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Johann Gottfried
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IIIOrganisation des Erdstrichs schöngebildeter VölkerMitten im Schoß der höchsten Gebirge liegt das Königreich Kaschmire, verborgen wie ein Paradies der Welt. Fruchtbare und schöne Hügel sind mit höhern und höhern Bergen umschlossen, deren letzte sich, mit ewigem Schnee bedeckt, zu den Wolken er- heben. Hier rinnen schöne Bäche und Ströme; das Erdreich schmückt sich mit gesunden Kräutern und Früchten; Inseln und Gärten stehen im erquickenden Grün; mit Viehweiden ist alles überdeckt; giftige und wilde Tiere sind aus diesem Paradiese verbannet. Man könnte, wie Bernier sagt, diese die unschuldigen Berge nennen, auf denen Milch und Honig fließt, und die Menschengattung daselbst ist der Natur nicht unwert. Die Kaschmiren werden für die geistreichsten und witzigsten Indier gehalten, zur Poesie und Wissenschaft, zu Hantierungen und Künsten gleich geschickt, die wohlgebildetsten Menschen und ihre Weiber oft Muster der Schönheit. [55] Wie glücklich könnte Indostan sein, wenn nicht Menschenhände sich vereinigt hätten, den Garten der Natur zu verwüsten und die unschuldigste der Menschengestalten mit Aberglauben und Unterdrückung zu quälen. Die Hindus sind der sanftmütigste Stamm der Menschen. Kein Lebendiges beleidigen sie gern; sie ehren, was Leben bringt, und nähren sich mit der unschuldigsten Speise, der Milch, dem Reis, den Baumfrüchten, den gesunden Kräutern, die ihnen ihr Mutterland darbeut. »Ihre Gestalt«, sagt ein neuer Reisender [56], »ist gerade, schlank und schön, ihre Glieder fein proportioniert, ihre Finger lang und zarttastend, ihr Gesicht offen und gefällig, die Züge desselben sind bei dem weiblichen Geschlecht die zartesten Linien der Schönheit, bei dem männlichen einer männlich-sanften Seele. Ihr Gang und ihr ganzes Tragen des Körpers ist im höchsten Grad anmutig und reizend.« Die Beine und Schenkel, die in allen nordöstlichen Ländern litten oder affenartig verkürzt waren, verlängern sich hier und tragen eine sprießende Menschenschönheit. Selbst die mongolische Bildung, die sich mit diesem Geschlecht vermählte, hat sich in Würde und Freundlichkeit verwandelt. Und wie die Leibesgestalt ist auch die ursprüngliche Gestalt ihres Geistes, ja, sofern man sie ohne den Druck des Aberglaubens oder der Sklaverei betrachtet, ihre Lebensweise. Mäßigkeit und Ruhe, ein sanftes Gefühl und eine stille Tiefe der Seele bezeichnen ihre Arbeit und ihren Genuß, ihre Sittenlehre und Mythologie, ihre Künste und selbst ihre Duldsamkeit unter dem äußersten Joch der Menschheit. Glückliche Lämmer, warum konntet ihr nicht auf eurer Aue der Natur ungestört und sorglos weiden? Die alten Perser waren ein häßliches Volk von den Gebirgen, wie noch ihre Reste, die Gauren, zeigen. [57] Da aber schwerlich ein Land in Asien so vielen Einbrüchen ausgesetzt ist als Persien und es gerade unter dem Abhange wohlgebildeter Völker lag, so hat sich hier eine Bildung zusammengesetzt, die bei den edleren Persern Würde und Schönheit verbindet Hier liegt Tschirkassien, die Mutter der Schönheit; zur andern Seite des Kaspischen Meers wohnen tatarische Stämme, die sich in ihrem schönen Klima auch schon zur Wohlgestalt gebildet und häufig hinabgebreitet haben Zur Rechten liegt Indien, und sowohl aus ihm als aus Tschirkassien haben erkaufte Mädchen das Geblüt der Perser verschönet. Ihre Gemütsart ist diesem Veredlungsplatz des menschlichen Geschlechts gemäß worden: denn jener leichte und durchdringende Verstand, jene fruchtbare und lebhafte Einbildungskraft der Perser samt ihrem biegsamen höflichen Wesen, ihrem Hange zur Eitelkeit, zur Pracht und zur Freude, ja zur romantischen Liebe sind vielleicht die erlesensten Eigenschaften zum Gleichgewicht der Neigungen und Züge. Statt jener barbarischen Zieraten, mit denen ungestalte Nationen die Ungestalt ihres Körpers bedecken wollten und vermehrten, kamen hier schönere Gewohnheiten auf, die Wohlgestalt des Körpers zu erheben. Der wasserlose Mongole mußte unrein leben; der weiche Indier badet; der wohllüstige Perser salbet. Der Mongole klebte auf seinen Fersen oder hing auf seinem Pferde; der sanfte Indier ruhet; der romantische Perser teilt seine Zeit in Ergötzungen und Spiele. Er färbt sein Augenbrauen; er kleidet sich in eine den Wuchs erhebende Kleidung. Schöne Wohlgestalt! sanftes Gleichgewicht der Neigungen und Seelenkräfte, warum konntest du dich nicht dem ganzen Erdball mitteilen? Daß einige tatarische Stämme ursprünglich zu den schöngebildeten Völkern der Erde gehören und nur in den Nordländern oder auf den Steppen verwildert sind, haben wir bereits bemerket; beide Seiten des Kaspischen Meers zeigen diese schönere Bildung. Die Usbekerinnen werden groß, wohlgebildet und angenehm beschrieben [58]: sie ziehen mit ihren Männern ins Gefecht; ihr Auge, sagt die Beschreibung, ist groß, schwarz und lebhaft, das Haar schwarz und fein; die Bildung des Mannes hat Ansehen und eine Art feiner Würde. Ein gleiches Lob wird den Buckharen gegeben, und die Schönheit der Tsirkasserinnen, der schwarzseidne Faden ihres Augenbraus, ihr feuriges schwarzes Auge, die glatte Stirn, der kleine Mund, das geründete Kinn sind weit umher bekannt und gepriesen. [59] Man sollte glauben, daß in diesen Gegenden die Zunge der Waage menschlicher Bildung in der Mitte geschwebet und ihre Schalen nach Griechenland und Indien öst- und westlich fortgebreitet habe. Glücklich für uns, daß Europa diesem Mittelpunkt schöner Formen nicht so gar fern lag und daß manche Völker, die diesen Weltteil bewohnen, die Gegenden zwischen dem Sehwarzen und Kaspischen Meer auch entweder innegehabt oder langsam durchzogen haben. Wenigstens sind wir also keine Antipoden des Landes der Schönheit. Alle Völker, die sieh auf diesen Erdstrich schöner Menschenbildung drängten und auf ihm verweilten, haben ihre Züge gemildert. Die Türken, ursprünglich ein häßliches Volk, veredelten sieh zu einer ansehnlichern Gestalt, da ihnen als Überwindern weiter Gegenden jede Nachbarschaft schöner Geschlechter zu Dienst stand; auch die Gebote des Korans, der ihnen das Waschen, die Reinigkeit, die Mäßigung anbefahl und dagegen wohllüstige Rolle und Liebe erlaubte, haben wahrscheinlich dazu beigetragen. Die Ebräer, deren Väter ebenfalls aus der Höhe Asiens kamen und die lange Zeit, bald ins dürre Ägypten, bald in die Arabische Wüste verschlagen, nomadisch umherzogen: ob sie gleich auch in ihrem engen Lande unter dem drückenden Joch des Gesetzes sieh nie zu einem Ideal erheben konnten, das freiere Tätigkeit und mehrere Wohllust des Lebens fordert, so tragen sie dennoch, auch jetzt in ihrer weiten Zerstreuung und langen, tiefen Verworfenheit, das Gepräge der asiatischen Bildung. Auch die harten Araber gehen nicht leer aus; denn obgleich ihre Halbinsel mehr zum Lande der Freiheit als der Schönheit von der Natur gebildet worden und weder die Wüste noch das Nomadenleben die besten Pflegerinnen der Wohlgestalt sein können, so ist doch dieses harte und tapfere zugleich ein wohlgebildetes Volk, dessen weite Wirkung auf drei Weltteile wir in der Folge sehen werden. [60] Endlich fand an den Küsten des Mittelländischen Meers [61] die menschliche Wohlgestalt eine Stelle, wo sie sich mit dem Geist vermählen und in allen Reizen irdischer und himmlischer Schönheit nicht nur dem Auge, sondern auch der Seele sichtbar werden konnte: es ist das dreifache Griechenland, in Asien und auf den Inseln, in Gräcia selbst und auf den Küsten der weitern Abendländer. Laue Westwinde fächelten das Gewächs, das von der Höhe Asiens allmählich herverpflanzt war, und durchlauchten es mit Leben. Zeiten und Schicksale kamen hinzu, den Saft desselben höher zu treiben und ihm die Krone zu geben, die noch jedermann in jenen Idealen griechischer Kunst und Weisheit mit Freuden anstaunet. Hier wurden Gestalten gedacht und geschaffen, wie sie kein Liebhaber tsirkassischer Schönen, kein Künstler aus Indien oder Kaschmire entwerfen können. Die menschliche Gestalt ging in den Olympus und bekleidete sich mit göttlicher Schönheit. Weiterhin nach Europa verirre ich mich nicht. Es ist so formenreich und gemischt; es hat durch seine Kunst und Kultur so vielfach die Natur verändert, daß ich über seine durcheinandergemengte, feine Nationen nichts Allgemeines zu sagen wage. Vielmehr sehe ich vom letzten Ufer des Erdstrichs, den wir durchgegangen sind, nochmals zurück, und nach einer oder zwo Bemerkungen gehen wir in das schwarze Afrika über. Zuerst fällt jedermann ins Auge, daß der Strich der wohlgebildetsten Völker ein Mittelstrich der Erde sei, der, wie die Schönheit selbst, zwischen zweien Äußersten lieget. Er hat nicht die zusammendrückende Kälte der Samojeden, noch die dörrenden Salzwinde der Mongolen; und auf der andern Seite ist ihm die brennende Hitze der afrikanischen Sandwüsten sowie die feuchten und gewaltsamen Abwechselungen des amerikanischen Klima ebenso fremde. Weder auf dem Gipfel der Erdhöhe liegt er noch auf dem Abhange zum Pol hin; vielmehr schützen ihn auf der einen Seite die hohen Mauern der tatarischen und mongolischen Gebirge, da auf der andern ihn der Wind des Meeres kühlet. Regelmäßig wechseln seine Jahrszeiten ab, aber noch ohne die Gewaltsamkeit, die unter dem Äquator herrschet. Und da schon Hippokrates bemerkt hat, daß eine sanfte Regelmäßigkeit der Jahrszeiten auch auf das Gleichgewicht der Neigungen großen Einfluß zeiget, so hat sie solchen in den Spiegel und Abdruck unsrer Seele nicht minder. Die räuberischen Turkumannen, die auf den Bergen oder in der Wüste umherschweifen, bleiben auch im schönsten Klima ein häßliches Volk. Ließen sie sich zur Ruhe nieder und teilten ihr Leben in einen sanftern Genuß und in eine Tätigkeit, die sie mit andern gebildetern Nationen verbände, sie würden, wie an der Sitte derselben, so mit der Zeit auch an den Zügen ihrer Bildung Anteil nehmen. Die Schönheit der Welt ist nur für den ruhigen Genuß geschaffen; mittelst seiner allein teilt sie sich dem Menschen mit und verkörpert sich in ihm. Zweitens. Ersprießlich ist's für das Menschengeschlecht gewesen, daß es in diesen Gegenden der Wohlgestalt nicht nur anfing, sondern daß auch von hier aus die Kultur am wohltätigsten auf andre Nationen gewirkt hat. Wenn die Gottheit nicht unsre ganze Erde zum Sitz der Schönheit machen konnte, so ließ sie wenigstens durch die Pforte der Schönheit das Menschengeschlecht hinauftreten und mit lang eingeprägten Zügen derselben die Völker nur erst allmählich andre Gegenden suchen. Auch war es ein und dasselbe Principium der Natur, das eben die wohlgebildeten Nationen zugleich zu den wohltätigsten Wirkerinnen auf andre machte; sie gab ihnen nämlich die Munterkeit, die Elastizität des Geistes, die sowohl zu ihrer Leibesgestalt als zu dieser wohltätigen Einwirkung auf andre Nationen gehörte. Die Tungusen und Eskimos sitzen ewig in ihren Höhlen und haben sich weder in Liebe noch Leid um entfernte Völker bekümmert. Der Neger hat für die Europäer nichts erfunden; er bat sich nie in den Sinn kommen lassen, Europa weder zu beglücken noch zu bekriegen. Aus den Gegenden schöngebildeter Völker haben wir unsre Religion, Kunst, Wissenschaft, die ganze Gestalt unsrer Kultur und Humanität, so viel oder wenig wir deren an uns haben. In diesem Erdstrich ist alles erfunden, alles durchdacht und wenigstens in Kinderproben ausgeführt, was die Menschheit verschönern und bilden konnte. Die Geschichte der Kultur wird dieses unwidersprechlich dartun, und mich dünket, es beweiset's unsre eigne Erfahrung. Wir nordischen Europäer wären noch Barbaren, wenn nicht ein gütiger Hauch des Schicksals uns wenigstens Blüten vom Geist dieser Völker herübergeweht hätte, um durch Einimpfung des schönen Zweiges in wilde Stämme mit der Zeit den unsern zu veredlen.
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Wolfgang
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