gesetze gab, sie  tot und lebend mit fruchtbarer Erde zu bereichern?  Ohne Zweifel, weil wir vom Golde nicht essen konnten und weil die kleinste genießbare Pflanze nicht nur  für uns nützlicher, sondern auch in ihrer Art organischer und edler ist als der teuerste Kiesel, der Diamant, Smaragd, Amethyst und Saphir genannt  wird. - Indessen muß man auch hiebei nichts übertreiben. In den verschiednen Perioden der Menschheit, die ihr Schöpfer voraussah und die er selbst nach dem Bau unsrer Erde zu befördern scheinet, lag auch der  Zustand, da der Mensch unter sich graben und über  sich fliegen lernte. Verschiedne Metalle legte er ihm  sogar gediegen nahe dem Auge vor; die Ströme mußten den Grund der Erde entblößen und ihm ihre Schätze zeigen. Auch die rohesten Nationen haben die  Nützlichkeit des Kupfers erkannt, und der Gebrauch  des Eisens, das mit seinen magnetischen Kräften den  ganzen Erdkörper zu regieren scheinet, hat unser Geschlecht beinah allein von einer Stufe der Lebensart  zur andern erhoben. Wenn der Mensch sein Wohnhaus nützen sollte, so mußte er's auch kennenlernen;  und unsre Meisterin hat die Schranken enge genug bestimmt, in denen wir ihr nachforschen, nachschaffen,  bilden und verwandeln können.

Indessen ist's wahr, daß wir vorzüglich bestimmt  sind, auf der Oberfläche unsrer Erde als Würmer umherzukriechen, uns anzubauen und auf ihr unser kurzes Leben zu durchleben. Wie klein der große  Mensch im Gebiet der Natur sei, sehen wir aus der  dünnen Schichte der fruchtbaren Erde, die doch eigentlich allein sein Reich ist. Einige Schuhe tiefer,  und er gräbt Sachen hervor, auf denen nichts wachset, und die Jahre und Jahreszeiten erfordern, damit auf  ihnen nur schlechtes Gras gedeihe. Tiefer hinab, und  er findet oft, wo er sie nicht suchte, seine fruchtbare  Erde wieder, die einst die Oberfläche der Welt war;  die wandelnde Natur hat sie in ihren fortgehenden Perioden nicht geschonet. Muscheln und Schnecken liegen auf den Bergen; Fische und Landtiere liegen versteint in Schiefern, versteinte Hölzer und Abdrücke  von Blumen oft beinah anderthalbtausend Fuß tief.  Nicht auf dem Boden deiner Erde wandelst du, armer  Mensch, sondern auf einem Dach deines Hauses, das  durch viel Überschwemmungen erst zu dem werden  konnte, was es dir jetzt ist. Da wächst für dich einiges Gras, einige Bäume, deren Mutter dir gleichsam der  Zufall heranschwemmte und von denen du als eine  Ephemere lebest.

 

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