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Johann Gottfried
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VSchlußanmerkungen über den Zwist der Genesis und des KlimaIrre ich nicht, so ist mit dem, was bisher wenigstens andeutend gesagt worden, der Anfang einer Grenzlinie zu Übersicht dieses Streits gezogen worden. Niemand z. B. wird verlangen, daß in einem fremden Klima die Rose eine Lilie, der Hund ein Wolf werden soll; denn die Natur hat genaue Grenzen um ihre Gattungen gezogen und läßt ein Geschöpf lieber untergehen, als daß es ihr Gebilde wesentlich verrücke oder verderbe. Daß aber die Rose verarten, daß der Hund etwas Wolfartiges an sich nehmen könne, dies ist der Geschichte gemäß, und auch hier gehet die Verartung nicht anders vor als durch schnelle oder langsame Gewalt auf die gegenwirkende organischen Kräfte. Beide streitführende Mächte sind also von großer Wirkung; nur jede wirket auf eigne Art. Das Klima ist ein Chaos von Ursachen, die einander sehr ungleich, also auch langsam und verschiedenartig wirken, bis sie etwa zuletzt in das Innere eindringen und dieses durch Gewohnheit und Genesis selbst ändern: die lebendige Kraft widerstehet lange, stark, einartig und nur ihr selbst gleich; da sie indessen doch nicht unabhängig von äußern Leidenschaften ist, so muß sie sich ihnen auch mit der Zeit bequemen. Statt eines weitern Zwists im allgemeinen wünschte ich also lieber eine belehrende Untersuchung im einzelnen, zu der uns das Feld der Geographie und Geschichte eine große Ernte darbeut. Wir wissen z. E., wenn diese portugiesische Kolonien nach Afrika, jene spanischen, holländischen, englischen, deutschen nach Ostindien und Amerika gewandert sind, was an einigen derselben die Lebensart der Eingebornen, an andern die fortgesetzte Lebensweise der Europäer für Wirkung gehabt u. f. Hätte man dieses alles genau un- tersucht, so stiege man zu ältern Übergängen, z. B. der Malayen auf den Inseln, der Araber in Afrika und Ostindien, der Türken in ihren eroberten Ländern, sodann zu den Mogolen, Tatarn und endlich zu dem Schwarm von Nationen, die in der großen Völkerwanderung Europa Überdeckten. Nirgend vergäße man, aus welchem Klima ein Volk kam, welche Lebensart es mitbrachte, welches Land es vor sich fand, mit welchen Völkern es sich vermischte, welche Revolutionen es in seinem neuen Sitz durchlebt hat. Würde dieser untersuchende Kalkül durch die gewissern Jahrhunderte fortgesetzt, so ließen sich vielleicht auch Schlüsse auf jene ältern Völkerzüge machen, die wir nur aus Sagen alter Schriftsteller oder aus Übereinstimmungen der Mythologie und Sprache kennen; denn im Grunde sind alle oder doch die meisten Nationen der Erde früher oder später gewandert. Und so bekämen wir, mit einigen Karten zur Anschauung, eine physisch-geographische Geschichte der Abstammung und Verartung unsres Geschlechts nach Klimaten und Zeiten, die Schritt vor Schritt die wichtigsten Resultate gewähren müßte. Ohne dem forschenden Geist, der diese Arbeit unternähme, vorzugreifen, setze ich aus der neuern Geschichte einige wenige Erfahrungen her, kleine Exempel meiner vorhergehen den Untersuchung. 1. Alle zu schnelle, zu rasche Übergänge in ein entgegengesetztes Hemisphär und Klima sind selten einer Nation heilsam worden; denn die Natur hat nicht vergebens ihre Grenzen zwischen weit entfernten Ländern gezogen. Die Geschichte der Eroberungen sowohl als der Handelsgesellschaften, am meisten aber der Missionen, müßte ein trauriges und zum Teil lächerliches Gemälde geben, wenn man diesen Gegenstand mit seinen Folgen auch nur aus eignen Relationen der Übergegangenen unparteiisch hervorholte. Mit grausendem Abscheu liest man die Nachrichten von manchen europäischen Nationen, wie sie, versunken in die frechste Üppigkeit und den fühllosesten Stolz, an Leib und Seele entarten und selbst zum Genuß und Erbarmen keine Kräfte mehr haben. Aufgeblähete Menschenlarven sind sie, denen jedes edle, tätige Vergnügen entgeht und in deren Adern der vergeltende Tod schleichet. Rechnet man nun noch die Unglückseligen dazu, denen beide Indien haufenweise ihre Grabstätte wurden; lieset man die Geschichte der Krankheiten fremder Weltteile, die die englischen, französischen und holländischen Ärzte beschreiben, und schauet denn in die frommen Missionen, die sich so oft nicht von ihrem Ordenskleide, von ihrer europäischen Lebensweise trennen wollten: welche lehrreichen Resultate, die, leider! auch zur Geschichte der Menschheit gehören, dringen sich uns auf! 2. Selbst der europäische Fleiß gesitteter Kolonien in andern Weltteilen vermag nicht immer die Wirkung des Klima zu ändern. »In Nordamerika«, bemerkt Kalm [132], »kommen die europäischen Geschlechter eher zu reifen Jahren, aber auch eher zum Alter und Tode als in Europa. Es ist nichts Seltnes«, sagt er, »kleine Kinder zu sehen, die auf die vorgelegten Fragen bis zur Verwunderung lebhaft und fertig antworten, aber auch die Jahre der Europäer nicht erreichen. Achtzig oder neunzig Jahr sind für einen in Amerika gebornen Europäer ein seltnes Beispiel, da doch die ersten Einwohner oft ein hohes Alter erlebten; auch die in Europa Gebornen werden gemeiniglich viel älter als die von europäischen Eltern in Amerika Erzeugten. Die Weiber hören früher auf, Kinder zu gebären, einige schon im dreißigsten Jahr; auch bemerkt man bei allen europäischen Kolonien, daß die dort oder hier Gebornen frühe und vor der Zeit ihre Zähne verlieren, da die Amerikaner schöne, weiße und unbeschädigte Zähne bis an ihr Ende behalten.« Mit Unrecht hat man diese Stellen auf die Ungesundheit des alten Amerika gegen seine eignen Kinder gezogen; nur gegen Fremdlinge war's diese Stiefmutter, die, wie es auch Kalm erklärt, mit andrer Konstitution und Lebensweise in seinem Schoß leben. 3. Man denke nicht, daß die Kunst der Menschen mit stürmender Willkür einen fremden Erdteil sogleich zu einem Europa umschaffen könne, wenn sie seine Wälder umhauet und seinen Boden kultivieret; denn die ganze lebendige Schöpfung ist im Zusammenhange, und dieser will nur mit Vorsicht geändert werden. Ebender Kalm berichtet aus dem Munde alter amerikanischer Schweden, daß durch die schnelle Ausrottung der Wälder und Bebauung des Landes nicht nur das eßbare Gevögel, das sonst in unzähliger Menge auf Wassern und in Wäldern lebte, die Fische, von denen sonst Flüsse und Bäche wimmelten, die Seen, Bäche, Quellen und Ströme, der Regen, das dichte hohe Gras in den Wäldern u. f. sich sehr vermindert, sondern daß diese Ausrottung auch auf das Lebensalter, die Gesundheit und Jahrszeiten zu wirken scheine. »Die Amerikaner«, sagt er, »die bei Ankunft der Europäer ein Alter von hundert und mehrern Jahren zurückgelegt, erreichen jetzt oft kaum das halbe Alter ihrer Väter, woran nicht bloß der menschentötende Branntwein und ihre veränderte Lebensweise, sondern wahrscheinlich auch der Verlust so vieler wohlriechenden Kräuter und kräftigen Pflanzen schuld sei, die jeden Morgen und Abend einen Geruch gaben, als ob man sich in einem Blumengarten fände. Der Winter sei damals zeitiger, kälter, gesunder und beständiger gewesen; jetzt treffe der Frühling später ein und sei, wie die Jahrszeiten überhaupt, unbeständiger und abwechselnder.« So erzählt Kalm, und wie lokal man die Nachricht einschränke, dürfte sie doch immer zeigen, daß die Natur selbst im besten Werk, das Menschen tun können, dem Anbau eines Landes, zu schnelle, zu gewaltsame Übergänge nicht liebe. Die Schwäche der sogenannten kultivierten Amerikaner in Mexiko, Peru, Paraguay, Brasilien, sollte sie nicht unter andern auch daher kommen, daß man ihnen Land und Lebensart verändert hat, ohne ihnen eine europäische Natur geben zu können oder zu wollen? Alle Nationen, die in den Wäldern und nach der Weise ihrer Väter leben, sind mutig und stark; sie werden alt und grünen wie ihre Bäume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten Schatten entzogen, schwinden sie traurig dahin; Seele und Mut ist in ihren Wäldern geblieben. Man lese z. B. die rührende Geschichte der einsamen blühenden Familie, die Dobritzhofer [133] aus ihrer Wildnis zog: Mutter und Tochter starben bald dahin, und beide riefen in Träumen ihren zurückgebliebenen Sohn und Bruder so lange nach sich, bis er ohne Weh und Krankheit die Augen zuschloß. Nur dadurch wird es begreiflich, wie Nationen, die erst tapfer, munter, herzhaft waren, in kurzer Zeit so weich werden konnten, wie sie die Je- suiten in Paraguay und die Reisenden in Peru schildern, eine Weichheit, die dem Lesenden Schmerz erreget. Für die Folge der Jahrhunderte mag diese Überstrengung der Natur an einigen Orten ihre guten Wirkungen haben [134], ob ich gleich, wenn sie allenthalben möglich wäre, auch hieran zweifle; für die ersten Geschlechter aber, sowohl der Kultivatoren als der Kultivierten, scheint dieses nicht also; denn die Natur ist allenthalben ein lebendiges Ganze und will sanft befolgt und gebessert, nicht aber gewaltsam beherrschet sein. Aus allen Wilden, die man plötzlich ins Gedräng der Hauptstädte Europas brachte, ist nichts worden: von dem glänzenden Turmknopf, auf den man sie setzte, sehnten sie sich wieder in ihre Ebne und kamen meistens ungeschickt und verderbet zu ihrer alten, ihnen nun auch ungenießbaren Lebensweise wieder. Ein gleiches ist's mit der gewaltsamen Umbildung der wilden Klimate durch europäische Hände. O Söhne des Dädalus, ihr Kreisel des Schicksals auf der Erde, wie viele Gaben waren in eurer Hand, auf menschliche und schonende Art den Völkern Glück zu erzeigen, und wie hat eine stolze, trotzige Gewinnsucht euch fast allenthalben auf einen so andern Weg gelenket! Alle Ankömmlinge fremder Länder, die sich mit den Eingebornen zu nationalisieren wußten, genossen nicht nur ihre Liebe und Freundschaft, sondern fanden am Ende auch, daß die klimatische Lebensart derselben so gar unrecht nicht sei; aber wie wenige gab es solcher! Wie selten verdiente ein Europäer den Lobspruch der Eingebornen: »Er ist ein vernünftiger Mensch, wie wir sind!« Und ob sich die Natur an jedem Frevel, den man ihr antut, nicht räche? Wo sind die Eroberungen, die Handlungsplätze und Invasionen voriger Zeiten, sobald das ungleichartige Volk ins entfernte, fremde Land nur raubend oder verwüstend streifte? Verwehet oder weggezehrt hat sie der stille Hauch des Klima, und dem Eingebornen ward es leicht, dem wurzellosen Baum den letzten Druck zu geben. Dagegen das stille Gewächs, das sich den Gesetzen der Natur bequemte, nicht nur selbst fortdauert, sondern auch die Samenkörner der Kultur auf einer neuen Erde wohltätig fortbreitet. Das folgende Jahrtausend mag es entscheiden, was unser Genius andern Klimaten, was andre Klimate unserm Genius genutzt oder geschadet haben.
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Wolfgang
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