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Johann Gottfried
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IVDas Reich der Menschenorganisation ist ein System geistiger KräfteDer vornehmste Zweifel, den man sich gegen die Unsterblichkeit organischer Kräfte zu machen pflegt, ist von den Werkzeugen hergenommen, durch die sie wirken; und ich darf behaupten, daß gerade die Beleuchtung dieses Zweifels uns das größeste Licht nicht nur der Hoffnung, sondern der Zuversicht ewiger Fortwirkung anzünde. Keine Blume blühet durch den äußerlichen Staub, den groben Bestandteil ihres Baues; viel weniger reproduziert sich durch denselben ein immer neu wachsendes Tier, und noch weniger kann durch die Bestandteile, in die ein Hirn aufgelöset wird, eine innige Kraft so vieler mit ihr verbundener Kräfte, als unsre Seele ist, denken. Selbst die Physiologie überzeugt uns davon. Das äußerliche Bild, das sich im Auge malet, kommt nicht in unser Gehirn; der Schall, der sich in unserm Ohr bricht, kommt nicht mechanisch als solcher in unsre Seele. Kein Nerve liegt ausgespannt da, daß er bis zu einem Punkt der Vereinigung vibriere; bei einigen Tieren kommen nicht einmal die Nerven beider Augen und bei keinem Geschöpf die Nerven aller Sinne so zusammen, daß ein sichtbarer Punkt sie vereine. Noch weniger gilt dieses von den Nerven des gesamten Körpers, in dessen kleinstem Gliede sich doch die Seele gegenwärtig fühlt und in ihm wirket. Also ist's eine schwache, unphysiologische Vorstellung, sich das Gehirn als einen Selbstdenker, den Nervensaft als einen Selbstempfinder zu denken; vielmehr sind es, allen Erfahrungen zufolge, eigne psychologische Gesetze, nach denen die Seele ihre Verrichtungen vornimmt und ihre Begriffe verbindet. Daß es jedesmal ihrem Organ gemäß und demselben harmonisch geschehe, daß, wenn das Werkzeug nichts taugt, auch die Künstlerin nichts tun könne u. f.: das alles leidet keinen Zweifel, ändert aber auch nichts im Begriff der Sache. Die Art, mit der die Seele wirkt, das Wesen ihrer Begriffe kommt hier in Betrachtung. Und da ist's 1. unleugbar, daß der Gedanke, ja die erste Wahrnehmung, damit sich die Seele einen äußern Gegenstand vorstellt, ganz ein andres Ding sei, als was ihr der Sinn zuführet. Wir nennen es ein Bild; es ist aber nicht das Bild, d. i. der lichte Punkt, der aufs Auge gemalt wird und der das Gehirn gar nicht erreichet; das Bild der Seele ist ein geistiges, von ihr selbst bei Veranlassung der Sinne geschaffenes Wesen. Sie ruft aus dem Chaos der Dinge, die sie umgeben, eine Gestalt hervor, an die sie sich mit Aufmerksamkeit heftet, und so schafft sie durch innere Macht aus dem vielen ein eins, das ihr allein zugehöret. Dies kann sie sich wieder herstellen, auch wenn es nicht mehr da ist: der Traum und die Dichtung können es nach ganz andern Gesetzen verbinden, als unter welchen es der Sinn darstellte, und tun dies wirklich. Die Rasereien der Kranken, die man so oft als Zeugen der Materialität der Seele anführt, sind eben von ihrer Immaterialität Zeugen. Man behorche den Wahnsinnigen und bemerke den Gang, den seine Seele nimmt. Er geht von der Idee aus, die ihn zu tief rührte, die also sein Werkzeug zerrüttete und den Zusammenhang mit andern Sensationen störte. Auf sie beziehet er nun alles, weil sie die herrschende ist und er von derselben nicht loskann; zu ihr schafft er sich eine eigne Welt, einen eignen Zusammenhang der Gedanken, und jeder seiner Irrgänge in der Ideenverbindung ist im höchsten Maß geistig. Nicht, wie die Fächer des Gehirns liegen, kombiniert er, selbst nicht einmal, wie ihm die Sensationen erscheinen, sondern wie andre Ideen mit seiner Idee verwandt sind und wie er jene zu dieser nur hinüberzuzwingen vermochte Auf demselben Wege gehn alle Assoziationen unsrer Gedanken; sie gehören einem Wesen zu, das aus eigner Energie und oft mit einer sonderbaren Idiosynkrasie Erinnerungen aufruft und nach innerer Liebe oder Abneigung, nicht nach einer äußern Mechanik, Ideen bindet. Ich wünschte, daß hierüber aufrichtige Menschen das Protokoll ihres Herzens und scharfsinnige Beobachter, insonderheit Ärzte, die Eigenheiten bekanntmachten, die sie an ihren Kranken bemerkten, und ich bin überzeugt, es wären lauter Belege von Wirkungen eines zwar organischen, aber dennoch eigenmächtigen, nach Gesetzen geistiger Verbindung wirkenden Wesens. 2. Die künstliche Bildung unsrer Ideen von Kindheit auf erweiset dasselbe, und der langsame Gang, auf welchem die Seele nicht nur spät ihrer selbst bewußt wird, sondern auch mit Mühe ihre Sinnen brauchen lernet. Mehr als ein Psycholog hat die Kunststücke bemerkt, mit denen ein Kind von Farbe, Gestalt, Größe, Entfernung Begriff erhält und durch die es sehen lernet. Der körperliche Sinn lernt nichts; denn das Bild malet sich den ersten Tag aufs Auge, wie es sich den letzten des Lebens malen wird; aber die Seele durch den Sinn lernt messen, vergleichen, geistig empfinden. Hiezu hilft ihr das Ohr, und die Sprache ist doch gewiß ein geistiges, nicht körperliches Mittel der Ideenbildung Nur ein Sinnloser kann Schall und Wort für einerlei nehmen; und wie diese beide verschieden sind, ist's Körper und Seele, Organ und Kraft. Das Wort erinnert an die Idee und bringt sie aus einem andern Geist zu uns herüber; aber es ist sie nicht selbst, und ebensowenig ist das materielle Organ Gedanke. Wie der Leib durch Speise zunimmt, nimmt unser Geist durch Ideen zu, ja wir bemerken bei ihm eben die Gesetze der Assimilation, des Wachstums und der Hervorbringung, nur nicht auf eine körperliche sondern eine ihm eigne Weise. Auch er kann sich mit Nahrung überfüllen, daß er sich dieselbe nicht zuzueignen und in sich zu verwandeln vermag; auch er hat eine Symmetrie seiner geistigen Kräfte, von welcher jede Abweichung Krankheit, entweder Schwachheit oder Fieber, d. i. Verrückung wird; auch er endlich treibet dieses Geschäft seines innern Lebens mit einer genialischen Kraft, in welcher sich Liebe und Haß, Abneigung gegen das mit ihm Ungleichartige, Zuneigung zu dem, was seiner Natur ist, wie beim irdischen Leben äußert. Kurz, es wird in uns (ohne Schwärmerei zu reden) ein innerer geistiger Mensch gebildet, der seiner eignen Natur ist und den Körper nur als Werkzeug gebrauchet, ja der seiner eignen Natur zufolge auch bei den ärgsten Zerrüttungen der Organe handelt. Je mehr die Seele durch Krankheit oder gewaltsame Zustände der Leidenschaften von ihrem Körper getrennt und gleichsam gezwungen ist, in ihrer eignen Ideenwelt zu wandeln, desto sonderbarere Erscheinungen bemerken wir von ihrer eignen Macht und Energie in der Ideenschöpfung oder Ideenverbindung. Aus Verzweiflung irret sie jetzt in den Szenen ihres vorigen Lebens umher, und da sie von ihrer Natur und ihrem Werk, Ideen zu bilden, nicht ablassen kann, bereitet sie sich jetzt eine neue wilde Schöpfung. 3. Das hellere Bewußtsein, dieser große Vorzug der menschlichen Seele, ist derselben auf eine geistige Weise, und zwar durch die Humanität, allmählich erst zugebildet worden. Ein Kind hat noch wenig Bewußtsein, ob seine Seele gleich sich unablässig übt, zu demselben zu gelangen und sich seiner selbst durch alle Sinnen zu vergewissern. Alle sein Streben nach Begriffen hat den Zweck, sich in der Welt Gottes gleichsam zu besinnen und seines Daseins mit menschlicher Energie froh zu werden. Das Tier geht noch im dunkeln Traum umher: sein Bewußtsein ist in so viel Reize des Körpers verbreitet und von ihnen mächtig umhüllet, daß das helle Erwachen zu einer fortwirkenden Gedankenübung seiner Organisation nicht möglich war. Auch der Mensch ist sich seines sinnlichen Zustandes nur durch Sinne bewußt, und sobald diese leiden, ist's gar kein Wunder, daß ihn eine herrschende Idee auch aus seiner eignen Anerkennung hinreißen kann und er mit sich selbst ein trauriges oder fröhliches Drama spielet. Aber auch dies Hinreißen in ein Land lebhafter Ideen zeigt eine innere Energie, bei der sich die Kraft seines Bewußtseins, seiner Selbstbestimmung oft auf den irrigsten Wegen äußert. Nichts gewährt dem Menschen ein so eignes Gefühl seines Daseins als Erkenntnis; Erkenntnis einer Wahrheit, die wir selbst errungen haben, die unsrer innersten Natur ist und bei der uns oft alle Sichtbarkeit schwindet. Der Mensch vergißt sich selbst: er verliert das Maß der Zeit und seiner sinnlichen Kräfte, wenn ihn ein hoher Gedanke aufruft und er denselben verfolget Die scheußlichsten Qualen des Körpers haben durch eine einzige lebendige Idee unterdrückt werden können, die damals in der Seele herrschte. Menschen, die von einem Affekt, insonderheit von dem lebhaftesten, reinsten Affekt unter allen, der Liebe Gottes, ergriffen wurden, haben Leben und Tod nicht geachtet und sich in diesem Abgrunde aller Ideen wie im Himmel gefühlet. Das gemeinste Werk wird uns schwer, sobald es nur der Körper verrichtet; aber die Liebe macht uns das schwerste Geschäft leicht, sie gibt uns zur langwierigsten, entferntsten Bemühung Flügel. Räume und Zeiten verschwinden ihr sie ist immer auf ihrem Punkt, in ihrem eignen Ideenland. - Diese Natur des Geistes äußert sich auch bei den wildesten Völkern; gleichviel, wofür sie kämpfen, sie kämpfen im Drang der Ideen. Auch der Menschenfresser im Durst seiner Rache und Kühnheit strebt, wiewohl auf eine abscheuliche Art, nach dem Genuß eines Geistes. 4. Alle Zustände, Krankheiten und Eigenheiten des Organs also können uns nie irremachen, die Kraft, die in ihnen wirkt, primitiv zu fühlen. Das Gedächtnis z.B. ist nach der verschiednen Organisation der Menschen verschieden: bei diesen formt und erhält es sich durch Bilder, bei jenen durch Zeichen der Abstraktion, Worte oder gar Zahlen. In der Jugend, wenn das Gehirn weich ist, ist es lebhaft; im Alter, wenn sich das Gehirn härtet, wird es träge und hält an alten Ideen. So ist's mit den übrigen Kräften der Seele; welches alles nicht anders sein kann, sobald eine Kraft organisch wirket. Bemerket indes auch hier die Gesetze der Aufbewahrung und Erneurung der Ideen: sie sind allesamt nicht körperlich, sondern geistig. Es hat Menschen gegeben, die das Gedächtnis gewisser Jahre, ja gewisser Teile der Rede, der Namen, Substantiven, sogar einzelner Buchstaben und Merkzeichen verloren; das Gedächtnis der vorigen Jahre, die Erinnerung andrer Teile der Rede und der freie Gebrauch derselben blieb ihnen; die Seele war nur an dem einen Gliede gefesselt, da das Organ litt. Wäre der Zusammenhang ihrer geistigen Ideen materiell, so müßte sie, diesen Erscheinungen nach, entweder im Gehirn umherrücken und für gewisse Jahre, für Substantiven und Namen eigne Protokolle führen, oder sind die Ideen mit dem Gehirn verhärtet, so müßten sie alle verhärtet sein; und doch ist bei den Alten eben das Andenken der Jugend noch so lebhaft. Zu einer Zeit, da sie ihrem Organ gemäß nicht mehr rasch ver- binden oder flüchtig durchdenken kann, hält sie sich desto fester an das erworbne Gut ihrer schönern Jahre, über das sie wie über ihr Eigentum waltet. Unmittelbar vor dem Tode und in allen Zuständen, da sie sich vom Körper weniger gefesselt fühlt, erwacht dies An- denken mit aller Lebhaftigkeit der Jugendfreude, und die Glückseligkeit der Alten, die Freude der Sterbenden beruhet größtenteils darauf. Vom Anfange des Lebens an scheint unsre Seele nur ein Werk zu haben, inwendige Gestalt, Form der Humanität zu gewinnen und sich in ihr, wie der Körper in der seinigen, gesund und froh zu fühlen. Auf dies Werk arbeitet sie so unablässig und mit solcher Sympathie aller Kräfte, als der Körper nur immerdar für seine Gesundheit arbeiten kann, der, wenn ein Teil leidet, es sogleich ganz fühlt und Säfte anwendet, wie er sie kann, den Bruch zu ersetzen und die Wunde zu heilen. Gleicherweise arbeitet die Seele auf ihre immer hinfällige und oft falsche Gesundheit, jetzt durch gute, jetzt durch trügliche Mittel sich zu beruhigen und fortzuwirken. Wunderbar ist die Kunst, die sie dabei anwendet und unermeßlich der Vorrat von Hülfs- und Heilmitteln, den sie sich zu verschaffen weiß. Wenn einst die Semiotik der Seele studiert wird wie die Semiotik des Körpers, wird man in allen Krankheiten derselben ihre so eigne geistige Natur erkennen, daß die Schlüsse der Materialisten wie Nebel vor der Sonne verschwinden werden. Ja, wer von diesem innern Leben seines Selbst überzeugt ist, dem werden alle äußern Zustände, in welchen sich der Körper, wie alle Materie, unablässig verändert, mit der Zeit nur Übergänge, die sein Wesen nicht angehn er schreitet aus dieser Welt in jene so unvermerkt, wie er aus Nacht in Tag und aus einem Lebensalter ins andre schreitet. Jeden Tag hat uns der Schöpfer eine eigne Erfahrung gegeben, wie wenig alles in unsrer Maschine von uns und voneinander unabtrennlich sei: es ist des Todes Bruder, der balsamische Schlaf. Er scheidet die wichtigsten Verrichtungen unsres Lebens mit dem Finger seiner sanften Berührung: Nerven und Muskeln ruhen, die sinnlichen Empfindungen hören auf, und dennoch denkt die Seele fort in ihrem eignen Lande. Sie ist nicht abgetrennter vom Körper, als sie wachend war, wie die dem Traum oft eingemischte Empfindungen beweisen; und dennoch wirkt sie nach eigenen Gesetzen auch im tiefsten Schlaf fort, von dessen Träumen wir keine Erinnerung haben, wenn nicht ein plötzliches Erwecken uns davon überzeuget. Mehrere Personen haben bemerkt, daß ihre Seele bei ruhigen Träumen sogar dieselbe Ideenreihe, unterschieden vom wachenden Zustande, unverrückt fortsetze und immer in einer, meistens jugendlichen, leb- haften und schönern Welt wandle. Die Empfindungen des Traums sind uns lebhafter, seine Affekten feuriger, die Verbindungen der Gedanken und Möglichkeiten in ihm werden leichter, unser Blick ist heiterer, das Licht, das uns umglänzt, ist schöner. Wenn wir gesund schlafen, wird unser Gang oft ein Flug, unsre Gestalt ist größer, unser Entschluß kräftiger, unsre Tätigkeit freier. Und obwohl dies alles vom Körper abhängt, weil jeder kleinste Zustand unsrer Seele notwendig ihm harmonisch sein muß, solange ihre Kräfte ihm so innig einverleibt wirken, so zeigt doch die ganze gewiß sonderbare Erfahrung des Schlafes und Traums, die uns ins größte Erstaunen setzen würde, wenn wir nicht daran gewohnt wären, daß nicht jeder Teil unsers Körpers auf gleiche Art zu uns gehöre, ja daß gewisse Organe unsrer Maschine abgespannet werden können und die oberste Kraft wirke aus bloßen Erinnerungen idealischer, lebhafter, freier. Da nun alle Ursachen, die uns den Schlaf bringen, und alle seine körperliche Symptome nicht bloß einer Redeart nach, sondern physiologisch und wirklich ein Analogon des Todes sind, warum sollten es nicht auch seine geistige Symptome sein? Und so bleibt uns, wenn uns der Todesschlaf aus Krankheit oder Mattigkeit befällt, Hoffnung, daß auch er, wie der Schlaf, nur das Fieber des Lebens kühle, die zu einförmig und lang fortgesetzte Bewegung sanft umlenke, manche für dies Leben unheilbaren Wunden heile und die Seele zu einem frohen Erwachen, zum Genuß eines neuen Jugendmorgens bereite. Wie im Traum meine Gedanken in die Jugend zurückkehren, wie ich in ihm, nur halb entfesselt von einigen Organen, aber zurückgedrängter in mich selbst, mich freier und tätiger fühle, so wirst auch du, erquickender Todestraum, die Jugend meines Lebens, die schönsten und kräftigsten Augenblicke meines Daseins mir schmeichelnd zurückführen, bis ich erwache in ihrem - oder vielmehr im schönern Bilde einer himmlischen Jugend. |
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Wolfgang
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