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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried   

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Viertes Buch

VII

Der Mensch ist zur Hoffnung der Unsterblichkeit gebildet

Man erwarte hier keine metaphysische Beweise von der Unsterblichkeit der Seele aus ihrer einfachen  Natur, aus ihrem Spiritualismus u. f. Die Physik kennet diese einfache Natur nicht und könnte vielmehr  Zweifel gegen sie erregen, da wir unsre Seele nur in  einem zusammengesetzten Organismus durch Wirkungen kennen, die aus einer Mannigfaltigkeit von  Reizen und Empfindungen zu entsprießen scheinen.  Der allgemeinste Gedanke ist nur das Resultat unzähliger einzelner Wahrnehmungen, und die Regentin unsers Körpers wirkt auf das zahllose Heer untergeordneter Kräfte, als ob sie ihnen allen auch dem Ort nach gegenwärtig wäre. -

Auch Bonnets sogenannte Philosophie der Keime  kann hier unsre Führerin nicht sein; denn sie ist in  Absicht auf den Übergang zu einem neuen Dasein  teils unerwiesen, teils nicht zu ihm gehörig. Niemand  hat in unserm Gehirn ein geistliches Gehirn, den  Keim zu einem neuen Dasein entdeckt; auch das  kleinste Analogon dazu ist im Bau desselben nicht  sichtbar. Das Gehirn des Toten bleibt uns; und wenn  die Knospe unsrer Unsterblichkeit nicht andre Kräfte  hätte, so läge sie verdorret im Staube. Ja, diese Philosophie ist, wie mich dünkt, auch hieher ganz ungehörig, da wir hier nicht von Absprossung eines Geschöpfs in junge Geschöpfe seiner Art, sondern von  Aufsprossung des absterbenden Geschöpfs in ein  neues Dasein reden; vielmehr setzte sie, wenn sie  auch nur in der irdischen Generation ausschließend  wahr wäre und alle Hoffnung auf ihr beruhete, dieser  Hoffnung unüberwindliche Zweifel entgegen. Ist es  ewig bestimmt, daß die Blume nur Blume, das Tier  nur Tier sein soll und vom Anfange der Schöpfung  her in präformierten Keimen alles mechanisch dalag,  so lebe wohl, du zauberische Hoffnung eines höchsten Daseins! Zum gegenwärtigen und zu keinem höhern  Dasein lag ich ewig im Keim präformieret: was aus  mir sprossen sollte, sind die präformierten Keime  meiner Kinder, und wenn der Baum stirbt, ist alle  Philosophie der Keime mit ihm gestorben.

Wollen wir uns also in dieser wichtigen Frage nicht mit süßen Worten täuschen, so müssen wir tiefer und  weiterher anfangen und auf die gesamte Analogie der  Natur merken. Ins innere Reich ihrer Kräfte schauen  wir nicht; es ist also so vergebens als unnot, innere  wesentliche Aufschlüsse von ihr, über welchen Zustand es auch sei, zu begehren. Aber die Wirkungen  und Formen ihrer Kräfte liegen vor uns; sie also  können wir vergleichen und etwa aus dem Gange der  Natur hienieden, aus ihrer gesamten herrschenden  Ähnlichkeit Hoffnungen sammeln.

 

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