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Johann Gottfried
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IIn so verschiedenen Formen das Menschengeschlecht auf der Erde erscheint, so ist's doch überall ein und dieselbe MenschengattungSind in der Natur keine zwei Blätter eines Baums einander gleich, so sind's noch weniger zwei Menschengesichte und zwei menschliche Organisationen. Welcher unendlichen Verschiedenheit ist unser kunstreiche Bau fähig! Seine festen Teile lösen sich in so feine, vielfach verschlungene Fibern auf, daß sie kein Auge verfolgen mag; diese werden von einem Leim gebunden, dessen zarte Mischung aller berechnenden Kunst entweichet; und noch sind diese Teile das wenigste, was wir an uns haben; sie sind nichts als Gefäße, Hüllen und Träger des in viel größerer Menge vorhandenen vielartigen, vielbegeisterten Safts, durch den wir genießen und leben. »Kein Mensch«, sagt Haller [101], »ist im innern Bau dem andern ganz ähnlich: er unterscheidet sich im Lauf seiner Nerven und Adern in Millionen von Millionen Fällen, daß man fast nicht imstande ist, aus den Verschiedenheiten dieser feinen Teile das auszufinden, worin sie übereinkommen.« Findet nun schon das Auge des Zergliederers diese zahllose Verschiedenheit, welche größere muß in den unsichtbaren Kräften einer so künstlichen Organisation wohnen! so daß jeder Mensch zuletzt eine Welt wird, zwar eine ähnliche Erscheinung von außen, im Innern aber ein eignes Wesen, mit jedem andern unausmeßbar. Und da der Mensch keine unabhängige Substanz ist, sondern mit allen Elementen der Natur in Verbindung stehet: er lebt vom Hauch der Luft wie von den verschiedensten Kindern der Erde, den Speisen und Getränken; er verarbeitet Feuer, wie er das Licht einsaugt und die Luft verpestet; wachend und schlafend, in Ruhe und in Bewegung trägt er zur Veränderung des Universum bei, und sollte er von demselben nicht verändert werden? Es ist viel zuwenig, wenn man ihn dem saugenden Schwamm, dem glimmenden Zunder vergleicht; eine zahllose Harmonie, ein lebendiges Selbst ist er, auf welches die Harmonie aller ihn umgebenden Kräfte wirket. Der ganze Lebenslauf eines Menschen ist Verwandlung; alle seine Lebensalter sind Fabeln derselben, und so ist das ganze Geschlecht in einer fortgehenden Metamorphose. Blüten fallen ab und welken, andre sprießen hervor und knospen: der ungeheure Baum trägt auf einmal alle Jahrszeiten auf seinem Haupte. Hat sich nun, nach dem Kalkül der Ausdünstung allein, ein achtzigjähriger Mann wenigstens vierundzwanzigmal am ganzen Körper erneuet [102]: wer mag den Wechsel der Materie und ihrer Formen durch das ganze Menschenreich auf der Erde in allen Ursachen der Veränderung verfolgen, da kein Punkt auf unsrer vielartigen Kugel, da keine Welle im Strom der Zeit einer andern gleich ist? Die Bewohner Deutschlands waren vor wenigen Jahrhunderten Patagonen, und sie sind's nicht mehr; die Bewohner künftiger Klimate werden uns nicht gleichen. Steigen wir nun in jene Zeiten hinauf, da alles auf der Erde so anders gewesen zu sein scheinet, in jene Zeit z. E., da die Elefanten in Siberien und Nordamerika lebten, da die großen Tiere vorhanden waren, deren Gebeine sich am Ohiostrom finden, u. f.: wenn damals Menschen in diesen Gegenden lebten, wie andere Menschen waren's, als die jetzt daselbst leben! Und so wird die Menschengeschichte zuletzt ein Schauplatz von Verwandlungen, den nur der übersiehet, der selbst alle diese Gebilde durchhaucht und sich in ihnen allen freuet und fühlet. Er führet auf und zerstöret, verfeint Gestalten und ändert sie ab, nachdem er die Welt um sie her verwandelt. Der Wandrer auf der Erde, die schnell vorübergehende Ephemere, kann nichts als die Wunder dieses großen Geistes auf einem schmalen Streif anstaunen, sich der Gestalt freuen, die ihm im Chor der andern ward, anbeten und mit dieser Gestalt verschwinden. »Auch ich war in Arkadien!« ist die Grabschrift aller Lebendigen in der sich immer verwandelnden, wiedergebärenden Schöpfung. Da indessen der menschliche Verstand in aller Vielartigkeit Einheit sucht und der göttliche Verstand, sein Vorbild, mit dem zahllosesten Mancherlei auf der Erde überall Einheit vermählt hat, so dürfen wir auch hier aus dem ungeheuren Reich der Veränderungen auf den einfachsten Satz zurückkehren: Nur ein und dieselbe Gattung ist das Menschengeschlecht auf der Erde. Wie viele Fabeln der Alten von menschlichen Ungeheuern und Mißgestalten haben sich durch das Licht der Geschichte bereits verloren! Und wo irgend die Sage noch Reste davon wiederholet, bin ich gewiß, daß auch diese bei hellerm Licht der Untersuchung sich zur schönern Wahrheit aufklären werden. Den Orang-Utang kennet man jetzt und weiß, daß er weder zur Menschheit noch zur Sprache ein Recht hat; durch eine sorgfältigere Nachricht von den Orang-Kubub und Orang-Guhu [103] auf Borneo, Sumatra und den Nikobar-Inseln werden sich auch die geschwänzten Waldmenschen verlieren. Die Menschen mit den verkehrten Füßen auf Malakka [104], die wahrscheinlich rachitische Zwergnation auf Madagaskar, die weiblich gekleideten Männer in Florida u. f. verdienen eine gleiche Berichtigung, wie solche bisher schon die Albinos, die Dondos, die Patagonen, die Schürzen der Hottentottinnen [105] erhalten haben. Männer, denen es gelingt, Mängel aus der Schöpfung, Lügen aus unserm Gedächtnis und Entehrungen aus unsrer Natur zu vertreiben, sind im Reich der Wahrheit das, was die Heroen der Fabel für die erste Welt waren: sie vermindern die Ungeheuer auf Erden. Auch die Angrenzung der Menschen an die Affen wünschte ich nie so weit getrieben, daß, indem man eine Leiter der Dinge sucht, man die wirklichen Sprossen und Zwischenräume verkenne, ohne die keine Leiter stattfindet. Was z. E. könnte wohl der rachitische Satyr in der Gestalt des Kamtschadalen, der kleine Silvan in der Größe des Grönländers oder der Pongo beim Patagonen erklären, da alle diese Bildungen aus der Natur des Menschen folgen, auch wenn kein Affe auf Erden wäre? Und ginge man gar noch weiter, gewisse Unförmlichkeiten unsres Geschlechts genetisch von Affen herzuleiten, so dünkt mich, diese Vermutung sei ebenso unwahrscheinlich als entehrend. Die meisten dieser scheinbaren Affenähnlichkeiten sind in Ländern, in denen es nie Affen gegeben, wie der zurückgehende Schädel der Kalmücken und Mallikolesen, die abstehenden Ohren der Pevas und Amikuanes, die schmalen Hände einiger Wilden in Karolina u. f. zeigen. Auch sind diese Dinge, sobald man über den ersten spielenden Trug des Auges hinweg ist, so wenig wirklich affenartig, daß ja Kalmücke und Neger völlige Menschen auch der Bildung des Haupts nach bleiben und der Mallikolese Fähigkeiten äußert, die manche andre Nationen nicht haben. Wahrlich, Affe und Mensch sind nie ein und dieselbe Gattung gewesen, und ich wünschte jeden kleinen Rest der Sage berichtigt, daß sie irgendwo auf der Erde in gewöhnlicher fruchtbarer Gemeinschaft leben. [106] Jedem Geschlecht hat die Natur genuggetan und sein eignes Erbe gegeben. Den Affen hat sie in soviel Gattungen und Spielarten verteilt und diese so weit verbreitet, als sie sie verbreiten konnte. Du aber, Mensch, ehre dich selbst. Weder der Pongo noch der Longimanus ist dein Bruder; aber wohl der Amerikaner, der Neger. Ihn also sollt du nicht unterdrücken, nicht morden, nicht stehlen; denn er ist ein Mensch, wie du bist; mit dem Affen darfst du keine Brüderschaft eingehn. Endlich wünschte ich auch die Unterscheidungen, die man aus rühmlichem Eifer für die überschauende Wissenschaft dem Menschengeschlecht zwischengeschoben hat, nicht über die Grenzen erweitert. So haben einige z. B. vier oder fünf Abteilungen desselben, die ursprünglich nach Gegenden oder gar nach Farben gemacht waren, Rassen zu nennen gewaget; ich sehe keine Ursache dieser Benennung. Rasse leitet auf eine Verschiedenheit der Abstammung, die hier entweder gar nicht stattfindet oder in jedem dieser Weltstriche unter jeder dieser Farben die verschiedensten Rassen begreift. Denn jedes Volk ist Volk: es hat seine Nationalbildung wie seine Sprache. Zwar hat der Himmelsstrich über alle bald ein Gepräge, bald nur einen linden Schleier gebreitet, der aber das ursprüngliche Stammgebilde der Nation nicht zerstöret. Bis auf Familien sogar verbreitet sich dieses, und seine Übergänge sind so wandelbar als unmerklich. Kurz, weder vier oder fünf Rassen noch ausschließende Varietäten gibt es auf der Erde. Die Farben verlieren sich ineinander, die Bildungen dienen dem genetischen Charakter, und im ganzen wird zuletzt alles nur Schattierung eines und desselben großen Gemäldes, das sich durch alle Räume und Zeiten der Erde verbreitet. Es gehöret also auch nicht sowohl in die systematische Naturgeschichte als in die physisch-geographische Geschichte der Menschheit.
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Wolfgang
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