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Johann Gottfried
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IIOrganisation der Völker um den asiatischen Rücken der ErdeDa viele Wahrscheinlichkeiten es geben, daß um diesen Erdrücken das menschliche Geschlecht seinen ersten Wohnplatz gefunden, so ist man geneigt, auf demselben auch die schönste Menschengattung zu suchen; wie sehr trügt uns aber diese Erwartung! Die Bildung der Kalmücken und Mongolen ist bekannt: sie hat nebst der mittlern Größe wenigstens in Resten das platte Gesicht, den dünnen Bart, die braune Farbe des nördlichen Klima, zeichnet sich aber dabei durch die gegen die Nase schief ablaufenden, flach ausgefüllten Augenwinkel, durch schmale, schwarze, wenig gebogne Augbrauen , durch eine kleine, platte, gegen die Stirn zu breite Nase, durch abstehende große Ohren, krumme Schenkel und Beine und das weiße, starke Gebiß aus [45], das nebst der ganzen Gesichtsbildung ein Raubtier unter den Menschen zu charakterisieren scheinet. Woher nun diese Bildung? Die gebognen Knie und Beine finden am ersten ihren Grund in der Lebensweise des Volkes. Von Kindheit auf rutschen sie auf ihren Beinen oder hangen auf dem Pferde; in Sitzen oder Reiten teilt sich ihr Leben, und die einzige Stellung, die dem menschlichen Fuß seine gerade schöne Gestalt gibt, der Gang, ist ihnen bis auf wenige Schritte sogar fremde. Sollte nun nicht auch mehreres von ihrer Lebensart in ihre Bildung übergegangen sein? Das abstehende tierische Ohr, das gleichsam immer lauscht und horchet, das kleine scharfe Auge, das in der weitesten Ferne den kleinsten Rauch oder Staub gewahr wird, der weiße hervorbleckende, knochenbenagende Zahn, der dicke Hals und die zurückgebogne Stellung ihres Kopfs auf demselben: sind diese Züge nicht gleichsam zur Bestandheit gediehene Gebärden und Charaktere ihrer Lebensweise? Setzen wir nun noch hinzu, daß, wie Pallas sagt, ihre Kinder oft bis ins zehnte Jahr im Gesicht unförmlich, aufgedunsen und von einem kakochymischen Ansehen sind, bis sie durch das Auswachsen wohlgebildeter werden; bemerken wir, daß große Strecken von ihren Gegenden keinen Regen, wenig oder wenigstens kein reines Wasser haben und daß ihnen von Kindheit auf das Baden beinah eine ganz fremde Sache werde; denken wir uns die Salzseen, den Salzboden, die Salzmoräste, an denen sie wohnen, deren kalischen Geschmack sie auch in Speisen und sogar in dem Strom von Teewasser lieben, mit dem sie täglich ihre Verdauung schwächen; fügen wir auf der Erdhöhe, die sie bewohnen, die feinere Luft, die trocknen Winde, die kalischen Ausdünstungen, den langen Winter im Anblick des Schnees und im Rauch ihrer Hütte und noch eine Reihe kleinerer Umstände hinzu: sollte es nicht wahrscheinlich sein, daß vor Jahrtausenden schon, da vielleicht einige dieser Ursachen noch viel stärker wirkten, eben hieraus ihre Bildung entstanden und zur erblichen Natur übergegangen wäre? Nichts erquickt unsern Körper mehr und macht ihn gleichsam sprossender und fester als das Waschen und Baden im Wasser, zumal mit Gehen, Laufen, Ringen und andrer Leibesübung verbunden. Nichts schwächt den Körper mehr als das warme Getränk, das sie ohne Maß in sich schlürfen und das sie überdem noch mit zusammenziehenden kalischen Salzen würzen. Daher, wie schon Pallas angemerkt hat, die schwächliche, weibische Gestalt der Mongolen und Buräten, daß fünf und sechs derselben mit allen Kräften nicht ausrichten, was ein Russe zu tun vermag; daher ihr besonders leichter Körper, mit dem sie auf ihren kleinen Pferden gleichsam nur fliegen und schweben; daher endlich auch die Kakochymie, die auf ihre Kinder übergehen konnte. Selbst einige angrenzende tatarische Stämme werden mit den Zügen der mongolischen Bildung geboren, die sie aber verwachsen; daher wahrscheinlich einige Ursachen klimatisch sein müssen, die mehr oder minder durch Lebensart und Abstammung in den Gliederbau des Volkes eingepfropft und vererbt sind. Wenn Russen oder Tataren sich mit den Mongolen mischen, sollen schöne Kinder geboren werden, so wie es denn auch unter ihnen, nur auf mongolische Weise, sehr zarte und proportionierte Gestalten geben soll. [46] Auch hier ist sich also die Natur in ihrer Organisation treu geblieben: nomadische Völker unter diesem Himmel, auf diesem Erdstrich, bei solcher Lebensweise mußten zu solchen leichten Raubgeiern werden. Und weit umher erstrecken sich. Züge ihrer Bildung; denn wohin sind diese Raubvögel nicht geflogen? Mehr als einmal hat über einem Weltteil ihr siegender Zug geschwebet. In vielen Ländern Asiens haben sich also Mongolen niedergelassen und ihre Bildung durch die Züge andrer Völker veredelt. Ja früher als diese Kriegsüberschwemmungen waren jene uralten Wanderungen von diesem frühbewohnten höchsten Rücken der Erde in viele umliegende Länder. Vielleicht also schon daher trägt die östliche Weltgegend bis zu den Kamtschadalen hinauf sowie über Tibet hin längs der Halbinsel jenseit des Ganges Züge mongolischer Bildung. Lasset uns diesen Erdstrich übersehen, der uns manches Sonderbare zeiget. Die meisten Künsteleien der Sinesen an ihrem Körper betreffen mongolische Züge. Bei jenen Völkern bemerkten wir die ungestalten Füße und Ohren. Wahrscheinlich gab, da eine falsche Kultur dazukam, eine ähnliche Ungestalt zu jenem widernatürlichen Fußzwange, zu jenen abscheulichen Verzerrungen der Ohren, die vielen Völkern dieses Erdstrichs gewöhnlich sind, Anlaß. Man schämte sich seiner Bildung und wollte verändern, traf aber auf Teile, die, da sie der Veränderung nachgaben, sich als die häßlichste Schönheit zuletzt vererbten. Die Sinesen tragen, sofern es die große Verschiedenheit ihrer Provinzen und ihrer Lebensart zuläßt, offenbar noch Züge der östlichen Bildung, die auf der mongolischen Erdhöhe nur am stärksten ins Auge fällt. Das breite Gesicht, die kleinen schwarzen Augen, die stumpfe Nase, der dünne Bart hat sich in einem andern Lande nur zu einer weichern, rundern Gestalt klimatisieret, und der sinesische Geschmack scheint ebensosehr eine Folge übelgeordneter Organe, wie ihre Regierungsform und Weisheit Despotismus und Rohigkeit mit sich träget. Die Japonesen, ein Volk von sinesischer Kultur, wahrscheinlich aber von mongolischer Herkunft [47], sind fast durchgehends übel gewachsen, von dickem Kopf, kleinen Augen, stumpfen Nasen, platten Backen, fast ohne Bart und meistens von schiefen Beinen. Ihre Regierungsform und Weisheit ist voll gewaltsamen Zwanges, nur ihrem Lande durchaus bequemet. Eine dritte Art Despotismus herrscht im Tibet, dessen Gottesdienst sich weit hinan in die barbarischen Steppen ziehet. Die östliche Bildung [48] ziehet sich mit den Gebürgen auf die Halbinsel jenseit des Ganges hinunter, wo mit den Bergen sich auch wahrscheinlich die Völker hinaberstreckten. Das Königreich Assam, das an die Tatarei grenzt, bezeichnet sich, wenn man den Berichten der Reisenden [49] trauen darf, insonderheit nördlich durch seine häufigen Kröpfe und platte Nasen. Der unförmliche Schmuck an den verlängerten Ohren, die grobe Nahrung und Nacktheit in einem so milden Erdstrich sind Charaktere der Barbarei eines rohen Volkes. Die Arrakaner mit weit offnen Nasen, einer flachen Stirn, kleinen Augen und bis zu den Schultern hinabgezwängten Ohren zeigen eben diese Mißbildung des östlichen Erdstrichs [50]. Die Barmen in Ava und Pegu hassen den Bart bis auf sein kleinstes Haar, wie ihn die Tibetaner und andre höhere Nationen hassen; sie wollen von ihrer tatarischen Unbärtigkeit auch durch eine reichere Natur nicht weggebracht sein. So gehet's, jedoch nach der Verschiedenheit der Klimate und Völker, bis in die Inseln herunter. [51] Nordwärts hinauf nicht anders bis zu den Koräken und Kamtschadalen am Ufer der östlichen Welt. Die Sprache der letzten soll mit der sinesisch-mongolischen noch einige Ähnlichkeit haben, ob sie gleich in alten Zeiten von diesen Völkern getrennt sein müssen, da sie den Gebrauch des Eisens noch nicht kannten; ihre Bildung verleugnet noch nicht ihren Weltstrich. [52] Schwarz ist ihr Haar, ihr Gesicht breit und flach, Nase und Augen tief eingedrückt; und ihren Geistescharakter, eine scheinbare Anomalie in diesem kalten unwirtbaren Klima werden wir dennoch demselben angemessen finden. Die Koräken, die Tschhuchtschi, die Kurilen und weitern östlichen Insulaner endlich [53] sind, wie mich dünkt, allmähliche Übergänge aus der mongolischen in die amerikanische Form; und wenn wir die nordwestlichen Enden dieses Weltteils, die uns größtenteils noch unbekannt sind, wenn wir den innern Teil von Jedso und die große Strecke über Neumexiko hin, die uns noch so leer wie das innere Afrika ist, werden kennenlernen, so dünkt mich, werden wir der letzten Reise Cooks zufolge [54] ziemlich offenbare Schattierungen sich ineinander verlieren sehen. Solch einen weiten Strich hat die zum Teil verzerrte, überall aber mehr oder minder unbärtige östliche Bildung, und daß sie nicht Abstammung von einem Volk sei, zeigen die mancherlei Sprachen und Sitten der Nationen. Was wäre also ihre Ursache? Was z. B. hat so verschiedne Völker bewaffnet, gegen den Bart zu streiten oder sich die Ohren zu zerren oder sich die Nase und Lippen zu durchbohren? Mich dünkt, eine ursprüngliche Unförmlichkeit muß zum Grunde gelegen haben, die nachher eine barbarische Kunst zu Hülfe rief und endlich eine alte Sitte der Väter wurde. Die Abartung der Tiere zeigt sich, ehe sie die Gestalt ergreift, an Haar und Ohren, weiter hinab an den Füßen, so wie sie auch im Gesicht zuerst das Kreuz desselben, das Profil, ändert. Wenn die Genealogie der Völker, die Beschaffenheit dieser weitentlegnen Erdstriche und Länder, am meisten aber die Abweichungen der innern Physiologie der Völkerschaften mehr untersucht sein wird, so werden wir auch hierüber nähere Aufschlüsse erhalten. Und sollte der der Wissenschaften und Nationen kundige Pallas nicht der erste sein, der uns hierüber ein spicilegium anthropologicum gäbe?
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Wolfgang
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